Umfang der Betriebsschließungsversicherung: Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf
Mit Urteil vom 26. Februar 2021 (Az. 40 O 53/20) hat das Landgericht Düsseldorf eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Bedeutung für die Auslegung von Betriebsschließungsversicherungen im Zusammenhang mit pandemiebedingten Betriebsschließungen hat. Im konkreten Fall wurde einem Düsseldorfer Barbetreiber ein Anspruch auf Entschädigung zugesprochen, nachdem der Betrieb im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 von behördlicher Seite temporär geschlossen worden war. Die Entscheidung spiegelt die erheblichen Unsicherheiten wider, mit denen Versicherungsnehmer und Versicherer während der Pandemie konfrontiert waren.
Hintergrund: Anlass und Gegenstand des Rechtsstreits
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Betriebsschließungsversicherung auch für Schäden infolge behördlich angeordneter Schließungen im Kontext einer Pandemie eintrittspflichtig ist. Der Kläger, Inhaber einer Bar in Düsseldorf, hatte eine entsprechende Versicherung abgeschlossen. Aufgrund der nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung blieb der Betrieb für mehrere Wochen geschlossen, wodurch dem Betreiber erhebliche Umsatzausfälle entstanden.
Der Versicherer argumentierte, im Vertrag seien die versicherten Krankheiten und Krankheitserreger abschließend gelistet. Da COVID-19 zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht explizit aufgeführt gewesen sei, müsse ein Anspruch ausgeschlossen bleiben. Die versicherungsrechtliche Streitfrage konzentrierte sich somit auf die Auslegung der Vertragsbedingungen hinsichtlich des Leistungsumfangs bei neuen, nicht ausdrücklich genannten Krankheiten.
Zentrale Erwägungen des Landgerichts
Vertragsauslegung und Transparenzgebot
Das Landgericht Düsseldorf stellte im Rahmen seiner Entscheidung maßgeblich auf das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ab. Es prüfte, ob die Versicherungsbedingungen für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer hinreichend klar und verständlich sind. Nach Einschätzung der Kammer enthielten die einschlägigen Klauseln keine abschließende Aufzählung, sondern verwiesen als dynamische Bezugnahme auf die jeweils gültige Fassung des Infektionsschutzgesetzes.
Daraus folgte im konkreten Fall, dass auch neuartige, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bekannte Krankheiten von der Versicherung erfasst werden, sofern diese zum Zeitpunkt der behördlichen Maßnahme durch das Infektionsschutzgesetz als meldepflichtig gelten.
Leistungspflicht bei angeordneter Schließung
Die Richter führten weiter aus, dass für den Eintritt des Versicherungsfalls nicht erforderlich sei, dass eine Infektion im eigenen Betrieb nachgewiesen wurde. Es genüge eine behördliche Allgemeinverfügung, die sich auf das konkrete Unternehmen erstreckt und unmittelbar auf eine im Infektionsschutzgesetz benannte Krankheit gestützt wird.
Für die Begründung der Leistungspflicht komme es mithin entscheidend auf die Wortwahl und Systematik der Versicherungsbedingungen an. Im vorliegenden Fall führte dies dazu, dass dem Barbetreiber eine Entschädigung in Höhe des geltend gemachten Schadens zustand. Der Versicherer wurde zur Zahlung verurteilt.
Auswirkungen auf die Praxis und Folgefragen
Bedeutung für Versicherungsnehmer und Versicherer
Das Urteil des LG Düsseldorf verdeutlicht, wie wesentlich eine präzise und aktuelle Gestaltung der Versicherungsbedingungen ist. Unternehmen, die sich gegen Risiken aus Betriebsschließungen absichern möchten, sind auf einen umfassenden und transparent geregelten Versicherungsschutz angewiesen. Gleichermaßen zeigt das Urteil auf, welchen Risiken Versicherer im Hinblick auf dynamisch formulierte Vertragsklauseln ausgesetzt sind.
Die Entscheidung steht exemplarisch für zahlreiche Verfahren in Deutschland, in denen Betriebe pandemiebedingte Schließungen zum Anlass nahmen, Entschädigungsleistungen aus laufenden Policen einzufordern. Sie bestätigt, dass auch sog. „neuartige” Gefährdungslagen – sofern sie vom Infektionsschutzgesetz nachträglich erfasst werden – in den Schutzbereich der Versicherung einbezogen sein können.
Grenzen und offene Rechtsfragen
Bei der Beurteilung der Versicherungsbedingungen kommt es stets auf den individuellen Vertragswortlaut sowie die Ausgestaltung der Bezugsnormen an. Abweichende Formulierungen in anderen Policen oder zukünftige Gesetzesänderungen können zu abweichenden Ergebnissen führen. Die Rechtslage bleibt insofern weiterhin dynamisch, zumal obergerichtliche Klärungen noch ausstehen und der BGH bislang keine abschließende Leitentscheidung zu den wesentlichen Streitfragen getroffen hat.
Zudem ist zu beachten, dass gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt werden konnten. Es bleibt abzuwarten, wie höhere Instanzen ähnliche Sachverhalte bewerten. Bis zu einer abschließenden höchstrichterlichen Entscheidung sind vergleichbare Streitigkeiten daher stets den Umständen des Einzelfalls unterworfen (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2021, Az. 40 O 53/20; unschuldsvermutung und laufende Verfahren vorbehalten).
Bewertung und Ausblick
Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf trägt zur weiteren Klärung der Reichweite von Betriebsschließungsversicherungen in Ausnahmesituationen bei. Es betont insbesondere die Geltung des Transparenzgebots und stellt auf eine dynamische Auslegung im Lichte des Infektionsschutzgesetzes ab. Damit kommt dem Fall eine erhebliche Signalwirkung für die Vertragsauslegung in der Versicherungsbranche zu.
Unternehmen, Versicherer und Investoren sehen sich gleichermaßen mit erhöhten Unsicherheiten konfrontiert, da zahlreiche Detailfragen der Vertrags- und Prozessgestaltung bislang nicht abschließend beantwortet sind. Insbesondere im Zusammenspiel mit publizitätswirksamen Einzelfällen und nachträglichen Gesetzesänderungen ist eine sorgfältige rechtliche Würdigung unerlässlich.
Für weitergehende rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Betriebsrisiken, Versicherungen und unternehmerischer Risikosteuerung bietet MTR Legal eine umfassende und individuell angepasste Unterstützung. Bei Interesse an einer vertieften Rechtsberatung im Handelsrecht erhalten Sie unter Rechtsberatung im Handelsrecht weiterführende Informationen.