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Abbruch von Vertragsverhandlungen

 

Abbruch von Vertragsverhandlungen

Der Abbruch von Vertragsverhandlungen bezeichnet das vorzeitige Beenden von Gesprächen zwischen Parteien, die beabsichtigen, einen Vertrag zu schließen, bevor eine endgültige Einigung erzielt wurde. Dieses Vorgehen ist rechtlich von besonderer Bedeutung, da während der Anbahnungsphase von Verträgen bereits Pflichten entstehen können. Der nachfolgende Artikel beleuchtet ausführlich die rechtlichen Grundlagen, Voraussetzungen und Folgen eines solchen Abbruchs.


Rechtliche Einordnung der Vertragsverhandlungen

Begriff und Bedeutung der Vertragsverhandlungen

Vertragsverhandlungen sind alle auf einen Vertragsabschluss gerichteten Gespräche, Schriftwechsel oder sonstigen Kommunikationsakte zwischen potenziellen Vertragspartnern. Sie markieren die Phase zwischen der Aufnahme des Kontakts und dem endgültigen Vertragsabschluss bzw. dem Scheitern der Verhandlungen.

Grundsatz der Vertragsfreiheit

Die Vertragsfreiheit, ein Grundprinzip des deutschen Privatrechts, inkludiert die Abschlussfreiheit. Demnach steht es den Beteiligten grundsätzlich frei, ob, mit wem und mit welchem Inhalt sie einen Vertrag abschließen. Daraus ergibt sich auch das Recht, jederzeit von Verhandlungen Abstand zu nehmen.


Voraussetzungen und Grenzen des Abbruchs

Grundsatz: Freiheit zum Abbruch

Nach ständiger Rechtsprechung besteht keine rechtliche Verpflichtung, Verhandlungen fortzuführen oder mit allen Interessenten zu einem Vertragsschluss zu kommen. Die Parteien können die Gespräche jederzeit abbrechen, solange dies nicht treuwidrig geschieht.

Schranken des Abbruchs: Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Die Grenze des freien Abbruchs bildet das gesetzliche Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Bringt eine Partei während der Verhandlungen so viel Vertrauen für einen erfolgreichen Abschluss auf, dass ein überraschender Abbruch für sie unzumutbare Nachteile bringt, kann die andere Partei nach den Vorschriften der culpa in contrahendo (c.i.c) haftbar gemacht werden.


Haftung beim Abbruch von Vertragsverhandlungen

Grundsatz der Culpa in Contrahendo (c.i.c.)

Bereits während der Vertragsanbahnung entstehen vorvertragliche Schutzpflichten (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB). Bei einem unberechtigten Abbruch der Verhandlungen kann die verletzte Partei unter Umständen Schadensersatz verlangen.

Voraussetzungen der Haftung

Eine Haftung kommt nur unter folgenden Bedingungen in Betracht:

  • Schutzwürdiges Vertrauen: Eine Partei hat berechtigterweise auf den Abschluss des Vertrages vertraut. Dies kann insbesondere dann angenommen werden, wenn ein Vertragsschluss als sicher bezeichnet, konkrete Zusagen gemacht oder aufwändige Vorbereitungen verlangt wurden.
  • Pflichtverletzung: Der Abbruch der Verhandlungen geschieht treuwidrig, etwa durch plötzliche und ohne sachliche Gründe erfolgende Beendigung, nachdem besondere Erwartungen geweckt wurden.
  • Schaden: Es muss ein Vermögensschaden entstanden sein, der nicht im entgangenen Vertragserfolg selbst liegen darf.
  • Kausalität: Der Schaden ist unmittelbar auf die Pflichtverletzung, also den treuwidrigen Abbruch zurückzuführen.

Umfang des Schadensersatzes

Der Schadensersatzanspruch umfasst in der Regel nur das sogenannte negative Interesse, d. h. der Zustand soll hergestellt werden, der bestünde, wenn die Verhandlungen gar nicht begonnen worden wären. Nicht ersatzfähig ist in aller Regel der entgangene Gewinn aus einem nicht geschlossenen Vertrag (sog. positives Interesse).


Typische Fallgruppen für eine Haftung

Folgende Konstellationen sind nach Rechtsprechung und Literatur für eine Haftung relevant:

  • Vortäuschen eines sicheren Vertragsschlusses: Das wiederholte Zusichern eines baldigen Vertragsschlusses ohne ernsthafte Abschlussabsicht.
  • Pflichtwidrige Informationsverweigerung: Verschweigen wesentlicher Umstände, die für die andere Partei von entscheidender Bedeutung sind.
  • Herbeiführung besonderer Aufwendungen: Aufforderung zu erheblichen Investitionen oder Vorleistungen im Vertrauen auf den sicheren Vertragsschluss, ohne fairen Grund für den Abbruch.

Abgrenzung zum Widerruf und Rücktritt

Es ist zwischen dem Abbruch von Vertragsverhandlungen und der Ausübung vertraglich oder gesetzlich eingeräumter Rücktritts- oder Widerrufsrechte zu unterscheiden:

  • Abbruch: Vor Vertragsabschluss, in der Phase der Anbahnung.
  • Widerruf/Rücktritt: Nach rechtsverbindlichem Vertragsschluss, mit entsprechenden gesetzlichen oder vertraglichen Voraussetzungen.

Besonderheiten bei Verbraucherverträgen

Im Verbraucherrecht bestehen zusätzliche Schutzmechanismen, etwa durch die Vorschriften des Fernabsatzrechts oder die Pflicht zur Information vor Vertragsschluss. Hieraus können im Einzelfall weitergehende Pflichten in der Verhandlungsführung und beim Abbruch resultieren.


Abbruch von Vertragsverhandlungen im internationalen Kontext

Im internationalen Rechtsverkehr können abweichende Regelungen gelten. Nach dem UN-Kaufrecht (CISG) beispielsweise bestehen im Grundsatz keine weitergehenden Haftungsgrundlagen. Im Einzelfall können jedoch nationale Vorschriften anwendbar sein, die zu einer Haftung beim Abbruch führen können.


Zusammenfassung und Praxishinweise

Der Abbruch von Vertragsverhandlungen ist an den Grundsatz der Vertragsfreiheit geknüpft, wird aber durch vorvertragliche Rücksichtnahmepflichten begrenzt. Eine Haftung kommt nur bei schuldhafter, insbesondere treuwidriger Beendigung der Gespräche in Betracht. Parteien sollten bei Vertragsverhandlungen Transparenz wahren, keine überzogenen Erwartungen wecken und eventuell entstehende Aufwendungen klar kommunizieren oder absichern.


Literaturhinweise

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 311 Rn. 64 ff.
  • BGH, Urteil vom 19. Oktober 2001 – V ZR 102/00.
  • Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, § 13 Rn. 16-18.
  • Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 588 ff.

Siehe auch

  • Vorvertragliche Haftung
  • Vertragsfreiheit
  • Treu und Glauben
  • Rücktritt vom Vertrag
  • Widerruf

Häufig gestellte Fragen

Kann der Abbruch von Vertragsverhandlungen rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen?

Der Abbruch von Vertragsverhandlungen kann unter bestimmten Umständen zu rechtlichen Konsequenzen führen. Grundsätzlich ist im deutschen Recht die sogenannte Vertragsfreiheit zu beachten, die es beiden Parteien erlaubt, jederzeit Verhandlungen abzubrechen, ohne zur Fortsetzung verpflichtet zu sein. Jedoch gibt es Ausnahmen: Wird durch den Abbruch der Verhandlungen das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verletzt oder hat eine Partei in zurechenbarer Weise ein besonderes Vertrauen in das Zustandekommen des Vertrags geschaffen und erheblichen Aufwand oder Kosten investiert, kann ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens (sogenannte „culpa in contrahendo“ nach § 311 Abs. 2 BGB) entstehen. Insbesondere dann, wenn eine Partei den ernsthaften Eindruck vermittelt hat, ein Vertrag komme sicher zustande, und diese ohne nachvollziehbaren Grund oder plötzlich die Verhandlungen abbricht, kann das schadensersatzpflichtig machen.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine Haftung für den Abbruch von Vertragsverhandlungen eintreten?

Eine Haftung für einen Verhandlungsabbruch kann vorliegen, wenn eine Partei gegen vorvertragliche Pflichten nach § 311 Abs. 2 BGB verstößt. Solche Pflichten entstehen bereits im Vorfeld eines Vertragsverhältnisses, zum Beispiel durch Aufnahme ernsthafter Verhandlungen oder bei umfangreicher Einbindung in Vorbereitungsmaßnahmen durch die Gegenseite. Typische Voraussetzungen sind: das Erwecken eines begründeten Vertrauens in das Zustandekommen des Vertrags, konkrete Zusagen oder bereits getätigte erhebliche Investitionen im Vertrauen auf eine spätere Vertragsunterzeichnung. Die Haftung setzt voraus, dass das Verhalten der Partei gegen das Prinzip von Treu und Glauben verstößt, indem sie etwa durch widersprüchliches Verhalten oder grundlosen Rückzug aus den Verhandlungen den Vertragspartner schädigt.

Welche Ansprüche können aus einem unberechtigten Abbruch von Vertragsverhandlungen resultieren?

Bei einem unberechtigten, treuwidrigen Abbruch der Verhandlungen kommen in der Regel nur Ansprüche auf Ersatz des Vertrauensschadens in Betracht, nicht jedoch auf Erfüllung des noch nicht geschlossenen Vertrages („positives Interesse“). Der Vertrauensschaden („negatives Interesse“) umfasst beispielsweise Kosten aus vorbereitenden Tätigkeiten, etwaige Ausgaben für Gutachten, Reise- und Beratungskosten oder Aufwendungen im Hinblick auf die bevorstehende Vertragserfüllung. Ein Anspruch auf entgangenen Gewinn setzt voraus, dass der Vertrag bereits so gut wie abgeschlossen war, was jedoch selten der Fall ist und von Gerichten sehr restriktiv gehandhabt wird.

Gibt es besondere Anforderungen an die Beweisführung beim Vorwurf rechtswidrigen Verhandlungsabbruchs?

Ja, der Geschädigte trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass besonders schutzwürdiges Vertrauen durch das Verhalten der Gegenseite geweckt wurde, dass konkrete Aufwendungen getätigt wurden und dass der Vertragsabschluss nach dem Stand der Verhandlungen bereits sehr wahrscheinlich war. Zudem muss nachgewiesen werden, dass der Abbruch ohne triftigen Grund oder rechtsmissbräuchlich erfolgte. Die Anforderungen an die Beweisführung sind in der Rechtsprechung hoch, da regelmäßig angenommen wird, dass Vertragsverhandlungen bis zur Vertragsunterzeichnung frei abgebrochen werden können.

Ist der Abschluss einer Vertraulichkeits- oder Exklusivitätsvereinbarung relevant für die Folgen eines Verhandlungsabbruchs?

Der Abschluss einer Vertraulichkeits- oder Exklusivitätsvereinbarung kann die rechtlichen Konsequenzen eines Abbruchs von Vertragsverhandlungen maßgeblich beeinflussen. Durch solche Nebenabreden kann etwa geregelt sein, dass während der Verhandlungsphase keine Gespräche mit Dritten geführt werden dürfen oder bestimmte Informationen geheim zu halten sind. Wird eine solche Vereinbarung verletzt, so können daraus selbständige Schadensersatzansprüche entstehen, unabhängig davon, ob ein endgültiger Vertrag geschlossen wird. Bricht eine Partei unter Verstoß gegen eine Exklusivitätserklärung die Verhandlungen ab, kann dies zudem als treuwidrig angesehen werden, was die Eintrittspflicht für Erstattung des Vertrauensschadens wahrscheinlicher macht.

Welche Rolle spielt die „Schaffung besonderen Vertrauens“ im Zusammenhang mit einem Verhandlungsabbruch?

Die Schaffung besonderen Vertrauens spielt eine zentrale Rolle bei der Beurteilung, ob ein Verhandlungsabbruch rechtlich relevant und möglicherweise ersatzpflichtig ist. Hat eine Partei durch ihr Verhalten, ihre Zusagen oder durch fortgeschrittene Vertragsentwürfe den berechtigten Eindruck erweckt, ein Vertrag komme mit hoher Wahrscheinlichkeit zustande, und tätigt der andere Teil daraufhin im Vertrauen auf den Abschluss bereits erhebliche Aufwendungen, verschärft dies die Pflichten der Partei. In einem derartigen Fall kann der plötzliche, grundlose Abbruch als Verstoß gegen Treu und Glauben gewertet und eine Haftung für den daraus entstandenen Schaden begründen.

Wie lange können Ansprüche nach einem Abbruch von Vertragsverhandlungen geltend gemacht werden (Verjährung)?

Ansprüche aus dem Abbruch von Vertragsverhandlungen, insbesondere solche aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB), unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist des Bürgerlichen Gesetzbuches, also grundsätzlich drei Jahre ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte von den anspruchsbegründenden Umständen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 195, § 199 BGB). In besonderen Fällen, etwa bei vorsätzlicher Schadenszufügung, kann die Verjährungsfrist bis zu zehn Jahre betragen. Es empfiehlt sich daher, Ansprüche möglichst zeitnah nach dem Verhandlungsabbruch geltend zu machen.