Aktienübertragungsanspruch nach bestandskräftiger Freigabeentscheidung – Vertiefende Betrachtung der Rechtsprechung des OLG Frankfurt am Main
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 5. Januar 2024 (Az. 17 U 66/22) zentrale Fragen zum Anspruch auf Aktienübertragung bei Vollzug eines verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out unter dem Blickwinkel einer bestandskräftigen Freigabeentscheidung beantwortet. Die Entscheidung liefert wichtige Erkenntnisse zur Reichweite und Durchsetzung von Übertragungsansprüchen sowie zur Wechselwirkung zwischen gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen und aktienrechtlichem Anfechtungsprozess.
Gesellschaftsrechtlicher Hintergrund und Relevanz
Minderheitsaktionäre stehen im Rahmen eines sogenannten Squeeze-outs dem Risiko gegenüber, gegen ihren Willen ihre Beteiligung an der Gesellschaft zu verlieren. Der Gesetzgeber sieht hierzu in § 62 Abs. 5 UmwG in Verbindung mit §§ 327a ff. AktG vor, dass eine Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär auf Beschlussgrundlage erfolgen kann. Entscheidend im Streitfall war, unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nach einer bestandskräftigen Freigabeentscheidung der Anspruch der Hauptgesellschaft auf Übertragung der Aktien durchgesetzt werden kann und welche Bindungswirkung das Freigabeverfahren nach § 246a AktG entfaltet.
Ermessensspielräume und Schutzwirkungen im Freigabeverfahren
Beschleunigungsinteresse und Rechtssicherheit
Das Freigabeverfahren ist auf die Herstellung von Rechtssicherheit angelegt: Wird dem Antrag durch das Gericht stattgegeben und der Beschluss unanfechtbar, kann die Eintragung in das Handelsregister unabhängig von noch offenen Anfechtungsklagen erfolgen. Diese Etablierung prozessualer Schnelligkeit soll strukturell bedeutsame Umwandlungsvorgänge, wie Fusionen oder Squeeze-outs, vor Verzögerungen durch langwierige Rechtsmittelverfahren schützen. Mit Eintritt der Bestandskraft entfaltet die Freigabeentscheidung eine Rechtskraftwirkung, die auch für etwaige Übertragungsansprüche maßgeblich ist. Es handelt sich hierbei um ein gesetzlich vorgesehenes Hindernis für eine erneute Sachprüfung durch nachfolgende Instanzen hinsichtlich der Übertragungsvoraussetzungen.
Reichweite des Übertragungsanspruchs
Das OLG Frankfurt am Main betonte den durch die bestandskräftige Freigabe geschaffenen Vertrauensschutz gegenüber dem Hauptaktionär. Ist eine Freigabeentscheidung nach § 246a AktG rechtskräftig, so stehen Einwendungen gegen die Vollziehung des Übertragungsbeschlusses – etwa im Hinblick auf noch offene Anfechtungsverfahren oder sonstige Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der Übertragung – dem Anspruch auf Aktienübertragung regelmäßig nicht mehr entgegen. Die Entscheidung unterstreicht damit die Schutzfunktion für Umwandlungsmaßnahmen, bei denen ein anerkanntes Beschleunigungsinteresse die Rechtssicherheit im Unternehmensinteresse über das Individualinteresse des einzelnen Aktionärs stellt.
Zivilprozessuale Durchsetzung und Grenzen
Bindung für Zivilgerichte
Im Streitfall waren die Zivilgerichte gehalten, die materielle Rechtmäßigkeit der Aktienübertragung angesichts der Bindungswirkung der Freigabeentscheidung nicht erneut zu überprüfen. Prozessuale Hindernisse, etwa aus fortbestehenden Nebenverfahren, können dem Übertragungsanspruch grundsätzlich nicht mehr entgegengehalten werden. Die Durchsetzung im Wege der Leistungsklage wird damit maßgeblich erleichtert, solange die formelle Bestandskraft vorliegt.
Investoren- und Minderheitenschutz
Gleichwohl betonte das Gericht, dass etwaige Bewertungsstreitigkeiten über die Angemessenheit der Abfindung den Vollzug der Übertragung nicht hindern. Die Wahrung der Aktionärsrechte erfolgt in diesem Zusammenhang insbesondere nachgelagert über das Spruchverfahren, das die Kontrolle der Abfindungshöhe unabhängig gewährleistet. Diese prozessuale Trennung zwischen Übertragungsdurchsetzung und materieller Abfindungssicherung ist prägend für den deutschen Kapitalmarkt.
Ausblick und praktische Implikationen
Die Entscheidung des OLG Frankfurt stärkt die Handlungs- und Planungssicherheit von Hauptaktionären und Unternehmen, die grundlegende Strukturmaßnahmen umsetzen möchten. Sie schafft zudem Klarheit hinsichtlich der prozessualen Rolle der Freigabeentscheidung im Kontext aktienrechtlicher Übertragungsansprüche und grenzt die Anfechtungsmöglichkeiten der Minderheitsaktionäre in dieser Phase ein. Hingegen verbleiben eventuelle Bewertungsstreitigkeiten weiterhin im eigenständigen Spruchverfahren, sodass auch der Minderheitenschutz Berücksichtigung findet.
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