Gesetzliche Ausgangslage und Anpassungen steuerlicher Zinssätze
Differenzierte Zinsregelung im Steuerrecht
Das deutsche Steuerrecht sieht verschiedene Zinssätze vor, die im Rahmen von Steuerfestsetzungen und Streitigkeiten Anwendung finden. Zentrale Vorschriften hierzu enthalten § 233a AO (Abgabenordnung) für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen und § 237 AO für Aussetzungszinsen. Während Nachzahlungszinsen typischerweise anfallen, wenn eine Steuernachforderung zu einem späteren Zeitpunkt entrichtet wird, greifen Aussetzungszinsen im Fall einer beantragten Aussetzung der Vollziehung, etwa bei Anfechtung der Steuerfestsetzung.
Gesetzliche Neuregelung ab 2022
Im Nachgang zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wurde der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gemäß § 233a AO rückwirkend ab 2019 von bislang 0,5 % pro Monat (also 6 % jährlich) auf aktuell 0,15 % pro Monat (1,8 % jährlich) herabgesetzt. Grund war die Feststellung, dass der ursprünglich hohe Zinssatz nicht mehr realitätsgerecht sei und zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung führe. Hingegen verblieb der Zinssatz für Aussetzungszinsen nach § 237 AO zunächst bei 0,5 % pro Monat. Diese Divergenz wurde mit Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (Zinsanpassungsgesetz) eingeführt.
Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab
Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass Steuerpflichtige im Wesentlichen gleich zu behandeln sind und eine sachliche Rechtfertigung für differenzierende Regelungen vorliegen muss. Im Kontext der steuerlichen Zinsen ist daher zu prüfen, ob die differenzierte Behandlung der Fallgruppen (Nachzahlungszinsen vs. Aussetzungszinsen) auf einer tragfähigen Unterscheidung basiert.
Rechtsprechung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mit Urteil vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14) festgestellt, dass der bisherige Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase gegen das Grundgesetz verstoße. Für eine unterschiedliche Behandlung von Zinsen fehlt es bislang an einer höchstrichterlichen Klärung.
Aktuelle Entwicklung vor dem Finanzgericht Köln
Vorläufige Einschätzung zur Verfassungsmäßigkeit
Das Finanzgericht Köln hat im Beschluss vom 4. April 2025 (4 V 444/25) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der weiterhin unterschiedlichen Zinssätze für Aussetzungszinsen nach § 237 AO und Nachzahlungszinsen nach § 233a AO angemeldet. Frankiert wurde dies mit der Beobachtung, dass der für die Aussetzungszinsen maßgebliche Zinssatz von monatlich 0,5 % im Vergleich zum abgesenkten Satz für Nachzahlungszinsen zu einer erheblichen und systematisch nicht begründbaren Mehrbelastung führen könne. Das Gericht stützt seine Zweifel auf das Fehlen einer sachlichen Begründung für die Ungleichbehandlung nach dem 1. Januar 2023.
Verfahren und vorläufige Entscheidung
Das Verfahren ist derzeit nicht rechtskräftig abgeschlossen. Das FG Köln hat seine Zweifel im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens geäußert (§ 69 Abs. 3 und 6 FGO) und die Vollziehung der Zinsfestsetzung ausgesetzt. Betroffene Zinsbescheide werden insoweit nur vorläufig vollzogen. Ob das Bundesverfassungsgericht die Frage einer rechtmäßigen Differenzierung der Zinssätze erneut prüfen wird, bleibt abzuwarten.
Auswirkungen für Unternehmen und Vermögensträger
Finanzielle Belastungen durch unterschiedliche Zinssätze
Für Unternehmen, Investoren und vermögende Privatpersonen, die eine Aussetzung der Vollziehung beantragen und hierfür Aussetzungszinsen zu entrichten haben, kann die Fortgeltung des höheren Zinssatzes zu erheblicher Mehrbelastung führen. Im Vergleich zur Nachzahlung können sich damit im Zeitablauf beträchtliche Zinsdifferenzen ergeben. Dies betrifft insbesondere große Steuer- und Wirtschaftsstreitigkeiten, bei denen hohe Steuerbeträge im Streit stehen und lange Verfahrensdauern zu überdurchschnittlichen Zinsanlastungen führen.
Unsicherheiten in der Rechtsanwendung
Angesichts der laufenden Diskussion über die Verfassungskonformität der unterschiedlichen Zinsregelungen besteht für Steuerpflichtige eine gravierende Rechtsunsicherheit. Die Gefahr einer späteren Anpassung der Zinssätze oder Rückabwicklung bereits bestandskräftiger Zinsfestsetzungen ist nicht auszuschließen, solange keine letztinstanzliche Klärung erfolgt ist.
Ausblick und Beratungsbedarf
Die gerichtlich geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel an der fortbestehenden Differenzierung der steuerlichen Zinssätze werfen bedeutsame Fragen auf, die für zahlreiche Steuerpflichtige nachteilige Folgen zeitigen können. Ob und inwieweit Nachjustierungen des Gesetzgebers oder höchstrichterliche Leitentscheidungen zu erwarten sind, ist zum Berichtszeitpunkt nicht abschließend prognostizierbar (vgl. FG Köln, Beschluss v. 4.4.2025, 4 V 444/25; Stand: 23.07.2025; laufendes Verfahren).
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