Niedersächsisches Finanzgericht nimmt Stellung zur steuerlichen Berücksichtigung von Zivilprozesskosten
Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) in Hannover hat mit Urteil vom 2. Mai 2024 (Az. 9 K 28/23) zur steuerlichen Abziehbarkeit von Aufwendungen, die durch einen Zivilprozess entstehen, als außergewöhnliche Belastungen entschieden. Das Gericht vertritt hierbei eine differenzierte und aktuelle Sichtweise, welche bestehende Parallelentscheidungen anderer Finanzgerichte aufnimmt und weiterentwickelt. Die Thematik weist erhebliche Relevanz für die steuerliche Belastung insbesondere von vermögenden Privatpersonen und Unternehmern auf.
Rechtlicher Hintergrund: Zivilprozesskosten im Steuerrecht
Historische Entwicklung
Zivilprozesskosten sind Aufwendungen, die einer Partei im Zusammenhang mit der Führung eines Rechtsstreits im Zivilrecht entstehen – etwa für Gericht, anwaltliche Vertretung oder sonstige Kostenpositionen. Die steuerrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit dieser Kosten im Rahmen der „außergewöhnlichen Belastungen” nach § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) war in den vergangenen Jahren Gegenstand erheblichen Wandels. Die frühere Anerkennung wurde durch restriktivere Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung zwischenzeitlich deutlich eingeschränkt.
Aktueller Gesetzeswortlaut
Das Gesetz privilegiert Aufwendungen nur dann, wenn sie zwangsläufig erwachsen und außergewöhnlich sind. Nach der 2013 eingeführten Änderung des § 33 Abs. 2 S. 4 EStG sind Zivilprozesskosten grundsätzlich vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, der Steuerpflichtige wäre ohne diesen Aufwand Gefahr gelaufen, seine existenziellen Grundlagen zu verlieren. Die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist Gegenstand der aktuellen Rechtsprechung.
Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts
Sachverhalt
Im zu entscheidenden Fall trug der Kläger die Kosten eines Zivilprozesses, mit dem er eine zivilrechtliche Auseinandersetzung führte. Im Rahmen seiner Steuererklärung machte er diese Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend, also als Posten, der seine steuerpflichtigen Einkünfte mindert.
Urteilsbegründung und Abgrenzungen
Das FG Hannover entschied entgegen der restriktiven Linie der Finanzverwaltung zu Gunsten des Steuerpflichtigen. Das Gericht führt aus, dass die Gesetzesbegründung und auch das geltende Recht eine Ausnahmenorm statuieren, die im Einzelfall unter Berücksichtigung der existenziellen Bedeutung des Rechtsstreits sowie der konkreten Zwangslage des Steuerpflichtigen zu interpretieren sei. Entscheidend sei hierbei nicht allein die bloße Möglichkeit eines Prozessverlustes, sondern vielmehr, ob mit dem zivilrechtlichen Anspruch tatsächliche existenzielle Grundlagen – etwa das familiäre Existenzminimum oder notwendige wirtschaftliche Existenzgrundlagen – verteidigt würden.
Das Gericht berücksichtigt auch die jüngere Spruchpraxis des Bundesfinanzhofs (BFH), insbesondere in Bezug auf die restriktiven Abgrenzungen und hält vielmehr eine offene, einzelfallbezogene Prüfung der Prozesskosten hinsichtlich ihrer Zwangsläufigkeit für angezeigt. Im Ergebnis wurde der Steuerpflichtige in der Aufwendungsermittlung für die streitgegenständlichen Zivilprozesskosten entlastet.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des FG Hannover zeigt, dass Fälle der existenziellen Bedrohung oder massiven Eingriffe in existenzielle Güter – etwa arbeitsrechtliche, familienrechtliche oder eigentumssichernde Verfahren – weiterhin von der Möglichkeit profitieren können, entstandene Zivilprozesskosten steuerlich geltend zu machen. Die Würdigung erfolgt stets einzelfallabhängig, eine pauschale Ablehnung der steuerlichen Berücksichtigung ist rechtswidrig.
Rechtslage im Lichte der Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung
Divergenzen zwischen Rechtsprechung und Finanzverwaltung
Das Urteil illustriert erneut, dass Divergenzen zwischen Verwaltungsanweisungen (z.B. Anwendungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen) und den Positionen der Finanzgerichte bestehen. Während in der Verwaltung ein strenger Maßstab angelegt wird, ermöglichen Gerichte bei Nachweis besonderer Umstände eine abweichende steuerliche Begünstigung.
Rechtsschutzmöglichkeiten
Betroffene Steuerpflichtige sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass eine Klärung der steuerlichen Anerkennung auf dem Gerichtsweg mit Unsicherheiten und dem Risiko einer abweichenden höchstrichterlichen Klärung behaftet ist. Die Entscheidung des FG Hannover ist aktuell noch nicht rechtskräftig und kann vor dem BFH überprüft werden (Stand: 24.09.2024, Quelle: urteile.news).
Ausblick und Einordnung
Bedeutung für Unternehmen und vermögende Privatpersonen
Für Unternehmen und wohlhabende Privatpersonen, die häufig in komplexe zivilrechtliche Auseinandersetzungen involviert sind, ergibt sich aus der Entscheidung die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen einen Steuervorteil zu realisieren. Insbesondere Verfahren, in denen essentielle Unternehmensgrundlagen, grundlegende wirtschaftliche Lebensbedingungen oder unaufschiebbare Interessen verteidigt werden, können nach umfassender Prüfung in Betracht kommen.
Gesetzgeberischer Anpassungsbedarf
Die aktuelle Rechtslage ist nicht abschließend geklärt. Künftige Urteile des Bundesfinanzhofs, die Reaktionen der Finanzverwaltung und etwaige gesetzgeberische Klarstellungen bleiben abzuwarten. Steuerpflichtige sind gut beraten, ihre individuellen Prozesskosten in Einklang mit den neuesten Entwicklungen zu bewerten.
Für Leser, die sich mit Fragen zur steuerlichen Behandlung von Prozesskosten und deren konkreten Auswirkungen auf die persönliche oder unternehmerische Steuerlast konfrontiert sehen, besteht die Möglichkeit, mit den Rechtsanwälten von MTR Legal Rechtsanwälte Kontakt aufzunehmen, um sich rechtlich fundiert zu orientieren.