Vertrieb von Hustensaft als Medizinprodukt: Urteil des OLG Frankfurt und seine Auswirkungen
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat sich in einem aktuellen Urteil (Az. 6 U 126/20; Entscheidung vom 08.07.2021) mit der rechtlichen Zulässigkeit des Vertriebs eines als „Hustensaft” gekennzeichneten Produkts befasst, das zwar in seiner Aufmachung arzneimittelähnlich präsentiert wurde, tatsächlich jedoch auf Grundlage einer entsprechenden Bestätigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Medizinprodukt in Verkehr gebracht wird. Die Entscheidung beleuchtet nicht nur die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln (§ 2 AMG) und Medizinprodukten (§ 3 MPDG), sondern wirft zugleich wichtige Fragen im Hinblick auf das Verbot irreführender Werbung und Kennzeichnung auf. Nachfolgend werden die rechtlichen Hintergründe, die Argumentation des Gerichts sowie die Konsequenzen für Unternehmen im Gesundheitswesen näher erläutert.
Einordnung und Abgrenzung: Arzneimittel versus Medizinprodukt
Ausgangslage und regulatorisches Umfeld
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein Produkt, das als „Hustensaft” deklariert wurde und über Aufdrucke verfügte, die üblicherweise Arzneimitteln vorbehalten sind. Gleichwohl erfolgte der Vertrieb ausdrücklich als Medizinprodukt, gestützt auf eine Bescheinigung des BfArM, wonach das Produkt nicht die Anforderungen an ein Arzneimittel erfüllt. Die Unterscheidung zwischen Medizinprodukt und Arzneimittel ist von weitreichender Bedeutung, nicht zuletzt wegen der voneinander abweichenden regulatorischen Anforderungen hinsichtlich Zulassung, Kennzeichnung sowie Werbung.
Maßgebliche rechtliche Kriterien
Maßstab für die rechtliche Einordnung ist das jeweilige Zweckbestimmungsmerkmal. Während Arzneimittel durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungen charakterisiert sind, werden Medizinprodukte insbesondere dadurch definiert, dass ihre Hauptwirkung im oder am Körper nicht primär pharmakologisch erzielt wird. Für Anbieter ist die präzise Abgrenzung essentiell, da dies erhebliche Auswirkungen auf Zulassungsverfahren, Werbemaßnahmen und Vertriebskanäle hat.
Problemaufriss: Gefahr der Irreführung durch Präsentation
Bewertung der Produktpräsentation
Die Klägerin argumentierte, dass die Aufmachung des Produkts – insbesondere die Bezeichnung als „Hustensaft” und die darstellungsnahe Anlehnung an Arzneimittelaufmachungen – als irreführend zu qualifizieren sei. Aus Sicht der Klägerin werde dem Verbraucher suggeriert, es handle sich um ein geprüfte und zugelassene Arzneimittel im Sinne des AMG, was eine unzulässige Irreführung i.S.d. §§ 3, 5 UWG darstelle. Das beklagte Unternehmen verwies indes auf die ausdrückliche Freigabe des Produkts als Medizinprodukt durch das BfArM.
Grundsätze der Rechtsprechung zur Irreführung
Irreführung im Sinne des Wettbewerbsrechts liegt unter anderem dann vor, wenn den angesprochenen Verkehrskreisen wesentliche Informationen vorenthalten werden oder Tatsachen behauptet werden, die objektiv nicht zutreffen. Die konkrete Präsentationsform, das äußere Erscheinungsbild und die begleitende Bewerbung sind bei der Beurteilung stets zu berücksichtigen.
Urteil des OLG Frankfurt am Main und Begründung
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Frankfurt entschied, dass die Präsentation des „Hustensafts” als Medizinprodukt, trotz arzneimittelähnlicher Gestaltung, keine unzulässige Irreführung darstellt, wenn die maßgeblichen Voraussetzungen – insbesondere die Erlaubnis des BfArM – vorliegen. Nach Auffassung des Gerichts steht die behördlich bestätigte Einstufung als Medizinprodukt einer Annahme von Irreführung entgegen. Die Produktaufmachung wurde nicht als geeignet angesehen, eine Fehlvorstellung hervorzurufen, sofern die medizinprodukterechtlichen Vorgaben eingehalten und die Verbraucher hinreichend über den Status informiert werden.
Bedeutung der behördlichen Einstufung durch das BfArM
Die Entscheidung betont die wesentliche Rolle der behördlichen Einstufung. Solange das BfArM – als zuständige deutsche Behörde – einer arzneimittelrechtlichen Einordnung ausdrücklich widerspricht und das Produkt als Medizinprodukt klassifiziert, begründet dieses behördliche Vorgehen eine hinreichende Rechtssicherheit für Hersteller und Vertreiber. Eine abweichende Würdigung durch die Zivilgerichte bleibt lediglich in Ausnahmefällen möglich, etwa bei nachträglichen Erkenntnissen oder geänderter gesetzlicher Lage.
Auswirkungen und Hinweise für Unternehmen im Gesundheitssektor
Relevanz für Vertrieb und Werbung
Das Urteil unterstreicht, dass Unternehmen im Bereich medizinischer Produkte eine tragfähige Grundlage für Vertrieb und Bewerbung ihrer Produkte erhalten, sofern eine sorgfältige und transparente behördliche Klassifizierung erfolgt ist. Die häufig schwierige Grenzziehung zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt erfordert eine stete Überprüfung der Produktauslobung und Werbemaßnahmen, um Wettbewerbsverstöße zu vermeiden und der Gefahr von Abmahnungen oder gerichtlichen Auseinandersetzungen zu begegnen.
Bedeutung für regulatorische Compliance
Aus dem Urteil ergibt sich ferner, dass eine durch das BfArM bestätigte Zweckbestimmung und Produktklassifizierung entscheidend ist. Unternehmen sollten den fortlaufenden Dialog mit den zuständigen Behörden suchen und ihre Produktpräsentation konsequent an der jeweils aktuellen Rechtslage ausrichten. Zu beachten ist, dass die behördliche Einordnung nicht nur für die Verkehrsfähigkeit des Produkts maßgeblich ist, sondern auch Auswirkungen auf Haftungspotenziale und Werbeverbote besitzt.
Zusammenfassende Bewertung und weitere Entwicklung
Das OLG Frankfurt hat mit seiner Entscheidung wesentliche Leitlinien für den Umgang mit arzneimittelähnlich aufgemachten Medizinprodukten gesetzt. Unternehmen, die Produkte im Spannungsfeld zwischen Arzneimittelrecht und Medizinprodukterecht in Verkehr bringen möchten, erhalten einen rechtssicheren Handlungsrahmen, sofern sie die einschlägigen regulatorischen Anforderungen strikt beachten und sorgfältig dokumentieren. Gleichwohl bleibt die inhaltliche Abgrenzung ein komplexes Aufgabenfeld mit praktischen Herausforderungen.
In einem sich stetig verändernden regulatorischen Umfeld sollte die aktuelle Rechtslage fortlaufend überprüft werden. Laufende Verfahren – wie der vorliegende Fall vor dem OLG Frankfurt – sind stets Einzelfallentscheidungen und können durch neue gesetzliche Vorgaben oder eine sich verändernde Verwaltungspraxis beeinflusst werden (Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.07.2021, Az. 6 U 126/20; https://urteile.news/OLG-Frankfurt-am-Main_6-U-12620_Trotz-Praesentation-als-Arzneimittel-ist-Vertrieb-eines-Hustensafts-als-Medizinprodukt-bei-entsprechender-Erlaubnis-des-BfArM-keine-Irrefuehrung~N30581).
Für Unternehmen, Investoren und weitere Akteure im Bereich Medizintechnik und Arzneimittel stellt sich regelmäßig die Notwendigkeit, die eigenen Aktivitäten auf regulatorische Risiken und rechtliche Entwicklungen zu überprüfen. Bei spezifischen Fragestellungen zum Produktvertrieb, zur Einhaltung der einschlägigen Vorschriften oder zur strategischen Ausrichtung im Gesundheitsmarkt steht MTR Legal Rechtsanwälte als bundesweit und international tätige Full-Service-Wirtschaftskanzlei gerne zur Verfügung.