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Zurückstellung der Strafvollstreckung


Begriff und Bedeutung der Zurückstellung der Strafvollstreckung

Die Zurückstellung der Strafvollstreckung ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht. Er bezeichnet die formelle Entscheidung, den Vollzug einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe, einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer Nebenstrafe (beispielsweise Fahrverbot) für eine bestimmte Dauer auszusetzen oder aufzuschieben. Im Gegensatz zu einer Aussetzung zur Bewährung betrifft die Zurückstellung insbesondere Konstellationen, in denen besondere gesetzlich geregelte Hinderungsgründe vorliegen. Ziel ist, den Vollzug der Strafe unter Beachtung übergeordneter Rechtsgüter oder gesetzlicher Zwecke temporär zurückzustellen.


Rechtsgrundlagen und gesetzlicher Rahmen

Strafgesetzbuch (StGB)

Das Strafgesetzbuch (StGB) regelt die Zurückstellung der Strafvollstreckung nur mittelbar. Im engeren Sinne finden sich einschlägige Regelungen zu dieser Materie insbesondere im Strafvollstreckungsrecht.

Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO)

Die Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) enthält die maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen. Hieraus ergeben sich sowohl materielle Voraussetzungen als auch formale Anforderungen an das Verfahren.

Betäubungsmittelgesetz (BtMG) – § 35 Rückstellung wegen Therapiewillen

Ein bedeutsames Anwendungsfeld ist die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG. Diese Regelung ermöglicht Straffälligen, die wegen einer Betäubungsmittelabhängigkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, den Strafantritt aufzuschieben, sofern die Teilnahme an einer Therapie zur Behandlung der Abhängigkeit erfolgt.

Weitere gesetzliche Grundlagen

Darüber hinaus sieht das Gesetz in Einzelfällen weitere Möglichkeiten der Strafvollstreckungszurückstellung vor. Exemplarisch zu nennen ist die Zurückstellung aus gesundheitlichen, humanitären oder anderen gewichtigen Gründen (§§ 455, 456 StPO).


Konkrete Gründe und Fallgruppen der Strafvollstreckungszurückstellung

1. Zurückstellung wegen Behandlung einer Sucht – § 35 BtMG

Voraussetzungen

Die Vollstreckung von Freiheitsstrafen, die auf einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Straftaten nach dem BtMG beruhen, kann zurückgestellt werden, wenn der Verurteilte sich zu einer Therapie bereit erklärt, um die bestehende Sucht zu behandeln. Wesentliche Bedingungen sind:

  • Die vom Gericht festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe beträgt nicht mehr als zwei Jahre.
  • Das Tatgeschehen steht in einem engen Zusammenhang mit der Suchtmittelabhängigkeit.
  • Eine verbindliche Zusage eines Therapieplatzes liegt vor, und der Antritt der Behandlung ist gewährleistet.
  • Es bestehen keine erheblichen Bedenken gegen den Therapiewillen oder etwas spricht nicht gegen die Erfolgsaussicht der Behandlung.

Verfahren und Ablauf

Der Antrag auf Zurückstellung kann durch den Verurteilten oder die Staatsanwaltschaft gestellt werden. Die Strafvollstreckungsbehörde prüft die persönlichen, sachlichen und formalen Voraussetzungen sowie den Therapieplan und die Aussicht auf einen Therapieerfolg. Die Zurückstellung wird in der Regel für die Dauer der Behandlung ausgesprochen. Bei Therapieabbruch oder nicht ordnungsgemäßem Ablauf wird der Vollzug der Strafe fortgesetzt.

2. Zurückstellung aus medizinischen, humanitären oder persönlichen Gründen

Nach § 455 StPO kann der Strafvollzug zurückgestellt werden, sofern bei dem Verurteilten eine akute Erkrankung oder schwerwiegende medizinische Gründe vorliegen, die den Strafantritt unmöglich oder unzumutbar machen würden. Typische Fallgruppen:

  • Schwerwiegende akute oder chronische Krankheit
  • Schwangerschaft oder unmittelbare Entbindung
  • Betreuung eines erkrankten nahen Angehörigen

Die Zurückstellung erfolgt regelmäßig befristet. Ein ärztliches Gutachten ist zumeist Voraussetzung für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft.

3. Weitere Fallgruppen

Unter bestimmten Umständen kann eine Zurückstellung auch aus anderen gewichtigen Gründen erfolgen, beispielsweise:

  • Erledigung beruflicher oder familiärer Angelegenheiten (nur in Ausnahmefällen)
  • Tod eines nahen Angehörigen
  • Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten

Verfahren der Strafvollstreckungszurückstellung

Zuständigkeit

Über die Zurückstellung der Strafvollstreckung entscheidet grundsätzlich die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. In komplexeren Fällen oder bei Streitigkeiten kann das Gericht auf Antrag entscheiden.

Antragstellung und Unterlagen

Die Zurückstellung kann durch schriftlichen Antrag erfolgen. Beizufügen sind sämtliche für die Prüfung relevanten Unterlagen wie Therapieplatzbestätigung, ärztliche Atteste oder weitere Nachweise.

Dauer und Bindung

Die Zurückstellung ist grundsätzlich befristet. Nach Ablauf der Frist erfolgt entweder der Strafantritt oder eine erneute Prüfung, ob eine weitere Rückstellung angezeigt ist. Mit rechtskräftiger Entscheidung besteht für die Behörden Bindungswirkung. Wird gegen Maßgaben verstoßen, kann die Zurückstellung widerrufen werden.

Rechtsmittel

Gegen Entscheidungen über die Zurückstellung stehen in der Regel keine förmlichen Rechtsmittel zur Verfügung. In Einzelfällen ist jedoch eine gerichtliche Entscheidung auf Antrag möglich.


Rechtsfolgen und Bedeutung der Zurückstellung

Die Zurückstellung der Strafvollstreckung bewirkt, dass der Vollzug der Strafe temporär ausgesetzt wird. Sie entfaltet jedoch keine Wirkung auf die Rechtskraft der Verurteilung oder auf Bewährungsentscheidungen. Während des Zeitraums der Zurückstellung ruht der Lauf von Vollstreckungsfristen. Kommt es zu einem Widerruf oder Ablauf der Zurückstellung, ist die Strafe zu vollstrecken, sofern keine erneute Zurückstellung oder andere hemmbare Umstände eingreifen.


Abgrenzung zur Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung

Die Zurückstellung der Strafvollstreckung unterscheidet sich grundlegend von der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung. Während die Bewährungsentscheidung im Regelfall auf den Vollzug einer Strafe und deren Bestand im Strafregister wirkt, handelt es sich bei der Zurückstellung lediglich um eine Hemmung des Vollzuges aus besonderen, gesetzlich geregelten Gründen – mit nachfolgendem, möglichen Strafantritt.


Bedeutung in der Praxis

Die Zurückstellung der Strafvollstreckung dient einerseits der Resozialisierung, besonders im Bereich der Drogentherapie, fördert aber auch humanitäre Belange und wahrt die Verhältnismäßigkeit des staatlichen Strafanspruchs. Sie ist unverzichtbarer Bestandteil des kriminalpolitischen Instruments und trägt zur Vermeidung zusätzlicher, gesellschaftlicher Nachteile durch Straffälligkeit bei chronischer Erkrankung oder sozialer Ausnahmesituation bei.


Literatur und Verweise

  • Strafgesetzbuch (StGB)
  • Strafprozessordnung (StPO)
  • Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO)
  • Betäubungsmittelgesetz (BtMG), insbesondere § 35
  • Kommentarliteratur, etwa MüKo-StGB und Schönke/Schröder

Zusammenfassung

Die Zurückstellung der Strafvollstreckung ist ein gesetzlich geregeltes Instrument, das den Vollzug rechtskräftig festgesetzter Strafen oder Maßregeln zeitlich hemmt. Die rechtlichen Voraussetzungen, Verfahren und Folgen sind umfassend in diversen Gesetzen definiert. Sie dient dazu, besondere Schutzinteressen des Verurteilten oder Dritter zu wahren und kann insbesondere bei Therapiewillen, gesundheitlichen oder humanitären Gründen beantragt und gewährt werden.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Voraussetzungen müssen für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG vorliegen?

Für die Zurückstellung der Strafvollstreckung wegen Betäubungsmittelabhängigkeit gemäß § 35 BtMG müssen mehrere gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss der Verurteilte wegen einer Straftat nach den §§ 29 bis 30a BtMG oder, wie in § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG dargestellt, wegen einer anderen mit Betäubungsmittelabhängigkeit zusammenhängenden Straftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sein. Die Gesamtstrafe darf dabei zwei Jahre nicht übersteigen. Weiterhin muss der Verurteilte seine Therapiebereitschaft durch einen Antrag auf Zurückstellung darlegen und durch glaubhafte Nachweise, etwa eine Kostenzusage oder einen Betreuungsplatz, das unmittelbare Anstreben einer therapeutischen Maßnahme belegen. Das Gericht prüft dann, ob eine Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht und keine rechtlichen Ausschlussgründe (wie z.B. erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Wiederholungsgefahr, oder Vorliegen einer schweren anderen Straftat) entgegenstehen.

Welche Arten von Therapien oder Maßnahmen sind bei einer Zurückstellung gemäß § 35 BtMG anerkannt?

Im Rahmen der Zurückstellung der Strafvollstreckung werden in der Regel nur stationäre und ambulante Therapien anerkannt, die auf die Behandlung von Betäubungsmittelabhängigkeit ausgerichtet sind und von zugelassenen, qualifizierten Einrichtungen durchgeführt werden. Dazu zählen Entzugs- und Entwöhnungstherapien in Fachkliniken ebenso wie bestimmte teilstationäre Angebote oder anerkannte ambulante Suchthilfeeinrichtungen, sofern diese eine intensive, strukturierte Suchtbehandlung gewährleisten. Die Maßnahme muss den Zweck verfolgen, die Abhängigkeit zu überwinden oder zu mindern sowie eine nachhaltige Änderung des Konsumverhaltens anzustreben. Reine Beratungs- oder Gesprächsangebote ohne Gesamtkonzept zur Therapie werden in aller Regel nicht als ausreichend anerkannt. Die zuständige Vollstreckungsbehörde oder das Gericht prüft zudem individuell, ob die vorgeschlagene Therapieform geeignet und angemessen ist.

Wie erfolgt das konkrete Antragsverfahren auf Zurückstellung der Strafvollstreckung?

Der Antrag zur Zurückstellung der Strafvollstreckung ist schriftlich zu stellen und kann sowohl vom Verurteilten als auch von seinem Verteidiger bei der Vollstreckungsleitung – dies ist in der Regel die Staatsanwaltschaft, die die Strafe vollstreckt – eingereicht werden. Dem Antrag beizufügen sind Nachweise über die Bereitschaft zur und Möglichkeit der Therapie, wie z.B. die Aufnahmebestätigung der Therapieeinrichtung, ggf. eine Kostenzusage durch einen Sozialleistungsträger sowie eine ärztliche Bescheinigung über die Behandlungsbedürftigkeit. Die Vollstreckungsbehörde prüft den Antrag und entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob alle Voraussetzungen vorliegen und keine Ausschlussgründe bestehen. Gegen ablehnende Entscheidungen kann entweder sofortige Beschwerde eingelegt oder ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden.

Welche rechtlichen Folgen hat eine Zurückstellung der Strafvollstreckung?

Bei Bewilligung der Zurückstellung wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder des Strafrestes für die Dauer der Therapie sowie einer sich ggfs. anschließenden Nachsorgephase ausgesetzt. Während dieser Zeit muss der Verurteilte die Therapie ordnungsgemäß durchführen und die Nachsorgeanforderungen erfüllen. Wird die Therapie erfolgreich abgeschlossen und die Rückfallgefahr als vermindert eingestuft, kann das Gericht entscheiden, einen Teil der Strafe zur Bewährung auszusetzen oder unter bestimmten Voraussetzungen zu erlassen. Bricht der Betroffene die Therapie jedoch unentschuldigt ab oder werden die Bedingungen nicht eingehalten, wird die Zurückstellung aufgehoben und die Strafe ist umgehend anzutreten. Während der Zurückstellungsphase bleiben die Strafvollstreckungsverjährungsfristen gehemmt.

Ist eine mehrfache Zurückstellung der Strafvollstreckung möglich?

Grundsätzlich ist eine wiederholte Inanspruchnahme der Zurückstellung nach § 35 BtMG rechtlich möglich, jedoch knüpfen die Gerichte und Staatsanwaltschaften hieran strengere Voraussetzungen. Es muss glaubhaft dargelegt werden, dass eine erneute Therapie diesmal mit einer erhöhten Aussicht auf Erfolg einhergeht. Häufig werden weiterführende Nachweise verlangt, dass die bisherigen Rückschläge vom Verurteilten aufgearbeitet wurden und er nunmehr eine ernsthafte Therapiebereitschaft sowie eine fundierte Zugangsstrategie zur Suchtbehandlung nachweist. Wiederholte erfolglose Versuche oder ein demonstriertes Missbrauch der Möglichkeit der Zurückstellung können zu einer endgültigen Versagung führen.

Welche Rolle spielen gerichtliche Nachprüfungen und Kontrollen während der Zurückstellungsphase?

Während der Zurückstellung ist die Vollstreckungsbehörde (regelmäßig die Staatsanwaltschaft) verpflichtet, die Einhaltung der Auflagen und den Verlauf der Therapie zu überprüfen. Dazu gehören regelmäßige Rückmeldungen der Therapieeinrichtung, Nachweise über die ordnungsgemäße Teilnahme und ggfs. Zwischenberichte. Bei Auffälligkeiten, wie Abbrüchen, schweren Regelverstößen oder Verstößen gegen Therapieauflagen, kann das Gericht kurzfristig die Rücknahme der Zurückstellung anordnen und die Vollstreckung der Strafe wieder aufnehmen. Die gerichtliche Kontrolle dient dabei dem Schutz des Rechtsstaates sowie dem Nachweis der Erfolgswahrscheinlichkeit der Maßnahme für die Resozialisierung des Betroffenen.

Gibt es Ausschlussgründe, die eine Zurückstellung der Strafvollstreckung unmöglich machen?

Ja, bestimmte Konstellationen schließen die Anwendung des § 35 BtMG aus. Dazu zählen insbesondere Fälle, in denen der Verurteilte wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, welches nicht mit seiner suchtbedingten Problematik in unmittelbarem Zusammenhang steht (z.B. Gewaltverbrechen, schwere Sexualdelikte). Auch wenn von dem Verurteilten – trotz seiner Suchterkrankung – eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht oder Wiederholungsgefahr besteht, kann eine Zurückstellung abgelehnt werden. Des Weiteren ist eine Zurückstellung ausgeschlossen, wenn der Therapiewille fehlt, die beantragte Therapie nicht hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet oder keine Kapazitäten für einen Therapieplatz zur Verfügung stehen. Der Ausschlussgrund ist jeweils im Einzelfall durch die Behörde oder das Gericht zu überprüfen.