Meinungsfreiheit im Spannungsverhältnis zum Persönlichkeitsrecht: Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main zur Äußerung „#DubistEinMann”
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 21. September 2023 (Az.: 16 U 95/23) hinsichtlich der Äußerung „#DubistEinMann” eine zentrale Fragestellung behandelt, die für die Online-Kommunikation und insbesondere für Unternehmen und Akteure im digitalen Raum von erheblicher Relevanz ist. Die gerichtliche Beurteilung dieser Äußerung erfolgte im Kontext einer identifizierbaren trans Frau, die mit diversen Anfeindungen im Internet konfrontiert war. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Hintergründe der Entscheidung, ihre rechtliche Einordnung sowie die praktischen Implikationen für die Auslegung von Meinungsfreiheit und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts eingehend analysiert.
Sachverhalt und prozessuale Ausgangslage
Konkreter Hintergrund des Falles
Im Zentrum des Verfahrens stand der Antrag einer trans Frau, die sich gegen eine Social-Media-Äußerung wandte, in der sie ausdrücklich mit „#DubistEinMann” adressiert worden war. Die Äußerung war in einem öffentlichen, internetbasierten Diskurs erfolgt. Die Antragstellerin begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Unterlassung dieser Aussage, da sie sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und ihrem Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität verletzt sah.
Verfahrensverlauf und bisherige Entscheidungen
Erstinstanzlich hatte das Landgericht Frankfurt am Main der Antragstellerin Recht gegeben und die negative Bewertung („#DubistEinMann”) als unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzung eingestuft. Gegen diese Entscheidung legte die Antragsgegnerin Berufung ein, sodass das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit der Sache befasst wurde.
Rechtliche Bewertung: Meinungsäußerung versus Persönlichkeitsrecht
Maßstab der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG
Zentrales Element der obergerichtlichen Entscheidung ist die Abwägung zwischen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und den Rechten des Persönlichkeits- und Ehrenschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Das OLG Frankfurt stellte zunächst klar, dass es sich bei dem Hashtag um eine Meinungsäußerung im Sinne des Grundgesetzes handelt. Auch polemische, überspitzte oder potenziell verletzende Formulierungen fallen grundsätzlich unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
Das Gericht differenzierte ausdrücklich zwischen wertender Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung. Die Aussage „#DubistEinMann” impliziere nach Auffassung des OLG keine überprüfbare Tatsachenfeststellung, sondern stelle eine auch provokant zugespitzte Bewertung der geschlechtlichen Identität dar. Für die rechtliche Wertung war maßgeblich, dass die adressierte Person in der öffentlichen Debatte als trans Frau auftritt und somit bereits im gesellschaftlichen Diskurs steht.
Bezugnahme auf den allgemeinen Achtungsanspruch
Im Rahmen der fortlaufenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass auch negative Werturteile über die geschlechtliche Identität einer Person ihre Schutzgrenzen finden können, und zwar dort, wo der sog. „allgemeine Achtungsanspruch” in schwerwiegender Weise verletzt wird. Das OLG Frankfurt gelangte jedoch zu der Einschätzung, dass der verwendete Hashtag in der konkreten Situation nicht die Schwelle einer Schmähkritik oder eines Angriffs auf die Menschenwürde überschreitet. Der Aussage sei – auch unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit von trans Personen – der Charakter einer subjektiven Wertung durch einen Dritten zu entnehmen, der im Rahmen der fortdauernden Debatte über geschlechtliche Selbstbestimmung zulässig sei.
Implikationen für Unternehmen und digitale Kommunikation
Anforderungen an die Bewertung von Aussagen im digitalen Raum
Das Urteil belegt, dass auch provozierende oder ablehnende Bewertungen im digitalen Diskurs unter bestimmten Umständen zulässig sein können, solange keine Diffamierung vorliegt und der Mindeststandard des Achtungsanspruchs gewahrt bleibt. Gerade für Plattformbetreiber, moderierende Unternehmen oder Akteure mit digitalem Kundenkontakt ergeben sich hieraus konkrete Herausforderungen. Die Abgrenzung von zulässiger Kritik und unzulässiger Persönlichkeitsrechtsverletzung in digitalen Netzwerken bleibt ein komplexes und von den Umständen des Einzelfalls abhängiges Feld.
Bedeutung für laufende Debatten zu Geschlechtsidentität und -zuordnung
Die Entscheidung betont, dass der gesellschaftliche Diskurs um Geschlechtsidentität geschützt und offen ausgetragen werden kann – auch unter kontroversen Vorzeichen. Gleichzeitig macht das Urteil deutlich, dass nicht jede als verletzend empfundene Wertung rechtlich untersagt werden kann. Damit verdeutlicht das OLG die Spannung zwischen individuellem Identitätsschutz und dem Schutz der freien Meinungsäußerung, der im demokratischen Diskurs unverzichtbar ist.
Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main bekräftigt die hohe Schutzwürdigkeit der Meinungsfreiheit auch im digitalisierten Kommunikationsumfeld, ohne dabei die Tragweite des Persönlichkeitsschutzes generell zu relativieren. Gleichwohl wird die rechtliche Grenzziehung zwischen freier Meinungsäußerung und Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit geschlechtlicher Identität weiter praxisrelevant und rechtlich anspruchsvoll bleiben. Angesichts der Vielschichtigkeit der Thematik und der fortlaufenden gesellschaftlichen Debatte empfiehlt sich Fundierung im Detail, insbesondere für Unternehmen und Akteure, die im digitalen Raum tätig sind.
Bei konkret aufkommenden, vielschichtigen Fragestellungen rund um die Reichweite und Grenzen zulässiger Aussagen, insbesondere im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Internet, kann eine fundierte fachliche Einschätzung helfen, langfristige Konflikte zu vermeiden und unternehmerische Risiken zu minimieren. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter dem Stichwort Rechtsberatung im IT-Recht.