Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Zwangsheirat

Zwangsheirat


Begriff und Definition der Zwangsheirat

Unter einer Zwangsheirat versteht man die Verheiratung einer oder beider Personen gegen ihren freien Willen durch massiven sozialen, psychischen oder physischen Druck oder durch unmittelbaren Zwang. Die Zwangsheirat grenzt sich damit klar von der arrangierten Ehe ab, bei der die betroffenen Personen in letzter Konsequenz ein Mitspracherecht und eine Wahlmöglichkeit besitzen. Die Zwangsheirat ist in zahlreichen Staaten, darunter Deutschland, als eigenständiger Straftatbestand gesetzlich verboten und stellt einen gravierenden Verstoß gegen das Recht auf freie Eheschließung und die Menschenwürde dar.

Gesetzliche Grundlagen zur Zwangsheirat

Internationales Recht

Allgemeine Menschenrechte

Das Recht auf freie Eheschließung ist im internationalen Recht unter anderem durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 16 Abs. 2) sowie durch die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 12) geschützt. Beide Regelwerke bestimmen, dass die Ehe nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden darf.

Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) unterstreicht das Recht jeder Frau auf freie Wahl des Ehepartners und auf den Abschluss der Ehe nur mit freier und voller Zustimmung.

Rechtslage in Deutschland

Strafrechtliche Regelungen

§ 237 StGB – Zwangsheirat

In Deutschland wird die Zwangsheirat durch § 237 des Strafgesetzbuches (StGB) unter Strafe gestellt. Danach macht sich strafbar, wer eine andere Person durch Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, eine Ehe einzugehen oder fortzusetzen. Die Vorschrift umfasst sowohl die Erzwingung der Eingehung als auch die Aufrechterhaltung einer Ehe gegen den Willen eines Ehepartners.

Tatbestand und Tathandlungen
  • Täterkreis: Jede natürliche Person kann als Täter in Betracht kommen; typischerweise sind es Angehörige, die Druck ausüben.
  • Tathandlung: Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder andere widerrechtliche Nötigung.
  • Opfer: Kann jede heiratsfähige Person sein, unabhängig von Geschlecht oder religiösem Hintergrund.
Strafmaß und Rechtsfolgen

Die Zwangsheirat wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren geahndet. In minder schweren Fällen ist eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren vorgesehen. Besonders schwer wiegt die Tat, wenn das Opfer minderjährig ist oder besonders ausgeliefert ist.

Zivilrechtliche Aspekte

Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe

Eine durch Zwang geschlossene Ehe ist gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechtbar. Die Frist zur Anfechtung beträgt ein Jahr ab Wegfall der Zwangslage. Eine Anfechtung führt zur rückwirkenden Auflösung der Ehe.

Minderjährige Eheleute

Nach § 1303 BGB ist die Eheschließung grundsätzlich erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres zulässig. Ehen mit Minderjährigen sind gemäß § 1314 Abs. 1 BGB nichtig.

Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen

Im Aufenthaltsrecht kann eine Zwangsheirat Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus haben, beispielsweise im Zusammenhang mit Ehegattennachzug gemäß § 30 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Wird eine Ehe wegen Zwangs aufgehoben, ist dies unter Umständen für den generellen Aufenthaltsanspruch des Ehepartners relevant.

Zwangsheirat im Kontext des Schutzes von Opfern

Opferrechte und Unterstützungsangebote

Betroffene einer Zwangsheirat haben Anspruch auf Schutz und Hilfe. Es gibt spezifische Interventionsprogramme, Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen. Auch neue Identität und Wohnorte werden in schweren Fällen vermittelt.

Opferentschädigung

Entsteht durch eine Zwangsheirat ein erheblicher Schaden an Leib, Leben oder Freiheit des Opfers, können Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) bestehen.

Zwangsheirat im internationalen Rechtsvergleich

Europäische Staaten

Die meisten europäischen Staaten definieren Zwangsheirat als Straftat. So existieren in Österreich (§ 106a StGB), der Schweiz (Art. 181a StGB) und Frankreich spezielle Strafrechtsvorschriften zur Ahndung von Zwangsverheiratung.

Integration in ausländische Staatsordnungen

In vielen Staaten außerhalb Europas existieren spezifische Regelungen gegen Zwangsheirat, häufig im Zusammenhang mit Kinderschutz. In Staaten mit stark traditionell geprägten Gesellschaftsstrukturen ist die Rechtsdurchsetzung jedoch oft erschwert. Zahlreiche internationale Initiativen setzen sich für einen konsequenten Schutz der Betroffenen ein.

Zwangsheirat als Verletzung von Grundrechten

Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde

Zwangsheirat stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der Menschenwürde (Art. 1 GG) dar. Dies umfasst sowohl die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) als auch die freie Wahl des Ehepartners.

Rechtliche Folgen für die betroffene Person

Neben der Möglichkeit der Anfechtung der Ehe kann auch zivilrechtlicher und strafrechtlicher Schutz in Anspruch genommen werden. Besondere Regelungen gelten für Minderjährige und besonders schutzbedürftige Opfer.

Prävention und staatliche Maßnahmen

Gesetzgeberische Initiativen

Der Gesetzgeber ergreift verstärkt Maßnahmen auf Bund- und Länderebene zur Prävention und Aufklärung, um Zwangsheiraten zu verhindern. Dazu zählen Informationskampagnen sowie Hilfsprogramme für bedrohte Personen.

Strafverfolgung und internationale Zusammenarbeit

Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus wird kontinuierlich gestärkt, um grenzüberschreitende Zwangsverheiratungen wirksam zu bekämpfen.

Literatur und Weblinks

Für vertiefende Informationen empfiehlt sich die Konsultation der einschlägigen Literatur sowie der Webseiten von Institutionen wie dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Opferhilfestellen und internationalen Organisationen (z. B. UN Women, Terre des Femmes).


Hinweis: Die rechtlichen Regelungen können sich je nach Land und Zeitstand ändern. Maßgeblich ist immer die aktuell geltende Gesetzeslage.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen hat eine Zwangsheirat in Deutschland?

Zwangsheirat ist in Deutschland gemäß § 237 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Wer einen anderen Menschen durch Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel dazu nötigt, eine Ehe einzugehen, macht sich strafbar und kann mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Bereits der Versuch ist strafbar. Es ist unerheblich, ob die Ehe tatsächlich vollzogen wird oder nicht – der Versuch, jemanden gegen dessen Willen zu einer Ehe zu zwingen, reicht für die Strafbarkeit aus. Neben strafrechtlichen Folgen kann die Zwangsheirat auch zivilrechtliche Konsequenzen haben: Die Eheschließung kann nach § 1314 BGB wegen Widerrechtlichkeit oder Drohung aufgehoben werden. Das Opfer einer Zwangsheirat hat somit das Recht, die Aufhebung der Ehe vor dem Familiengericht zu beantragen. Im Rahmen des Strafprozesses kommen Opfern außerdem Opferrechte wie Nebenklage, Opferanwalt oder psychosoziale Prozessbegleitung zu.

Können Opfer einer Zwangsheirat die Ehe annullieren lassen?

Ja, Opfer einer Zwangsheirat können gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB beim Familiengericht einen Antrag auf Aufhebung der Ehe stellen, wenn sie zur Eheschließung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden sind. Dabei muss die Drohung so schwerwiegend gewesen sein, dass sie geeignet war, den freien Willen des Opfers zu beseitigen. Der Antrag ist an eine Frist gebunden: Er muss innerhalb eines Jahres nach Wegfall der Zwangslage gestellt werden. Nach Ablauf dieser Frist sind die rechtlichen Möglichkeiten zur Annullierung wegen Zwang nur noch sehr eingeschränkt gegeben. Während des Verfahrens kann das Gericht auch Maßnahmen zum Schutz des Opfers wie einstweilige Anordnungen erlassen.

Welche Beweismittel sind im Verfahren um eine Zwangsheirat zulässig?

Vor Gericht sind alle Beweismittel zulässig, die zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen können. Dazu zählen die persönliche Anhörung der Ehepartner, Zeugenaussagen (z. B. Verwandte, Freunde, Beratungsstellen), schriftliche Kommunikationsmittel wie Briefe, E-Mails, Chatverläufe oder Tonaufnahmen, ärztliche Atteste bei Verletzungen sowie polizeiliche oder behördliche Protokolle. Grundsätzlich obliegt es dem Gericht, die Glaubhaftigkeit und Relevanz der Beweise zu bewerten. Auch eine psychosoziale Begleitung des Opfers kann im Verfahren zur Stützung der Aussage beitragen. Es besteht keine Pflicht zur Selbstbelastung für das Opfer, und Datenschutzregelungen müssen beachtet werden.

Welche besonderen Schutzmöglichkeiten gibt es für Betroffene im Zivil- und Strafverfahren?

Betroffene von Zwangsheirat haben in zivil- wie strafrechtlichen Verfahren weitgehende Schutzrechte. Möglich ist die Beantragung eines Schutzauftrags nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG): Das Gericht kann beispielsweise Wohnungsverweisungen, Kontakt- und Näherungsverbote gegenüber dem Täter aussprechen. Außerdem kann das Opfer, insbesondere im Strafverfahren, Opferanwalt, Nebenklage und psychosoziale Prozessbegleitung beanspruchen. Es besteht die Möglichkeit, Anonymität zu wahren oder Zeugenvernehmungen der Öffentlichkeit teilweise oder vollständig auszuschließen. Minderjährige Betroffene stehen zudem unter dem besonderen Schutz des Jugendamtes, das im Verfahren als Beistand auftreten kann. Besteht akute Gefahr, greifen Sofortmaßnahmen durch Polizei und Jugendamt.

Können Zwangsehen auch im Ausland strafrechtlich verfolgt werden?

Grundsätzlich sind Taten, die im Ausland begangen werden, im Rahmen von § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch dann in Deutschland verfolgbar, wenn das Opfer Deutscher oder in Deutschland wohnberechtigt ist und die Tat auch am Tatort unter Strafe steht. Das heißt, eine im Ausland vollzogene Zwangsheirat kann unter bestimmten Bedingungen auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Zudem wird eine im Ausland geschlossene Ehe, die auf Zwang basiert, nach deutschem Recht nicht anerkannt, wenn sie den grundlegenden Verfassungswerten widerspricht oder mit deutschem ordre public unvereinbar ist (§ 11 FamFG, Art. 6 EGBGB). Opfer können sich auch an die deutschen Auslandsvertretungen wenden, die Unterstützung anbieten.

Welche Rechte haben minderjährige Betroffene?

Minderjährige genießen einen besonderen Schutz. Die Eheschließung von Personen unter 18 Jahren ist grundsätzlich nach § 1303 BGB in Deutschland unzulässig. Ist dennoch im Ausland eine Ehe geschlossen worden, an der ein in Deutschland lebender Minderjähriger beteiligt ist, wird diese Ehe in Deutschland in der Regel nicht anerkannt und kann aufgehoben werden (§ 1314 Abs. 1 BGB). Jugendamt und Familiengericht können Schutzmaßnahmen anordnen. Minderjährige Opfer haben ein Recht auf Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII und darauf, in einem geschützten Raum untergebracht zu werden. In Strafverfahren können besondere Schutzmaßnahmen wie Videovernehmung oder die Bestellung eines Verfahrensbeistands erfolgen.

Gibt es für Betroffene einer Zwangsheirat staatliche Unterstützung und Rechtsberatung?

In Deutschland gibt es ein engmaschiges Netzwerk staatlicher und nichtstaatlicher Beratungs- und Hilfsangebote. Opfer können sich vertrauensvoll an Jugendämter, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, Frauenhäuser, spezialisierte Beratungsstellen und an Anwälte wenden. Für die Rechtsberatung und gerichtliche Durchsetzung stehen ihnen Beratungs- und Prozesskostenhilfe zu, sofern sie bedürftig sind. Zusätzlich bestehen spezielle Programme und Projekte, die rechtliche und psychosoziale Unterstützung bieten, insbesondere für Betroffene mit Migrationshintergrund. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellt Informationen und Unterstützungsangebote zur Verfügung.