Begriff und Einordnung des Abgeordnetenhauses
Das Abgeordnetenhaus ist ein Parlament und damit die gewählte Volksvertretung eines Gemeinwesens. In Deutschland bezeichnet der Begriff gegenwärtig vor allem das Landesparlament des Stadtstaats Berlin. Dort nimmt das Abgeordnetenhaus die Aufgaben wahr, die in anderen Ländern durch den Landtag erfüllt werden. Historisch wurde der Begriff auch für Unterhäuser in verschiedenen Verfassungsordnungen verwendet. Kernfunktion ist stets die demokratische Gesetzgebung, die Kontrolle der Regierung und die Vertretung der Bevölkerung.
Verfassungsrechtliche Stellung und Aufgaben
Gesetzgebungskompetenz und Verfahren
Gesetzesinitiative
Das Abgeordnetenhaus berät und beschließt Landesgesetze. Initiativberechtigt sind typischerweise Abgeordnete, Fraktionen und die Landesregierung. In bestimmten Bereichen können auch Volksinitiativen Anstöße geben.
Beratungen und Abstimmungen
Entwürfe werden im Plenum eingebracht und zur fachlichen Vorbereitung an Ausschüsse überwiesen. Es folgen Lesungen, in denen beraten, geändert und schließlich abgestimmt wird. Minderheitsrechte sichern dabei die Mitwirkung nicht-regierender Kräfte.
Ausfertigung und Bekanntmachung
Nach dem Beschluss des Abgeordnetenhauses werden Gesetze durch die zuständigen Landesorgane ausgefertigt und im amtlichen Verkündungsblatt veröffentlicht. Erst mit der Veröffentlichung treten sie in Kraft, häufig zu einem ausdrücklich bestimmten Zeitpunkt.
Haushaltsrecht
Das Budgetrecht ist ein zentrales Recht des Parlaments. Das Abgeordnetenhaus beschließt den Landeshaushalt, kontrolliert dessen Ausführung und kann Veränderungen beschließen. Ohne parlamentarische Ermächtigung dürfen grundsätzlich keine Ausgaben geleistet werden.
Wahl- und Kontrollfunktionen
Wahl der Landesregierung und anderer Organe
Das Abgeordnetenhaus wählt den Regierungschef des Landes und wirkt an der Bildung der Landesregierung mit. Zudem wählt oder bestätigt es Mitglieder unabhängiger Gremien, etwa von Rechnungshöfen, Datenschutz- oder Verfassungsorganen, soweit das Landesrecht dies vorsieht.
Kontrolle der Regierung
Die Kontrolle umfasst Fragestunden, Kleine und Große Anfragen, Aktuelle Stunden, Untersuchungsausschüsse, Akteneinsicht, Empfehlungen aus Enquetekommissionen sowie die politische Verantwortung der Regierung im Plenum. In vielen Verfassungen ist ein Misstrauensvotum gegenüber dem Regierungschef vorgesehen, regelmäßig in konstruktiver Form.
Öffentlichkeitsgrundsatz und Transparenz
Plenarsitzungen sind grundsätzlich öffentlich. Ausschüsse tagen vielfach ebenfalls öffentlich, mit Ausnahmen für schutzbedürftige Belange. Parlamentsdokumente werden regelmäßig zugänglich gemacht, darunter Drucksachen, Protokolle und Berichte.
Zusammensetzung und Wahlen
Wahlgrundsätze
Die Abgeordneten werden in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt. Üblich ist ein personalisiertes Verhältniswahlsystem, das die Wahl von Wahlkreisabgeordneten mit Landes- oder Bezirkslisten kombiniert. Sperrklauseln sichern die Funktionsfähigkeit des Parlaments.
Sitzverteilung, Fraktionen und Sperrklausel
Die Sitzverteilung folgt der Verhältniswahl. Überhang- und Ausgleichsmandate können die Gesamtzahl der Sitze verändern. Abgeordnete schließen sich zu Fraktionen zusammen, um Antrags- und Redezeiten, Ausschusssitze und weitere Mitwirkungsrechte effektiv wahrzunehmen. Kleinere Zusammenschlüsse können als Gruppen mit eingeschränkten Rechten anerkannt werden.
Dauer der Wahlperiode und Auflösungsmöglichkeiten
Die Wahlperiode dauert in der Regel fünf Jahre. Das Landesverfassungsrecht sieht bestimmte Auflösungsmöglichkeiten vor, beispielsweise eine Selbstauflösung mit qualifizierter Mehrheit oder besondere Konstellationen im Zusammenhang mit der Regierungsbildung. Im Auflösungsfall werden Neuwahlen durchgeführt.
Innere Organisation
Präsidium und Hausrecht
Das Präsidium, an der Spitze der Präsidentin oder der Präsident, leitet die Sitzungen, wahrt die Ordnung und übt das Hausrecht aus. Es repräsentiert das Parlament nach außen und wirkt an der Geschäftsführung mit.
Fraktionen und Gruppen
Fraktionen sind auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse von Abgeordneten derselben politischen Richtung. Sie verfügen über eigene Rechte, Geschäftsstellen und Mittel. Gruppen mit geringerer Mitgliederzahl erhalten reduzierten Mitwirkungsumfang.
Ausschüsse und Enquetekommissionen
Ständige Ausschüsse bereiten Sachentscheidungen vor und kontrollieren die Verwaltung in ihrem Fachbereich. Untersuchungsausschüsse klären komplexe Sachverhalte mit besonderen Befugnissen auf. Enquetekommissionen verbinden Fach- und Politikkompetenz, um langfristige Themen grundlagenorientiert zu beraten.
Geschäftsordnung
Die interne Arbeitsweise richtet sich nach der Geschäftsordnung, die Redezeiten, Antragswege, Abstimmungsmodalitäten, Ausschusszuschnitte, Ordnungsmaßnahmen sowie Dokumentations- und Veröffentlichungsstandards festlegt.
Rechte und Pflichten der Abgeordneten
Freies Mandat
Abgeordnete sind Vertreter der gesamten Bevölkerung und an Aufträge oder Weisungen nicht gebunden. Fraktionsabsprachen entfalten keine rechtliche Bindung. Entscheidungen erfolgen eigenverantwortlich.
Indemnität und Immunität
Indemnität schützt Abgeordnete vor rechtlicher Verfolgung wegen ihrer Abstimmungen und Äußerungen im Parlament, soweit diese in sachlichem Zusammenhang mit der Mandatswahrnehmung stehen. Immunität schützt vor Strafverfolgung während der Mandatszeit; Eingriffe bedürfen regelmäßig der Zustimmung des Parlaments. Beide Schutzmechanismen sichern die Funktionsfähigkeit des Parlaments.
Unvereinbarkeiten, Transparenz und Nebentätigkeiten
Zur Sicherung der Gewaltenteilung können Ämter in der Exekutive und das Mandat unvereinbar sein oder ruhen. Offenlegungspflichten und Verhaltensregeln betreffen Interessenbindungen, Nebentätigkeiten und Zuwendungen. Ziel ist die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen.
Diäten und Ressourcen
Abgeordnete erhalten eine Entschädigung für ihre Mandatsausübung sowie Sach- und Personalmittel. Diese sichern einen unabhängigen Mandatsvollzug und sollen die demokratische Repräsentation ermöglichen.
Verhältnis zur direkten Demokratie
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
Neben der parlamentarischen Gesetzgebung existieren Instrumente direkter Demokratie. Volksinitiativen können Anträge an das Abgeordnetenhaus richten. Volksbegehren zielen auf die Herbeiführung eines Volksentscheids. Je nach Gegenstand und Ergebnis können Volksentscheide das Abgeordnetenhaus rechtlich binden oder zur erneuten Befassung verpflichten. Für haushalts- und verfassungsrelevante Materien bestehen besondere Voraussetzungen und Schranken.
Historische und internationale Bezüge
Historisch trugen Unterhäuser in verschiedenen Staaten die Bezeichnung Abgeordnetenhaus, etwa in Teilen des Deutschen Bundes und der Habsburgermonarchie. In modernen Zweikammersystemen anderer Länder entspricht dem Abgeordnetenhaus häufig das Unterhaus. Inhaltlich bleiben die Grundfunktionen vergleichbar: Gesetzgebung, Kontrolle und Repräsentation.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Worin unterscheidet sich das Abgeordnetenhaus von einem Landtag?
Im deutschen Föderalismus erfüllen beide die Funktion des Landesparlaments. Die Bezeichnung Abgeordnetenhaus ist eine begriffliche Besonderheit Berlins; Aufgaben, Rechte und Arbeitsweisen entsprechen im Kern denen eines Landtags.
Welche rechtlichen Kontrollinstrumente gegenüber der Regierung bestehen?
Verankert sind Fragestunden, Kleine und Große Anfragen, Aktuelle Stunden, Akteneinsichtsrechte, Untersuchungsausschüsse, Empfehlungen aus Enquetekommissionen, Haushaltskontrolle sowie die Möglichkeit eines Misstrauensvotums gegenüber dem Regierungschef. Zudem unterliegt die Verwaltung der fachlichen Kontrolle in den Ausschüssen.
Wie läuft die Gesetzgebung im Abgeordnetenhaus ab?
Gesetzentwürfe werden eingebracht, im Plenum überwiesen, in Ausschüssen beraten, in weiteren Lesungen erörtert und abschließend beschlossen. Es folgen Ausfertigung und Verkündung. Minderheitenrechte und Öffentlichkeit sichern Transparenz und Mitwirkung.
Was bedeuten Indemnität und Immunität von Abgeordneten?
Indemnität gewährt Schutz vor rechtlicher Verfolgung für parlamentarische Äußerungen und Abstimmungen. Immunität schützt vor Strafverfolgung während der Mandatszeit, es sei denn, das Parlament stimmt einer Maßnahme zu. Beide dienen dem ungestörten Mandatsvollzug.
Unter welchen Voraussetzungen kann das Abgeordnetenhaus aufgelöst werden?
Das Landesverfassungsrecht sieht eng umgrenzte Fälle vor, etwa eine Selbstauflösung mit qualifizierter Mehrheit oder besondere Situationen bei gescheiterter Regierungsbildung. Im Auflösungsfall finden Neuwahlen statt.
Welche Rolle spielen Fraktionen rechtlich?
Fraktionen bündeln politische Positionen, verfügen über Antrags- und Rederechte, besetzen Ausschusssitze und erhalten organisatorische Mittel. Sie sind zentrale Träger der parlamentarischen Arbeit, ohne die Eigenverantwortung der einzelnen Mandatsträger einzuschränken.
Sind die Beratungen des Abgeordnetenhauses öffentlich?
Plenarsitzungen sind grundsätzlich öffentlich. Ausschüsse tagen vielfach ebenfalls öffentlich; Ausnahmen bestehen zum Schutz überwiegender Belange wie personenbezogener Daten, Sicherheitsinteressen oder vertraulicher Geschäftsgeheimnisse.