ChatGPT und der urheberrechtliche Schutz von Songtexten – Urteil des LG München I mit weitreichenden Implikationen
KI-gestützte Textgenerierung im Spannungsfeld des Urheberrechts
Die zunehmende Verbreitung Künstlicher Intelligenz – insbesondere von generativen Sprachmodellen wie ChatGPT – wirft grundlegende Fragen zum Verhältnis zwischen technologischer Innovation und urheberrechtlicher Schutzwürdigkeit auf. Im Zentrum der aktuellen Debatte steht, inwiefern KI-basierte Systeme geschützte Inhalte wiedergeben dürfen. Das Landgericht München I hat mit Entscheidung vom 11.11.2025 (Az. 42 O 14139/24) – vorbehaltlich etwaiger Rechtsmittel und unter Hinweis auf die Unschuldsvermutung in laufenden Verfahren – die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Umgang generativer KI mit urheberrechtlich geschützten Liedtexten konkretisiert.
Die Sachverhaltskomplexität: Kommerzielle KI-Anwendung und Musikrechte
Funktionsweise und Nutzung von ChatGPT
ChatGPT ist ein KI-basiertes Sprachmodell, das auf Grundlage umfangreicher Textdatensätze trainiert wird und Nutzern ermöglicht, unterschiedlichste Fragen und Aufgaben in natürlicher Sprache zu bearbeiten. Im geschäftlichen Alltag zu Marketing-, Kommunikations- und Unterhaltungszwecken gewinnt die Anwendung zunehmend an Bedeutung – zahlreiche Unternehmen integrieren solche Systeme bereits in interne Prozesse oder Kundeninteraktionen. Gleichzeitig entsteht Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit der von KI erzeugten oder ausgegebenen Inhalte.
Streitgegenstand: Unterhaltung über Liedtexte
Im konkreten Fall wurde ChatGPT nach vollständigen Songtexten populärer Titel wie „Atemlos“ oder „Männer“ gefragt. Das System gab die angeforderten Informationen in signifikantem Umfang aus – dies steht jedoch in engem Zusammenhang mit den Eigentumsrechten der Urheber und Inhaber der jeweiligen Musikverlagsrechte.
Rechtliche Bewertung: Urheberrechtliche Schranken und Verantwortlichkeiten
Reproduktion und öffentliche Wiedergabe
Liedtexte unterliegen als Sprachwerke nach deutschem Urheberrechtsgesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 31 UrhG) dem Schutz der Urheberrechte. Die vollständige oder wesentliche partielle Wiedergabe solcher Werke durch eine KI kann sowohl eine Vervielfältigung (§ 16 UrhG) als auch eine öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) darstellen. Der Einsatz einer generativen KI, die Liedtexte auf Nutzeranfrage wiedergibt, berührt hierbei nicht nur die technische Distribution, sondern insbesondere die Rechte der originären Urheber bzw. Verleger.
Erlaubnisfreiheit – Ausnahmen und Schranken
Das deutsche Urheberrecht sieht zwar für bestimmte Zwecke Schrankenregelungen vor, wie beispielsweise für Zitate (§ 51 UrhG) oder für die Nutzung im Rahmen von Lehre und Forschung (§ 60a ff. UrhG). Die Vervielfältigung und vollständige Ausgabe eines Songtextes durch ChatGPT auf Nutzerwunsch ist allerdings nicht von diesen Privilegierungsnormen umfasst, da hier weder ein wissenschaftlicher Diskurs noch ein typischer Zitatzweck vorliegt.
Lizenzierungspflicht und Verantwortungsfragen
Nach Ansicht des LG München I bedarf das Ausspielen urheberrechtlich geschützter Liedtexte durch ChatGPT im Regelfall der ausdrücklichen Zustimmung des Rechteinhabers, üblicherweise in Form einer entsprechenden Lizenzvereinbarung. Ohne eine solche vertragliche Absicherung besteht die Gefahr, dass der KI-Anbieter auf Unterlassung, Auskunft oder Schadenersatz in Anspruch genommen wird.
Besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf den Betreiber der KI – nicht auf den einzelnen Endnutzer. Der Anbieter ist verpflichtet, technische und organisatorische Maßnahmen zu implementieren, um Rechtsverletzungen im Vorfeld zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
Internationale Dimension und Vertragsrecht
Verlagerung in multinationale Rechtsräume
Multinationale Technologieunternehmen wie die Betreiber von ChatGPT sind regelmäßig in mehreren Rechtsordnungen tätig. Die Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Inhalte erfordert daher nicht nur nationalen, sondern internationalen Rechtsschutz sowie den Abschluss komplexer Lizenzverträge mit internationalen Verwertungsgesellschaften und Rechteinhabern. Unterschiedliche Standards, etwa zwischen den USA und der EU, erschweren die Compliance zusätzlich.
Bedeutung für Unternehmen und Stakeholder
Unternehmen, die KI-basierte Sprachmodelle in ihre Geschäfts- oder Kommunikationsprozesse integrieren, müssen auf vertragliche Regelungen und technische Vorkehrungen zurückgreifen, um die Rechte Dritter nicht zu beeinträchtigen. Dies betrifft sowohl die Vertragspraxis als auch prozessuale Fragestellungen im Falle einer Rechtsverletzung.
Ausblick: Rechtssicherheit und künftige Entwicklungen
Die Entscheidung des LG München I stellt einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter dar. Sie verdeutlicht, dass technologische Innovationen nicht im rechtsfreien Raum stattfinden, sondern im Spannungsfeld bestehender Schutzmechanismen und Lizenzerfordernisse operieren. Die fortdauernde Dynamik im Bereich der Künstlichen Intelligenz wird Unternehmen auch künftig vor neue Herausforderungen in Bezug auf Rechteklärung, Vertragsgestaltung und technische Implementierung stellen.
Für vertiefte rechtliche Fragen zu urheberrechtlichen Risiken und Möglichkeiten beim Einsatz von generativen KI-Systemen empfehlen wir die Hinzuziehung qualifizierter Beratung. Nähere Informationen und individuelle Unterstützung finden Sie über unsere Rechtsberatung im Urheberrecht.