Haftungsrisiken für Ingenieure bei fehlerhafter Wirtschaftlichkeitsberatung zu Solaranlagen im Wohnungseigentumsrecht
Die Wirtschaftlichkeitsprüfung von Investitionen in erneuerbare Energien, wie Photovoltaikanlagen, stellt Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) vor komplexe Herausforderungen. In der Praxis verlassen sich diese Gemeinschaften häufig auf die Kompetenz technischer Berater. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Az.: 22 U 66/21, veröffentlicht am 13.01.2025) verdeutlicht, dass Ingenieure bei der Beratung zu solchen Projekten weitreichende Haftungspflichten treffen können – insbesondere, wenn wirtschaftliche Berechnungen und Empfehlungen sich nachträglich als fehlerhaft oder unvollständig erweisen.
Sachverhalt und Ausgangslage
Im konkreten Fall hatte eine WEG einen Ingenieur mit der Erstellung eines technischen Gutachtens beauftragt, um die Entscheidung über den Erwerb und Betrieb einer Photovoltaikanlage auf dem gemeinschaftlichen Gebäudedach fundiert zu treffen. Zentrale Aufgabe des Ingenieurs war es, eine fundierte wirtschaftliche Bewertung abzugeben, insbesondere im Hinblick auf die Rentabilität und den langfristigen Nutzen der Solaranlage.
Die wirtschaftlichen Erwartungen, die die Eigentümergemeinschaft an die Anlage geknüpft hatte, basierten maßgeblich auf den im Gutachten des Ingenieurs aufgezeigten Prognosen zu Stromerträgen, Eigenverbrauch, Einspeisung ins Netz und zu erwartenden laufenden Kosten. Nach der Inbetriebnahme zeigte sich allerdings rasch, dass die tatsächlichen Einnahmen aus der Anlage weit hinter den im Gutachten prognostizierten Zahlen zurückblieben.
Umfang und Grenzen der Haftung
Anforderungen an das wirtschaftliche Gutachten
Das OLG Düsseldorf stellte klar, dass Ingenieure, die im Rahmen ihres Auftrags auch wirtschaftliche Bewertungen zu geplanten Investitionen abgeben, über eine rein technische Darstellung hinausgehen. Sie schulden der WEG eine Beratung, die sämtliche für die Wirtschaftlichkeit relevanten Aspekte abbildet. Hierzu zählen nicht nur die technische Umsetzbarkeit und Funktionstauglichkeit der Solaranlage, sondern auch die realistische Berücksichtigung von Marktpreisen, Energiepreisentwicklung, staatlichen Förderungen, potenziellen Betriebskosten und steuerlichen Rahmenbedingungen.
Im vorliegenden Verfahren wurde dem Ingenieur vorgeworfen, zentrale wirtschaftliche Parameter falsch eingeschätzt zu haben. Dies führte nicht nur dazu, dass die Eigentümergemeinschaft von falschen Renditeerwartungen ausging, sondern auch finanzielle Nachteile erlitt.
Abgrenzung zwischen technischer und wirtschaftlicher Beratung
Das Gericht hob hervor, dass ein Ingenieur, der explizit mit einer Wirtschaftlichkeitsprognose beauftragt wird, nicht wie ein Finanzdienstleister, jedoch mit erhöhten Sorgfaltsanforderungen agiert. Er haftet für Beratungsfehler, die geeignet sind, Fehlentscheidungen über Investitionen herbeizuführen (sog. Schutzwirkung zugunsten Dritter gemäß § 328 Abs. 1 BGB).
Dabei besteht die Pflicht, die wirtschaftlichen Berechnungen nach objektiven Maßstäben unter Auswertung aller zur Verfügung stehenden Daten und in realistischer Einschätzung der Marktlage vorzunehmen. Werden Parameter – etwa zu Einspeisevergütungen oder Betriebskosten – zu optimistisch angesetzt und infolgedessen eine Fehleinschätzung vermittelt, kann dies eine Haftung des Beraters gegenüber der WEG begründen.
Schutzwirkungen im Sinne der Wohnungseigentümergemeinschaft
Das OLG Düsseldorf bestätigte die Haftung des Ingenieurs für den entstandenen finanziellen Schaden. Es betonte, dass Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag nicht nur gegenüber dem Auftraggeber, sondern auch gegenüber den einzelnen Wohnungseigentümern bestehen, wenn deren Vermögensinteresse von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Beratung unmittelbar betroffen ist.
Auswirkungen auf die Beratungspraxis
Bedeutung für Planungsbüros und Ingenieurbüros
Das Urteil unterstreicht die Pflicht zur umfassenden und substantiellen Aufklärung über Chancen und Risiken erneuerbarer Energien, wenn Dienstleistungen nicht auf rein technische Auskünfte beschränkt sind. Ingenieure sollten daher nicht nur aktuelle Marktdaten einholen, sondern auch die Entwicklung von Förderregimen, Preisvolatilitäten auf Energiemärkten und regulative Veränderungen einbeziehen.
Das Urteil kritisiert insbesondere die Annahme pauschaler Prognosen und empfiehlt eine individuelle Betrachtung des Projektstandorts, der tatsächlichen Rahmenbedingungen und etwaiger Veränderungen während der Projektlaufzeit. Die gebotene Beratungstiefe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Verflechtung von technischen und wirtschaftlichen Fragestellungen
Bei Projekten, bei denen Technik und Wirtschaftlichkeit ineinandergreifen – wie dies regelmäßig bei Solaranlagen der Fall ist – besteht eine erhöhte Pflicht, die Wechselwirkungen dieser Systeme offen und detailliert zu kommunizieren. Fehler in der Kostenkalkulation oder unrealistische Annahmen zur Produktion und Einspeisung von Strom sind geeignet, die Gesamtentscheidung der Gemeinschaft zu beeinflussen.
Eine Einschränkung der Haftung ist lediglich möglich, wenn der Berater diese transparent mit dem Auftraggeber vereinbart, auf Unsicherheiten ausdrücklich hinweist und der Auftraggeber sich dieser Risiken bewusst ist.
Rechtliche Einordnung und weiterführende Aspekte
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf steht in Übereinstimmung mit vorangegangener Rechtsprechung zur Beratungs- und Sorgfaltspflicht von Dienstleistenden mit wirtschaftlicher Expertise in technischen Fragen. Die Haftung wegen fehlerhafter Empfehlungen kann je nach Sachlage nicht nur für unmittelbare Schäden, sondern auch für vermögenswerte Folgeschäden der Gemeinschaft begründet werden.
Offen bleibt in vergleichbaren Fällen, ob und in welchem Umfang die Haftpflichtversicherung des Ingenieurs für solche Schäden eintritt oder Versorgungslücken entstehen können. Damit stellt das Urteil nicht nur Anforderungen an Berater, sondern veranlasst auch Auftraggeber, die Gestaltung von Verträgen und Prüfmechanismen kritisch zu prüfen.
Hinweis auf laufende Verfahren und Transparenz
Die Darstellung basiert auf der zum Urteil des OLG Düsseldorf veröffentlichten Entscheidung vom 13. Januar 2025 (Az.: 22 U 66/21, abrufbar unter https://urteile.news/OLG-Duesseldorf_22-U-6621_Ingenieur-haftet-gegenueber-Wohnungseigentuemergemeinschaft-wegen-fehlerhafter-Beratung-zur-Wirtschaftlichkeit-einer-Solaranlage~N34699). Im Falle von weiterführenden Verfahren gilt die Unschuldsvermutung, Rechtsmittel stehen weiterhin zur Verfügung.
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