Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide nach Abschluss einer Außenprüfung: Prüfungsspielräume und aktuelle BFH-Rechtsprechung
Die rechtliche Frage der Änderbarkeit bereits bestandskräftiger Steuerbescheide nach einer Außenprüfung beschäftigt regelmäßig sowohl Unternehmen als auch vermögende Privatpersonen. Sie gewinnt insbesondere an Bedeutung, wenn steuerrechtliche Sachverhalte nachträglich neu bewertet oder bislang unbekannte Tatsachen offenbart werden. In seinem Urteil vom 10.07.2024 (Az.: III R 14/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) klargestellt, in welchen Fällen und nach welchen Maßstäben eine Änderung solcher Steuerbescheide zulässig sein kann.
Bedeutung der Bestandskraft und ihre Grenzen
Mit Eintritt der formellen und materiellen Bestandskraft entfalten Steuerbescheide grundsätzlich Bindungswirkung, sowohl für die Finanzverwaltung als auch für die Steuerpflichtigen. Diese Rechtssicherheit gehört zu den tragenden Prinzipien des Steuerrechts und soll Willkür sowie nicht absehbaren Nachforderungen entgegenwirken.
Trotzdem eröffnen die Abgabenordnung (AO) und insbesondere die Vorschriften der §§ 173 ff. AO unter eng umrissenen Voraussetzungen die Möglichkeit, auch bestandskräftige Steuerbescheide nachträglich zu ändern. In der Praxis kommt die sogenannte „aufgedeckte Tatsache“ im Rahmen einer Außenprüfung häufig zur Anwendung.
Voraussetzungen für die Änderung nach § 173 AO
Neue Tatsachen oder Beweismittel
Zentral für die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist, dass nachträglich „neue Tatsachen oder Beweismittel“ bekannt werden, die bei ordnungsgemäßer Würdigung zu einer anderen steuerlichen Beurteilung führen müssten. Die Änderungskompetenz bezieht sich somit maßgeblich auf erstmals offenbarte oder bis dahin unerkannte Umstände.
Sorgfaltspflichtverletzungen
Nach der Rechtsprechung ist eine Änderung grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die neuen Tatsachen infolge eines Verschuldens des Steuerpflichtigen – etwa durch unvollständige Angaben oder verspätete Mitteilungen – nicht in den ursprünglichen Bescheid eingeflossen sind. Allerdings kann sich auch die Finanzbehörde eine Verletzung ihrer Ermittlungs- und Beratungspflichten entgegenhalten lassen, was etwa bei groben Ermittlungsdefiziten zum Tragen kommt.
Relevanz der Außenprüfung für die Änderungsbefugnis
Umfang und Befugnisse der Außenprüfung
Die Außenprüfung dient der umfassenden Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen. Sie eröffnet der Finanzverwaltung umfangreiche Untersuchungsbefugnisse und ermöglicht den Zugang zu relevanten Buchführungsunterlagen, Verträgen und weiteren Dokumenten. Im Rahmen dieser Prüfung aufgedeckte, bislang unbekannte Tatsachen können eine nachträgliche Korrektur bestandskräftiger Bescheide rechtfertigen – allerdings unterliegen die Finanzbehörden hierbei strengen Voraussetzungen.
BFH-Urteil vom 10.07.2024 (III R 14/22): Schwerpunkt und Praxisfolgen
Der BFH hat in seiner aktuellen Entscheidung betont, dass eine Korrektur nach § 173 AO nur dann zulässig ist, wenn die neuen Tatsachen tatsächlich bis zum Abschluss der Außenprüfung weder aktenkundig noch erkennbar gewesen sind. Der Senat macht deutlich, dass die Änderungskompetenz der Finanzverwaltung nicht pauschal für sämtliche während einer Außenprüfung entdeckten Sachverhalte besteht, sondern stets einer sorgfältigen und differenzierten Prüfung bedarf.
Der BFH wies insbesondere darauf hin, dass die Finanzverwaltung im Rahmen ihres Ermittlungsverfahrens eine proaktive Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht trifft. Werden relevante Sachverhalte trotz erkennbarer Hinweise nicht aufgeklärt, kann dies eine spätere Änderung bestandskräftiger Bescheide hindern.
Auswirkungen auf Unternehmen, Investoren und Privatpersonen
Die Entscheidung des BFH stärkt den Grundsatz der Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit von Steuerbescheiden. Die Finanzverwaltung muss darlegen und belegen, dass eine Änderung ausschließlich auf Tatsachen beruht, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung oder während des laufenden Verfahrens weder bekannt noch bei pflichtgemäßer Prüfung erkennbar waren.
Für Unternehmen, Investoren und vermögende Privatpersonen bedeutet dies eine präzisere Kalkulierbarkeit steuerlicher Risiken, aber auch die Notwendigkeit, im Rahmen einer Außenprüfung sämtliche steuerlich relevanten Umstände und Unterlagen transparent und umfassend offen zu legen, um nachteilige Nachforderungen zu vermeiden.
Zusammenspiel mit anderen Änderungsnormen
Es ist hervorzuheben, dass neben § 173 AO auch weitere Korrekturvorschriften, wie etwa die Änderungsvorschriften bei offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 AO) oder bei Vorliegen von Steuerhinterziehung (§ 370 AO), im Einzelfall Anwendung finden können. Auch hier bedarf es einer sorgfältigen Prüfung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen und der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Korrekturmöglichkeiten.
Fazit
Das Urteil des BFH vom 10.07.2024 unterstreicht, dass die nachträgliche Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide auf enge gesetzliche Voraussetzungen beschränkt ist. Die Praxisrelevanz dieser Leitlinie erstreckt sich von der steuerlichen Betriebsprüfung bis hin zur vertieften Rechtsanwendung in komplexen Unternehmensstrukturen. Die sorgfältige Dokumentation und rechtssichere Verfahrensgestaltung behalten dabei zentrale Bedeutung.
Für weitergehende rechtliche Klärungen rund um die Änderbarkeit von Steuerbescheiden nach einer Außenprüfung und zur Risikosteuerung im Betriebsprüfungsverfahren stehen die Rechtsanwälte bei MTR Legal Ihnen gerne zur Verfügung.