Urteil des OLG Frankfurt am Main: Plattformhaftung für rechtswidrige Nutzerinhalte
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Entscheidung vom 26. Januar 2024 (Az. 16 U 65/22) ein bedeutendes Urteil zur Verantwortung von Social-Media-Plattformen für rechtswidrige Inhalte Dritter gefällt. Im Zentrum des Falles stand ein Unterlassungs- und Löschungsbegehren der Bundestagsabgeordneten Renate Künast gegenüber Meta Platforms Ireland Limited, dem Betreiber von „Facebook”. Die Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Frage, inwieweit Plattformbetreiber für beleidigende und ehrverletzende Nutzerbeiträge verantwortlich gemacht werden können.
Sachverhalt und Verfahrensgang
Ausgangslage
Renate Künast sah sich auf der Plattform Facebook Äußerungen ausgesetzt, die sie als beleidigend und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt betrachtete. Die in Anspruch genommene Plattformbetreiberin wurde nach entsprechender Meldung zum Entfernen der betreffenden Inhalte aufgefordert. Da keine zeitnahe und vollumfängliche Löschung erfolgte, wandte sich Künast im Wege eines Unterlassungs- und Löschungsantrags an das Landgericht, das ihrer Klage zunächst teilweise stattgab. Meta Platforms legte hiergegen Berufung ein.
Rechtlicher Hintergrund
Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Plattformbetreiber nach §§ 1004, 823 BGB analog sowie unter Berücksichtigung telemedienrechtlicher Vorschriften zur Unterlassung und Löschung verpflichtet ist, wenn durch von Dritten veröffentlichte Inhalte die Rechte von Persönlichkeitsrechte Dritter, etwa in Form von Beleidigungen, verletzt werden. Besondere Relevanz hatte hierbei die Beurteilung, inwieweit der Anbieter in Störerhaftung genommen werden kann und wie die Prüf- und Reaktionspflichten nach dem Eingang einer Beschwerde ausgestaltet sind.
Entscheidung des OLG Frankfurt am Main
Umfang der Prüfpflichten
Das Oberlandesgericht bekräftigte, dass kommerzielle Plattformbetreiber, denen Beanstandungen von rechtswidrigen Inhalten angezeigt werden, unverzüglich und sorgfältig prüfen müssen, ob eine Rechtsverletzung vorliegt. Dies umfasst nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Bewertungen. Das OLG stellte klar, dass eine bloße Zurkenntnisnahme des gemeldeten Beitrags und dessen isolierte Prüfung nicht ausreichend ist. Vielmehr sei der Kontext zu berücksichtigen, der sich etwa durch Kommentare, Verknüpfungen oder zur Verfügung stehende Hintergrundinformationen ergeben kann.
Haftung und Unterlassungsansprüche
Im konkreten Fall sah das Gericht die rechtliche Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung überschritten. Die als beleidigend eingestuften Inhalte hätten nach Beanstandung ohne schuldhaftes Zögern entfernt werden müssen. Der Plattformbetreiber handelte nach Auffassung des OLG pflichtwidrig, indem er die Löschung unterließ bzw. unvollständig umsetzte. Das Gericht bejahte eine Haftung der Plattform für unterbliebene oder verspätete Löschungen ab Zugang einer qualifizierten Meldung.
Löschung von „Kerngleichen” Inhalten
Ein zentraler Punkt der Entscheidung war zudem, dass die Betreiberin nicht nur verpflichtet ist, den konkret gemeldeten Inhalt zu löschen, sondern darüber hinaus auch kerngleiche Verstöße auf ihrer Plattform eigenständig zu unterbinden. Damit trifft die Plattform eine Proaktivpflicht, nach Eingreifen einer Störung künftig auch ähnliche Angriffe auf Persönlichkeitsrechte desselben Umfangs zu beseitigen. Das OLG betonte zugleich, dass eine Vollautomatisierung der Prüfung nicht den Anforderungen an eine sorgfältige Bearbeitung genügt.
Auswirkungen und Einordnung
Bedeutung für Plattformbetreiber
Dieses Urteil konkretisiert und erweitert die Sorgfalts- und Prüfungspflichten von Plattformbetreibern. Für Unternehmen im Social-Media-Bereich steigt damit die Verantwortung, gemeldete Rechtsverletzungen rasch und umfassend zu bearbeiten. Die Entscheidung schafft insbesondere Präzedenzwirkung für Fälle, in denen sich Tathandlungen – etwa in Form von Beleidigungen oder Verleumdungen – in strukturell vergleichbarer Weise in unterschiedlichen Beiträgen wiederholen.
Persönlichkeitsrechtlicher Schutz
Für betroffene Nutzerinnen und Nutzer, deren Rechte durch beleidigende Veröffentlichungen auf sozialen Netzwerken verletzt werden, stärkt das Urteil die Möglichkeit, ihre Schutzansprüche wirksam durchzusetzen und nicht nur auf formale Löschungen, sondern auch auf nachhaltige Unterbindung von Folge-Postings zu bestehen.
Weiterer Verfahrensgang und Hinweis zur Rechtslage
Abschließend ist zu beachten, dass auch gegen das Urteil des OLG Frankfurt die Möglichkeit weiterer Rechtsmittel bestehen kann. Die Einhaltung datenschutz- und medienrechtlicher Regelungen sowie das Zusammenspiel mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz bleiben in solchen Konstellationen weiterhin von erheblicher Bedeutung. Die Entscheidung bezieht sich auf einen spezifischen Einzelfall und ist stets im Kontext der individuellen Umstände sowie weiterer höchstrichterlicher Rechtsprechung zu würdigen.
Quelle: Urteil OLG Frankfurt am Main, Az. 16 U 65/22; Stand: Februar 2024
Mit Blick auf die ständig wachsenden Herausforderungen im Bereich des Äußerungsrechts sowie der Plattformhaftung empfiehlt es sich, bei komplexen rechtlichen Fragestellungen zu Rechtsverletzungen im Internet und zur Haftung von Plattformen eine anwaltliche Begleitung in Erwägung zu ziehen. Die Rechtsanwälte von MTR Legal verfügen über breite Erfahrung in den einschlägigen Rechtsgebieten und unterstützen Unternehmen wie Einzelpersonen bei der Durchsetzung und Verteidigung ihrer Rechte.