Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen: Definition und rechtlicher Rahmen
Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen sind Maßnahmen zur Anpassung des individuellen Wohnumfeldes an die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung oder Pflegebedürftigkeit. Im Zentrum steht das Ziel, Selbständigkeit und Lebensqualität zu erhalten beziehungsweise zu fördern. Der Begriff ist insbesondere im Zusammenhang mit der Sozialgesetzgebung in Deutschland, etwa im SGB XI (Pflegeversicherungsgesetz), SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung) sowie im Wohnraumförderungsrecht von Bedeutung.
Rechtsgrundlagen und gesetzliche Verankerung
Sozialgesetzbuch XI (Pflegeversicherung)
Das Sozialgesetzbuch XI regelt im § 40 Abs. 4 SGB XI die wohnumfeldverbessernden Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung. Nach dieser Vorschrift haben Pflegebedürftige Anspruch auf finanzielle Unterstützung für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds, wenn diese Maßnahmen die häusliche Pflege ermöglichen, erheblich erleichtern oder eine selbstständigere Lebensführung erlauben.
Sozialgesetzbuch IX (Schwerbehindertenrecht)
Auch das Sozialgesetzbuch IX enthält Regelungen zur Förderung und Finanzierung von Anpassungen im Wohnbereich, um Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Das Ziel ist die Vermeidung institutioneller Unterbringung durch barrierefreie Umgestaltung des Wohnraums.
Weitere Rechtsgrundlagen
- Wohnraumförderungsgesetze des Bundes und der Länder: Ergänzend sehen verschiedene Förderprogramme weitere Zuschüsse und Kredite zur barrierefreien Umgestaltung vor.
- Bauordnungen der Länder: Diese enthalten oftmals spezifische Vorgaben zur Barrierefreiheit in Neu- und Umbauten.
Voraussetzungen und Anspruchsberechtigte
Pflegebedürftigkeit und Pflegegrade
Anspruch auf Leistungen für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen nach § 40 Abs. 4 SGB XI besteht, wenn ein Pflegegrad nachgewiesen ist. Die Maßnahme muss erforderlich sein, um die häusliche Pflege zu ermöglichen oder deutlich zu erleichtern.
Menschen mit Behinderung
Personen mit anerkannter Behinderung können ebenfalls Leistungen für die Anpassung des Wohnraums beanspruchen, etwa im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX.
Art der Maßnahmen
Die Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, das Wohnen möglichst barrierefrei zu gestalten oder bestehende Barrieren abzubauen. Hierunter fallen beispielsweise:
- Einbau von Treppenliften und Rampen
- Verbreiterung von Türen
- Umbau von Bädern zu rollstuhlgerechten Nasszellen
- Anbringen von Haltegriffen und automatischen Türöffnern
Umfang, Finanzierung und Fördermöglichkeiten
Pflegekasse (§ 40 SGB XI)
Die Pflegekassen gewähren einen einmaligen Zuschuss von bis zu 4.000 Euro pro Maßnahme für pflegebedürftige Personen. Leben mehrere Anspruchsberechtigte in einer häuslichen Gemeinschaft, kann sich der Gesamtbetrag auf bis zu 16.000 Euro summieren. Die Höhe des Zuschusses ist vom tatsächlichen Bedarf und der Einzelmaßnahme abhängig, eine Übernahme der vollen Kosten ist nicht zwingend.
Weitere Kostenträger
- Rehabilitationsträger (SGB IX): Übernehmen teilweise oder vollständig die Kosten für bestimmte Maßnahmen, insbesondere bei Menschen mit Behinderung.
- Integrationsämter: Bei berufstätigen Personen mit Behinderung, um die Erwerbsfähigkeit zu sichern.
- Wohnraumförderprogramme: Zuschüsse oder zinsgünstige Darlehen der Länder und Kommunen zur Barrierefreiheit.
Eigenanteile und Kombination mit weiteren Förderungen
Häufig sind Eigenbeteiligungen möglich oder erforderlich, insbesondere wenn die Kosten der Maßnahmen die Förderhöchstbeträge überschreiten. Mehrere Leistungen können kombiniert werden, sofern eine Überfinanzierung ausgeschlossen bleibt.
Antragstellung und Verfahren
Antrag bei der Pflegekasse
Der Antrag ist bei der zuständigen Pflegekasse einzureichen. Notwendig sind eine Begründung der Notwendigkeit, ein Kostenvoranschlag sowie ggf. ärztliche Atteste oder Gutachten.
Abstimmung mit anderen Leistungsträgern
Da verschiedene Kostenträger beteiligt sein können, ist eine Koordination und ggf. ein Nachrangigkeitsprinzip zu beachten, um Überschneidungen zu vermeiden.
Steuerliche Aspekte
Kosten für die Maßnahmen können unter bestimmten Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG steuerlich geltend gemacht werden. Die Anerkennung setzt regelmäßig die Vorlage eines ärztlichen Attestes und einen Nachweis über die Notwendigkeit der Maßnahme voraus.
Grenzen und Ausschlüsse
Keine Förderung erfolgt für Maßnahmen, die über den notwendigen Bedarf hinausgehen (Luxusmaßnahmen) oder bereits durch andere Sozialleistungen abgedeckt sind. Auch eigenständige Baumaßnahmen, die nicht unmittelbar der Pflege oder Barrierefreiheit dienen, sind ausgeschlossen.
Rechtsschutz und Widerspruch
Im Falle einer Ablehnung des Antrags besteht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und ggf. vor dem Sozialgericht eine gerichtliche Überprüfung zu beantragen.
Zusammenfassung
Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen stellen einen wichtigen Baustein der sozialen Sicherung in Deutschland dar. Sie ermöglichen es insbesondere pflegebedürftigen und behinderten Menschen, ein selbstbestimmtes und barrierefreies Leben im eigenen Wohnumfeld zu führen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind überwiegend im Sozialgesetzbuch XI, IX sowie im Wohnraumförderungsrecht verankert. Die Finanzierung erfolgt durch Pflegekassen, Rehabilitationsträger und Wohnraumförderprogramme, zum Teil ergänzt durch steuerliche Entlastungen. Die Antragstellung erfordert eine nachvollziehbare Begründung und die Einreichung entsprechender Nachweise. Grenzen bestehen insbesondere hinsichtlich Luxusmaßnahmen oder Doppelfinanzierungen.
Siehe auch:
- § 40 Abs. 4 SGB XI
- SGB IX
- Barrierefreies Bauen
- Eingliederungshilfe
- Pflegeversicherungsgesetz
Literatur:
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV): „Leitfaden Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen“
- LPK-SGB XI, Kommentar zum Pflegeversicherungsgesetz
Weblinks:
- Bundesministerium für Gesundheit: Informationen zu Wohnumfeldverbessernden Maßnahmen
- Pflegekassen (Informationen und Antragsformulare)
Häufig gestellte Fragen
Wer ist antragsberechtigt für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen im rechtlichen Sinne?
Antragsberechtigt für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen sind gemäß § 40 Abs. 4 SGB XI in der Regel ausschließlich die pflegebedürftigen Personen selbst, für die eine Pflegestufe nach dem SGB XI festgestellt wurde. Sollten Pflegebedürftige geschäftsunfähig sein oder nicht in der Lage sein, den Antrag selbst zu stellen, dürfen auch deren gesetzliche Vertreter (wie Betreuer oder Bevollmächtigte) tätig werden. In Ausnahmefällen kann zudem eine bevollmächtigte Person intervenieren, um die Interessen der betroffenen Person rechtswirksam zu vertreten. Grundsätzlich müssen Anträge vor Beginn der Maßnahmen bei der zuständigen Pflegekasse gestellt werden, da eine rückwirkende Bewilligung normalerweise ausgeschlossen ist. Im Falle minderjähriger Pflegebedürftiger sind deren sorgeberechtigte Eltern die Antragssteller.
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Kostenübernahme durch die Pflegekasse erfüllt sein?
Für eine Kostenübernahme ist zunächst die Feststellung eines Pflegegrades nach SGB XI erforderlich. Außerdem muss ein konkreter Bedarf an der beantragten Maßnahme bestehen, der durch eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) belegt wird. Die geplante Maßnahme muss funktionalen Zwecken dienen, also eine Verbesserung des Wohnumfeldes im Hinblick auf die Pflege und Mobilität des Betroffenen bewirken (§ 40 Abs. 4 SGB XI). Die Maßnahme darf nicht zu den regulären Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen zählen, sondern muss spezifisch auf die individuelle Beeinträchtigung oder Pflegebedürftigkeit zugeschnitten sein. Schließlich ist eine vorherige schriftliche Genehmigung der Pflegekasse zwingend erforderlich, da ansonsten kein Rechtsanspruch auf Kostenerstattung besteht.
Welche Arten von Maßnahmen werden im Rahmen des Gesetzes berücksichtigt?
Anerkannt werden alle Maßnahmen, die der individuellen Anpassung des Wohnumfeldes dienen, um die Pflege zu erleichtern und die Selbstständigkeit zu fördern (§ 40 Abs. 4 SGB XI). Dazu zählen etwa der Einbau von Treppenliften, Türverbreiterungen, barrierefreie Sanitärumbauten, die Installation von Rampen oder das Entfernen von Schwellen und Stolperfallen. Wesentlich dabei ist die Eignung der Maßnahme zur Verbesserung der häuslichen Pflegesituation unter Berücksichtigung der spezifischen Einschränkungen der Antragstellerin bzw. des Antragstellers. Maßnahmen, die überwiegend dem Wohnkomfort dienen und keinen unmittelbaren Bezug zur Pflegebedürftigkeit aufweisen, sind rechtlich ausgeschlossen.
Wie hoch ist der maximale Zuschuss und wie wird dieser rechtlich begründet?
Die Pflegekasse übernimmt die nachgewiesenen Kosten für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen bis zu einem gesetzlich festgelegten Höchstbetrag von 4.000 Euro pro Maßnahme gemäß § 40 Abs. 4 SGB XI. Leben mehrere Pflegebedürftige in einem gemeinsamen Haushalt, kann die Förderung bis auf maximal 16.000 Euro erhöht werden, sofern für jede Person ein Pflegegrad festgestellt wurde und der Nutzen jeder Maßnahme individuell dargelegt wird. Dieser Rechtsanspruch ist nicht einkommensabhängig, sondern ausdrücklich an den Pflegegrad und den spezifischen Anpassungsbedarf des Wohnumfeldes gebunden. Die Auszahlung erfolgt nach Vorlage entsprechender Rechnungen, wobei Rechnungsbelege zwingend erforderlich sind. Eine Aufteilung der Kostenbeteiligung unter mehreren Kostenträgern ist je nach individueller Sachlage rechtlich möglich.
Gibt es rechtliche Möglichkeiten gegen eine Ablehnung des Antrags vorzugehen?
Gegen die Ablehnung eines Antrags auf wohnumfeldverbessernde Maßnahmen besteht das Recht zum Widerspruch nach den allgemeinen Regeln des Sozialgesetzbuchs (§§ 83 ff. SGG). Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats nach Zugang des Ablehnungsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift bei der Pflegekasse einzureichen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens werden die Sach- und Rechtslage erneut umfassend geprüft. Fällt die Entscheidung auch nach dem Widerspruch negativ aus, besteht die Möglichkeit, Klage vor dem zuständigen Sozialgericht zu erheben. Dabei sollte beachtet werden, dass die Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben kann und der Rechtsweg kostenfrei ist.
Wie werden wohnumfeldverbessernde Maßnahmen von anderen Leistungen der Pflegeversicherung rechtlich abgegrenzt?
Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen sind in § 40 Abs. 4 SGB XI explizit als eigenständige Leistung der Pflegeversicherung definiert und müssen von allgemeinen Pflegehilfsmittel (Abs. 1) bzw. technischen Hilfsmitteln oder Zuschüssen für ambulante Pflegedienste abgegrenzt werden. Anders als Pflegehilfsmittel stellen sie keine im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführten beweglichen Gegenstände dar, sondern beziehen sich auf bauliche Veränderungen oder fest installierte Einrichtungen im Wohnraum. Die Maßnahme muss spezifisch der Herstellung eines barrierefreien Umfeldes hinsichtlich der jeweiligen gesundheitlichen Einschränkungen dienen und ist nicht auf die Verbesserung der Pflege durch Pflegekräfte begrenzt. Auch die Antrags- und Prüfungsmodalitäten unterscheiden sich im Detail von anderen Leistungsarten.
Wer ist für die fachgerechte Umsetzung und Einhaltung baurechtlicher Bestimmungen verantwortlich?
Die rechtliche Verantwortung für die fachgerechte Durchführung der genehmigten Maßnahmen liegt grundsätzlich beim Antragstellenden, also dem/der Pflegebedürftigen bzw. deren Vertretung. Bei der Ausführung sind sowohl die Vorgaben der Pflegekasse als auch alle geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (z.B. Bauordnungsrecht, Denkmalschutz, Mietrecht) zu beachten. Die Auswahl des ausführenden Fachbetriebs oder Handwerksunternehmens obliegt den Antragstellenden, lediglich die Kostenübernahme liegt im Verantwortungsbereich der Pflegekasse. Im Mietverhältnis ist zudem die Einholung einer schriftlichen Zustimmung des Vermieters notwendig, da bauliche Veränderungen an der Mietwohnung ohne dessen Genehmigung regelmäßig unzulässig sind (§ 554a BGB).
Können Maßnahmen auch nachträglich genehmigt oder rückwirkend bezuschusst werden?
Rechtlich ist eine rückwirkende Genehmigung oder Bezuschussung wohnumfeldverbessernder Maßnahmen grundsätzlich ausgeschlossen. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt der Antragstellung, welcher zwingend vor Beginn der Maßnahme erfolgen muss. Eine Förderung bereits durchgeführter Maßnahmen ohne vorliegende Genehmigung der Pflegekasse ist gemäß § 40 Abs. 4 SGB XI nicht möglich; Ausnahmen bestehen lediglich in besonders begründeten Härtefällen, welche jedoch restriktiv gehandhabt werden und einer individuellen Einzelfallprüfung bedürfen. Es empfiehlt sich daher dringend, die erforderlichen Anträge stets vor Auftragsvergabe oder Beginn der Umbaumaßnahmen bei der Pflegekasse einzureichen und die schriftliche Bewilligung abzuwarten.