Ermittlungsverfahren und deren Erwähnung im Arbeitszeugnis: Zwischen Fürsorgepflicht und Persönlichkeitsrecht
Die arbeitsrechtliche Einordnung von Verdachtsmomenten, insbesondere strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, steht regelmäßig im Spannungsfeld zwischen dem Schutz betroffener Arbeitnehmer und einem berechtigten Informationsinteresse des Arbeitgebers sowie potenzieller Folgearbeitgeber. Das Arbeitsgericht Siegburg (Urt. v. 21.08.2024 – 5 Ca 1465/24) hatte nunmehr über die Reichweite solcher Angaben exemplarisch am Fall eines Sozialarbeiters zu befinden, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder geführt wurde und dessen Erwähnung im Arbeitszeugnis streitig war.
Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und berechtigten Interessen des Arbeitgebers
Grundausstattung und Grenzen des Arbeitszeugnisses
Das Arbeitszeugnis genießt im deutschen Arbeitsrecht eine hervorgehobene Bedeutung. Es soll dem Arbeitnehmer nicht unnötig den weiteren beruflichen Werdegang erschweren („wohlwollendes Zeugnis”), darf aber keine unrichtigen oder beschönigenden Angaben enthalten. Das Zeugnis soll vielmehr ein wahrheitsgemäßes Bild vermitteln, das künftige Arbeitgeber sachgerecht über Wesentliches informiert. Die Erwähnung von Straftaten, Vorwürfen oder laufenden Ermittlungsverfahren ist nur dann zulässig, wenn das Informationsinteresse angesichts der Tätigkeit des Arbeitnehmers und der Schwere des Vorfalls das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiegt.
Spezifikum Sozialarbeit: Besonderes Vertrauen und Schutzbedürftigkeit
Im vorliegenden Fall war der Kläger im Bereich der Sozialarbeit mit jugendlichen Schutzbefohlenen betraut. Die Arbeit mit einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe legitimiert erhöhtes Vertrauen in Integrität und Zuverlässigkeit des Personals. Gerade im Hinblick auf diese Vertrauensposition können Informationen über Ermittlungsverfahren, die einen Bezug zur konkreten Tätigkeit aufweisen – so insbesondere im sensiblen Bereich wie Vermögensdelikte im Umgang mit Mandatengeldern oder eben sexualisierte Gewalt oder Darstellungen gegenüber Kindern bei der Arbeit mit Minderjährigen – eine besondere Relevanz für nachfolgende Arbeitgeber besitzen.
Das arbeitsgerichtliche Verfahren: Reichweite der Zeugniserteilungspflicht bei laufenden Ermittlungsverfahren
Sachverhalt und rechtliche Einordnung
Ein Sozialarbeiter wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, kinderpornographisches Material besessen zu haben. Obwohl zum Zeitpunkt der Zeugniserteilung ein Ermittlungsverfahren lief, lag keine strafrechtliche Verurteilung vor. Der Arbeitgeber nahm eine Formulierung in das Zeugnis auf, wonach ein Ermittlungsverfahren wegen dieses Verdachtes existierte. Dagegen wandte sich der Arbeitnehmer mit der Begründung, es liege ein unzulässiger Makel vor und es gelte die Unschuldsvermutung.
Interessenabwägung und gerichtliche Bewertung
Das Arbeitsgericht Siegburg nahm eine Differenzierung vor: Grundsätzlich bestehe die Obliegenheit, ausschließlich nachgewiesene Tatsachen zu erwähnen. Eine Ausnahme könne dann angezeigt sein, wenn der Verdacht durch konkrete Umstände gestützt werde und die Interessen anderer – etwa zukünftiger Arbeitgeber sowie Dritter, insbesondere Schutzbedürftiger – schwer wiegen. Im Bereich der Erziehung, Betreuung oder Pflege von Minderjährigen dürfe dem Schutz dieses Personenkreises jedenfalls ein besonderes Gewicht zukommen. Gleichzeitig dürfe das Zeugnis nicht den Charakter einer Vorverurteilung einnehmen: Die Formulierung dürfe allein den formalen Stand eines laufenden Ermittlungsverfahrens wiedergeben, unter ausdrücklicher Beachtung der Unschuldsvermutung.
Die Erwähnung, dass bezüglich des Arbeitnehmers ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder laufe, wurde unter Abwägung der betroffenen Interessen als zulässig erachtet. Eine weitergehende oder wertende Angabe, insbesondere eine explizite Verdächtigung oder gar Vorverurteilung, wäre indes unzulässig.
Rechtliche Grenzen der Verdachtsberichterstattung im Arbeitszeugnis
Bedeutung der Unschuldsvermutung und Formulierungsmöglichkeiten
Die Unschuldsvermutung ist zentrales rechtsstaatliches Prinzip und verbietet es, einen Arbeitnehmer durch Formulierungen im Zeugnis als bereits schuldig erscheinen zu lassen. Die Erwähnung des rein objektiven Tatbestandes eines laufenden Ermittlungsverfahrens – ohne Wertung, ohne Andeutung persönlicher Schuld oder moralischer Verurteilung – kann jedoch im Ausnahmefall, jedenfalls bei Tätigkeiten mit besonderem Vertrauens- und Schutzgutbezug, zulässig sein. Maßgeblich bleibt stets die stringente Interessenabwägung des Einzelfalles.
Ausstrahlungswirkung auf die Praxis der Zeugniserteilung
Das Urteil verdeutlicht, dass Arbeitgeber in besonders gelagerten Fällen nicht nur zur Fürsorge gegenüber dem ausscheidenden Mitarbeiter verpflichtet sind, sondern auch das Schutzinteresse der Allgemeinheit und nachfolgender Arbeitgeber berücksichtigen dürfen und müssen. Für Arbeitsverhältnisse mit besonderem Schutzgutbezug kann die Erwähnung des Verlaufs eines Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt sein, sofern die Formulierungen ausschließlich sachlich, abwägend und unter strikter Wahrung der Unschuldsvermutung gewählt werden.
Fazit
Das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg verdeutlicht die Besonderheiten im Umgang mit sensiblen Verdachtslagen im Kontext des Zeugniserteilungsrechts. Während der Grundsatz der wohlwollenden und wahrheitsgemäßen Zeugniserteilung fortbesteht, kann bei Tätigkeiten mit herausgehobenem Schutzgutbezug das Informationsinteresse unter strengen Maßgaben die Erwähnung eines laufenden Ermittlungsverfahrens rechtfertigen – nicht jedoch jede wertende Darstellung.
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Quelle: Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 21.08.2024 (Az. 5 Ca 1465/24), abrufbar unter https://urteile.news/ArbG-Siegburg_5-Ca-146524_Ermittlungsverfahren-wegen-des-Besitzes-kinderpornographischer-Bilder-darf-bei-einem-Sozialarbeiter-im-Arbeitszeugnis-erwaehnt-werden~N35458. Hinweis: Es handelt sich um ein erstinstanzliches Urteil. Die Unschuldsvermutung gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung.