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Zwischenverfahren im Strafprozess


Begriff und Bedeutung des Zwischenverfahrens im Strafprozess

Das Zwischenverfahren im Strafprozess ist ein eigenständiger Verfahrensabschnitt im Strafverfahren der deutschen Strafprozessordnung (StPO). Es dient der Prüfung, ob die erhobene öffentliche Klage zur Hauptverhandlung zugelassen wird, also ob ein hinreichender Tatverdacht gegen den Angeschuldigten vorliegt. Das Zwischenverfahren bildet somit die Schnittstelle zwischen dem Abschluss der Ermittlungen (Ermittlungsverfahren) und der Durchführung der Hauptverhandlung (Hauptverfahren).

Rechtliche Grundlagen des Zwischenverfahrens

Regelungen in der Strafprozessordnung

Das Zwischenverfahren ist in den §§ 199 bis 211 StPO geregelt. Es eröffnet sich mit dem Eingang der Anklageschrift bei Gericht (§ 199 StPO). Die maßgeblichen Bestimmungen regeln den Ablauf und die Rechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Möglichkeiten, Beweisanträge zu stellen und Einwendungen gegen die Anklage zu erheben.

Funktionen und Ziele

Das Zwischenverfahren hat die zentrale Funktion, das Hauptverfahren vor unberechtigter Belastung des Angeschuldigten und vor Durchführung einer unnötigen oder rechtswidrigen Hauptverhandlung zu schützen. Es dient dadurch als Kontrollinstanz über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und bietet dem Angeschuldigten erstmals gerichtlichen Rechtsschutz.

Ablauf und Beteiligte im Zwischenverfahren

Eingang der Anklageschrift

Mit Antrag auf Zulassung der Anklage übersendet die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift samt Akten an das zuständige Gericht. Dieses Gericht prüft zunächst die formellen Anforderungen der Anklageschrift gemäß § 200 StPO.

Stellungnahme des Angeschuldigten

Sobald die Anklageschrift eingegangen ist, wird sie dem Angeschuldigten und dessen Verteidigung mit Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Erhebung von Beweisanträgen oder Einwänden gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens übersandt (§ 201 StPO).

Beteiligung anderer Verfahrensbeteiligter

Ev. Nebenkläger oder andere zugelassene Verfahrensbeteiligte erhalten ebenfalls Akteneinsicht und können eine Stellungnahme abgeben.

Prüfungsumfang des Gerichts

Prüfung des hinreichenden Tatverdachts

Das Gericht prüft im Zwischenverfahren, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht (§ 203 StPO). Hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn nach vorläufiger Würdigung der Akten eine Verurteilung überwiegend wahrscheinlich ist.

Rechtliche und tatsächliche Prüfungen

Im Rahmen dieser Überprüfung bewertet das Gericht auch, ob das einzuhaltende Verfahren korrekt war, etwa Beachtung des Beschleunigungsgebots, ordnungsgemäße Zustellung und fristgerechte Anklageerhebung. Ferner werden etwaige Verfahrenshindernisse, wie Verjährung, Immunität oder fehlende Prozessvoraussetzungen geprüft.

Behandlung von Beweisanträgen im Zwischenverfahren

Das Gericht hat über Anträge auf Beweiserhebung, die von Angeschuldigtem oder Verteidigung vorgebracht werden, zu entscheiden. Das Gericht kann von Amts wegen von wesentlichen Ermittlungen Kenntnis nehmen und diese anordnen (§ 202 StPO).

Nachermittlungen und ergänzende Befragungen

Falls das Gericht zur Überzeugungsbildung weitere Ermittlungshandlungen für notwendig erachtet, kann es im Wege einer sogenannten Nachermittlung die Staatsanwaltschaft mit deren Vornahme beauftragen.

Mögliche Entscheidungen im Zwischenverfahren

Eröffnung des Hauptverfahrens

Wird das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts bejaht, beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens und bestimmt einen Termin zur Hauptverhandlung (§ 207 Abs. 1 StPO).

Nichteröffnung des Hauptverfahrens

Verneint das Gericht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts oder liegt ein sonstiges Verfahrenshindernis vor, lehnt es die Eröffnung des Hauptverfahrens im Beschlusswege ab (§ 204 StPO). Gegen diesen Beschluss ist die sofortige Beschwerde möglich.

Teilweise Eröffnung oder Beschränkung des Hauptverfahrens

Das Gericht kann das Hauptverfahren auch nur hinsichtlich einzelner Anklagepunkte eröffnen oder beschränken (§ 207 Abs. 2 StPO). Die Anklage ist dabei bindend, sofern sie nicht offensichtlich unbegründet ist oder es zu einer rechtlichen Umwertung („Umdeutung“) nach § 206a StPO kommt.

Sonderfragen und Rechtsmittel

Rechtsmittel gegen Entscheidungen im Zwischenverfahren

Gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens ist die sofortige Beschwerde gemäß § 210 StPO statthaft. Wird das Hauptverfahren eröffnet, ist die Zulassung der Anklage grundsätzlich nicht anfechtbar; allerdings bleiben im weiteren Verfahren alle Verteidigungsmöglichkeiten eröffnet.

Bedeutung im Jugendstrafverfahren und bei abgekürzten Verfahren

Auch im Jugendstrafverfahren findet ein dem Zwischenverfahren entsprechendes Prüfverfahren statt (§ 33 JGG). In abgekürzten Verfahren, wie dem Strafbefehlsverfahren oder Beschleunigten Verfahren, entfällt das Zwischenverfahren nach Maßgabe spezieller Vorschriften.

Praxisrelevanz und Bedeutung im Gesamtsystem des Strafprozesses

Das Zwischenverfahren gewährleistet eine effektive Filterfunktion im Strafprozess. Es schützt sowohl das öffentliche Interesse an einem effektiven Strafrechtsschutz als auch die Verteidigungsrechte des Angeschuldigten. Statistisch führen zahlreiche Anklagen im Zwischenverfahren zur Nichteröffnung des Hauptverfahrens oder zur Einschränkung des Verfahrensgegenstandes, was die Relevanz dieses Verfahrensabschnitts für eine faire und rechtsstaatliche Strafrechtspflege unterstreicht.

Zusammenfassung

Das Zwischenverfahren im Strafprozess stellt einen essenziellen und gesetzlich normierten Abschnitt im deutschen Strafverfahren dar. Es sorgt für eine sachliche Überprüfung der Anklage auf eine überwiegend wahrscheinliche Verurteilung des Angeschuldigten und gewährleistet damit eine effiziente sowie rechtsstaatliche Gestaltung des Strafverfahrens. Durch seine Filterfunktion verhindert das Zwischenverfahren ungerechtfertigte Hauptverhandlungen und schützt die Verfahrensbeteiligten effektiv vor staatlicher Überbeanspruchung.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist im Zwischenverfahren für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig?

Im Zwischenverfahren ist das Gericht erster Instanz für die Entscheidung zuständig, das nach der jeweiligen Verfahrensordnung zur Entscheidung über die Anklage berufen ist. Das bedeutet konkret: In Strafsachen ist dies gemäß § 207 StPO das Schöffengericht, das Landgericht oder das Oberlandesgericht, je nach Zuständigkeit für die Hauptverhandlung in der jeweiligen Strafsache. Das Gericht prüft nach Abschluss der Ermittlungen und nach Eingang der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegen. Eine Besonderheit gilt bei Anklagen vor dem Amtsgericht mit Einzelrichter, wo der Richter am Amtsgericht als Einzelrichter über die Eröffnung entscheidet. Die Staatsanwaltschaft verliert ab dieser Verfahrensstufe die alleinige Sachleitungsbefugnis; die gerichtliche Kontrolle sichert die Unabhängigkeit und die rechtsstaatliche Überprüfung des Ermittlungsverfahrens und der Anklageschrift vor Beginn der öffentlichen Hauptverhandlung.

Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen dem Angeschuldigten im Zwischenverfahren zur Verfügung?

Dem Angeschuldigten stehen im Zwischenverfahren verschiedene Verteidigungsmöglichkeiten offen. Er kann sich nach § 201 StPO zur Anklageschrift äußern und entlastende Tatsachen oder Beweismittel vorbringen (sog. Gegenvorstellungen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens). Weiterhin kann er gemäß § 202 StPO Beweisanträge stellen, die dem Gericht zur weitergehenden Sachaufklärung Anlass geben können. Hat der Angeschuldigte das Gefühl, dass die Anklage unberechtigt oder unbegründet ist, kann er explizit beantragen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen („kein hinreichender Tatverdacht“). Auch die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann, sofern die Voraussetzungen des § 140 StPO vorliegen, beantragt werden. Alle Einlassungen des Angeschuldigten und seiner Verteidigung sollen sicherstellen, dass das Gericht eine vollständige und möglichst objektive Prüfung der Anklage vornimmt.

Welche Beschlüsse kann das Gericht im Zwischenverfahren fassen?

Im Zwischenverfahren sind dem Gericht im Wesentlichen drei Entscheidungsalternativen eröffnet. Erstens kann es das Hauptverfahren zur Hauptverhandlung eröffnen, wenn es einen hinreichenden Tatverdacht bejaht (§ 203 StPO). Zweitens kann es die Eröffnung mangels hinreichendem Tatverdacht ablehnen (§ 204 StPO). Dies hat zur Folge, dass das Verfahren insoweit eingestellt wird; eine erneute Anklage ist unter bestimmten Voraussetzungen dennoch möglich (§ 211 StPO). Drittens kann das Gericht die Anklage unter rechtlichen Gesichtspunkten beschränken, beispielsweise, indem es einzelne Anklagepunkte aus dem Verfahren herausnimmt oder den rechtlichen Hinweis nach § 206a StPO auf Verfahrenshindernisse gibt. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss und ist dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft bekannt zu geben.

Inwieweit ist das Gericht im Zwischenverfahren an die Anklageschrift gebunden?

Das Gericht ist im Zwischenverfahren zwar an den Sachverhalt gebunden, wie er in der Anklageschrift dargelegt ist, jedoch nicht an die rechtliche Würdigung durch die Staatsanwaltschaft. Das Gericht prüft eigenständig, ob die in der Anklageschrift formulierten Tatsachen einen hinreichenden Tatverdacht begründen und welche Straftatbestände gegebenenfalls erfüllt sein könnten. Ist die rechtliche Würdigung der Staatsanwaltschaft nach Ansicht des Gerichts unzutreffend, kann das Gericht das Verfahren auch aufgrund eines anderen Straftatbestandes eröffnen (§ 207 Abs. 1 StPO), sofern dieser durch den in der Anklageschrift bezeichneten Sachverhalt gedeckt ist und der Angeschuldigte weder hinsichtlich des Sachverhalts noch seiner rechtlichen Bedeutung überrascht wird.

Können im Zwischenverfahren noch weitere Ermittlungsmaßnahmen angeordnet werden?

Ja, das Gericht kann gemäß § 202 StPO im Zwischenverfahren von Amts wegen oder auf Antrag der Verfahrensbeteiligten anordnen, dass bestimmte Beweiserhebungen nachgeholt oder vertieft werden. Das Gericht ist dabei verpflichtet, alle Umstände aufzuklären, die einem hinreichenden Tatverdacht entgegenstehen könnten; insbesondere dann, wenn Zweifel an den vorliegenden Beweisen bestehen. Es kann Zeugen laden, Sachverständige beauftragen oder Urkunden beiziehen. Diese Nachermittlungen dienen dazu, eine sachgerechte Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu ermöglichen und willkürliche oder unhaltbare Anklagen zu vermeiden.

Welche Rechtsmittel stehen gegen die Entscheidungen des Gerichts im Zwischenverfahren zur Verfügung?

Gegen den Beschluss, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und das Verfahren eingestellt wird (§ 204 StPO), steht der Staatsanwaltschaft gemäß § 210 StPO die sofortige Beschwerde zu. Wird das Hauptverfahren dagegen eröffnet, ist dieser Eröffnungsbeschluss grundsätzlich nicht mit einem Rechtsmittel anfechtbar – eine Ausnahme besteht nur in ganz bestimmten Fallkonstellationen, etwa wenn zugleich ein Beschluss nach § 206a StPO (Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses) ergeht. Der Angeschuldigte kann also gegen die Eröffnung nicht „isoliert“ Beschwerde einlegen; sein Rechtsschutz ist insoweit auf das Hauptverfahren und dortige Verfahrensrügen beschränkt.

Beginnt mit dem Zwischenverfahren bereits die öffentliche Hauptverhandlung?

Nein, das Zwischenverfahren ist kein Teil der öffentlichen Hauptverhandlung, sondern ein eigenständiges Verfahrensstadium, das ausschließlich dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten – vor allem der Staatsanwaltschaft und dem Angeschuldigten samt Verteidiger – zugänglich ist. Die Öffentlichkeit wird im Zwischenverfahren nicht beteiligt, eine mündliche Verhandlung findet regelmäßig nicht statt. Das Zwischenverfahren endet mit der Entscheidung des Gerichts über die Eröffnung oder die Nichteröffnung des Hauptverfahrens. Erst mit dem Eröffnungsbeschluss beginnt die Hauptverhandlung, die grundsätzlich öffentlich ist (§ 169 GVG).