Einführung: Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch und Erbrecht
Seit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besteht für betroffene Personen ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber datenverarbeitenden Stellen gemäß Art. 15 DSGVO. Dieses Recht ermöglicht es natürlichen Personen, insbesondere Einzelheiten zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu erfragen. In der anwaltlichen Praxis gewinnt die Frage zunehmend an Relevanz, wie mit solchen Auskunftsansprüchen im Todesfall des Betroffenen umzugehen ist, insbesondere im Kontext des Erbrechts. Im Folgenden werden die maßgeblichen Rechtsgrundlagen, die aktuelle Entwicklung sowie die Meinungsstände in Rechtsprechung und Literatur umfassend beleuchtet und eingeordnet.
Gesetzliche Grundlage des Auskunftsanspruchs nach DSGVO
Umfang und Inhalt des Auskunftsanspruchs
Artikel 15 DSGVO gewährt betroffenen Personen ein Recht darauf, von Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Sofern eine Verarbeitung stattfindet, hat die betroffene Person Anspruch auf Auskunft über die gespeicherten Daten, die Verarbeitungszwecke und eine Reihe sonstiger Informationen.
Besonderheiten des Auskunftsanspruchs
Der Anspruch ist ausdrücklich auf „betroffene Personen” zugeschnitten. Die personenbezogenen Daten beziehen sich grundsätzlich auf lebende natürliche Personen; eine explizite Regelung zur Anwendung des Auskunftsrechts nach dem Tod eines Betroffenen trifft die DSGVO nicht. Diese Lücke wirft verschiedene erbrechtliche und datenschutzrechtliche Folgefragen auf.
Erbrechtliche Übertragbarkeit des Auskunftsanspruchs
Grundsatz der Erbfolge
Das deutsche Zivilrecht bestimmt, dass im Todesfall einer Person deren gesamtes Vermögen einschließlich sämtlicher Rechte und Verpflichtungen per Universalsukzession auf die Erben übergeht (§ 1922 BGB). Hieraus ergibt sich die grundsätzliche Frage, ob auch datenschutzrechtliche Auskunftsansprüche Teil des Nachlasses werden und von Erben geltend gemacht werden können.
Persönlichkeitsrechtlicher Charakter und dessen Auswirkungen
Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO ist eng mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verbunden. In der Literatur und der Rechtsprechung herrscht bislang Uneinigkeit darüber, ob es sich dabei um ein höchstpersönliches Recht handelt, das nicht vererbbar ist, oder um ein vererbliches Vermögensrecht. Insbesondere wenn das Auskunftsrecht zur Durchsetzung vermögenswerter Interessen – etwa für die Prüfung von Pflichtteilsrechten oder zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen – dient, besteht ein durchaus praktisches Bedürfnis für seine Vererbbarkeit.
Erwägungen aus der DSGVO und nationale Umsetzungsakte
Die DSGVO selbst normiert in Erwägungsgrund 27, dass ihre Regelungen grundsätzlich nicht für die personenbezogenen Daten Verstorbener gelten. Gleichzeitig steht es den Mitgliedstaaten frei, entsprechende weitergehende Vorschriften für den Umgang mit Daten Verstorbener zu schaffen. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit durch § 35 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Gebrauch gemacht und hierin bestimmte Schutzregelungen für die Daten Verstorbener geschaffen – jedoch keine ausdrückliche Regelung zur Vererbbarkeit des Auskunftsrechts implementiert.
Aktuelle Rechtsprechung und Meinungsstand
Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 29.09.2023
Aktuelle Entscheidungen – etwa der Beschluss des Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg vom 29.09.2023 (Az.: 12 W 1923/23) – unterstreichen die Komplexität der Thematik. In dem zugrundeliegenden Fall wurde die Frage behandelt, ob Erben nach dem Tod einer Person einen Auskunftsanspruch gegen ein Unternehmen bezüglich der personenbezogenen Daten des Verstorbenen geltend machen können.
Das OLG Nürnberg verneinte eine generelle Vererbbarkeit des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO, da dieser insbesondere auf den Schutz lebender Personen zugeschnitten sei. Allerdings erläuterte das Gericht, dass in Einzelfällen eine Geltendmachung des Informationsinteresses der Erben im Rahmen des BDSG in Verbindung mit speziellen erbrechtlichen Interessen zulässig sein kann, etwa wenn die Daten benötigt werden, um eigene Rechte (beispielsweise Pflichtteilsansprüche) durchzusetzen.
Abweichende Stimmen in Literatur und Praxis
In der Literatur werden durchaus Stimmen vertreten, die unter Hinweis auf den Zweck der DSGVO eine restriktive Handhabung befürworten. Andere Stimmen plädieren für eine am Einzelfall orientierte Lösung, insbesondere dort, wo das berechtigte Interesse der Erben klar überwiegt oder keine entgegenstehenden Interessen des Verstorbenen oder Dritter bestehen. Insbesondere der Bedarf an Information zur Verwaltung des Nachlasses kann nach dieser Auffassung einen Übertragungs-/Geltendmachungsanspruch begründen.
Praktische Herausforderungen für datenverarbeitende Stellen
Unternehmen und andere datenverarbeitende Einrichtungen stehen vor der Herausforderung, im Einzelfall unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher, zivilrechtlicher und compliance-basierter Vorgaben abzuwägen, ob und in welchem Umfang sie Auskünfte an Erben erteilen dürfen oder müssen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit sowie mögliche Haftungsrisiken gegenüber Betroffenen und ihren Rechtsnachfolgern.
Ausblick und Gestaltungsmöglichkeiten
Fehlende Klarheit im europäischen und nationalen Recht
Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen ist derzeit ein differenzierter, sachverhaltsbezogener Prüfungsmaßstab angezeigt, der die berechtigten Interessen der Erben, den Persönlichkeitsschutz des Verstorbenen und mögliche Rechte Dritter angemessen berücksichtigt. Sowohl für datenverarbeitende Stellen als auch für Erben empfiehlt es sich in solchen Fallgestaltungen, jede Konstellation sorgfältig zu prüfen und die aktuelle Rechtsentwicklung zu beobachten.
Reformüberlegungen und zukünftige Entwicklungen
In der Fachdebatte werden verschiedene Ansätze diskutiert, wie eine klarere Regelung im Hinblick auf die Übertragbarkeit von Datenschutzrechten nach dem Tod einer Person geschaffen werden kann. Eine verbindliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Thematik steht bislang aus, sodass Unsicherheiten fortbestehen.
Fazit
Die Frage der Vererbbarkeit des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs nach der DSGVO ist weiterhin offen und in der Praxis von erheblicher Bedeutung. Während die maßgeblichen Normen bislang keine ausdrückliche Regelung enthalten, zeigt sich in der Rechtsprechung und Literatur ein Trend zur Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der Interessenlage aller Beteiligten.
Für Unternehmen und Privatpersonen empfiehlt sich bei Unsicherheiten eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen Sachlage. Bei rechtlichen Fragen und Unsicherheiten rund um die Vererbbarkeit von Datenschutzansprüchen können sich Betroffene jederzeit vertrauensvoll an MTR Legal Rechtsanwälte wenden, um die aktuellen Entwicklungen einzuschätzen und rechtliche Risiken frühzeitig zu erkennen.