Hintergrund: Preiswerbung und Verbraucherschutz in der Europäischen Union
Preisangaben, insbesondere in Form von Werbung mit angeblichen Preisnachlässen, stehen im Fokus regulatorischer Anforderungen in der Europäischen Union. Sowohl Verbraucher- als auch Wettbewerbsrecht setzen Werbenden hierbei klare Grenzen, um Irreführung auszuschließen und den fairen Wettbewerb sicherzustellen. Besonders relevant ist die Werbepraxis, für angeblich rabattierte Produkte einen „vorherigen“ Preis als Bezugsgröße heranzuziehen. Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 29. Juni 2024, Az. C-330/23) wurde im Hinblick auf Transparenz und Redlichkeit in der Preiswerbung erneut eine wichtige Klarstellung getroffen.
Entscheidung des EuGH: Anforderungen an die Gegenüberstellung von Preisen
Ausgangsfall und Vorlagefragen
Ein Handelsunternehmen hatte in Werbeprospekten auf einen „ermäßigten“ Preis im Vergleich zu einem „vorherigen“ Preis hingewiesen. Dabei entsprach der als „vorherig“ bezeichnete Preis nicht stets dem zuletzt verlangten Preis; teilweise lag der beworbene neue Preis sogar auf gleichem Niveau oder darüber. Hiergegen wandte sich eine Verbraucherschutzorganisation und trug den Fall nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs bis vor den EuGH. Die zentrale Frage bestand darin, ob bei einer Preiswerbung innerhalb der Europäischen Union der vermeintliche Vorteil für Verbraucher objektiv nachvollziehbar sein muss oder ob eine rein formale Gegenüberstellung der Preise genügt.
Klare Anforderungen des Gerichtshofs
Der EuGH stellte fest, dass ein beworbener „ermäßigter“ Preis grundsätzlich niedriger ausfallen muss als der unmittelbar zuvor vom Händler verlangte und tatsächlich geforderte Preis. Andernfalls werde den Verbrauchern ein Preisvorteil suggeriert, der in Wahrheit nicht existiert. Die bewusste Wahl eines auch nur identischen oder gar höheren „vorherigen“ Preises ist demnach irreführend und mit den Vorgaben der Preisangabenrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/2161 sowie Richtlinie 2005/29/EG) nicht vereinbar.
Maßgebliche rechtliche Grundlagen
Unlautere Geschäftspraktiken und Irreführungsverbot
Nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2005/29/EG) gilt in der Europäischen Union ein striktes Verbot jeglicher irreführender Handlungen gegenüber Verbrauchern. Unternehmen haben daher sicherzustellen, dass alle in Geschäftsankündigungen genannten Preise auf tatsächlichen, aktuellen Marktverhältnissen beruhen. Wird ein angeblich reduzierter Preis beworben, muss die Bezugsgröße real bestehen haben. Das Reinzeichnen von „Mondpreisen“ verstößt klar gegen diese Vorgaben und birgt ein erhebliches Risiko für Rechtsfolgen wie Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche.
Umsetzung in nationales Recht und Praxis
Mit der Umsetzung der Preisangabenrichtlinie – jüngst verschärft durch die Omnibus-Richtlinie – besteht die Pflicht, als bisher geforderten Vergleichspreis stets den niedrigsten Preis der letzten 30 Tage anzugeben (§ § 11 PAngV n.F.). Diese nationalen Vorschriften setzen die europäischen Vorgaben ausdrücklich um und konkretisieren sie. Unternehmen sind gehalten, interne Prozesse so auszugestalten, dass nur solche Preiswerbeaussagen erfolgen, die auf realen und nachweisbaren Preisdaten beruhen.
Auswirkungen und Bedeutung für die Unternehmenspraxis
Auf den Prüfstand: Zulässigkeit von Preiswerbung
Die Entscheidung des Gerichtshofs verdeutlicht, dass Preiswerbung mit angeblichen Preisnachlässen unter schärferer Beobachtung steht und Marktteilnehmer sich ständiger Überprüfung durch Wettbewerber und Verbraucherorganisationen ausgesetzt sehen. Für Unternehmen bedeutet dies insbesondere im Bereich Marketing und Vertrieb ein erhöhtes Risiko für rechtliche Beanstandungen bei fehlerhafter oder missverständlicher Preiswerbung.
Abwägung im grenzüberschreitenden Kontext
Für international agierende Unternehmen kommt hinzu, dass die europäischen Vorgaben unmittelbar in sämtliche Mitgliedstaaten durchschlagen. Die Anforderungen an Preisangaben und deren Transparenz sind unionsweit harmonisiert. Unklare oder irreführende Praxis in einem Land kann somit weitreichende Folgen und Reputationsrisiken im europäischen Handel nach sich ziehen.
Fortgang und offene Fragen
Hinweis auf laufende Verfahren und Auslegung
Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH gibt einen verbindlichen Maßstab vor, bleibt jedoch für spezifische Einzelfragen im Sinne einer Gesamtabwägung offen. Insbesondere die genaue Festlegung des „unmittelbar zuvor“ verlangten Preises und mögliche Ausnahmen bedürfen weiterhin der Prüfung und Anwendung durch die nationalen Gerichte. In der Praxis ist deshalb rechtliches Fingerspitzengefühl gefragt, wenn Werbekampagnen oder Preisanpassungen vorbereitet werden.
Fazit
Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs schafft Klarheit für den Umgang mit Preiswerbung und definiert einheitliche Regeln, um Verbraucher vor rein fiktiven Rabatten und irreführender Kommunikation zu schützen. Unternehmen sind gut beraten, ihre Werbepraxis fortlaufend auf die Einhaltung dieser Vorgaben zu kontrollieren, da Verstöße erhebliche zivilrechtliche und unter Umständen auch aufsichtsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.
Sollten im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Preiswerbung, der Umsetzung aktueller rechtlicher Vorgaben oder der Risikoabschätzung bei Preisnachlässen weitergehende Fragen auftreten, stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal Rechtsanwälte für die Bewertung von Einzelfällen und die Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen zur Verfügung.