Legal Lexikon

Zweitbescheid


Begriff und rechtliche Einordnung des Zweitbescheids

Der Begriff Zweitbescheid bezeichnet im deutschen Verwaltungsrecht einen weiteren Bescheid, der von einer Behörde erlassen wird, nachdem bereits ein erster Verwaltungsakt zu demselben oder einem im Zusammenhang stehenden Lebenssachverhalt existiert. Der Zweitbescheid kann verschiedene rechtliche Funktionen übernehmen und unterschiedliche Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Betroffenen entfalten. Die genaue Abgrenzung zum Erstbescheid, die rechtlichen Voraussetzungen sowie die Wirkungen werden regelmäßig anhand der Fallkonstellation und der jeweiligen Fachgesetzgebung beurteilt.

Funktionen und Formen des Zweitbescheids

Abgrenzung Erstbescheid – Zweitbescheid

Der Erstbescheid ist der ursprüngliche, auf den Einzelfall bezogene Verwaltungsakt, der eine individuell-konkrete Regelung trifft. Ein Zweitbescheid setzt regelmäßig das Bestehen eines vorangegangenen, regelmäßig noch wirksamen Erstbescheids voraus. Er unterscheidet sich von einem bloßen Änderungs- oder Aufhebungsbescheid, da er neben diesen Formen einen eigenständigen Regelungsgehalt aufweisen kann. Der Zweitbescheid kann insbesondere in Fällen ergehen, in denen der Betroffene einen weiteren Antrag stellt oder die Behörde aufgrund neu eingetretener Umstände von sich aus erneut entscheidet.

Typische Anwendungsfälle

Typische Fallgruppen für einen Zweitbescheid sind:

  • Wiederholungsbescheid: Die Behörde bestätigt ihren ersten Bescheid nochmals ausdrücklich (sog. „Zweitbescheid im engeren Sinne”), oftmals nach einem Rechtsbehelf oder Antrag auf Überprüfung.
  • Konkretisierender Bescheid: Es wird auf Basis des Erstbescheids eine präzisierende, klarstellende oder erläuternde Regelung getroffen.
  • Folgebescheid: Befasst sich mit weiteren Aspekten desselben Grundsachverhalts oder greift an den Erstbescheid anknüpfende neue Tatsachen oder rechtliche Bewertungen auf.

Eine Besonderheit stellt der Umbescheid dar, der bei schwerwiegenden inhaltlichen Fehlern des Erstbescheids ergehen kann.

Rechtliche Wirkungen und Bedeutung des Zweitbescheids

Bindungswirkung und Wirksamkeit des Erstbescheids

Ein zentrales Problem bei einem Zweitbescheid ist die Frage, inwieweit der Erstbescheid für die Behörde oder den Adressaten Bindungswirkung entfaltet. Grundsätzlich entfaltet ein wirksamer Verwaltungsakt Bindungswirkung (§ 43 VwVfG), sodass ein weiterer Verwaltungsakt zur gleichen Sache grundsätzlich nicht zulässig ist (Grundsatz der Bestandskraft und der Einmaligkeit des Verwaltungsakts). Ein Zweitbescheid kann jedoch ausnahmsweise zulässig sein, insbesondere wenn neue Tatsachen vorliegen, eine neue Rechtslage eingetreten ist oder der Erstbescheid an einem schwerwiegenden rechtlichen Fehler leidet.

Rechtsschutz gegen den Zweitbescheid

Gegen einen Zweitbescheid ergibt sich für die betroffene Person die Möglichkeit, wie auch gegen andere Verwaltungsakte, die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe einzulegen (Widerspruch, Klage). Die Zulässigkeit und das Bedürfnis nach Rechtsschutz hängen oft davon ab, ob der Zweitbescheid eine selbstständige, neue Regelung enthält oder lediglich die zuvor getroffene Entscheidung wiederholt (Wiederholungsbescheid). Im letztgenannten Fall kann das Rechtsschutzinteresse entfallen oder die Klage als unzulässig verworfen werden, sofern kein neuer Beschwerdegegenstand betroffen ist.

Wiederholungsbescheid

Wird lediglich der Erstbescheid wortgleich wiederholt (reiner Wiederholungsbescheid), besteht grundsätzlich kein neues Rechtsschutzinteresse, da sich die Rechtsstellung des Betroffenen durch den Zweitbescheid inhaltlich nicht ändert. Lediglich, wenn der Zweitbescheid eine eigenständige Regelung trifft oder neue Aspekte regelt, entsteht ein eigenständiges Rechtsschutzbedürfnis (erweiterter Zweitbescheid).

Abgrenzung zu anderen behördlichen Maßnahmen

Der Zweitbescheid ist insbesondere von Änderungs- und Aufhebungsbescheiden abzugrenzen:

  • Änderungsbescheid: Modifiziert einen bestehenden Verwaltungsakt teilweise, ohne diesen vollständig zu ersetzen (§ 48, § 49 VwVfG).
  • Aufhebungsbescheid: Hebt einen bestehenden Verwaltungsakt teilweise oder vollständig auf.
  • Klarstellungsbescheid: Erläutert oder konkretisiert eine bestehende Verfügung, ohne deren Regelungsgehalt zu ändern.
  • Folgebescheid: Stellt auf einen nach Erlass des Erstbescheids eingetretenen neuen Sachverhalt ab, sofern dieser mit dem Erstbescheid in einem engen Zusammenhang steht.

Der Zweitbescheid ist regelmäßig zu verneinen, wenn lediglich eine Nichtbefassung erfolgt (Nichtbeschwer).

Praxisrelevanz in ausgewählten Rechtsgebieten

Sozialverwaltungsrecht

Zweitbescheide begegnen im Sozialverwaltungsrecht insbesondere im Kontext von Überprüfungsanträgen nach § 44 SGB X. Die Behörde entscheidet nach einem Überprüfungsantrag häufig durch Zweitbescheid, der eine erneute Sachentscheidung darstellt und damit erneut einen Verwaltungsakt begründet. Rechtsschutz muss gegen den Zweitbescheid erfolgen, soweit er eine neue Beschwer enthält.

Ausländer- und Asylrecht

Im Ausländer- und Asylrecht ist der Zweitbescheid häufig bei Anträgen auf erneute Überprüfung von Aufenthaltstiteln, Bleiberecht oder Abschiebungsschutz relevant. Auch hier ist regelmäßig zu prüfen, ob der Zweitbescheid eine neue Regelung trifft oder lediglich den bisherigen Verwaltungsakt bestätigt.

Umwelt- und Bauordnungsrecht

Im Umwelt- oder Bauordnungsrecht kann die zuständige Behörde durch Zweitbescheid nachträgliche Bedingungen oder Auflagen zu einem bestehenden Verwaltungsakt erlassen, sofern ihr dies gesetzlich gestattet ist.

Literatur und Rechtsprechung

In der Literatur und Rechtsprechung wird die Thematik des Zweitbescheids vielschichtig erörtert, insbesondere mit Blick auf die Bindungswirkung von Verwaltungsakten und das prozessuale Rechtsschutzbedürfnis im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt darauf ab, ob der Zweitbescheid eine eigenständige Regelung enthält oder lediglich den Erstbescheid wiederholt.

Wichtige Entscheidungen

  • BVerwG, Urteil vom 3. Mai 1994, Az. 1 C 30/92 (zum Rechtsschutzinteresse beim Wiederholungsbescheid)
  • BSG, Urteil vom 28. Oktober 2021, Az. B 8 SO 30/20 R (Zweitbescheid im Sozialverwaltungsrecht)

Zusammenfassung

Der Zweitbescheid ist ein bedeutsames Instrument im Verwaltungsverfahren, das sowohl im materiellen als auch im prozessualen Recht eine differenzierte Betrachtung erfordert. Die Rechtmäßigkeit, Bindungswirkung und Rechtsfolgen eines Zweitbescheids richten sich maßgeblich nach seiner inhaltlichen Ausgestaltung und dem Zusammenhang mit einem bereits vorangegangenen Erstbescheid. Rechtsschutz kann grundsätzlich gegen jeden Zweitbescheid eingelegt werden, sofern eine eigenständige Regelung getroffen wurde oder ein neues Beschwerdeinteresse besteht. Eine eindeutige Abgrenzung ist stets im Einzelfall vorzunehmen.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist gegen einen Zweitbescheid der Rechtsbehelf des Widerspruchs zulässig?

Gegen einen Zweitbescheid ist der Widerspruch grundsätzlich zulässig, sofern es sich bei dem Bescheid um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG handelt und soweit kein Ausschluss des Widerspruchsverfahrens nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO oder durch Spezialgesetze vorliegt. In der Praxis wird der Zweitbescheid häufig nach Erlass eines ersten Bescheides erlassen, um auf neue Tatsachen, nachträgliche Änderungen oder geänderte rechtliche Würdigungen zu reagieren. Da auch der Zweitbescheid – wie der Erstbescheid – unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber dem Betroffenen entfaltet, hat dieser grundsätzlich die Möglichkeit, im Rahmen der Monatsfrist nach § 70 VwGO Widerspruch einzulegen. Unanfechtbarkeit des Erstbescheides führt nicht zwangsläufig zur Unanfechtbarkeit des Zweitbescheides, da insbesondere bei materiell-rechtswidrigem Erstbescheid der Zweitbescheid einen eigenständigen Regelungsgehalt haben kann.

In welchen Konstellationen ist ein Zweitbescheid rechtlich wirksam, obwohl bereits ein bestandskräftiger Erstbescheid vorliegt?

Ein Zweitbescheid kann rechtlich wirksam sein, obwohl ein bestandskräftiger Erstbescheid existiert, wenn die Verwaltung berechtigt ist, denselben Regelungsgegenstand erneut aufzugreifen, sei es durch Neuerteilung, Abänderung oder Rücknahme. Dies ist insbesondere in den Fällen des Wiederaufgreifens nach § 51 VwVfG, bei Ermessenserwägungen gemäß § 48, § 49 VwVfG (Rücknahme und Widerruf) oder einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zulässig. Daneben ist ein Zweitbescheid auch im Rahmen von Dauerverwaltungsakten oder periodisch zu erlassenden Bescheiden nicht ausgeschlossen. Für die Wirksamkeit ist zudem maßgeblich, dass der Zweitbescheid ordnungsgemäß bekannt gegeben wurde und inhaltlich hinreichend bestimmt ist. Bei konkurrierenden Zweitbescheiden kann der “neueste” Bescheid den “alten” nach der sogenannten “Sukzessivbescheid-Theorie” ersetzen, sofern die Verwaltung zur Neuentscheidung befugt war.

Kann ein Zweitbescheid neben dem Erstbescheid fortgelten oder hebt er regelmäßig den Erstbescheid auf?

Ein Zweitbescheid hebt den Erstbescheid regelmäßig (auch konkludent) auf, sofern er denselben Regelungsgegenstand betrifft und die Verwaltung durch den Zweitbescheid erkennbar eine neue, abschließende Regelung treffen will (sog. “Ersetzungsfunktion”). In solchen Fällen tritt eine Ersetzung oder Überlagerung des Erstbescheids durch den neueren Bescheid ein. Allerdings kann es in besonderen Konstellationen (z.B. in Stufenbescheiden oder bei sogenannten Teilregelungen) zur Nebeneinanderexistenz von Erst- und Zweitbescheid kommen, sofern sie inhaltlich und sachlich verschiedene Regelungsgegenstände betreffen oder der Zweitbescheid lediglich ergänzend wirkt. Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist regelmäßig der Regelungsgegenstand nach § 35 VwVfG sowie der behördliche Regelungswille, wie er aus dem Inhalt des Bescheids zu entnehmen ist.

Welche Besonderheiten bestehen bei der Anfechtung eines Zweitbescheides im gerichtlichen Verfahren?

Im gerichtlichen Verfahren ist bei der Anfechtung des Zweitbescheids zu prüfen, ob der Kläger noch ein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung des Erstbescheides hat oder ob sich dieser durch den Zweitbescheid erledigt hat. Der Zweitbescheid kann gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO als neuer Anfechtungsgegenstand herangezogen werden, wenn er den ursprünglichen Verwaltungsakt ersetzt. Sollte der Zweitbescheid allerdings keinen vollumfänglichen Ersatz bewirken, sondern nur eine Teilregelung darstellen, verbleibt das Rechtsschutzinteresse auch bezüglich des Erstbescheides. Es ist möglich, dass das Gericht den Zweitbescheid gemäß §§ 58 ff. VwGO in die gerichtliche Überprüfung einbezieht und – bei Erfolg – diesen aufhebt und damit auch eine Rechtswirkung für den Erstbescheid erzeugt. Zudem können Fristen neu zu laufen beginnen, sofern der Zweitbescheid als neuer Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.

Wie wirkt sich ein Zweitbescheid auf die Vollstreckung eines vorausgegangenen Erstbescheides aus?

Die Wirksamkeit eines Zweitbescheides beeinflusst die Vollstreckung eines vorausgegangenen Erstbescheides dahingehend, dass mit Eintritt der Wirksamkeit des Zweitbescheides der Erstbescheid entweder vollständig oder teilweise seine Grundlage für die Vollstreckung verliert, sofern der Zweitbescheid den Erstbescheid aufhebt, ersetzt oder ändert. Vollstreckungsmaßnahmen auf Basis des Erstbescheids dürfen in diesem Fall nicht länger fortgeführt werden; laufende Vollstreckungsverfahren sind einzustellen, da die Titelfunktion des Erstbescheids durch die des Zweitbescheids ersetzt wird. Wird der Zweitbescheid aufgehoben, lebt unter Umständen die Vollstreckbarkeit des Erstbescheids wieder auf, sofern dieser noch nicht endgültig erledigt ist und kein sonstiger Erledigungstatbestand eingreift.

Welchen Einfluss hat ein Zweitbescheid auf bereits abgeschlossene oder laufende Rechtsbehelfsverfahren?

Ein Zweitbescheid kann abgeschlossene oder laufende Rechtsbehelfsverfahren maßgeblich beeinflussen. Soweit ein Zweitbescheid in einem laufenden Rechtsbehelfsverfahren (z.B. Widerspruchsverfahren) erlassen wird und den ursprünglichen Verwaltungsakt vollständig ersetzt, führt dies regelmäßig dazu, dass das Verfahren gegenstandslos wird und das neue Verwaltungsrechtsverhältnis allein durch den Zweitbescheid bestimmt wird. In der gerichtlichen Überprüfung kann der Zweitbescheid als neuer Streitgegenstand – durch sachdienliche Klageänderung oder als sogenannter „Ersetzungsbescheid” – einbezogen werden (§ 91 VwGO analog). Ist das ursprüngliche Verfahren bereits abgeschlossen und rechtskräftig, besteht grundsätzlich kein Raum mehr für eine Überprüfung des Erstbescheids, nicht aber für eine Überprüfung des Zweitbescheids selbst im Wege eines neuen Rechtsbehelfsverfahrens. Die rechtsgestaltende Wirkung eines abgeschlossenen Verfahrens bleibt auf den Erstbescheid beschränkt, sofern keine Durchbrechung der Rechtskraft erfolgt.