Auswirkungen eines vertraglich vereinbarten Eigenbedarfskündigungsausschlusses bei Erwerb einer Wohnimmobilie im Wege der Zwangsversteigerung
Die Regelung der Eigenbedarfskündigung im Mietrecht ist eine zentrale Frage des Mieterschutzes und der Eigentümerinteressen. Insbesondere dann, wenn in einem Mietvertrag die ordentliche Kündigung zum Zwecke des Eigenbedarfs durch eine entsprechende Individual- oder Formularabrede ausgeschlossen wird, entsteht häufig Unsicherheit hinsichtlich der Reichweite solcher Abreden im Falle eines Eigentumsübergangs. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 8. Januar 2024, Az. VIII ZR 76/20) hat diese Thematik im Kontext eines Erwerbs durch Zwangsversteigerung vertieft beleuchtet.
Hintergrund und rechtlicher Rahmen
Gesetzliche Kündigungstatbestände und vertragliche Modifikationen
Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist geregelt, dass der Vermieter einer Wohnimmobilie ein Mietverhältnis grundsätzlich auch dann ordentlich kündigen kann, wenn er an der Nutzung ein berechtigtes Interesse – insbesondere Eigenbedarf (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) – nachvollziehbar geltend macht. Häufig jedoch vereinbaren Vermieter und Mieter im Mietvertrag einen Ausschluss der Eigenbedarfskündigung, sei es unbefristet oder für einen bestimmten Zeitraum. Dies dient dem Mieter zur Erhöhung der Planungssicherheit und der kontinuierlichen Nutzung der angemieteten Räume.
Dem gegenüber steht die besondere Regelung des § 57a ZVG (Zwangsversteigerungsgesetz), nach der der Erwerber einer Immobilie im Rahmen der Zwangsversteigerung ein Sonderkündigungsrecht hat, das nicht vom Vorliegen eines berechtigten Interesses abhängig ist. Dies eröffnet erheblich weitergehende rechtliche Möglichkeiten der Vertragsbeendigung seitens des Erstehers.
Sonderstellung des Erwerbs durch Zwangsversteigerung
Der gesetzgeberische Zweck von § 57a ZVG liegt in der intendierten Steigerung der Attraktivität und Praktikabilität von Zwangsversteigerungen: Erwerber sollen nicht durch bestehende mietvertragliche Bindungen gehindert werden, insbesondere wenn sie die Immobilie zur Eigennutzung erwerben. Das Sonderkündigungsrecht besteht auch dann, wenn im ursprünglichen Mietvertrag ein Ausschluss der Kündigung, auch des Eigenbedarfs wegen, vereinbart wurde. Diese gesetzliche Regelung beruht auf Erwägungen der Rechtssicherheit sowie der Vermeidung von Wertminderungen der Immobilie im Ersteigerungsfall.
Zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Sachverhalt und strittige Rechtslage
Im zugrunde liegenden Fall war im Mietvertrag zwischen dem Voreigentümer und dem Mieter jegliche ordentliche Kündigung – einschließlich solcher aus Gründen des Eigenbedarfs – vertraglich ausgeschlossen worden. Im Zuge der Zwangsversteigerung erwarb der neue Eigentümer die Immobilie und sprach unter Berufung auf § 57a ZVG eine Kündigung des Mietverhältnisses aus.
Die Mieterin hielt dem entgegen, dass der im Mietvertrag verankerte Ausschluss der Eigenbedarfskündigung auch gegenüber dem Ersteher bindend sei. Insbesondere sei das aus mieterschützenden Erwägungen vereinbarte Kündigungsbeschränkung nicht durch ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht auszuhebeln.
Rechtliche Würdigung und Entscheidungsgründe
Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass das gesetzlich verankerte Sonderkündigungsrecht des § 57a ZVG von individuellen vertraglichen Einschränkungen oder Ausschlüssen grundsätzlich unberührt bleibt. Eine im Mietvertrag vereinbarte Restriktion der ordentlichen Kündigung – auch speziell zum Eigenbedarf – wirkt nicht gegenüber dem Ersteher einer Immobilie im Rahmen der Zwangsversteigerung.
Diese Rechtsauffassung stützt sich insbesondere darauf, dass § 57a ZVG eine zwingende Sondernorm darstellt, die dem Erwerber im Falle der Versteigerung zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes und um eine reelle Verwertbarkeit des Erwerbsobjekts zu gewährleisten, gegenüber allen vertraglichen Abreden ein Sonderkündigungsrecht einräumt.
Es liegt – so der Bundesgerichtshof – ebenso wenig eine unangemessene Benachteiligung des Mieters i.S.d. § 307 BGB vor, da der Gesetzgeber gerade für die besondere Konstellation des Zwangsversteigerungserwerbs eine weitergehende Kündigungsmöglichkeit eröffnet hat. Der Mieterschutz findet seine Grenze in dieser spezialgesetzlichen Ausnahmebestimmung.
Dogmatische Einordnung und Relevanz für die Gestaltung der Mietverhältnisse
Abgrenzung: Ordentliches, außerordentliches und Sonderkündigungsrecht
Es ist sorgfältig zu unterscheiden zwischen einer ordentlichen Kündigung nach den mietrechtlichen Bestimmungen des BGB (z.B. aus Eigenbedarf oder wirtschaftlicher Verwertung), einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund und der Sonderkündigung kraft Gesetzes im Ersteigerungsfall. Die Möglichkeit, durch Vertrag die ordentliche Kündigung einzuschränken oder auszuschließen, bleibt dem Parteiwillen grundsätzlich vorbehalten. Im Kontext des Zwangsversteigerungserwerbs läuft sie jedoch leer, weil das Gesetz die Interessen des Erstehers in den Vordergrund stellt.
Bedeutung für Investoren und Unternehmen
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bringt für Investoren, Unternehmen und vermögende Privatpersonen, die beabsichtigen, Wohnimmobilien im Wege der Zwangsversteigerung zu erwerben, zusätzliche Planungssicherheit. Denn der Erwerb bleibt unabhängig von mietvertraglichen Beschränkungen weiterhin verwertbar. Gleichwohl ist für Eigentümer und potentielle Mieter eines Objekts deutlich, dass mieterschützende Vereinbarungen hinsichtlich der ordentlichen Kündigung durch den gesetzlichen Sondertatbestand des § 57a ZVG durchbrochen werden können. Im Hinblick auf die Vertragsgestaltung empfiehlt sich daher erhöhte Sensibilität für die Implikationen eines potentiellen Erwerbs aus der Zwangsversteigerung heraus – sowohl für den Bestandsschutz als auch für die künftige Nutzbarkeit der Immobilie.
Fazit und Ausblick
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner jüngsten Entscheidung eine für die immobilienwirtschaftliche Praxis bedeutsame Klarstellung getroffen: Der Erwerber einer Wohnimmobilie im Wege der Zwangsversteigerung kann unabhängig von einem vertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss von seinem gesetzlichen Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit, mietvertragliche Regelungen und deren Grenzen im Fall eines Eigentumsübergangs kritisch zu hinterfragen und im Kontext der Zwangsversteigerung angemessen zu berücksichtigen. Entsprechend sollten alle Beteiligten die spezifischen Rahmenbedingungen bei anstehenden Transaktionen sorgfältig analysieren.
Für vertiefende Fragestellungen rund um den Erwerb von Wohnimmobilien, bestehende Mietverhältnisse und die Wirkung vertraglicher Abreden im Rahmen von Zwangsversteigerungen empfiehlt es sich, auf eine fundierte rechtliche Expertise im Immobilienrecht zurückzugreifen. Weitere Informationen finden Sie unter dem Stichwort Rechtsberatung im Immobilienrecht.