Auseinandersetzung um Übernahme von Sendungsausschnitten – Hintergrund des Vorgangs zwischen Bild TV, ARD und ZDF
Im Nachgang der Bundestagswahl 2021 übertrug die ARD die sogenannte „Berliner Runde”, ein etabliertes politisches Diskussionsformat mit Vertretern führender Parteien. Vergleichbar umfangreiche Berichterstattungen erfolgten ebenfalls bei ZDF und Phoenix. Bild TV, ein privatrechtlicher Nachrichtensender, strahlte am Wahlabend in Eigenregie eine Sondersendung aus, in deren Verlauf Ausschnitte aus der „Berliner Runde” übernommen und gesendet wurden – ohne der Übertragung eine gesonderte Lizenzierung oder anderweitige Zustimmung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten voranzustellen.
Vor diesem Hintergrund machte die ARD mittels der Gemeinschaftseinrichtung ARD-Werbung SALES & SERVICES GmbH urheberrechtliche Ansprüche geltend und forderte, die Ausstrahlung und Verbreitung der entsprechenden Passagen zu unterlassen. Nachfolgend befasste sich zunächst das Landgericht Köln, dann in zweiter Instanz das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 30. September 2022, Az. 6 U 61/22) mit der Frage, ob Bild TV die maßgeblichen Sequenzen aus der „Berliner Runde” aussenden durfte.
Urheberrechtliche Schutzfähigkeit und Interessenabwägung
Einordnung der Sendung als geschütztes Werk und rechtliche Konsequenzen
Das Oberlandesgericht Köln stellte zunächst fest, dass es sich bei der Produktion der „Berliner Runde” um ein urheberrechtlich geschütztes Laufbildwerk handelt. Es hob die spezifische Ausgestaltung – insbesondere die thematische Gestaltung, dramaturgische Planung und künstlerisch-journalistische Umsetzung – als wesentliche Merkmale hervor, die eine Schutzfähigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 und § 95 UrhG nahelegen. Das Senderecht, das originär beim jeweiligen Sendeunternehmen liegt (§ 87 UrhG), kann auch für gesendete Laufbilder geltend gemacht werden, sodass der Eingriff in die Ausstrahlungsrechte einen Unterlassungsanspruch begründet.
Schrankenbestimmungen des Urheberrechts – Grenzen der freien Berichterstattung
Bild TV berief sich im Verfahren auf die urheberrechtliche Schrankenregelung für tagesaktuelle Berichterstattung nach § 50 UrhG, welche die Verwendung von Werkzitaten in Berichterstattungen über aktuelle Ereignisse gestattet. Das Gericht verneinte jedoch die Anwendung dieser Schranke. Es argumentierte, dass die ausgestrahlten Passagen der „Berliner Runde” in wesentlichen Teilen weit über das zur Verdeutlichung des aktuellen Anlasses Erforderliche hinausgingen und dort keine ausreichende journalistische Auseinandersetzung mit dem Ursprungswerk erfolgte. Der rein übernommenen Ausschnittnutzung fehle die nötige Eigenleistung im Kontext der Berichterstattung. Ein umfassendes, schrankenfreies Übernehmen ganzer Werkteile zur Steigerung der Attraktivität der eigenen Sendung sei indes nicht durch die Schrankenregelung des § 50 UrhG gedeckt.
Im Zusammenhang mit § 51 UrhG („Zitatrecht”) wurde ebenfalls klargestellt, dass die betreffenden Passagen keine hinreichende Auseinandersetzung mit dem übernommenen Material aufwiesen und in ihrer Quantität und Zielrichtung als unzulässige Übernahme einzuordnen seien.
Interessenabwägung und Bedeutung für private Medienanbieter
Das OLG Köln betonte in seiner Entscheidung die Konfliktlage zwischen urheberrechtlichem Schutz öffentlicher Leistungen und dem Interesse privater Medienunternehmen an umfassender Berichterstattung. Die maßgebliche Interessenabwägung sei jedoch zu Gunsten der Rechteinhaber vorzunehmen, soweit grundlegende urheberrechtliche Prinzipien durch die unlizenzierte Übernahme originärer Inhalte verletzt werden.
Konsequenzen des Urteils und branchenspezifische Überlegungen
Einfluss auf die Lizenzierungspraxis von Bewegtbildinhalten
Die Entscheidung des OLG Köln unterstreicht die Notwendigkeit, urheberrechtlich geschützte Fernsehformate nur nach vorheriger Einholung entsprechender Rechteübertragungen sendetechnisch auszuwerten. Private Veranstalter sind gehalten, ihre redaktionelle Freiheit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben wahrzunehmen, ohne fremde Sendungen ohne Lizenz oder legitime Schranke für eigene Zwecke zu verwerten.
Bedeutung für tagesaktuelle Sendeformate und Medienkonkurrenz
Das Urteil hat insbesondere für die Berichterstattung im Zusammenhang mit tagesaktuellen Großereignissen wie Wahlen, Parteitagen oder Sondersituationen im politischen Diskurs erhebliche Relevanz. Es konkretisiert die Grenzen zwischen Zulässigkeit und Überschreitung der urheberrechtlichen Schranken im Kontext sich überschneidender Sendeformate und setzt damit einen maßgeblichen Rahmen für die Abgrenzung von zulässiger Nutzung zu lizenzpflichtiger Übernahme.
Hinweise zu laufenden Verfahren und Rechtsmittelfähigkeit
Da es bundesweit zu vergleichbaren Fallgestaltungen kommen kann, ist eine einzelfallbezogene Prüfung der jeweiligen Sach- und Rechtslage erforderlich. Soweit die endgültige Rechtskraft der Entscheidung noch nicht feststeht oder diesbezüglich Rechtsmittel eingelegt wurden, gilt weiterhin die Unschuldsvermutung gegenüber den Beteiligten. Quellen: OLG Köln, Urteil vom 30.09.2022, Az. 6 U 61/22.
Zusammenfassung und Ausblick – Rechteerwerb und Schranken im Fokus
Das Urteil beleuchtet die komplexe Wechselwirkung zwischen den urheberrechtlich geschützten Interessen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten und den Freiheiten privater Medienanbieter. Die Entscheidung des OLG Köln bekräftigt die Bedeutung klarer Lizenzierung und setzt enge Grenzen für die Berufung auf Schrankenregelungen durch Dritte. Für Unternehmen, Medienakteure und Rechteverwerter verdeutlicht der Vorgang, dass ein vertieftes Verständnis der urheberrechtlichen Parameter und die sorgfältige Prüfung bestehender Nutzungsrechte von zentraler Relevanz sind.
Sofern rechtliche Herausforderungen im Kontext von Werknutzungen, Senderechten oder Schrankenregelungen auftreten, empfiehlt sich eine individuelle Bewertung der jeweiligen Ausgangslage. Weiterführende Informationen und eine persönliche Unterstützung erhalten Sie über die Rechtsberatung im Urheberrecht von MTR Legal Rechtsanwälte.