Keine vertragliche Bindung durch Online-Klick bei zahnärztlichen Heilbehandlungsverträgen
In einer Entscheidung des Amtsgerichts München (Urt. v. 02.07.2024, Az. 231 C 1839/22) wurde der Frage nachgegangen, welche rechtlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines zahnärztlichen Heilbehandlungsvertrages im Rahmen digitaler Plattformen erfüllt sein müssen. Das Gericht stellte dabei klar, dass ein bloßer Klick auf „Jetzt zahlungspflichtig bestellen“ im Online-Portal eines Vermittlungsdienstleisters nicht zwangsläufig zu einem verbindlichen Behandlungsvertrag zwischen Patient und Zahnarzt führt.
Hintergrund des Sachverhalts
Im vorliegenden Fall wandte sich eine Patientin über eine internetbasierte Plattform an eine Zahnarztpraxis. Die Plattform ermöglichte die Einholung von Kostenvoranschlägen für zahnärztliche Leistungen und stellte einen geschützten Kommunikationskanal bereit. Nach Angebotserstellung durch die Zahnarztpraxis klickte die Nutzerin auf „Jetzt zahlungspflichtig bestellen“. Im Anschluss kam es seitens der Praxis jedoch nicht zur geforderten Behandlung, da nach deren Darstellung noch mehrere Faktoren – insbesondere eine vorherige Untersuchung und Aufklärung – nicht erfüllt seien. Die Patientin verlangte daraufhin die vertragsgemäße Behandlung oder alternativ Schadensersatz.
Rechtliche Analyse des Urteils
Keine unmittelbare Angebotserklärung zur Heilbehandlung
Das Gericht prüfte, ob in der Nutzung der Plattform und dem Auslösen des Bestellvorgangs bereits eine rechtsverbindliche Vereinbarung über die Durchführung der zahnärztlichen Maßnahme zu sehen ist. Es folgte der Rechtsprechung, dass für einen medizinischen Behandlungsvertrag im Sinne von § 630a BGB weitaus mehr erforderlich ist als das Ausfüllen eines Online-Formulars. Die Vereinbarung individueller, oft komplexer Heilbehandlungsleistungen setzt typischerweise persönliche Voruntersuchungen, ausführliche Aufklärung sowie die Erörterung medizinischer Besonderheiten voraus.
Im Rahmen des Urteils wurde darauf hingewiesen, dass die Gestaltung der Vermittlungsplattform – einschließlich des Buttons „Jetzt zahlungspflichtig bestellen“ – nach Auffassung des Gerichts noch nicht die auf einen Vertragsschluss gerichtete ausdrückliche Willenserklärung bezüglich der Streitleistung beinhaltet. Es fehle insbesondere an einer hinreichenden Bestimmtheit des Leistungsgegenstandes und den, für medizinische Behandlungen zwingend erforderlichen, Aufklärungs- und Informationsgesprächen.
Differenzierung zwischen plattformbasierter Vermittlung und Behandlungsvertrag
Das Urteil beleuchtet weiter die Abgrenzung zwischen der vertraglichen Beziehung zu einer Online-Vermittlungsplattform und dem separat abzuschließenden Vertrag mit dem jeweiligen Leistungserbringer. Die Interaktion mit einer Online-Plattform kann zu einem Dienstleistungsvertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber führen, ersetzt aber weder die ärztliche Aufklärungspflicht noch die für einen Heilbehandlungsvertrag notwendigen persönlichen Erklärungen zwischen Patient und behandelnder Praxis.
Auswirkungen auf das Patientenrecht und unternehmerische Risiken
Für Patienten bedeutet dieser Ansatz eine zusätzliche Rechtssicherheit, da ohne vorherigen persönlichen Kontakt und medizinische Beratung keine bindende Verpflichtung zur Aufnahme einer Heilbehandlung entsteht. Für Praxen und Anbieter digitaler Gesundheitsdienstleistungen ergibt sich wiederum, dass besondere Sorgfalt auf die Gestaltung der Online-Kommunikation gelegt werden muss, um Transparenz und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Praktische Folgen für digitale Vermittlungsprozesse im Gesundheitswesen
Schutzbedarf beim Abschluss medizinischer Behandlungsverträge
Das Urteil bestätigt die in § 630e BGB normierten hohen Anforderungen an die ärztliche Aufklärung und die Notwendigkeit eines persönlichen Kontakts. Dadurch werden Patienten vor übereilten Vertragsschlüssen und vor Missverständnissen über Leistungsumfang und Risiken geschützt. Zugleich bleiben Behandler vor überzogenen Forderungen nach „Online-Bestellungen“ medizinischer Leistungen bewahrt, solange keine vollständige Arzt-Patienten-Kommunikation erfolgt ist.
Gestaltungshinweise für Marktplatzbetreiber und Heilberufler
Die Entscheidung des Amtsgerichts München legt nahe, dass Online-Plattformen, die als Vermittler zwischen Patienten und Leistungserbringern agieren, ihre Kundenkommunikation klar differenzieren sollten: Es sollte deutlich erfolgen, dass etwaige Angaben oder Klicks lediglich einen Termin- oder Angebotserwartungsprozess, keinen rechtsverbindlichen Behandlungsvertrag auslösen.
Relevanz für Unternehmen und Investoren im digitalen Gesundheitsmarkt
Die zunehmende Digitalisierung von Gesundheitsdienstleistungen erhöht die Komplexität der zivilrechtlichen Vertragsbeziehungen erheblich. Investoren und Unternehmen im Gesundheitssektor sind, vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Entscheidungen, gut beraten, die Schnittstellen zwischen Patienten, Plattform und medizinischen Leistungserbringern mit rechtssicherer Transparenz zu gestalten.
Fazit
Die Entscheidung des Amtsgerichts München schafft Klarheit für alle Beteiligten im digitalen Gesundheitswesen: Der Klick auf einen vermeintlich „verbindlichen“ Bestell-Button auf einer Online-Plattform genügt nicht, um einen Heilbehandlungsvertrag zu begründen. Der persönliche Austausch, die Erhebung und Beurteilung medizinischer Befunde sowie die individuelle Aufklärung bleiben auch im Zeitalter der Digitalisierung unverzichtbare Voraussetzungen für das wirksame Zustandekommen eines Behandlungsvertrages.
Bei weitergehenden Fragestellungen im Zusammenhang mit der vertraglichen Ausgestaltung und Abwicklung digitaler Vermittlungs- und Behandlungsprozesse stehen die Ansprechpartner bei MTR Legal zur Verfügung.
Quelle: Urteil des AG München, Az. 231 C 1839/22, Stand: 02.07.2024