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Zeuge vom Hörensagen


Zeuge vom Hörensagen

Begriffserklärung und Einordnung

Der Begriff Zeuge vom Hörensagen (auch mittelbarer Zeuge oder Zeuge aus indirekter Wahrnehmung) bezeichnet im deutschen Recht eine Person, die nicht unmittelbar eigene Wahrnehmungen zu einer bestimmten Tatsache schildern kann, sondern Aussagen über Tatsachen bekundet, die ihr von einer anderen Person berichtet wurden. Zeugen vom Hörensagen stützen ihre Aussage somit ausschließlich auf Informationen, die sie „gehört“ haben, ohne selbst Beobachter des zugrundeliegenden Geschehens zu sein.

Abgrenzung zum Augenscheinszeugen

Im Gegensatz zum Augenscheinszeugen oder direkten Zeugen, der aufgrund eigener, sinnlicher Wahrnehmung Angaben zu den maßgeblichen Tatsachen machen kann, ist die Wahrnehmung des Zeugen vom Hörensagen rein mittelbar. Derartige Aussagen beinhalten ein erhöhtes Risiko von Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Übermittlungsfehlern, da zusätzliche Wahrnehmungs- und Verständnisebenen zwischen der eigentlichen Tatsache und der gerichtlichen Aussage liegen.


Funktion und Bedeutung im Zivilprozessrecht

Zulässigkeit der Vernehmung

Nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) ist grundsätzlich jeder, der über Tatsachen berichten kann, die zur Aufklärung einer rechtserheblichen Frage im Rechtsstreit beitragen können, als Zeuge zulässig (§ 373 ZPO). Dies schließt Zeugen vom Hörensagen nicht aus. Auch das Mittel der Zeugenvernehmung nach § 355 ZPO gilt für beide Kategorien.

Beweiswert der Aussage

Obwohl die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen im Zivilprozess grundsätzlich zulässig ist, unterliegt sie einer strengen und kritischen Beweiswürdigung durch das Gericht (§ 286 ZPO). Das Gericht muss sorgfältig prüfen, inwieweit der Wert der Bekundung durch die fehlende Eigenwahrnehmung beeinträchtigt ist. Der Beweiswert ist typischerweise geringer als bei einem unmittelbaren Zeugen. Eine Verurteilung oder Entscheidung ausschließlich auf Grundlage der Aussage eines mittelbaren Zeugen begegnet erheblichen Bedenken, vor allem wenn die erstberichtsgebende Person nicht selbst gehört werden kann.

Beweisführung über Kettengerüchte

Beim sogenannten Kettengerücht, bei dem Aussagen über mehrere Stationen weitergegeben und schließlich als Zeugenaussage wiedergegeben werden, potenzieren sich die Risiken von Wahrnehmungs- und Wiedergabefehlern. Das Gericht ist in diesen Fällen angehalten, solche Aussagen besonders zurückhaltend und kritisch zu würdigen.


Rolle im Strafprozessrecht

Zeuge vom Hörensagen als Beweismittel

Auch im Strafprozess ist die Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen zulässig (§ 244 StPO). Die strafprozessuale Rechtsprechung erkennt die Aussage eines mittelbaren Zeugen als grundsätzlich zulässiges Beweismittel an. Insbesondere im Zusammenhang mit der Konfrontation von Zeugen und Beschuldigten oder bei Belastungsaussagen aus dem Umfeld des Angeklagten kann die mittelbare Zeugenwahrnehmung eine wichtige Rolle spielen.

Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung

Dem Beweiswert von Zeugenaussagen aus Hörensagen wird im Strafprozess regelmäßig besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die Rechtsprechung betont, dass eine ausschließlich auf der Aussage eines mittelbaren Zeugen beruhende Verurteilung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) regelmäßig unzulässig ist, sofern der unmittelbare Zeuge ohne unüberwindbare Hindernisse greifbar wäre. Die Rechtsprechung fordert, dass, sofern möglich, die primärwahrnehmende Person zur Vernehmung geladen wird (vgl. BGHSt 29, 18).

Schutz der Verteidigungsrechte

Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ergibt sich das Recht der Verteidigung, den Aussagekern am Ursprung (also bei der originär wahrnehmenden Person) zu hinterfragen. Dem Angeklagten darf die Möglichkeit, Belastungszeugen direkt zu befragen, nicht über eine mittelbare Zeugenaussage genommen werden, wenn dies ohne erhebliche Einschränkungen möglich ist. Das Gericht hat daher zu prüfen, ob die originäre Zeugin oder der originäre Zeuge zur Verfügung steht und diesen gegebenenfalls zu laden.


Zeuge vom Hörensagen im Verwaltungs- und Sozialprozess

Auch im Verwaltungs- und Sozialgerichtsverfahren sind mittelbare Zeugenaussagen zulässige Beweismittel (§ 98 VwGO, § 103 SGG i.V.m. § 373 ZPO). Dennoch gelten auch hier die Grundsätze der Beweiswürdigung, wobei dem Gericht ein freies Ermessen der tatrichterlichen Überzeugungsbildung eingeräumt wird. Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen reicht meist nur, um erste Anhaltspunkte zu liefern; eine klassische Überzeugungsbildung verlangt regelmäßige Heranziehung von Zeugen mit eigener Wahrnehmung.


Grenzen und Risiken des Zeugen vom Hörensagen

Glaubwürdigkeitsproblematik

Ein wesentlicher Schwachpunkt der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen ist die eingeschränkte Nachprüfbarkeit der Glaubwürdigkeit der Quelle. Da der Zeuge lediglich mitteilt, was eine andere Person ihm berichtet hat, fehlt es an der direkten Überprüfbarkeit der Aussage der primären Informationsquelle.

Unmittelbarkeitsgrundsatz

Sowohl im Straf- als auch im Zivilprozess existiert der sogenannte Unmittelbarkeitsgrundsatz, der die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Gericht fordert. Dieser Grundsatz wird durch die Vernehmung von Zeugen vom Hörensagen durchbrochen, weshalb Gerichte stets den Versuch unternehmen sollten, direkte Zeugen heranzuziehen, sofern diese erreichbar sind.


Praktische Beispiele und Anwendungsbereiche

  • Strafverfahren: Eine Person berichtet der Polizei, dass ihr Freund gesehen habe, wie der Angeklagte eine Straftat begangen habe. Wird nur diese Person als Zeuge vernommen und nicht der Freund selbst, handelt es sich um eine Aussage vom Hörensagen.
  • Zivilverfahren: Im Rahmen eines Verkehrsunfalls teilt eine Zeugin mit, dass ihr Partner den Unfallhergang beobachtet habe und sie über das Geschehen informierte. Im Prozess schildert dann ausschließlich die Partnerin, was ihr berichtet wurde.
  • Verwaltungsverfahren: Im Asylrecht kann es vorkommen, dass Angehörige über das Vorbringen von glaubhaft gemachten Erlebnissen berichten, die ihnen von weiteren Familienmitgliedern mitgeteilt wurden.

Rechtsprechung und Literaturhinweise

Die höchstrichterliche Rechtsprechung (u.a. Bundesgerichtshof, BGHSt 29, 18; BGH, NJW 2003, 1036) betont die eingeschränkte Beweiskraft von Zeugen vom Hörensagen und die Notwendigkeit, originäre Zeugen nach Möglichkeit selbst zu hören. Die Literatur erkennt den Beweiswert vor allem dann an, wenn keine Zweifel an der sekundären und der primären Wiedergabe bestehen und keine anderen Beweismittel verfügbar sind (Thomas/Putzo, ZPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO).


Zusammenfassung

Ein Zeuge vom Hörensagen ist eine Person, die im Rahmen gerichtlicher Verfahren – unabhängig vom Rechtsgebiet – ausschließlich Aussagen über Wissen tätigt, welches ihr von Dritten berichtet wurde. Diese Form der mittelbaren Zeugenaussage ist rechtlich zulässig, unterliegt jedoch wesentlichen Einschränkungen hinsichtlich ihres Beweiswerts. Insbesondere aufgrund der potentiellen Fehlerquellen und der eingeschränkten Überprüfbarkeit ist die gerichtliche Beweiswürdigung besonders kritisch und zurückhaltend. Das Ziel bleibt stets die möglichst unmittelbare Aufklärung des Sachverhalts durch Zeugen eigener Wahrnehmung. Die Aussage von Zeugen vom Hörensagen kann für Indizien sorgen, genügt aber in der Regel nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage.


Weblinks und weiterführende Literatur

  • Thomas/Putzo: Zivilprozessordnung, § 373 ZPO
  • Meyer-Goßner/Schmitt: Strafprozessordnung, § 244 StPO
  • Krenberger/Krumm: Zivilprozessrecht, Beweis durch Zeugen
  • BeckOK, ZPO, § 373 ZPO, Rn. 13 ff.
  • NJW 2003, 1036

(Beachten Sie: Einige der zitierten Werke und Urteile sind in Fachliteratur oder über Rechtsdatenbanken abrufbar.)

Häufig gestellte Fragen

Kann die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen als Beweismittel zulässig sein?

Im deutschen Recht ist die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen grundsätzlich als Beweismittel zulässig, aber ihre Beweiskraft ist regelmäßig herabgesetzt. Ein Zeuge vom Hörensagen gibt nicht das eigenständig Wahrgenommene wieder, sondern schildert Aussagen oder Beobachtungen dritter Personen, die er selbst nur vermittelt wahrgenommen hat. Im Strafprozessrecht (§ 250 StPO) ist das sogenannte Unmittelbarkeitsprinzip relevant, welches besagt, dass der Richter seine Überzeugung grundsätzlich aufgrund unmittelbarer Wahrnehmung der Beweismittel gewinnen soll. Dennoch entspricht die Praxis, dass Hörensagensbeweise zugelassen sind, insbesondere wenn der originäre Zeuge aus Gründen wie Tod, Krankheit oder Unerreichbarkeit nicht selbst aussagen kann. Die Qualität und Verwertbarkeit solcher Zeugenaussagen hängt maßgeblich von der Möglichkeit ab, die Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit sowohl des mittelbaren (Hörensagen-)Zeugen als auch der Person, aus deren Aussage berichtet wird, überprüfen zu können.

Welche Risiken bestehen bei der Verwendung eines Zeugen vom Hörensagen für das Verfahren?

Die Verwendung eines Zeugen vom Hörensagen birgt vielfältige Risiken für das Verfahren. Zum einen ist durch die Vermittlung der Information die Gefahr von Wahrnehmungsverfälschungen, Missverständnissen oder fehlerhaften Erinnerungen erhöht. Zum anderen ist dem Gericht die Überprüfung der ursprünglichen Aussage – insbesondere hinsichtlich Färbung, Wahrheitsgehalt und Motivlage des eigentlichen Beobachters – typischerweise nicht möglich, was zu einer Unsicherheit bei der Beweiswürdigung führt. Im Extremfall kann sich dies nachteilig auf die Wahrheitsfindung auswirken und zu einer fehlerhaften Urteilsbildung führen. Zudem kann die Prozesspartei, gegen die sich die Hörensagenaussage richtet, oftmals keine wirksame Verteidigungsstrategie durch unmittelbare Befragung des Urhebers der Aussage entwickeln, was das rechtliche Gehör beeinträchtigen kann.

Ist der Zeuge vom Hörensagen im Zivilprozess und im Strafprozess gleichgestellt?

Nein, die Behandlung des Zeugen vom Hörensagen unterscheidet sich im Zivilprozess und im Strafprozess. Im Zivilprozess (§ 286 ZPO) gilt das Prinzip der freien Beweiswürdigung; das Gericht kann den Wert von Indizien und Zeugenaussagen, einschließlich solcher vom Hörensagen, nach eigenem Ermessen gewichten. Allerdings ist auch hier der Beweiswert regelmäßig reduziert. Im Strafprozess hingegen wird das Unmittelbarkeitsprinzip durch § 250 StPO ausdrücklich betont, sodass Zeugenaussagen vom Hörensagen nur dann bedeutend sind, wenn der originäre Zeuge nicht verfügbar ist oder im Ausnahmefall sonstige Gründe vorliegen. Daher werden Aussagen vom Hörensagen im Strafprozess in der Praxis noch restriktiver bewertet und in Bezug auf Verurteilungen regelmäßig nur dann herangezogen, wenn zusätzliche, belastbare Beweise vorliegen.

Welche Rolle spielt das Unmittelbarkeitsprinzip bei Zeugenaussagen vom Hörensagen?

Das Unmittelbarkeitsprinzip spielt eine zentrale Rolle beim Umgang mit Zeugenaussagen vom Hörensagen, insbesondere im Strafverfahren. Nach diesem Prinzip soll das Gericht seine Überzeugung primär auf die direkte, unmittelbare Wahrnehmung von Beweismitteln und Zeugen gründen. Zeugen vom Hörensagen stehen diesem Prinzip entgegen, da sie selbst nicht unmittelbare Beobachter sind. Die Rechtsprechung akzeptiert jedoch, dass Ausnahmefälle existieren, in denen der ursprüngliche Zeuge nicht verfügbar ist. In solchen Konstellationen erlaubt die herrschende Praxis die Verwertung von Hörensagenaussagen, wobei das Gericht streng zu prüfen hat, ob und inwieweit die Aussage belastbar ist. Das Unmittelbarkeitsprinzip führt daher nicht zu einem absoluten Verwertungsverbot, sondern verlangt eine gesteigerte Zurückhaltung und kritische Würdigung solcher Zeugenaussagen.

Kann auf Basis einer reinen Hörensagenaussage ein Urteil ergehen?

Ein Urteil, das sich ausschließlich auf eine reine Hörensagenaussage stützt, ist regelmäßig rechtlich nicht haltbar. Im Strafprozess ist es grundsätzlich ausgeschlossen, eine Verurteilung allein auf eine Zeugenaussage vom Hörensagen zu stützen, da diese den Mindestanforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und an ein faires Verfahren in aller Regel nicht genügt (§ 261 und § 250 StPO). Im Zivilprozess ist zwar das Gericht bei der Beweiswürdigung frei, doch auch hier würde eine solche Beurteilung regelmäßig gegen den Grundsatz der freien, aber gewissenhaften Beweisaufnahme verstoßen. Ein Urteil muss im Ergebnis auf ausreichenden und möglichst unmittelbaren Beweismitteln beruhen, wobei eine Aussage vom Hörensagen nur ergänzend herangezogen werden kann.

Müssen Zeugen vom Hörensagen Angaben zur Herkunft ihrer Informationen machen?

Ja, Zeugen vom Hörensagen sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Aussage detaillierte Auskünfte über die Herkunft ihrer Informationen zu machen. Das bedeutet, sie müssen darlegen, von wem, wann, unter welchen Umständen und mit welchem genauen Wortlaut oder Inhalt ihnen die Information zugetragen wurde. Diese Angaben sind essenziell, damit das Gericht eine realistische Einschätzung über die Glaubhaftigkeit der Aussage, die Zuverlässigkeit der Informationsquelle und mögliche Übertragungsfehler treffen kann. Unzureichende Angaben zur Herkunft der Information führen regelmäßig zu einer weiteren Schwächung der Beweiskraft der Aussage oder gar zur Unverwertbarkeit.

Können Parteien eine Aussage vom Hörensagen durch Kreuzverhör überprüfen lassen?

Im deutschen Recht besteht kein klassisches anglo-amerikanisches Kreuzverhör, jedoch haben Parteien im Zivil- wie im Strafverfahren grundsätzlich das Recht, Zeugen zu befragen. Bei Zeugen vom Hörensagen ist dieses Fragerecht jedoch eingeschränkt, da sie regelmäßig keine eigenen Wahrnehmungen berichten und somit nicht zu Einzelheiten der behaupteten Ursprungstatsachen aussagen können. Parteivertreter können jedoch Detailfragen zur Informationskette, zur Übermittlungssituation und zu Motiven der dritten Person stellen, was allerdings teilweise spekulativ bleibt. Eine vollständige Überprüfung und Widerlegung ist nur möglich, wenn die originäre Quelle der Information (also der eigentliche Augenzeuge) ebenfalls geladen und befragt werden kann. Fehlt diese Möglichkeit, bleibt das Fragerecht begrenzt, was zu den grundsätzlichen Problemen der Hörensagenaussage beiträgt.