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Zeuge vom Hörensagen

Was ist ein Zeuge vom Hörensagen?

Ein Zeuge vom Hörensagen ist eine Person, die vor Gericht oder in einem behördlichen Verfahren nicht über eigene Wahrnehmungen zu einer Tatsache berichtet, sondern wiedergibt, was eine andere Person ihr darüber gesagt hat. Die Aussage beruht somit auf einer vorherigen Mitteilung und nicht auf unmittelbarer Sinneswahrnehmung. Je mehr Übermittlungsschritte zwischen ursprünglicher Wahrnehmung und Gericht liegen, desto ausgeprägter ist der Charakter als Hörensagen.

Abgrenzungen und verwandte Begriffe

Unmittelbarer Zeuge

Ein unmittelbarer Zeuge berichtet über das, was er selbst gesehen, gehört oder anderweitig wahrgenommen hat. Demgegenüber gibt der Zeuge vom Hörensagen die Aussage einer dritten Person wieder.

Gerücht vs. Hörensagen

Bei Hörensagen ist die Quelle der Information identifizierbar (z. B. „Person A sagte mir …“). Ein Gerücht fehlt eine konkret benennbare Quelle. Aussagen zu bloßen Gerüchten besitzen regelmäßig nur geringen Beweiswert.

Sachverständige und Unterlagen

Sachverständige können Informationen Dritter als Grundlage ihrer Begutachtung heranziehen; der Beweiszweck liegt hier jedoch in der fachlichen Bewertung, nicht in der bloßen Wiedergabe fremder Aussagen. Schriftstücke, Protokolle oder Aufzeichnungen sind keine Zeugen, können aber als eigene Beweismittel eine Rolle spielen.

Rechtliche Bedeutung und Grundprinzipien

Prinzip der Unmittelbarkeit

Verfahren sind grundsätzlich darauf ausgerichtet, Tatsachen möglichst unmittelbar aus der Quelle zu erfahren. Darum hat die persönliche Vernehmung derjenigen Person, die etwas selbst wahrgenommen hat, besonderes Gewicht. Hörensagen weicht hiervon ab und wird häufig mit erhöhter Zurückhaltung gewürdigt.

Mündlichkeits- und Öffentlichkeitsgrundsatz

Tatsachen sollen im Termin erörtert und überprüft werden können. Hörensagen schränkt die direkte Überprüfbarkeit ein, weil Rückfragen zur ursprünglichen Wahrnehmung nur eingeschränkt möglich sind.

h3>Freie Beweiswürdigung

Gerichte sind in der Bewertung von Beweisen frei. Eine Aussage vom Hörensagen ist nicht automatisch ausgeschlossen, erhält aber je nach Qualität und Umständen unterschiedliches Gewicht.

Konfrontations- und Fragerechte

Verfahrensbeteiligte sollen aussagebelastende Angaben hinterfragen können. Ist nur eine mittelbare Wiedergabe verfügbar, kann dieses Recht eingeschränkt sein. Dem wird bei der Würdigung des Beweiswerts Rechnung getragen.

Zulässigkeit in verschiedenen Verfahrensarten

Strafverfahren

Hörensagen ist grundsätzlich zulässig, gilt jedoch als weniger belastbar als unmittelbare Wahrnehmungen. Besonderes Augenmerk liegt darauf, ob die ursprüngliche Auskunftsperson erreichbar, vernehmungsfähig oder aus nachvollziehbaren Gründen abwesend ist. Je stärker eine Entscheidung auf Hörensagen beruht, desto höher sind die Anforderungen an Ausgleich und Plausibilisierung.

Zivilverfahren

Im Zivilprozess wird Hörensagen ebenfalls berücksichtigt. Da es primär um die Überzeugungsbildung zu streitigen Tatsachen zwischen Parteien geht, liegt der Schwerpunkt auf der Nachvollziehbarkeit und Stützung durch weitere Beweismittel wie Urkunden oder unmittelbare Zeugenaussagen.

Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit

Diese Verfahren sind vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Auch hier kann Hörensagen Berücksichtigung finden, wird aber in Verbindung mit weiteren Ermittlungen und Beweismitteln eingeordnet.

Faktoren der Beweiswürdigung beim Hörensagen

  • Zahl der Übermittlungsstufen: Je mehr Zwischenschritte, desto höher das Risiko von Missverständnissen.
  • Benennbarkeit und Verfügbarkeit der ursprünglichen Auskunftsperson.
  • Genauigkeit der Wiedergabe: Wortlaut, Kontext, Umstände der Mitteilung.
  • Zeitlicher Abstand zwischen Wahrnehmung, Mitteilung und Aussage im Verfahren.
  • Interessenlage: Mögliche Motive für Über- oder Untertreibung auf jeder Stufe.
  • Stützung: Übereinstimmung mit weiteren Beweismitteln oder Indizien.
  • Entstehungssituation: Spontane Äußerung versus gezielte Befragung.

Typische Konstellationen

  • Bericht einer Ermittlungs- oder Amtsper­son über frühere Aussagen Dritter.
  • Wiedergabe von Angaben eines Kindes durch Eltern oder Betreuungspersonen.
  • Angaben aus dem beruflichen Umfeld, etwa die Mitteilung einer Mitarbeiterin über Äußerungen eines Kollegen.
  • Medizinisches Umfeld, z. B. die Schilderung, was eine Patientin zum Hergang sagte.

Grenzen und Risiken

Hörensagen kann Rechte der Beteiligten berühren, insbesondere wenn es an Möglichkeiten fehlt, die ursprüngliche Aussagequelle zu befragen. Eine Entscheidung, die wesentlich auf Hörensagen beruht, bedarf besonderer Absicherung durch weitere belastbare Umstände. Wurden ursprüngliche Angaben unter Verstößen gegen Verfahrensrechte erlangt, kann die mittelbare Wiedergabe ihre Verwertbarkeit verlieren.

Beispiele für Würdigungsfragen

  • Wer hat konkret was, wann, wo und in welchem Zusammenhang gesagt?
  • Handelt es sich um eine sinngemäße Zusammenfassung oder um den nahezu wörtlichen Inhalt?
  • Welche Beziehung besteht zwischen ursprünglicher Auskunftsperson und der hörensagenberichtenden Person?
  • Gibt es unabhängige Anknüpfungstatsachen, die die Angabe stützen oder relativieren?

Einordnung im deutschsprachigen Rechtsraum

In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist Hörensagen nicht generell ausgeschlossen. Die Würdigung erfolgt einzelfallbezogen. Gemeinsam ist die Zurückhaltung gegenüber Entscheidungen, die im Kern nur auf schwer überprüfbarem Hörensagen beruhen, sowie das Bestreben, die primäre Wahrnehmungsperson zu hören, sofern dies möglich und zumutbar ist.

Zusammenfassung

Der Zeuge vom Hörensagen vermittelt fremde Wahrnehmungen. Seine Aussage ist zulässig, wird aber mit besonderer Sorgfalt gewürdigt. Maßgeblich sind Transparenz über die Quelle, die Zahl der Übermittlungsschritte, Genauigkeit der Wiedergabe und die Stützung durch weitere Beweismittel. Die Bedeutung des Prinzips der Unmittelbarkeit und der Fragerechte prägt die Bewertung über alle Verfahrensarten hinweg.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet „Zeuge vom Hörensagen“ genau?

Es handelt sich um eine Person, die nicht eigene Wahrnehmungen schildert, sondern wiedergibt, was eine andere Person zu einem Sachverhalt gesagt hat. Die Information ist mittelbar, weil sie über eine oder mehrere Stationen übermittelt wurde.

Ist eine Aussage vom Hörensagen überhaupt zulässig?

Ja. Sie ist grundsätzlich zulässig, erhält jedoch je nach Qualität, Nachprüfbarkeit und Stützung durch weitere Umstände ein unterschiedliches Gewicht.

Darf eine Entscheidung allein auf Hörensagen beruhen?

Eine Entscheidung, die wesentlich oder ausschließlich auf Hörensagen basiert, gilt als besonders anfällig für Fehler. Sie bedarf regelmäßig einer sorgfältigen Absicherung durch weitere belastbare Anhaltspunkte.

Worin liegt der Unterschied zwischen Hörensagen und einem Gerücht?

Hörensagen benennt die konkrete Quelle („Person X sagte …“), während ein Gerücht ohne klar identifizierbare Ursprungsquelle im Umlauf ist. Gerüchte haben daher einen sehr geringen Beweiswert.

Welche Rolle spielt die Zahl der Übermittlungsstufen?

Mit jeder zusätzlichen Stufe steigt das Risiko von Missverständnissen, Auslassungen oder Verzerrungen. Dies mindert in der Regel den Beweiswert.

Was passiert, wenn die ursprüngliche Auskunftsperson nicht vernommen werden kann?

In solchen Fällen kommt Hörensagen besondere Bedeutung zu, wird aber besonders sorgfältig geprüft. Häufig wird auf ergänzende Beweismittel oder Indizien abgestellt.

Können frühere Aussagen aus Protokollen die unmittelbare Aussage ersetzen?

Protokolle können berücksichtigt werden, ersetzen die unmittelbare Vernehmung aber nicht vollständig. Sie dienen als Anknüpfungspunkt und werden zusammen mit weiteren Beweismitteln gewürdigt.

Wie wird die Glaubhaftigkeit von Hörensagen bewertet?

Entscheidend sind Genauigkeit und Umstände der Wiedergabe, die Verlässlichkeit der Quelle, mögliche Interessenlagen sowie die Stützung durch weitere objektive Anhaltspunkte.