Begriff und rechtlicher Rahmen des Abgeordnetenhauses
Das Abgeordnetenhaus bezeichnet im parlamentarischen Regierungssystem eine der beiden Kammern eines Parlaments, die direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird. Der Begriff ist insbesondere aus der deutschen Staatsorganisation, etwa dem Abgeordnetenhaus von Berlin, sowie im internationalen Kontext aus Zwei-Kammer-Systemen wie etwa dem britischen House of Commons oder dem US-amerikanischen House of Representatives bekannt. Das Abgeordnetenhaus ist elementarer Bestandteil der Legislative und bildet ein zentrales Organ der demokratischen Willensbildung, Gesetzgebung und Kontrolle der Exekutive.
Historische Entwicklung des Abgeordnetenhauses
Entstehung in Deutschland
Die Wurzeln des Abgeordnetenhauses in Deutschland gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Mit der Märzrevolution 1848 und den daraufhin initiierten Verfassungen, beispielsweise im Königreich Preußen, entstanden erste Volksvertretungen, die mit dem Begriff Abgeordnetenhaus bezeichnet wurden. Das preußische Abgeordnetenhaus beispielsweise fungierte als Unterhaus der Zweikammervertretung bis 1918.
Internationaler Kontext
Auch international hat sich das Konzept durchgesetzt, die traditionelle Zweiteilung der Legislative in ein Abgeordnetenhaus und eine zweite Kammer, beispielsweise Senat, Volkskammer oder Landtag, vorzunehmen. Je nach Staat und Verfassung variiert jedoch die konkrete Ausgestaltung der Funktionen und Kompetenzen der jeweiligen Kammer.
Verfassungsrechtliche Stellung
Zweikammersystem und Funktion
Das Abgeordnetenhaus ist in Zwei-Kammersystemen, auch Bikameralismus genannt, regelmäßig das direkt gewählte Parlament und damit unmittelbarer Ausdruck der Volkssouveränität. Es repräsentiert den Grundsatz der demokratischen Legitimation. Die zweite Kammer, wie etwa der Bundesrat in Deutschland oder der Senat in den USA, vertritt regelmäßig föderale, regionale oder anderweitig organisierte Interessen.
Legislative Aufgaben
Das Abgeordnetenhaus übt zentrale Befugnisse in der staatlichen Gesetzgebung aus:
- Initiativrecht: Das Recht zur Einbringung von Gesetzesentwürfen.
- Debatte und Beratung: Öffentliche Erörterung und Beratung von Gesetzesinitiativen.
- Beschlussfassung: Verabschiedung oder Ablehnung von Gesetzen.
- Budgethoheit: Beschlussfassung über Haushaltsgesetz und Kontrolle staatlicher Ausgaben.
Wahl und Sitzverteilung
Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden in freier, geheimer und gleicher Wahl gewählt. Die Ausgestaltung des Wahlrechts (etwa Verhältniswahlrecht, Mehrheitswahlrecht oder gemischte Formen) ist durch die jeweilige Landes- oder Bundesverfassung sowie das Wahlgesetz geregelt. Die Mandatszahl kann variieren und ist Gegenstand gesetzlicher Normierung.
#### Beispiel: Abgeordnetenhaus von Berlin
Das Abgeordnetenhaus von Berlin besteht nach Landesrecht (§ 1 WahlG Bln) aus mindestens 130 Abgeordneten, die für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt werden. Sitzverteilung und Mandatszuteilung basieren auf dem personalisierten Verhältniswahlrecht.
Zusammensetzung und interne Organisation
Fraktionen und Ausschüsse
Im Abgeordnetenhaus schließen sich Abgeordnete üblicherweise in Fraktionen zusammen, um die Arbeit zu koordinieren und gemeinsame Interessen zu bündeln. Die Fraktionsbildung ist grundlegend für die parlamentarische Arbeit und strategische Mehrheitsbildung.
Ausschüsse, ständige wie temporäre, übernehmen die Detailberatung und Vorprüfung von Gesetzesvorhaben sowie die Kontrolle von Regierungshandeln auf Fachebene. Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses normiert die Bildung, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Ausschüsse.
Präsidium und Geschäftsführung
Das Präsidium des Abgeordnetenhauses setzt sich in der Regel aus einem Präsidenten, Vizepräsidenten und weiteren Mitgliedern zusammen. Dem Präsidenten fallen die Leitung der Sitzungen, die Ausübung des Hausrechts und die Repräsentation des Hauses zu. Die parlamentarische Geschäftsordnung regelt die Kompetenzen des Präsidiums detailliert.
Rechte und Pflichten der Mitglieder
Mitglieder des Abgeordnetenhauses genießen während ihrer Mandatsausübung besondere Rechte, zum Beispiel Immunität und Indemnität, die sie vor politisch motivierter Verfolgung und gerichtlicher Inanspruchnahme in Zusammenhang mit der Mandatsausübung schützen. Demgegenüber stehen Pflichten wie die Teilnahme an den Sitzungen und die gewissenhafte Ausübung des Mandats.
Gesetzgebungsverfahren und Kontrollfunktion
Ablauf der Gesetzgebung
Der Gesetzgebungsprozess im Abgeordnetenhaus umfasst folgende Phasen:
- Einbringung eines Gesetzesentwurfs: Durch Abgeordnete, Fraktionen oder die Regierung.
- Beratung im Plenum und in den Ausschüssen: Fachliche Detailprüfung.
- Lesungen: Mehrstufige Debatte und Lesung im Plenum.
- Abstimmung: Schlussabstimmung und Beschlussfassung.
- Weiterleitung an die zweite Kammer (bei Bikameralismus) oder Inkrafttreten nach verkündeter Unterschrift.
Kontrolle der Exekutive
Das Abgeordnetenhaus übt die parlamentarische Kontrolle über die Regierung und Verwaltung aus. Instrumente sind dabei:
- Kleine und Große Anfragen
- Untersuchungsausschüsse
- Aktuelle Stunden und Debatten
- Misstrauensvotum
Die systematische Kontrolle sichert die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit des Regierungshandelns und gewährleistet die Funktionsfähigkeit eines demokratischen Rechtsstaats.
Rechtliche Besonderheiten und Abgrenzungen
Unterschied zu anderen Parlamentskammern
Das Abgeordnetenhaus ist von anderen Parlamentskammern wie dem Senat, Bundesrat oder Landtag zu unterscheiden. Während das Abgeordnetenhaus primär die Bevölkerung eines Gesamtstaates oder Bundeslandes repräsentiert, vertreten andere Kammern föderale, regionale oder besondere gesellschaftliche Interessen.
Regelungen und Reformen
Die Rechtsgrundlagen für Status, Aufgaben und Verfahren des Abgeordnetenhauses finden sich in den jeweiligen Verfassungen, Geschäftsordnungen und weiteren Parlamentsgesetzen. Immer wieder Gegenstand rechtlicher und politischer Diskussionen sind Fragen wie die Begrenzung der Mandatszahl, Wahlrechtsreformen, Transparenzregelungen sowie Vorgaben zu Nebentätigkeiten der Abgeordneten.
Literaturhinweise und Rechtsquellen
Zentrale Rechtsquellen zum Abgeordnetenhaus sind:
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)
- Landesverfassungen (z. B. Verfassung von Berlin)
- Wahlgesetze (z. B. Wahlgesetz für das Abgeordnetenhaus von Berlin, WahlG Bln)
- Geschäftsordnungen der jeweiligen Abgeordnetenhäuser
Fachliteratur zur Vertiefung:
- Uwe Thaysen, „Das parlamentarische Regierungssystem. Struktur und Funktion des Bundestags.“
- Bundeszentrale für politische Bildung, „Parlamentarismus in Deutschland“
Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick zum Begriff Abgeordnetenhaus und dessen rechtlichen Rahmen im Kontext der parlamentarischen Demokratie. Die genauen Regelungen sind dabei stets den jeweils einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Verfassungen zu entnehmen.
Häufig gestellte Fragen
Wie erfolgt die Wahl zum Abgeordnetenhaus rechtlich und welche Bestimmungen regeln das Wahlverfahren?
Die Wahl zum Abgeordnetenhaus ist im Berliner Wahlgesetz (BWahlG-BE) und der Berliner Verfassung festgelegt. Demnach erfolgt die Wahl allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Wahlberechtigt sind alle Deutschen im Sinne von Art. 116 Grundgesetz, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet und mindestens drei Monate ihren Wohnsitz in Berlin haben (§ 2 BWahlG-BE). Jeder Wähler hat zwei Stimmen: eine Erststimme für den Direktkandidaten im Wahlkreis und eine Zweitstimme für die Landesliste einer Partei (§ 22 BWahlG-BE). Die Sitzverteilung erfolgt nach dem personalisierten Verhältniswahlrecht: Die Hälfte der Abgeordneten wird direkt in den Wahlkreisen gewählt, die andere Hälfte über die Landeslisten der Parteien. Rechtliche Garantie für eine ordnungsgemäße Auszählung und Kontrolle der Stimmen bieten u.a. das Wahlprüfungsgesetz und die Möglichkeit der Wahlanfechtung beim Verfassungsgerichtshof Berlin.
Welche rechtlichen Verpflichtungen und Rechte haben Mitglieder des Abgeordnetenhauses?
Mitglieder des Abgeordnetenhauses sind nach Artikel 38 Abs. 1 der Verfassung von Berlin Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, sondern nur ihrem Gewissen unterworfen (Freies Mandat). Sie genießen besondere rechtliche Privilegien wie die Indemnität (§ 34 GO Abgh) – Schutz vor Verfolgung wegen ihrer Abstimmung oder Äußerungen im Parlament – sowie Immunität, d.h. Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung während ihrer Amtszeit. Daneben bestehen Pflichten wie die Offenlegung von Interessenbindungen (§ 5 GO Abgh) und die Teilnahme an Abstimmungen und Ausschusssitzungen, wobei bei Pflichtverletzungen Sanktionen nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses möglich sind.
In welcher Weise ist die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses rechtlich verankert und verbindlich?
Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin ist eine autonome Satzung, die gemäß Artikel 47 der Verfassung von Berlin von den Abgeordneten selbst beschlossen wird. Sie regelt verbindlich das parlamentarische Verfahren, darunter Sitzungen, Abstimmungen, Redezeiten, Bildung und Arbeit von Ausschüssen sowie das Ordnungsverfahren gegenüber den Mitgliedern. Die Geschäftsordnung hat den Rang eines formellen Gesetzes im parlamentarischen Binnenrecht, ist für alle Mitglieder verpflichtend und gerichtlich überprüfbar, wenn Grundrechte oder demokratische Prinzipien betroffen sind. Änderungen bedürfen der Mehrheit der Mitglieder.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen bestehen für die parlamentarische Kontrolle der Exekutive durch das Abgeordnetenhaus?
Das Abgeordnetenhaus besitzt – abgeleitet aus der Gewaltenteilung und in Ausübung seines parlamentarischen Kontrollrechts – umfassende Möglichkeiten der Kontrolle der Landesregierung nach Maßgabe der Verfassung von Berlin und der Geschäftsordnung. Hierzu zählen das Fragerecht der Abgeordneten (§ 54 GO Abgh), das Einsetzungsrecht für Untersuchungsausschüsse (Art. 48 Verf BE), Anhörungen und das Recht, Behörden der Verwaltung Akteneinsicht zu verlangen. Die Regierung ist verpflichtet, das Parlament umfassend und richtig zu informieren; die Verweigerung von Auskünften ist nur im ausdrücklich gesetzlich geregelten Ausnahmefall zulässig (etwa im Bereich des Datenschutzes oder des Staatswohls).
Wie ist die rechtliche Stellung und Unabhängigkeit von Ausschüssen des Abgeordnetenhauses geregelt?
Die Einrichtung und Arbeitsweise von Ausschüssen ist in Art. 46 der Berliner Verfassung und in der Geschäftsordnung (§§ 56 ff. GO Abgh) bestimmt. Ausschüsse sind ständige oder temporäre Gremien mit eigener Entscheidungs- und Untersuchungsbefugnis, die Gesetzesvorlagen beraten, Anträge vorbereiten und die Regierung kontrollieren. Sie können Sachverständige anhören, Akten anfordern und Ortstermine durchführen. Ihre Zusammensetzung spiegelt das Stärkeverhältnis der Fraktionen wider. Die Ausschüsse sind in ihrer Tätigkeit durch die Verfassung geschützt und nicht weisungsgebunden. Ihre Beschlüsse haben allerdings nur vorbereitenden Charakter, es sei denn, das Plenum überträgt ausdrücklich Entscheidungsbefugnisse.
Welche rechtlichen Bestimmungen gelten für die Auflösung oder vorzeitige Beendigung der Wahlperiode des Abgeordnetenhauses?
Die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode und Auflösung des Abgeordnetenhauses richten sich nach Art. 39 und Art. 56 Verfassung von Berlin. Das Abgeordnetenhaus wird regulär für fünf Jahre gewählt. Eine vorzeitige Auflösung ist nur ausnahmsweise auf Antrag von mindestens einem Drittel der Mitglieder und mit Zweidrittelmehrheit oder wenn ein Misstrauensvotum gegen den Regierenden Bürgermeister erfolgreich ist, vorgesehen. Die Auflösung muss schriftlich beantragt werden und wird durch den Präsidenten festgestellt. Mit der Auflösung sind Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen vorgeschrieben.
Unter welchen rechtlichen Bedingungen ist das Abgeordnetenhaus beschlussfähig?
Die Beschlussfähigkeit des Abgeordnetenhauses ist in § 85 GO Abgh geregelt. Das Haus ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl (d.h. unabhängig von der aktuellen Zahl der Mandatsinhaber) anwesend ist. Bei Zweifeln an der Beschlussfähigkeit, etwa auf Antrag eines Abgeordneten, ordnet der Präsident eine namentliche Abstimmung an. Wird die Beschlussfähigkeit nicht erreicht, kann der Präsident die Sitzung aufheben oder unterbrechen. Bei wiederholter Einberufung mit derselben Tagesordnung gilt das Parlament als beschlussfähig, unabhängig von der Zahl der Anwesenden. Dies dient der Funktionssicherung gesetzlicher Aufgaben.