Maßgebliche Erwägungen des Bundesgerichtshofs zu täuschenden Verpackungsgrößen
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte sich am 30. Mai 2024 im Verfahren I ZR 43/23 erneut mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen eine sogenannte “Mogelpackung” als rechtswidrige Irreführung im Sinne des Wettbewerbsrechts zu qualifizieren ist. Im Zentrum der Beurteilung steht die wettbewerbsrechtliche Relevanz von Verpackungen, deren tatsächlicher Inhalt in einem auffälligen Missverhältnis zur Packungsgröße steht. Das Urteil präzisiert die Anforderungen an die Produktgestaltung und eröffnet zugleich weiterführende Fragestellungen für Hersteller, Vertreiber und den Handel.
Der rechtliche Rahmen: Irreführung im Lauterkeitsrecht
Rechtliche Kodifizierung in § 5 UWG
§ 5 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) stellt klar, dass geschäftliche Handlungen untersagt sind, die geeignet sind, Verbraucher über wesentliche Merkmale eines Produkts zu täuschen. Der Gesetzgeber nimmt die äußere Aufmachung von Waren, insbesondere deren Verpackung, explizit als geeignetes Mittel einer potentiellen Irreführung in den Blick. Die “Mogelpackung” als Begriff beschreibt dabei im Alltagsgebrauch Packungen, deren Fassungsvermögen im Verhältnis zum tatsächlich enthaltenen Produkt zu groß bemessen ist.
Inhaltliche Anforderungen an die Informationsvermittlung
Das maßgebliche Kriterium ist die Beantwortung der Frage, ob die äußere Gestaltung der Verpackung – insbesondere deren Größe – beim Verbraucher einen unrichtigen Eindruck hinsichtlich der Produktmenge hervorruft. Die Irreführung entsteht, wenn das Verhalten des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Adressaten beeinflusst werden kann und auf diese Weise die geschäftliche Entschließung fehlerhaft lenkt.
Systematische Einordnung im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung
Inhalt und Tragweite des BGH-Urteils vom 30. Mai 2024
Im aktuellen Fall beanstandete ein Wettbewerbsverband, dass die beanstandete Produktverpackung knapp halb so viel Inhalt wie das Fassungsvermögen aufwies. Der beklagte Produzent verwies auf technische und funktionale Gründe für die Größe der Umhüllung.
Der BGH hat hierzu entschieden, dass auch technisch motivierte Packungsgrößen nicht ohne weiteres von der Gefahr der Irreführung entbunden sind. Entscheidend bleibt, ob die Verpackung den realen Inhalt verschleiert und auf diese Weise eine Fehlvorstellung fördert. Dabei müsse jeder spezifische Einzelfall anhand der Verkehrserwartung bewertet werden. Ein technisch erforderliches Packungsvolumen kann im Einzelfall eine Rechtfertigung darstellen, ist jedoch nicht per se ausreichend, um die Annahme einer wettbewerbsrechtlichen Irreführung auszuschließen.
Verhältnis zu gesetzlichen Informationspflichten
Der BGH betont, dass auch das Vorliegen gesetzlicher Pflichtangaben – wie die exakte Füllmengenangabe auf der Verpackungsfront – eine Irreführung nicht zwingend ausschließt. Die tatsächliche Produktaufmachung bleibt für die Kundenerwartung maßgeblich, da erfahrungsgemäß viele Verbraucher nicht aktiv auf die ausgewiesene Füllmenge achten, sondern sich bei der Kaufentscheidung von der äußeren Erscheinung leiten lassen.
Auswirkungen auf betriebliche Praxis und Compliance
Bedeutung für Hersteller und Handel
Die Entscheidung illustriert deutlich, dass die bloße Einhaltung produktbezogener Kennzeichnungspflichten nicht in jedem Fall vor wettbewerbsrechtlicher Inanspruchnahme schützt. Unternehmen sind gehalten, die äußere Anmutung und Proportionierung von Verpackungen sorgfältig zu gestalten, um keine unzutreffenden Vorstellungen über den Produktinhalt hervorzurufen. Gleichwohl ist die Frage nach objektspezifischen Differenzierungsmerkmalen – etwa technische Notwendigkeiten im Fertigungsprozess – einer umfassenden Prüfung vorbehalten und wird durch das Urteil nicht abschließend beantwortet.
Weiterführende wettbewerbsrechtliche Fragestellungen
Gerade für Unternehmen, die mit neuartigen Verpackungskonzepten oder innovativen Darreichungsformen operieren, bleibt der Gestaltungsspielraum eng umrissen. Die aktuelle Rechtsprechung verdeutlicht, dass mit jeder Veränderung des gewohnten äußeren Erscheinungsbildes das Risiko konkurrierender Marktakteure steigt, wegen unzulässiger Irreführung abgemahnt zu werden. Es empfiehlt sich daher, interne Prozesse zur Überprüfung von Produktverpackungen und Marketingmaßnahmen konsistent und dokumentiert zu halten.
Rechtssicherheit im fortlaufenden Wandel rechtlicher Maßstäbe
Das Urteil des BGH vom 30. Mai 2024 setzt wichtige Leitplanken im Bereich der Produktverantwortung und des Verbraucherschutzes, ohne den Einzelfall aus dem Blick zu verlieren. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung täuschender Verpackungsgrößen bleibt auch künftig von einer Einzelfallabwägung geprägt, die sowohl technische Erfordernisse als auch die Wechselwirkung mit den berechtigten Kundenerwartungen zu berücksichtigen hat. Jenseits der konkreten Fallgestaltung bieten solche Grundsatzentscheidungen Anknüpfungspunkte für die Weiterentwicklung interner Compliance-Strukturen und eine risikoorientierte Produktgestaltung.
Für Unternehmen sowie Investoren, die sich in diesem anspruchsvollen regulatorischen Umfeld bewegen, ist eine bedarfsgerechte Beurteilung rechtlicher Risiken unerlässlich. Bei weitergehenden Fragestellungen rund um das Thema Mogelpackung, Produktaufmachung oder vertriebsbezogene Fragen im Wettbewerbsrecht sind die spezialisierten Teams von MTR Legal Rechtsanwälte national und international tätig. Bei vertieften rechtlichen Anliegen finden Leser weiterführende Informationen und Erreichbarkeiten zu einer individuellen Rechtsberatung im Wettbewerbsrecht.