Testierfreiheit im Verhältnis zwischen Patient und behandelndem Arzt – Entscheidung des BGH zur Wirksamkeit eines Grundstücksversprechens
Mit Urteil vom 3. Juli 2024 (Az.: IV ZR 93/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) erneut die Bedeutung der Testierfreiheit hervorgehoben und entschieden, dass es grundsätzlich zulässig ist, wenn ein Patient seinem Hausarzt ein Grundstück durch letztwillige Verfügung (Testament) zuwendet. Die Entscheidung befasst sich damit, unter welchen Voraussetzungen solche Nachlassgestaltungen zwischen Patienten und Ärzten wirksam sind und wann ausnahmsweise die Annahme der Sittenwidrigkeit oder ein gesetzliches Verbot in Betracht kommen könnte.
Grundlagen der Testierfreiheit und ihre Schranken
Prinzip der Testierfreiheit
Im Erbrecht gilt der Grundsatz der Testierfreiheit gemäß § 1937 BGB. Hierdurch wird dem Erblasser die Möglichkeit eingeräumt, durch einseitige Verfügung von Todes wegen – etwa das Errichten eines Testaments – über sein Vermögen nach eigenem Belieben zu bestimmen. Das subjektive Selbstbestimmungsrecht ist ein zentrales Element des deutschen Erbrechts und unterliegt lediglich in bestimmten Fällen gesetzlichen Beschränkungen.
Gesetzliche Einschränkungen und der Schutz vor unredlichen Einwirkungen
Zu den maßgeblichen Einschränkungen zählen beispielsweise Geschäfts- und Testierunfähigkeit, gesetzliche Verbote, etwa nach § 14 HeilmG, sowie das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Auch dürfen Verfügungen nicht gegen die guten Sitten im Sinne von § 138 BGB verstoßen. Ein testamentarisches Versprechen, das auf einer sittenwidrigen Einflussnahme fußt, wäre nichtig. Gleiches gilt, sofern vertragliche oder faktische Abhängigkeitsverhältnisse vorliegen, durch die die Entscheidungsfreiheit des Erblassers in unzulässiger Weise beeinträchtigt wird.
Sonderregelungen im Berufsrecht der Heilberufe
Sowohl die ärztlichen Berufsordnungen als auch das Heilmittelwerbegesetz enthalten berufsrechtliche Vorschriften, die den Umgang mit Geschenken oder sonstigen Vorteilen von Patienten regeln. Zudem existieren in einzelnen Bundesländern berufsrechtliche Beschränkungen für die Annahme von Vermögensvorteilen durch Ärzte, um etwaige Interessenkonflikte zu vermeiden und das Vertrauensverhältnis zu schützen. Diese Schranken sind jedoch von den zivilrechtlichen Normen zu unterscheiden.
Entscheidung des BGH: Zuwendung an den Hausarzt nicht per se unzulässig
Sachverhalt und Ausgangslage
Im der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte ein Patient seinem langjährigen Hausarzt testamentarisch ein Grundstück vermacht. Nach dem Ableben des Patienten erhoben Angehörige Einwände und begehrten die Unwirksamkeit des Testaments mit der Begründung, es liege ein Verstoß gegen die guten Sitten vor, da der Arzt die langjährige medizinische Betreuung zum eigenen Vorteil ausgenutzt habe. Damit sei das Testament gemäß § 138 BGB nichtig.
Rechtliche Würdigung durch das Gericht
Der BGH wies die Klage mit der Begründung ab, dass nicht jede Zuwendung eines Patienten an einen behandelnden Arzt grundlegend unzulässig sei. Es müsse stets der konkrete Einzelfall betrachtet werden. Entscheidend sei, ob objektive Umstände vorlägen, die die Annahme einer sittwidrigen Einflussnahme begründen könnten. Dazu zählen beispielsweise das Ausnutzen einer Krankheit oder einer außergewöhnlichen psychischen Abhängigkeit.
Im Streitfall konnten derartige unlautere Einflussnahmen nicht festgestellt werden. Vielmehr habe der Patient aus eigener freier Entscheidung und mit hinreichender Entscheidungsfähigkeit gehandelt. Der BGH betonte, dass die bloße ärztliche Betreuung über einen langen Zeitraum weder eine Vermutung für eine unzulässige Einflussnahme noch für eine Sittenwidrigkeit begründe.
Abgrenzung zu berufsrechtlichen Vorgaben
Zudem stellte das Gericht klar, dass eventuelle berufs- oder strafrechtliche Verbote für Ärzte – etwa aus den jeweiligen Landes-Heilberufsgesetzen oder aus dem ärztlichen Standesrecht – keinen unmittelbaren Einfluss auf die erbrechtliche Wirksamkeit der Zuwendung haben. Das Erbrecht und die Berufsordnung der Ärzte verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen; eine zivilrechtliche Nichtigkeit kann sich nicht allein aus möglichen berufsrechtlichen Konsequenzen ergeben.
Praxisrelevanz: Bedeutung für Angehörige, Ärzte und Nachlassbeteiligte
Bedeutung für Nachlassgestaltung und Rechtssicherheit
Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit bezüglich des grundsätzlichen Gestaltungsspielraumes von Patienten bei der Errichtung von letztwilligen Verfügungen zugunsten behandelnder Ärzte. Sie weist Angehörige und Dritte darauf hin, dass Einwände gegen die Wirksamkeit von testamentarischen Zuwendungen konkret zu begründen sind und pauschale Behauptungen einer unzulässigen Beeinflussung nicht ausreichen.
Prüfungsmaßstäbe für die Zulässigkeit
Maßgebliche Kriterien bleiben der Nachweis einer tatsächlichen Einflussnahme auf die Willensbildung des Erblassers, das Vorliegen einer Abhängigkeit oder eines Willensmangels. Die individuelle Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Erblassers steht dabei im Mittelpunkt der rechtlichen Prüfung.
Auswirkungen auf das Verhältnis Patienten – Ärzte
Das Urteil verdeutlicht, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht grundsätzlich geeignet ist, die Wirksamkeit einer Zuwendung zu beeinträchtigen. Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalls, insbesondere in Bezug auf Motivlage, Intensität der Bindung sowie etwaige Indizien für ein missbräuchliches Ausnutzen der Patientenstellung.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Die höchstrichterliche Entscheidung betont den hohen Stellenwert der Testierfreiheit im deutschen Erbrecht, lässt jedoch Ausnahmen im Falle von Missbrauch und objektiv feststellbaren sittwidrigen Konstellationen ausdrücklich offen. Für Betroffene – seien es Nachlassbeteiligte, Behinderte, Pflegebedürftige oder Angehörige – empfiehlt sich stets eine sorgfältige Sachverhaltsanalyse im Spannungsfeld von Selbstbestimmungsrecht, Einflussnahme und berufsrechtlichen Vorgaben.
Die Bewertung und Durchsetzung derartiger Ansprüche im Nachlassverfahren kann vielfältige rechtliche und tatsächliche Fragestellungen aufwerfen. Bei Unsicherheiten rund um die Gestaltung und Anfechtung testamentarischer Verfügungen oder bei vermuteter unzulässiger Einflussnahme kann es von Vorteil sein, auf fundierte Unterstützung zurückzugreifen. Die Rechtsanwälte bei MTR Legal stehen für Rückfragen zum Erbrecht und angrenzenden Rechtsbereichen zur Verfügung.