Fehlende Mitwirkung der Kindesmutter: Auswirkungen auf den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW, Urteil vom 21.04.2020 – 12 S 773/18) hat die Voraussetzungen für den Bezug von Unterhaltsvorschussleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) näher konkretisiert. Im Fokus der Entscheidung stand die Obliegenheit der alleinerziehenden Kindesmutter, bei der Feststellung und Benennung des leiblichen Vaters des Kindes aktiv mitzuwirken. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Mitwirkungspflichten für die wirksame Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen und deren Vorverlagerung auf das öffentliche Entschädigungsverfahren.
Rechtliche Grundlagen des Unterhaltsvorschusses
Zielsetzung des Unterhaltsvorschussgesetzes
Der Unterhaltsvorschuss dient dazu, eine finanzielle Lücke zu schließen, wenn ein Elternteil, in der Regel der Vater, seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Primäres Ziel des UVG ist jedoch nicht die Dauerfinanzierung, sondern die vorübergehende Absicherung des Kindeswohls, solange die Möglichkeit besteht, Unterhalt tatsächlich durchzusetzen.
Voraussetzungen des Leistungsanspruchs
Ein wesentlicher Anspruchsvoraussetzung ist, dass der alleinerziehende Elternteil mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebt und das Kind von Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils teilweise oder vollständig abgeschnitten ist. Die Bewilligung von Unterhaltsvorschuss steht zudem unter dem Vorbehalt, dass der anspruchsberechtigte Elternteil alle zumutbaren Maßnahmen ergreift, um die Identität des unterhaltspflichtigen Elternteils offenzulegen und dessen Aufenthaltsort bekanntzugeben.
Kernpunkte der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg
Obliegenheit zur Mitwirkung
Nach Auffassung des Gerichts ist eine sorgfältige, ernsthafte und vollständige Mitwirkung an der Feststellung der Vaterschaft obligatorisch. Insbesondere dann, wenn bereits Anhaltspunkte für einen bestimmten Erzeuger oder potenzielle Väter vorliegen, ist die Kindesmutter verpflichtet, entsprechende Daten, Informationen und etwaige Kontakte unaufgefordert mitzuteilen. Das umfasst beispielsweise Adressen, Namen, Kommunikationswege oder sonstige Erkenntnisse, die zur Identifizierung und Kontaktaufnahme mit dem mutmaßlichen Vater beitragen können.
Maßstab der Mitwirkungshandlungen
Maßgeblich ist, ob die Kindesmutter – nach objektiven Kriterien – sämtliche ihr möglichen und zumutbaren Angaben macht und Ermittlungen unterstützt. Zu den zumutbaren Mitwirkungshandlungen können etwa die Bekanntgabe persönlicher Umstände, die Herausgabe vorhandener Dokumente, die Mitteilung über persönliche Beziehungen oder die Offenlegung sozialer Netzwerke gehören, soweit sie zur Feststellung des Vaters beitragen können.
Folgen unzureichender Mitwirkung
Das Gericht stellte fest, dass eine grundlose oder bewusst nachlässige Zurückhaltung von Informationen durch die Kindesmutter regelmäßig zum Leistungsausschluss führt. Die Behörde ist dann berechtigt, einen zuvor bewilligten Unterhaltsvorschuss aufzuheben und diesen auch rückwirkend zurückzufordern – spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem die mangelnde Mitwirkung festgestellt wird. Die Sanktion erstreckt sich solange, bis die Mitwirkung in zumutbarem Umfang nachgeholt wird.
Differenzierung zu Härtefällen und Ausnahmekonstellationen
Schutz vor Missbrauch und Kindeswohl
Die Mitwirkungsobliegenheit darf nicht dazu führen, dass berechtigte Interessen der Mutter oder des Kindes kompromittiert werden. So können im Einzelfall gesonderte Schutzmaßnahmen angezeigt sein – etwa bei Vorliegen von Gewaltandrohungen, Gefahr für Leib oder Leben oder vergleichbar gravierenden Konstellationen. Gleichwohl ist die Kindesmutter verpflichtet, solche Risiken glaubhaft und nachvollziehbar offenzulegen; reine Mutmaßungen oder unbelegte Behauptungen genügen nicht.
Behördliche Prüfung und Ermessensausübung
Die nach UVG handelnde Behörde hat sorgfältig abzuwägen, ob tatsächlich eine schuldhafte Verletzung von Mitwirkungspflichten vorliegt, bevor Leistungsansprüche ausgeschlossen oder zurückgefordert werden. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die individuelle Lebenssituation, schutzwürdige Interessen sowie die Plausibilität von angegebenen Gründen zu richten. Der Rechtsweg gewährleistet die notwendige Kontrolle und bietet Schutz vor unverhältnismäßigen Eingriffen.
Weiterführende Überlegungen und Konsequenzen für Anspruchsberechtigte
Wechselwirkung mit zivilrechtlichen Verfahren
Die Mitwirkungspflichten aus dem UVG sind eng mit den im BGB normierten Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft sowie zur Geltendmachung von Kindesunterhalt verzahnt. Das Familiengericht kann auf Antrag die Feststellung der Vaterschaft anordnen – zur Nachweisführung können auch genetische Abstammungsgutachten herangezogen werden. Werden solche familienrechtlichen Schritte unterlassen, ohne sachlichen Grund, kann dies ebenfalls den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss beeinträchtigen.
Bedeutung für die Verwaltungspraxis
Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg stellt klar, dass der Grundsatz der Subsidiarität des Unterhaltsvorschusses strikt durchzusetzen ist. Die öffentliche Hand darf erst dann Leistungen erbringen, wenn der eigene Zugriff auf den Unterhaltspflichtigen erkennbar vergeblich oder unmöglich ist – auch, weil die mitwirkungspflichtige Person alle erforderlichen Schritte ergriffen hat.
Fazit
Die aktuell bestätigte Rechtsprechung stärkt die Durchsetzung von Mitwirkungspflichten beim Bezug öffentlicher Leistungen und setzt klare Maßstäbe für Anspruchsberechtigte nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Kindeswohlinteressen und Schutzrechte bleiben davon grundsätzlich unberührt, erfordern im Einzelfall aber substantiierten Nachweis.
Für weiterführende Fragestellungen oder Unsicherheiten im Kontext von Unterhaltsvorschuss, Mitwirkungspflichten oder behördlichen Verfahren stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal bundesweit gerne zur Verfügung.