Begriff und Zielsetzung des WpÜG
Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) ist ein zentrales Gesetz des deutschen Kapitalmarktrechts, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Es regelt die rechtlichen Rahmenbedingungen für öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren sowie für die Übernahme börsennotierter Gesellschaften in Deutschland. Ziel des Gesetzes ist es, Transparenz, Rechtssicherheit und einen fairen Ablauf von Erwerbs- und Übernahmevorgängen sicherzustellen. Zudem dient das WpÜG dem Schutz der Aktionärsinteressen und der Stabilität des Kapitalmarkts.
Anwendungsbereich des WpÜG
Persönlicher Anwendungsbereich
Das WpÜG gilt für öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, insbesondere von auf den Inhaber lautenden Aktien, die an nationalen oder internationalen Börsen im regulierten Markt zum Handel zugelassen sind und deren Emittentin ihren Sitz in Deutschland hat. Das Gesetz regelt ferner unerwünschte Kontrollerwerbe sowie freiwillige, vorab angekündigte Übernahmen.
Sachlicher Anwendungsbereich
Das WpÜG erfasst sowohl Pflichtangebote, die sich aus einem Kontrollerwerb ergeben, als auch freiwillige Übernahme- und Erwerbsangebote. Zudem umfasst das Gesetz Vorschriften zum Schutz von Minderheitsaktionären und zur Veröffentlichungspflicht im Zusammenhang mit Angeboten und wesentlichen Beteiligungen.
Begrifflichkeiten und Übernahmearten im WpÜG
Übernahmeangebot
Ein Übernahmeangebot ist jedes öffentliche Angebot, das auf den Erwerb der Kontrolle über eine Zielgesellschaft gerichtet ist. Die Kontrolle definiert das WpÜG als das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft.
Pflichtangebot
Wer durch Erwerb direkt oder indirekt die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, ist gem. § 35 WpÜG verpflichtet, den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot zum Erwerb ihrer Aktien zu unterbreiten.
Erwerbsangebot
Ein Erwerbsangebot liegt vor, wenn ein Bieter den Aktionären einer Zielgesellschaft ein Angebot macht, ohne die Kontrolle nach § 29 WpÜG zu erlangen oder anzustreben.
Ablauf und Verfahrensregeln eines Übernahmeangebots
Veröffentlichungspflichten
Das WpÜG sieht weitreichende Veröffentlichungspflichten vor. Der Bieter muss gem. § 10 WpÜG unverzüglich nach Entscheidung zur Abgabe eines Angebots die Öffentlichkeit informieren. Auch die Zielgesellschaft ist verpflichtet, jede wesentliche Veränderung in Bezug auf das Angebot zu veröffentlichen.
Angebotsunterlage
Der Bieter hat eine Angebotsunterlage zu erstellen, die detaillierte Informationen zum Angebot, zur Finanzierung, zu den Bedingungen und zu den mittel- bis langfristigen Zielen enthält. Diese Unterlage ist von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu prüfen und nach Freigabe zu veröffentlichen.
Annahmefrist
Das Angebot muss eine Annahmefrist von mindestens vier Wochen ab der Veröffentlichung der Angebotsunterlage enthalten. Verlängerungen sind unter bestimmten Bedingungen zulässig.
Schutzvorschriften zugunsten der Aktionäre
Gleichbehandlungsgrundsatz
Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 3 WpÜG) sind alle Inhaber von Wertpapieren der gleichen Gattung während des Übernahmeverfahrens gleich zu behandeln.
Mindestpreisregelungen
Das Gesetz legt fest, dass der Angebotspreis mindestens dem höchsten Preis entsprechen muss, den der Bieter innerhalb eines bestimmten Zeitraums vor der Bekanntgabe des Angebots für Wertpapiere der Zielgesellschaft gezahlt hat (§ 31 WpÜG). Damit soll verhindert werden, dass Aktionäre zu ungünstigen Konditionen abgefunden werden.
Schutz der Minderheitsaktionäre
Das WpÜG enthält Mechanismen zur Sicherstellung, dass auch Minderheitsaktionäre eine angemessene Gegenleistung erhalten, insbesondere bei Pflichtangeboten oder nach erfolgreicher Übernahme.
Verteidigungsmaßnahmen der Zielgesellschaft
Die Zielgesellschaft kann bestimmte Abwehrmaßnahmen gegen feindliche Übernahmeversuche ergreifen. Nach § 33 WpÜG sind solche Maßnahmen jedoch einer Aktionärsbeschlussfassung unterworfen, sobald ein Angebot angekündigt ist. Damit wird eine übermäßige Machtkonzentration im Vorstand vermieden und der Einfluss der Aktionäre gestärkt.
Rolle und Befugnisse der BaFin
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) spielt eine zentrale Rolle bei der Überwachung und Durchsetzung der Vorschriften des WpÜG. Sie prüft die Angebotsunterlagen, kann Verstöße sanktionieren und erlässt bei Bedarf Anordnungen zur Sicherstellung eines faire Ablaufs des Übernahmeverfahrens.
Sanktionen und Rechtsfolgen bei Verstößen
Administrative Maßnahmen
Bei Verstößen gegen das WpÜG kann die BaFin ordnungsrechtliche Maßnahmen bis hin zu Bußgeldern verhängen. Darüber hinaus kann sie Veröffentlichungen untersagen oder Angebote untersagen, sofern diese nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.
Zivilrechtliche Folgen
Betroffene Aktionäre haben gegebenenfalls Anspruch auf Schadensersatz, wenn Verstöße gegen das WpÜG zu ihrem Nachteil führten. Zudem können Annahmeerklärungen bei Verstößen gegen wesentliche Vorschriften angefochten werden.
Verhältnis zu europäischen Regelungen
Das WpÜG setzt maßgeblich die europäische Übernahmerichtlinie (Richtlinie 2004/25/EG) in deutsches Recht um. Ziel ist die Harmonisierung der Übernahmepraxis im europäischen Binnenmarkt.
Literatur und Weiterführende Quellen (Auswahl)
- Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) – Gesetzestext, abrufbar bei Gesetze im Internet
- BaFin – Informationen und FAQ zum WpÜG: bafin.de
- Deutsche Börse AG – Leitfaden für Übernahmen
Hinweis: Dieser Beitrag stellt eine ausführliche, sachliche Darstellung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) dar und berücksichtigt den Stand bis zum Jahr 2024.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Pflichten trifft ein Bieter nach dem WpÜG unmittelbar nach Überschreiten der Kontrollschwelle?
Nach § 35 WpÜG ist ein Bieter, der infolge eines Erwerbs unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, verpflichtet, unverzüglich die Erwerbsabsicht zu veröffentlichen und den übrigen Aktionären ein verpflichtendes Übernahmeangebot zu unterbreiten. Die Kontrollschwelle liegt nach § 29 Abs. 2 WpÜG grundsätzlich bei 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft. Der Bieter muss diese Schwelle eigenständig überwachen; eine Bagatellgrenze besteht nicht. Die Veröffentlichung hat gemäß § 10 WpÜG unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von sieben Kalendertagen zu erfolgen und muss bestimmte Mindestinhalte aufweisen, darunter den Namen des Bieters, die Zielgesellschaft, den Umfang der bereits gehaltenen Stimmrechte sowie die Art des geplanten Übernahmeangebots. Verstöße gegen diese Veröffentlichungspflichten ziehen nach § 60 WpÜG Sanktionen nach sich, darunter etwa das Ruhen der Stimmrechte sowie empfindliche Bußgelder der BaFin.
Wie sind die Angemessenheit und die Mindesthöhe des Pflichtangebots nach dem WpÜG geregelt?
Die Preisfindung eines Pflichtangebots nach dem WpÜG richtet sich nach § 31 WpÜG in Verbindung mit der WpÜG-Angebotsverordnung. Der Angebotspreis muss mindestens dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs der letzten drei Monate vor Veröffentlichung der Kontrollerlangung entsprechen. Zusätzlich gilt als Untergrenze der höchste Preis, den der Bieter während der letzten sechs Monate vor der Angebotsveröffentlichung für Aktien der Zielgesellschaft gezahlt hat (Best-Price-Regel). Die Berechnung und Offenlegung der Preisermittlung sind grundsätzlich in der Angebotsunterlage zu dokumentieren und von einer externen Revisionsstelle zu bestätigen. Jegliche Form der Begünstigung oder Sondervorteile für einzelne Aktionäre ist untersagt, da ansonsten eine Nachbesserungspflicht ausgelöst wird (§ 31 Abs. 6 WpÜG).
Welche Rolle spielt die BaFin im Übernahmeverfahren nach dem WpÜG?
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht als zuständige Behörde die Einhaltung sämtlicher Verfahrensvorschriften des WpÜG. Sie prüft insbesondere die Vollständigkeit, Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Angebotsunterlage (§ 14 Abs. 1 WpÜG), die dem Bieter obliegt. Erst nach Gestattung durch die BaFin darf die Angebotsunterlage veröffentlicht und das Übernahmeangebot unterbreitet werden. Die BaFin kann bei festgestellten Mängeln Nachbesserungen verlangen und den Vollzug des Angebots untersagen, wenn erhebliche Verstöße vorliegen. Darüber hinaus kann sie Ermittlungstätigkeiten nach §§ 10 ff. WpÜG anstoßen und Zwangsgelder verhängen. Die BaFin ist ebenso Anlaufstelle für Beschwerden von Aktionären und überprüft die Einhaltung von Transparenz-, Informations- und Gleichbehandlungsgeboten.
Welche Fristen müssen beim Übernahmeangebot nach dem WpÜG beachtet werden?
Das WpÜG sieht mehrere gestaffelte Fristen vor. Nach Kontrollerlangung ist die Erwerbsabsicht unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Tagen, zu veröffentlichen (§ 10 WpÜG). Die Angebotsunterlage muss spätestens vier Wochen nach Veröffentlichung der Kontrollerlangung der BaFin zur Prüfung vorgelegt werden (§ 14 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Nach Gestattung durch die BaFin ist das Angebot unverzüglich, spätestens innerhalb von zehn Werktagen zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 2 WpÜG). Die Annahmefrist für die Aktionäre beträgt grundsätzlich vier bis zehn Wochen (§ 16 WpÜG); bei konkurrierenden Angeboten oder bei Änderung des Angebots verlängern sich diese Fristen. Die Fristeinhaltung ist essenziell für die Wirksamkeit des Angebots und zur Vermeidung rechtlicher Konsequenzen.
Welche Rechte und Pflichten haben die Organe der Zielgesellschaft während eines Übernahmeangebots?
Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft unterliegen nach § 27 WpÜG während der Angebotsphase einer besonderen Neutralitätspflicht (sog. Neutralitätsgebot). Sie dürfen keine Maßnahmen ergreifen, die den Erfolg des Angebots vereiteln könnten (z.B. Ausgabe neuer Aktien, Veräußerung wesentlicher Vermögenswerte oder Abschluss von Behinderungsvereinbarungen), es sei denn, sie sind hierzu aufgrund eines rechtlich bindenden Beschlusses vor Eingang des Angebots verpflichtet oder erhalten die Zustimmung der Hauptversammlung. Zugleich müssen sie eine umfassende und sachlich zutreffende Stellungnahme zum Angebot veröffentlichen und diese den Arbeitnehmervertretern zugänglich machen. Verstöße gegen das Neutralitätsgebot oder Unterlassung der Stellungnahme können im Nachgang zu Schadensersatzforderungen oder Organhaftung führen.
Inwiefern bestehen Informations- und Transparenzpflichten gegenüber den Aktionären während des Übernahmeverfahrens?
Das WpÜG schreibt in verschiedenen Vorschriften umfassende Transparenzpflichten vor, um eine informierte Entscheidung der Aktionäre sicherzustellen. Zunächst sind sämtliche Veröffentlichungen betreffend das Übernahmeangebot nach § 10 ff. WpÜG umgehend und öffentlich zugänglich zu machen. Die Angebotsunterlage, die sämtliche rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Einzelheiten des Angebots enthält, ist vollständig, klar und verständlich zu verfassen. Nach § 23 WpÜG sind sämtliche Meldungen über Annahme, Erwerb oder Veräußerung von Wertpapieren der Zielgesellschaft zu veröffentlichen. Darüber hinaus sind besondere Informationspflichten bei Änderungen oder Rücknahmen des Angebots zu beachten. Verstöße gegen Transparenzpflichten können das Angebot insgesamt unwirksam machen oder zu Bußgeldern führen.