Begriff und Bedeutung des Abnahmeverzugs
Der Begriff Abnahmeverzug beschreibt im deutschen Schuldrecht die Situation, in welcher der Gläubiger einer Leistung – typischerweise beim Kauf- oder Werkvertrag der Käufer oder Besteller – die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht annimmt, obwohl er hierzu verpflichtet ist. Abnahmeverzug wird auch „Gläubigerverzug“ genannt und ist in den §§ 293 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Der Abnahmeverzug spielt eine wichtige Rolle im Leistungsstörungsrecht und entfaltet zahlreiche rechtliche Folgen für beide Vertragsparteien.
Voraussetzungen des Abnahmeverzugs
Ordentliches Angebot der Leistung
Voraussetzung für das Eintreten des Abnahmeverzugs ist ein ordnungsgemäßes Angebot des Schuldners (§ 293 BGB). Das bedeutet, der Schuldner muss die vertraglich geschuldete Leistung so anbieten, wie sie dem Vertrag entspricht (vgl. auch § 294 BGB). Dabei sind etwaige Vereinbarungen hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Leistung zu beachten.
Erfüllbarkeit und Fälligkeit
Die Leistung muss zudem erfüllbar und fällig sein. Die Fälligkeit bestimmt sich nach dem jeweiligen Vertrag, subsidiär nach gesetzlichen Regelungen. Vor Eintritt der Fälligkeit kann der Abnahmeverzug nicht begründet werden.
Keine Annahme der Leistung
Abnahmeverzug liegt schließlich nur vor, wenn der Gläubiger die ordnungsgemäß angebotene, fällige und erfüllbare Leistung nicht annimmt. Dabei ist zwischen aktiver und passiver Annahmeverweigerung zu unterscheiden. Eine ausdrückliche Weigerung ist ebenso ausreichend wie ein bloßes Unterlassen der Annahme.
Rechtsfolgen des Abnahmeverzugs
Gefahrübergang
Mit Eintritt des Abnahmeverzugs geht die Leistungsgefahr auf den Gläubiger über (§ 300 Abs. 2 BGB). Das bedeutet, der Gläubiger trägt ab diesem Zeitpunkt das Risiko des zufälligen Untergangs oder der Verschlechterung der Sache.
Haftungserleichterung für den Schuldner
Der Schuldner haftet während des Abnahmeverzugs für den Eintritt des Untergangs oder der Verschlechterung der Sache lediglich für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§ 300 Abs. 1 BGB). Die Haftung für leichte Fahrlässigkeit entfällt damit.
Ersatz von Mehraufwendungen
Der Schuldner kann Ersatz der Mehraufwendungen verlangen, die ihm infolge des Abnahmeverzugs entstehen (§ 304 BGB). Dazu gehören beispielsweise Kosten für die Lagerung, Versicherung oder den erneuten Transport der Ware.
Übergang von Nutzungen und Gefahr
Für den Zeitraum des Annahmeverzugs schuldet der Gläubiger dem Schuldner die gezogenen Nutzungen und trägt die Lasten der Sache.
Unterschied zwischen Abnahmeverzug und Schuldnerverzug
Es ist zu unterscheiden zwischen dem Abnahmeverzug (Gläubigerverzug) und dem Schuldnerverzug. Während beim Schuldnerverzug der Schuldner die Leistung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vertragsgemäß erbringt, ist beim Abnahmeverzug der Gläubiger der leistungsbereiten Partei mit der Annahme der ordnungsgemäß angebotenen Leistung im Verzug.
Folgen für Rücktritt und Schadensersatz
Der Abnahmeverzug entbindet den Schuldner grundsätzlich nicht von seiner Leistungspflicht. Ein Rücktrittsrecht vom Vertrag oder ein Anspruch auf Schadensersatz anstelle der Leistung stehen dem Schuldner gemäß den §§ 323, 326, 280 BGB nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen, insbesondere dann zu, wenn dem Schuldner durch den Abnahmeverzug ein Schaden entstanden ist.
Abnahmeverzug in den wichtigsten Vertragstypen
Kaufvertrag
Im Kaufrecht ist der Käufer zur Abnahme der gekauften Sache verpflichtet (§ 433 Abs. 2 BGB). Nimmt er diese trotz ordnungsgemäßen Angebots nicht ab, gerät er in Abnahmeverzug mit den oben genannten Rechtsfolgen.
Werkvertrag
Im Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB) ist der Besteller verpflichtet, das vertragsgemäß hergestellte Werk abzunehmen (§ 640 BGB). Ein Abnahmeverzug liegt vor, wenn der Besteller das fertige und angebotene Werk nicht abnimmt.
Miet-, Dienst- und andere Verträge
Auch bei Miet- und Dienstverträgen kann es zu einem Gläubigerverzug kommen, sofern der Empfänger der Leistung zur Annahme verpflichtet ist und diese verweigert.
Ausschluss des Abnahmeverzugs
Der Abnahmeverzug ist ausgeschlossen, wenn die Annahme der Leistung dem Gläubiger aufgrund eines Mangels, einer Störung der Geschäftsgrundlage oder eines sonstigen rechtlichen Grundes nicht zumutbar ist. Ebenfalls ausgeschlossen ist der Abnahmeverzug, wenn das Angebot der Leistung nicht ordnungsgemäß oder nicht rechtzeitig erfolgt.
Besonderheiten: Teilleistungen und Annahmeverzug
Im Einzelfall kann der Schuldner eine Teilleistung anbieten. Ein Abnahmeverzug tritt in diesem Fall jedoch nur dann ein, wenn der Gläubiger die Annahme der Teilleistung nicht verweigern darf (§ 266 BGB). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Teilleistung für ihn zumutbar ist und er kein erhebliches Interesse an der vollständigen Leistung hat.
Zusammenfassung
Der Abnahmeverzug stellt eine bedeutsame Regelung im deutschen Schuldrecht dar und dient dem Interessenausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger. Er tritt ein, wenn der Gläubiger die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung trotz Bestehens der Verpflichtung zur Annahme nicht annimmt. Die Folge sind unter anderem der Gefahrübergang, Haftungserleichterungen für den Schuldner und gegebenenfalls Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche. Die genaue Beurteilung des Abnahmeverzugs sowie seiner jeweiligen Rechtsfolgen setzt stets eine sorgfältige Prüfung der vertraglichen und gesetzlichen Grundlagen voraus.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechte hat der Verkäufer bei Abnahmeverzug des Käufers?
Gerät der Käufer mit der Abnahme der Kaufsache in Verzug, stehen dem Verkäufer gemäß §§ 293 ff. BGB verschiedene Rechte zu. Einerseits bleibt der Verkäufer grundsätzlich zur Lieferung verpflichtet, kann aber die Übergabe der Sache verweigern, falls der Käufer die geschuldete Leistung, insbesondere die Kaufpreiszahlung, nicht anbietet („Zug-um-Zug“-Leistung gemäß § 320 BGB). Darüber hinaus kann der Verkäufer bei Abnahmeverzug Schadensersatz für etwaige Mehraufwendungen verlangen, die durch das Ausbleiben der Abnahme entstehen, etwa für Lagerkosten oder Transport. Gemäß § 323 Abs. 1 BGB hat der Verkäufer nach Setzen einer angemessenen Frist zur Abnahme das Recht, vom Vertrag zurückzutreten. Alternativ kann er von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen und die Sache auf Kosten und Gefahr des Käufers einlagern (§ 304 BGB) oder, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen, eine gerichtliche Hinterlegung oder gar einen Selbsthilfeverkauf oder öffentlichen Verkauf (bei leicht verderblicher Ware) veranlassen (§§ 383 ff. BGB). Der Verkäufer muss dabei stets beachten, dem Käufer eine angemessene Nachfrist zur Abnahme zu setzen, bevor weitergehende Rechte – insbesondere Rücktritt oder Schadensersatz statt der Leistung – geltend gemacht werden dürfen.
Wann tritt Abnahmeverzug nach deutschem Recht ein?
Der Abnahmeverzug tritt ein, wenn der Käufer die ihm ordnungsgemäß angebotene Ware zur vereinbarten Zeit, am vereinbarten Ort und in der vereinbarten Art und Weise nicht annimmt (§ 293 BGB). Voraussetzung ist ein tatsächliches und ordnungsgemäßes Angebot der Leistung durch den Verkäufer (§ 294 BGB), es sei denn, der Käufer teilt vorher eindeutig mit, dass er die Abnahme verweigere (sog. wörtliches Angebot genügt, § 295 BGB). Zudem darf dem Käufer kein Leistungsverweigerungsrecht zustehen. Typische Fälle des Abnahmeverzugs liegen etwa vor, wenn der Käufer zum vereinbarten Liefertermin weder zur Übernahme der Ware erscheint noch sich vertreten lässt oder ausdrücklich erklärt, die Ware nicht annehmen zu wollen. Beim Versendungskauf genügt es, wenn die Ware am vereinbarten Ort zur Verfügung steht und der Käufer darüber informiert wurde. Besonderheiten können im Handelsrecht sowie bei fiktiven oder tatsächlichen Annahmeverzichten eine Rolle spielen.
Welche Pflichten treffen den Verkäufer während des Abnahmeverzugs?
Während des Abnahmeverzugs bleibt der Verkäufer an das Schuldverhältnis gebunden. Er hat die Kaufsache sachgemäß aufzubewahren und muss Schäden am Objekt nach Möglichkeit verhindern, insbesondere wenn es sich um eine auf den Käufer zugeschnittene Ware handelt oder die Sache verderblich ist. Gemäß § 304 BGB kann der Verkäufer Ersatz für Mehraufwendungen verlangen, wie etwa Kosten für Lagerung, Versicherung und Pflege der Sache, soweit diese aufgrund des Verhaltens des Käufers notwendig werden. Bei offenen Waren oder Gefahrgütern kann sogar eine gerichtliche Lagerung oder ein Notverkauf (Selbsthilfeverkauf nach § 383 BGB) sinnvoll oder notwendig sein. Der Verkäufer ist allerdings nur verpflichtet, die Obhut- und Sorgfaltsmaßnahmen zu ergreifen, die auch bei eigenen Angelegenheiten üblich wären. Eine Verschlechterung oder ein zufälliger Untergang der Sache während des Annahmeverzugs geht nach § 300 Abs. 1 BGB grundsätzlich zu Lasten des Käufers (Gefahrübergang).
Kann der Verkäufer Schadensersatz geltend machen und wie ist dieser zu berechnen?
Bei Abnahmeverzug kann der Verkäufer grundsätzlich Ersatz des durch den Verzug verursachten Schadens verlangen (§§ 280 Abs. 1, 286, 304 BGB). Dies bezieht sich sowohl auf unmittelbare als auch mittelbare Schäden, die durch das Unterlassen der Abnahme entstehen. Hierzu zählen insbesondere Lagerkosten, Kosten für Mehraufwendungen aufgrund längerer Vorhaltung, erhöhten Versicherungsbeiträge, ggf. Zinsen bei ausbleibender Zahlung und etwaige Entwertung der Ware. Der Anspruch besteht nur insoweit, als die Aufwendungen erforderlich, angemessen und konkret nachweisbar sind. Ein pauschaler Schadensersatz ist – sofern nicht vertraglich geregelt – nachzuweisen, wobei die Darlegungs- und Beweislast beim Verkäufer liegt. Im Falle eines Rücktritts vom Vertrag kann der Verkäufer under Umständen zusätzlich Ersatz für entgangenen Gewinn verlangen, sofern ein höherer Verkaufspreis nicht erzielt werden kann.
Wie unterscheidet sich der Abnahmeverzug vom Zahlungsverzug?
Abnahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) und Zahlungsverzug (§§ 286 ff. BGB) sind rechtlich zu trennen. Während beim Abnahmeverzug der Käufer seiner Pflicht zur Entgegennahme der Ware nicht nachkommt, verweigert oder verzögert er beim Zahlungsverzug die Zahlung des Kaufpreises trotz ordnungsgemäßer Lieferung oder Rechnungsstellung. Die Rechtsfolgen unterscheiden sich: Beim Abnahmeverzug geht die Gefahr des zufälligen Untergangs der Kaufsache und die Preisgefahr auf den Käufer über, während im Zahlungsverzug vorrangig Verzugszinsen und ggf. Schadensersatzansprüche entstehen. Es ist jedoch möglich, dass beide Verzugsarten kumulativ eintreten, etwa wenn der Käufer die Ware nicht annimmt und zugleich nicht bezahlt.
Welche Form- und Nachfristvorgaben gelten für den Verkäufer?
Vor weitergehenden Rechten wie Rücktritt oder Schadensersatz statt der Leistung verlangt das Gesetz grundsätzlich die Setzung einer angemessenen Nachfrist zur Abnahme (§ 323 BGB). Diese Nachfrist kann formlos, jedoch eindeutig gesetzt werden und muss dem Käufer ermöglichen, innerhalb dieses Zeitraums die Abnahme vorzunehmen. Erst nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist kann der Verkäufer vom Vertrag zurücktreten oder Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Bei besonderen Vertragsgestaltungen, z. B. Fixgeschäften, kann eine Nachfrist entbehrlich sein, wenn die Abnahme zu einer ganz bestimmten Zeit erfolgen muss und die Leistung zu einem späteren Zeitpunkt für den Verkäufer keinen Wert mehr hat (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB).
Gilt der Abnahmeverzug auch bei Teillieferungen und welche Besonderheiten sind zu beachten?
Beim Vorliegen von Teillieferungen gelten die Vorschriften über den Abnahmeverzug entsprechend, soweit die Teillieferung vertraglich vereinbart oder dem Käufer zumutbar ist. Verweigert der Käufer die Annahme einer zulässigen Teillieferung, gerät er hinsichtlich dieses Teilstücks in Abnahmeverzug mit den entsprechenden Rechtsfolgen. Eine Annahmeverweigerung allein wegen Unvollständigkeit der gesamten Sendung (bei unzulässiger Teillieferung) begründet dagegen keinen Verzug, solange dem Käufer ein Recht auf Zurückweisung der Teilleistung zusteht. Besondere Beachtung ist vertraglichen Vereinbarungen einzuräumen, in denen etwa explizit ein Abnahmezeitpunkt für jede Teillieferung definiert wird; ebenso gelten bei Werkverträgen oder Speziallieferungen teilweise abweichende Regelungen.