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Zahlungsunfähigkeit


Begriff und rechtliche Einordnung der Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit ist ein zentraler Begriff im Insolvenzrecht und beschreibt einen Zustand, in dem ein Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern zu erfüllen. Sie stellt eines der Hauptinsolvenzgründe nach der Insolvenzordnung (InsO) dar und ist von anderen wirtschaftlichen Krisensituationen, wie der Überschuldung, abzugrenzen. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ist von entscheidender Bedeutung für die Einleitung und Durchführung eines Insolvenzverfahrens.

Definition der Zahlungsunfähigkeit

Die gesetzliche Definition der Zahlungsunfähigkeit findet sich in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.“ Maßgeblich ist somit die objektive Nichtfähigkeit, bestehende und fällige Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu begleichen.

Abgrenzung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit

Die drohende Zahlungsunfähigkeit, geregelt in § 18 InsO, liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, bestehende Zahlungsverbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Während die Zahlungsunfähigkeit eine gegenwärtige Krise darstellt, bezieht sich die drohende Zahlungsunfähigkeit auf eine Prognose zukünftiger Zahlungsprobleme.

Tatbestandsmerkmale und Prüfung der Zahlungsunfähigkeit

Objektive Kriterien

Die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt nach objektiven Kriterien. Entscheidend ist, ob der Schuldner über genügend liquide Mittel (Zahlungsmittelbestand) verfügt, um sofort fällige Verbindlichkeiten zu begleichen. Dabei sind sämtliche fälligen Zahlungspflichten zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese bestritten oder unbestritten sind.

Liquiditätslücke

Eine Zahlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn eine so genannte „Liquiditätslücke“ (also der Fehlbetrag zwischen verfügbaren Zahlungsmitteln und fälligen Verbindlichkeiten) besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist von Zahlungsunfähigkeit regelmäßig auszugehen, wenn innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen mindestens 10 % der fälligen Verbindlichkeiten nicht beglichen werden können. Bei einem geringeren Prozentsatz wird angenommen, dass lediglich eine Zahlungsstockung vorliegt.

Zahlungsstockung und deren Abgrenzung

Eine kurzfristige Zahlungsstockung unterscheidet sich von der Zahlungsunfähigkeit darin, dass in absehbarer Zeit die Liquiditätslücke geschlossen werden kann. Die dreiwöchige Frist dient der Bestimmung, ob die Ursache nur vorübergehender Natur ist oder tatsächlich eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Subjektive Elemente

Subjektive Elemente wie der Wille zur Zahlung oder organisatorische Gründe sind unerheblich. Es kommt allein auf die objektive Erfüllbarkeit der Zahlungsverpflichtungen an.

Rechtsfolgen der Zahlungsunfähigkeit

Insolvenzgrund (§ 17 InsO)

Die Zahlungsunfähigkeit ist der wichtigste Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren. Sowohl Unternehmen, Gesellschaften als auch Einzelpersonen können insolvent sein, sofern sie geschäftlich tätig sind.

Antragspflicht für Kapitalgesellschaften

Für Kapitalgesellschaften wie die GmbH oder AG besteht bei Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit eine gesetzliche Antragspflicht gemäß § 15a InsO. Der Antrag muss spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gestellt werden, andernfalls drohen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen für die vertretungsberechtigten Organe.

Antragsberechtigung bei natürlichen Personen

Natürliche Personen, die sich in einer wirtschaftlichen Krise befinden, können – müssen jedoch nicht – einen Insolvenzantrag stellen, wenn Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Strafrechtliche Konsequenzen

Unterlassene oder verspätete Stellung eines Insolvenzantrages aufgrund von Zahlungsunfähigkeit kann eine Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO darstellen und zu strafrechtlicher Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung führen.

Zivilrechtliche Konsequenzen

Bei einer ungerechtfertigten Fortsetzung von Zahlungen trotz bestehender Zahlungsunfähigkeit können Haftungsregelungen nach § 64 GmbHG (alt) bzw. § 15b InsO greifen, nach denen die Geschäftsleitung mit ihrem Privatvermögen für veranlasste Zahlungen haftet.

Feststellung und Nachweis der Zahlungsunfähigkeit

Verfahren im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzeröffnungsverfahren prüft das Insolvenzgericht die Zahlungsunfähigkeit anhand der vom Schuldner vorzulegenden Unterlagen, Liquiditätspläne und Gläubigeraufstellungen.

Beweislast und Beweismittel

Grundsätzlich obliegt dem Antragsteller eines Insolvenzverfahrens die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit. Der Schuldner kann jedoch Gegendarstellungen vorlegen und beispielsweise Zahlungserleichterungen oder Rückzahlungsvereinbarungen geltend machen.

Rolle der Gläubiger

Auch Gläubiger können einen Insolvenzgrund, insbesondere Zahlungsunfähigkeit, behaupten und nachweisen, etwa durch Vorlage von Mahnungen, Vollstreckungsbescheiden oder erfolglosen Pfändungsverfahren.

Wirtschaftliche Analyse

Zur objektiven Feststellung der Zahlungsunfähigkeit werden häufig betriebswirtschaftliche Gutachten erstellt, in denen Zahlungsflüsse, Liquiditätsbestände sowie Fälligkeitslisten analysiert werden.

Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen

Überschuldung

Die Überschuldung (§ 19 InsO) ist neben der Zahlungsunfähigkeit ein weiterer Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren, jedoch speziell für juristische Personen und Personengesellschaften ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter bedeutsam. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, außer die Fortführung des Unternehmens ist überwiegend wahrscheinlich.

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit ist die drohende Zahlungsunfähigkeit ein optionaler Eröffnungsgrund für Insolvenzverfahren, meist bedeutend für Eigenanträge von Unternehmen zur Sanierung.

Zusammenfassung und Bedeutung im Wirtschaftsrecht

Zahlungsunfähigkeit ist ein zentrales Konzept des Insolvenzrechts und spielt eine entscheidende Rolle für die Einleitung und Durchführung von Insolvenzverfahren. Ihre genaue Feststellung hat erhebliche rechtliche Auswirkungen für Schuldner, Gläubiger und Unternehmensorgane. Die Abgrenzung zu kurzfristigen Liquiditätsengpässen, zur Überschuldung und zur drohenden Zahlungsunfähigkeit ist für die richtige rechtliche Einordnung unerlässlich und hat weitreichende Folgen nicht nur im Insolvenzrecht, sondern auch im Zivil- und Strafrecht.


Dieser Sachartikel bietet eine umfassende Übersicht zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit mit besonderem Fokus auf die rechtlichen Dimensionen und die Bedeutung im Rahmen von Insolvenzverfahren.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen hat die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit für ein Unternehmen?

Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens hat weitreichende rechtliche Konsequenzen. Zunächst ist die Geschäftsleitung gemäß § 15a InsO (Insolvenzordnung) verpflichtet, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, einen Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht zu stellen. Bei schuldhafter Verletzung dieser Antragspflicht drohen strafrechtliche Sanktionen wie die Insolvenzverschleppung sowie persönliche Haftung der Geschäftsleiter für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet wurden. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Verfügungsbefugnis der Geschäftsleitung über das Gesellschaftsvermögen grundsätzlich auf den Insolvenzverwalter übertragen. Gläubiger haben fortan ihre Ansprüche zur Insolvenztabelle anzumelden und können keine Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen mehr gegen das Unternehmen durchführen. Vertragsverhältnisse können unter bestimmten Voraussetzungen durch den Insolvenzverwalter gekündigt oder fortgeführt werden. In einigen Fällen kann es zur Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen kommen, wenn Zahlungen oder Sicherheiten vor dem Antrag geleistet wurden und dadurch andere Gläubiger benachteiligt wurden.

Wer ist zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet und was passiert bei Verletzung dieser Pflicht?

Zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet sind grundsätzlich die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der keiner der Gesellschafter eine natürliche Person mit vollumfänglicher Haftung ist. Im Falle einer GmbH sind dies beispielsweise die Geschäftsführer, bei einer AG die Vorstandsmitglieder. Kommen sie dieser Antragspflicht nicht nach, verwirklichen sie einen Straftatbestand (§ 15a Abs. 4 InsO) und haften zudem für Schäden, die durch die verspätete Antragstellung entstehen. Gläubiger können in diesem Fall unter Umständen Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsleitung geltend machen, sofern diese schuldhaft gehandelt hat. Darüber hinaus kann das Insolvenzgericht von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen, wenn Anhaltspunkte für eine verspätete Insolvenzantragstellung bestehen.

Wie können Gläubiger ihre Forderungen im Insolvenzverfahren geltend machen?

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden die Gläubiger durch öffentliche Bekanntmachung zur Anmeldung ihrer Forderungen aufgefordert. Diese Anmeldung erfolgt zur sogenannten Insolvenztabelle beim Insolvenzverwalter. Die Forderung ist schriftlich unter Angabe von Grund und Höhe der Forderung sowie unter Beifügung geeigneter Nachweise einzureichen. Der Insolvenzverwalter prüft die Angemessenheit und Berechtigung der Forderung, die sodann im Prüfungstermin vom Insolvenzgericht und den anwesenden Gläubigern festgestellt oder bestritten werden kann. Anerkannte Forderungen berechtigen zur anteiligen Befriedigung aus der Insolvenzmasse. Bestreiten der Insolvenzverwalter oder andere Gläubiger eine Forderung, ist gegebenenfalls das Zivilgericht mit der endgültigen Klärung befasst. Nachträgliche Forderungsanmeldungen sind grundsätzlich möglich, gehen aber mit Einschränkungen einher: In der Regel findet keine nachträgliche Prüfung statt, soweit das Verfahren schon abgeschlossen ist.

Welche rechtlichen Auswirkungen hat die Zahlungsunfähigkeit auf bestehende Verträge?

Im Zuge der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit und der anschließenden Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unterliegen bestehende Verträge besonderen insolvenzrechtlichen Regelungen. Grundsätzlich bleibt zunächst die Vertragswirksamkeit bestehen; jedoch hat der Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht, ob er gegenseitige, noch nicht vollständig erfüllte Verträge fortführen oder ablehnen möchte. Entscheidet sich der Verwalter gegen eine Vertragserfüllung, kann der Vertragspartner lediglich eine Insolvenzforderung in der Tabelle anmelden. Fortgeführte Verträge werden grundsätzlich aus der Insolvenzmasse erfüllt und der Vertragspartner erhält seine Leistung, sofern sie zur Masse gehören. Miet- und Leasingverträge genieße besonderen Kündigungsschutz, können jedoch unter Beachtung insolvenzrechtlicher Fristen vorzeitig gekündigt werden. Arbeitsverhältnisse enden nicht automatisch, können jedoch durch den Insolvenzverwalter mit verkürzter Kündigungsfrist beendet werden (§ 113 InsO).

Welche strafrechtlichen Konsequenzen können sich aus Zahlungsunfähigkeit ergeben?

Strafrechtliche Konsequenzen im Zusammenhang mit Zahlungsunfähigkeit ergeben sich insbesondere bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht (Insolvenzverschleppung, § 15a InsO), aber auch durch Bankrottdelikte (§§ 283 ff. StGB), wie das Beiseiteschaffen von Vermögen oder die Begünstigung einzelner Gläubiger auf Kosten der Gesamtheit. Geschäftsleiter können strafrechtlich belangt werden, wenn sie im Stadium der Zahlungsunfähigkeit weiterhin Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen vornehmen, für die keine rechtfertigenden Gründe bestehen (§ 64 GmbHG a.F., §§ 15b InsO, 92 AktG n.F.). Auch die Buchhaltungs- und Bilanzierungspflichten müssen weiterhin erfüllt werden, Verstöße können als Straftat geahndet werden. Die Rechtsfolgen reichen von Geldstrafen über Freiheitsstrafen bis zu Berufsverboten.

Welche Möglichkeiten der Sanierung bestehen trotz Zahlungsunfähigkeit?

Tritt Zahlungsunfähigkeit ein, bleibt dem Unternehmen die Möglichkeit, im Rahmen eines Insolvenzantrags eine Eigenverwaltung oder ein Schutzschirmverfahren zu beantragen (§§ 270 ff. InsO). Dabei bleibt die Geschäftsleitung unter Aufsicht eines Sachwalters weitgehend handlungsbefugt, um einen Sanierungsplan zu erarbeiten. Ziel kann eine Unternehmensfortführung, die Befriedigung der Gläubiger im Rahmen eines Insolvenzplans oder eine übertragende Sanierung (Verkauf an einen Investor) sein. Die Erfolgsaussichten hängen maßgeblich von der frühzeitigen Antragstellung, der Kooperationsbereitschaft der Gläubiger und der finanziellen sowie strukturellen Sanierungsfähigkeit ab. Die rechtliche Begleitung sollte frühzeitig durch insolvenzrechtlich und betriebswirtschaftlich erfahrene Berater erfolgen, um Haftungsrisiken und vermeidbare Nachteile für alle Beteiligten zu minimieren.

Wie wirkt sich die Zahlungsunfähigkeit auf die Haftung der Geschäftsleitung aus?

Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit trifft die Geschäftsleitung eine besondere Sorgfalts- und Obhutspflicht. Verstöße gegen die Antragspflicht oder gegen das Zahlungsverbot nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit führen zur persönlichen Haftung der Geschäftsleiter, beispielsweise nach § 64 GmbHG a.F. bzw. neuen Regelungen in der Insolvenzordnung. Zahlungen, die nach Eintritt der Krise geleistet wurden und nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprechen, können von den Gläubigern oder dem Insolvenzverwalter im Wege der Haftung oder Anfechtung zurückverlangt werden. Strafrechtliche Haftung sowie Schadenersatzansprüche im Innen- und Außenverhältnis drohen ebenso wie Regressforderungen der Gesellschafter oder Sicherungsgeber. Die Geschäftsleitung sollte daher ab dem Zeitpunkt drohender Zahlungsunfähigkeit die finanzielle Lage lückenlos dokumentieren und alle relevanten Maßnahmen rechtlich prüfen lassen.