Entscheidungsgründe des LG Karlsruhe: Zulässigkeit von Benachrichtigungen über ungelesene Facebook-Beiträge
Das Landgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 24. Januar 2022 (Az.: 13 O 32/2 KfH O) eine bedeutsame Klärung hinsichtlich der datenschutzrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von Benachrichtigungsfunktionen auf sozialen Netzwerken vorgenommen. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Fragestellung, ob die Plattform Facebook ihren Nutzenden prominente Hinweise zu ungelesenen Beiträgen anzeigen darf.
Hintergrund des Rechtsstreits
Gegenstand des Gerichtsverfahrens war die Praxis der Plattform, angemeldeten Mitgliedern im Kopfbereich der Nutzeroberfläche deutlich sichtbare Hinweise wie „1 ungelesene Nachricht“ einzublenden. Ein Wettbewerbsverband sah hierin einen unzulässigen, irreführenden und den Interessen der Verbrauchenden widersprechenden Verhaltensakt nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sowie nach datenschutzrechtlichen Grundsätzen.
Rechtliche Erwägungen des Gerichts
Das Landgericht würdigte die Benachrichtigung kritisch und prüfte deren Vereinbarkeit mit geltendem Recht ausführlich. Insbesondere ging es um die potenzielle Irreführung der Nutzerinnen und Nutzer sowie mögliche Verstöße gegen datenschutzrechtliche und unternehmerische Sorgfaltspflichten.
Keine Irreführung im Verkehr
Das Gericht verneinte eine wettbewerbswidrige Irreführung. Maßgeblich war, dass der Hinweis auf „ungelesene Neuigkeiten“ dem objektiven Empfängerhorizont entspricht und damit beim durchschnittlichen Nutzenden keine falschen Vorstellungen geweckt werden. Denn die Benachrichtigung spiegle lediglich wider, dass noch nicht zur Kenntnis genommene Inhalte vorlägen – unabhängig von deren inhaltlicher oder persönlicher Relevanz.
Abgrenzung zu aggressiver Geschäftspraktik
Ferner wurde geprüft, ob die Gestaltung und Platzierung der Hinweise als unangemessen aufdringlich oder belästigend angesehen werden könnten. Das Gericht stellte jedoch klar, dass der Hinweis selbst keinen psychischen Druck oder unangemessene Einflussnahme erzeuge. Die Nutzerinnen und Nutzer sind laut den Ausführungen des Gerichts hinreichend an die Dynamik sozialer Netzwerke gewöhnt und können Werbehinweise wie diesen in der Regel sachgerecht einordnen. Die Gestaltung des Hinweises fällt daher nach Ansicht des Landgerichts nicht unter eine unzumutbare Belästigung.
Datenschutzrechtliche Aspekte
Im Rahmen datenschutzrechtlicher Belange thematisierte das Gericht abschließend die Frage, ob die Verwendung solcher Benachrichtigungen eine über den Nutzungszweck hinausgehende Datenverarbeitung darstellen könnte. Es betonte, dass im vorliegenden Zusammenhang keine zusätzliche Erhebung oder Verwertung personenbezogener Daten erfolge; vielmehr handele es sich um eine Anzeige basierend auf den bereits in der Plattform vorhandenen Nutzungsdaten.
Bedeutung der Entscheidung für Anbieter digitaler Dienste
Die aktuelle Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe verdeutlicht, dass Hinweisfunktionen in Online-Diensten, sofern sie transparent gestaltet und in ihrem Aussagegehalt für die Adressaten ohne weiteres verständlich sind, regelmäßig keine Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht oder Datenschutzregeln begründen. Vielmehr wird Anbieterinnen und Anbietern damit ein gewisser Gestaltungsspielraum bei der Gestaltung ihrer Nutzeroberflächen eingeräumt. Die individuelle Bewertung bleibt jedoch stets abhängig vom konkreten Einzelfall, insbesondere von der Formulierung, Darstellung und Frequenz solcher Hinweise sowie von den Erwartungen der jeweiligen Nutzerbasis.
Einordnung und Ausblick
Das Urteil stellt eine wichtige Orientierungshilfe für die Entwicklung und Implementierung von Interaktions- und Benachrichtigungsmechanismen in sozialen Medien und vergleichbaren digitalen Angeboten dar. Die abschließende Klärung, ob und inwieweit einzelne Gestaltungsmerkmale wettbewerbs- oder datenschutzrechtlich relevant werden können, bleibt allerdings der fortlaufenden Rechtsprechung und den jeweiligen Umständen des Einzelfalls vorbehalten. Unternehmen sollten daher die Rechtsprechung weiterhin aufmerksam verfolgen und regelmäßig überprüfen, ob ihre eingesetzten Funktionalitäten im Einklang mit den geltenden Vorgaben stehen.
Hinweis zu laufenden Entwicklungen
Es ist zu beachten, dass diese rechtliche Einschätzung auf der zum Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage beruht. Gesetzesänderungen sowie weiterführende höchstrichterliche Entscheidungen können zukünftige Bewertungen verändern. Die weitere Entwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung bleibt daher abzuwarten.
Für Unternehmen, digitale Plattformen und betroffene Marktteilnehmer kann eine sichere rechtliche Einordnung entsprechender Hinweise und Benachrichtigungspraktiken von erheblicher Bedeutung sein. Bei Fragestellungen zu zulässigen Kommunikationsmechanismen auf Plattformen, Fragen aus dem Datenschutzrecht oder dem Lauterkeitsrecht stehen die Rechtsanwälte von MTR Legal gerne für eine individuelle Prüfung und Bewertung der jeweiligen Sachlage zur Verfügung.