OLG Frankfurt am Main zur Berücksichtigung eigener Internetrecherchen durch ein Schiedsgericht
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. März 2021 (Az.: 26 Sch 18/20) befasst sich mit der Frage, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Schiedsgerichte Informationen, die sie eigenständig im Internet recherchieren, im Schiedsspruch verwerten dürfen. Die Thematik besitzt erhebliche praktische Bedeutung im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit, insbesondere für Parteien aus dem Bereich des Wirtschafts- und Handelsrechts, die einem effizienten und zuverlässigen Schiedsverfahren besonderes Gewicht beimessen.
Hintergrund des Verfahrens
Gegenstand der Entscheidung war die Frage, ob und inwieweit ein Schiedsgericht bei der Entscheidungsfindung auf Informationen zurückgreifen kann, die es außerhalb des eigentlichen Vortrags der Parteien – insbesondere durch eigene Recherchen im Internet – ermittelt hat. Im zugrundeliegenden Fall hatte eine Partei beanstandet, dass das Schiedsgericht ohne ausdrückliche Anhörung oder Gelegenheit zur Stellungnahme zu Ergebnissen aus Internetrecherchen gelangt und diese für seine Entscheidungsfindung herangezogen hatte.
Das OLG Frankfurt am Main hatte insbesondere zu würdigen, ob dieser Vorgehensweise ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 1036 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 1042 ZPO) und das Grundprinzip eines fairen Verfahrens entgegensteht, sowie welche Maßstäbe für die Einbeziehung solcher Erkenntnisquellen gelten.
Die Einbeziehung eigener Ermittlungstätigkeit durch das Schiedsgericht
Grundsatz der Verfahrensautonomie und der Parteiengehör
Schiedsgerichte sind grundsätzlich berechtigt, das Verfahren weitgehend eigenständig auszugestalten. Diese Verfahrensautonomie findet jedoch ihre Grenze in den zwingenden Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Anspruch jeder Partei auf rechtliches Gehör sowie der Wahrung des Kontradiktionsprinzips.
Das OLG betont, dass die Parteien jederzeit die Möglichkeit erhalten müssen, zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Argumenten Stellung zu nehmen. Dies gilt grundsätzlich auch für Informationen und Tatsachen, die das Schiedsgericht nicht dem Parteivortrag entnimmt, sondern eigenständig – etwa durch Internetrecherchen – erhebt. Maßstab ist dabei insbesondere § 1042 Abs. 1 ZPO, der die wesentlichen Grundprinzipien des rechtlichen Gehörs auch für die Schiedsgerichtsbarkeit vorgibt.
Zulässigkeit und Grenzen internetbasierter Eigenrecherchen
Im konkreten Fall hat das OLG klargestellt, dass die Durchführung eigener Recherchen durch das Schiedsgericht grundsätzlich zulässig ist, sofern die daraus gewonnenen Informationen den Parteien rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden und ihnen Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt wird. Entscheidend ist dabei, dass die Parteien nicht durch überraschende oder einseitig berücksichtigte Ermittlungen in ihren prozessualen Rechten beschränkt werden.
Insbesondere dürfen für die Entscheidung relevante Umstände, die nicht bereits durch den Parteivortrag eingeführt wurden, nicht ohne vorherige Mitteilung an die Parteien und Möglichkeit zur Stellungnahme Berücksichtigung finden. Das Schiedsgericht darf sein Urteil also nicht auf Tatsachen stützen, zu denen die Beteiligten nicht Stellung beziehen konnten.
Im vorliegenden Sachverhalt war das Schiedsgericht transparenter vorgegangen und hatte die Ergebnisse seiner Recherche ausreichend kommuniziert, weshalb das OLG keinen wesentlichen Verfahrensverstoß feststellen konnte.
Bewertung und praktische Relevanz für die Schiedsgerichtsbarkeit
Bedeutung für die Parteienautonomie und Verfahrensfairness
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die Flexibilität der Schiedsgerichtsbarkeit Raum für eigene Ermittlungen lässt, dieser Spielraum aber durch grundlegende verfahrensrechtliche Sicherungen begrenzt bleibt. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör führt zur Anfechtbarkeit beziehungsweise Versagung der Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 1 b) ZPO.
Werden Rechercheergebnisse eigenständig eingeholt, sind Transparenz und rechtzeitige Information der Parteien zwingend. Die Betonung dieser Prinzipien dient der Akzeptanz und Verlässlichkeit schiedsgerichtlicher Entscheidungen im In- und Ausland.
Hinweise zu internationalen Schiedsverfahren
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Thematik im Kontext internationaler Schiedsverfahren. Die Anforderungen an die Einhaltung von Verfahrensgrundsätzen und insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör sind auch in internationalen Konstellationen zu beachten. Verstöße können die Anerkennung oder Vollstreckung eines Schiedsspruchs, etwa unter der New Yorker Konvention, gefährden.
Konsequenzen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung stärkt die formelle Fairness schiedsrichterlicher Verfahren und grenzt die Reichweite eigenständiger Sachverhaltsermittlung ab. Parteien sind gehalten, die prozessualen Abläufe aufmerksam zu verfolgen und auf vollständige Wahrnehmung ihrer Reaktionsmöglichkeiten zu achten.
Gerade im unternehmerischen Kontext einer sich zunehmend digitalisierenden Verfahrenspraxis zeigt die Entscheidung, wie bedeutsam die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundprinzipien auch im Schiedsverfahren ist.
Für Unternehmen, Investoren und Privatpersonen, die im In- oder Ausland an Schiedsverfahren beteiligt sind oder sich mit Fragen der Verfahrensführung befassen, empfiehlt sich eine sorgfältige Beobachtung aktueller Rechtsprechung. Bei weiteren Fragen zu den dargestellten Fragestellungen stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal mit profunder Erfahrung im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit gerne zur Verfügung.