Löschungsverpflichtung sozialer Netzwerke bei Hass-Accounts – Maßgebliche Entscheidung des OLG Frankfurt
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 30.06.2025 (Az.: 16 U 5/24, noch nicht rechtskräftig) eine für soziale Netzwerke praxisbedeutsame Entscheidung getroffen. Die Richter bejahten unter bestimmten Voraussetzungen die Pflicht eines Betreibers, beleidigende Benutzerkonten vollständig zu entfernen und nicht lediglich beanstandete Einzelbeiträge zu löschen.
Sachverhalt: Konfrontation mit umfangreicher Persönlichkeitsrechtsverletzung
Im zugrundeliegenden Fall war die Klägerin Ziel wiederholter und gravierender Beleidigungen, Demütigungen und Diffamierungen über die Plattform Facebook. Die Kommentare wurden von einem einzelnen Nutzer, dessen Profil eigens dazu angelegt worden war, um die Klägerin herabzuwürdigen und anzugreifen, veröffentlicht. Trotz Beanstandungen durch die Betroffene wurden von dem Netzwerkbetreiber zunächst ausschließlich die betreffenden Posts entfernt. Das beanstandende Nutzerprofil – ein sogenannter sog. „Hass-Account“ – blieb indes weiter online.
Daraufhin verlangte die Klägerin die vollumfängliche Löschung des gesamten Nutzeraccounts. Sie argumentierte, dass allein die Entfernung der beleidigenden Beiträge dem Schutz ihrer Rechte nicht ausreichend Rechnung trage, da der Account ausschließlich auf die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte ausgerichtet sei.
Zentrale rechtliche Erwägungen des Oberlandesgerichts
Das OLG Frankfurt stellte fest, dass die situative Betrachtung geboten sei. Die bloße Löschung einzelner Inhalte könne im Einzelfall nicht genügen, wenn das Nutzerprofil nahezu ausschließlich zum Zweck der Herabsetzung und Beleidigung betrieben werde. In solchen Konstellationen sei das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person derart massiv und fortgesetzt verletzt, dass dem Plattformbetreiber weitergehende Pflichten auferlegt werden könnten.
Abwägung verfassungsrechtlich geschützter Positionen
Das Gericht stellte außerdem die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen Kommunikationsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz in den Mittelpunkt. Während die Betreiber sozialer Netzwerke grundsätzlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in Meinungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung Rechnung tragen müssen, trete dieser Grundsatz zurück, wenn das beanstandete Profil ausschließlich zur Schädigung und Diffamierung Dritter fungiere. Hier überwiegt das Interesse auf wirksamen Schutz vor persisitierenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen.
Die Entscheidung hebt hervor, dass ein Plattformbetreiber rechtlich verpflichtet sein kann, den Zugang eines Accounts endgültig zu beenden, sofern die Nutzung ausschließlich auf rechtswidrige Angriffe und nicht auf sonstige Kommunikationsinteressen gerichtet ist.
Technische und tatsächliche Kontrollmöglichkeiten als Maßstab
Das Gericht betonte zudem, dass die Verpflichtung zur Accountlöschung im Rahmen der technischen und tatsächlichen Kontrollmöglichkeiten des Betreibers verbleiben müsse. Insbesondere sei eine Identifikation solcher Hass-Accounts möglich, wenn das Verhalten des Accounts ein herabwürdigendes und beleidigendes Gesamtbild zeige, das durch die Löschung einzelner Beiträge nicht beseitigt werden könne.
Auswirkungen für Plattformbetreiber und Betroffene
Mit diesem Urteil verdeutlicht das OLG Frankfurt, dass die Verantwortlichkeit für den Schutz der Persönlichkeitsrechte auf digitalen Plattformen nicht bei der einfachen Löschung einzelner Postings endet. Betreiber müssen im konkreten Einzelfall bewerten, ob einzelne Accounts als Instrument wiederholter Rechtsverletzungen fungieren und gegebenenfalls deren vollständige Deaktivierung erwägen.
Relevanz für Unternehmen und Privatpersonen
Das Urteil betrifft neben Betroffenen, die von sogenannten Hass-Accounts angegriffen werden, auch Unternehmen, Influencer und öffentliche Persönlichkeiten, die regelmäßig Opfer derartiger Angriffe werden können. Gerade im Rahmen von unternehmensbezogenen Bewertungen und Stellungnahmen auf Plattformen wie Facebook kann sich aus der Rechtsprechung eine neue Dimension der Plattformhaftung und Präventionspflichten ergeben.
Hinweise zur Rechtssicherheit und Prozesslage
Zu beachten ist, dass Entscheidungen wie diese maßgeblich Einzelfallcharakter tragen und von weiteren Entwicklungen in der Rechtsprechung der Instanzgerichte sowie im Lichte europarechtlicher Vorgaben – etwa durch die Novellierung des Digital Services Act (DSA) – beeinflusst werden können. Das Verfahren betraf einen konkreten Streitfall; endgültige Klarheit, insbesondere über die Reichweite der Prüf- und Löschpflichten großer Plattformen, dürfte erst im Instanzenzug geschaffen werden.
Quellenangabe
Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Az.: 16 U 5/24) vom 30.06.2025 ist auf urteile.news dokumentiert: