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Wirtschaftsstrafsachen


Begriff und Abgrenzung der Wirtschaftsstrafsachen

Wirtschaftsstrafrecht bezeichnet einen Straftatenbereich, der sich mit denjenigen Delikten beschäftigt, die im Kontext der Wirtschaft oder Unternehmen begangen werden. Der Begriff Wirtschaftsstrafsachen umfasst dabei sämtliche Fälle, in denen strafrechtlich relevante Handlungen einen wirtschaftlichen Bezug aufweisen. Wirtschaftsstrafsachen bilden ein eigenständiges Rechtsgebiet an der Schnittstelle zwischen Strafrecht, Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht und zunehmend auch dem internationalen Recht.

Das Wirtschaftsstrafrrecht ist nicht auf ein einzelnes Gesetz beschränkt, sondern ergibt sich aus einer Vielzahl von Normen unterschiedlicher Gesetze, darunter das Strafgesetzbuch (StGB), das Handelsgesetzbuch (HGB), die Abgabenordnung (AO), das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sowie verschiedene Nebengesetze wie das Kreditwesengesetz (KWG), das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) oder das Geldwäschegesetz (GwG).

Tatbestände im Bereich der Wirtschaftsstrafsachen

Kernstraftatbestände

Zu den zentralen Straftaten, die als Wirtschaftsstrafsachen behandelt werden, zählen insbesondere:

  • Betrug (§ 263 StGB): Die Täuschung über Tatsachen mit dem Ziel, einen Vermögensvorteil zu erlangen und dadurch einen Vermögensschaden herbeizuführen, zählt zu den häufigsten Wirtschaftsdelikten.
  • Untreue (§ 266 StGB): Die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht, oft im Rahmen von Unternehmen oder Organisationen, stellt einen klassischen Komplex von Wirtschaftsstrafsachen dar.
  • Subventionsbetrug (§ 264 StGB): Die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel durch falsche oder unvollständige Angaben.
  • Bankrottdelikte (§§ 283 ff. StGB): Weitergehende Vorschriften über Insolvenzverschleppung, betrügerische Vermögensminderung und Verletzung der Buchführungspflicht ergänzen das strafrechtliche Wirtschaftsschutzsystem.

Spezielle Wirtschaftsstraftaten

Im weiteren Sinne werden weitere Straftatbestände zu den Wirtschaftsstrafsachen gezählt, etwa:

  • Insiderhandel und Marktmanipulation (§§ 38 ff. WpHG; Art. 14 EU-Marktmissbrauchsverordnung)
  • Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB)
  • Steuerhinterziehung (§ 370 AO)
  • Geldwäsche (§ 261 StGB)
  • Zoll- und Außenwirtschaftsdelikte (u.a. gemäß Außenwirtschaftsgesetz – AWG und Zollkodex)
  • Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht (z.B. durch unlautere Absprachen gemäß § 298 StGB – wettbewerbsbeschränkende Absprachen)

Diese Aufzählung ist nicht abschließend, jedoch verdeutlicht sie die Vielschichtigkeit und Bandbreite von möglichen wirtschaftsbezogenen Straftatbeständen.

Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten

Wirtschaftsstrafrecht lässt sich abgrenzen von rein zivilrechtlichen Haftungsnormen, beispielsweise aus dem Gesellschaftsrecht, sowie von Regulierungssanktionen, etwa Bußgeldern im Ordnungswidrigkeitenrecht. Während zivilrechtliche Haftung primär dem Ausgleich von Vermögensnachteilen dient, steht bei Wirtschaftsstrafsachen die Ahndung und Sanktionierung schuldhaften Fehlverhaltens im Vordergrund.

Eine Überschneidung besteht häufig mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht – so etwa in den Bereichen Kartellrecht (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB) oder Kapitalmarktrecht.

Zuständigkeit und Verfahren im Rahmen von Wirtschaftsstrafsachen

Zuständige Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden

Wirtschaftsstrafsachen werden in der Regel von spezialisierten Abteilungen der Staatsanwaltschaften verfolgt, sogenannten „Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität“. Je nach Bundesland existieren zudem speziell ausgebildete Einheiten bei Polizei und Steuerfahndung.

Gerichtliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit für Wirtschaftsstrafsachen liegt häufig bei den Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte. In einfachen Fällen kann die Zuständigkeit jedoch auch beim Amtsgericht (Schöffengericht) liegen. Die Gerichte prüfen regelmäßig, ob eine besondere wirtschaftliche Bedeutung des Falles vorliegt, etwa durch die Höhe des Schadens, die Komplexität des Sachverhaltes oder die Anzahl betroffener Personen.

Verfahrensbesonderheiten

Das Verfahren bei Wirtschaftsstrafsachen kennzeichnet sich durch eine erhöhte Komplexität. Gründe hierfür sind unter anderem:

  • Umfangreiche Beweisaufnahmen, oft mit Auswertung großer Datenmengen
  • Internationale Bezüge, etwa wenn grenzüberschreitende Sachverhalte oder ausländische Beteiligte involviert sind
  • Häufig parallele Verfahren, beispielsweise in Insolvenz-, Steuer- oder Verwaltungsverfahren

Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind wirtschaftskriminalistische Ermittlungsmaßnahmen, wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen, an besondere Voraussetzungen gebunden.

Sanktionen und Rechtsfolgen bei Wirtschaftsstrafsachen

Strafmaß und Nebenfolgen

Die Strafandrohung bei Wirtschaftsstrafsachen variiert je nach Tatbestand. Sie reicht von Geldstrafen bis zu langjährigen Freiheitsstrafen. Darüber hinaus können berufsrechtliche und gesellschaftsrechtliche Konsequenzen drohen, darunter:

  • Eintragung von Strafen in das Bundeszentralregister
  • Werterelevante Einziehung (§§ 73 ff. StGB – Vermögensabschöpfung)
  • Gewerbeuntersagung nach § 35 Gewerbeordnung (GewO)
  • Verlust von Geschäftsführungs- oder Aufsichtsratsmandaten

Relevanz von Compliance und Prävention

Ein zunehmender Stellenwert kommt effektiven Compliance-Systemen zu, die darauf ausgerichtet sind, wirtschaftskriminelle Handlungen präventiv zu verhindern oder aufzudecken. Fehlen solche Kontrollmechanismen, kann sich dies bei der Strafzumessung im Fall einer Verurteilung nachteilig auswirken.

Entwicklung und Bedeutung der Wirtschaftsstrafsachen

Die Bedeutung der Wirtschaftsstrafsachen und des Wirtschaftsstrafrrechts hat in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zugenommen. Einflussfaktoren sind die Globalisierung der Wirtschaft, fortschreitende Digitalisierung und verschärfte regulatorische Anforderungen, beispielsweise durch internationale Abkommen zur Geldwäschebekämpfung und Korruptionsvermeidung.

Gesetzgebungsinitiativen, wie die ausgedehnte Unternehmensstrafbarkeit, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sowie die fortlaufende Novellierung der wirtschaftsstrafrechtlichen Vorschriften spiegeln die gesellschaftliche Relevanz und die aktuelle Entwicklung dieses Rechtsgebietes wider.

Zusammenfassung

Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftsstrafsachen fassen sämtliche strafrechtlichen Sachverhalte zusammen, bei denen wirtschaftliches Handeln oder öffentliche finanzielle Interessen betroffen sind. Die Materie ist vielschichtig, interdisziplinär und eng mit verwandten Rechtsbereichen, wie dem Steuerrecht, Gesellschaftsrecht und dem Ordnungswidrigkeitenrecht verbunden. Wirtschaftsstrafverfahren stellen besondere Anforderungen an Ermittlungsbehörden und Gerichte und führen bei nachgewiesenem Fehlverhalten zu empfindlichen Sanktionen für betroffene Unternehmen und Einzelpersonen. Die präventive Einrichtung wirksamer Kontroll- und Verteidigungsmechanismen stellt daher einen integralen Bestandteil moderner Unternehmensführung dar.

Häufig gestellte Fragen

Wie läuft ein Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen ab?

Ein Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafsachen beginnt in der Regel mit einer Anzeige, einem Strafantrag oder aufgrund von Hinweisen durch Aufsichtsbehörden, Steuerfahndung oder anderen Behörden. Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Ermittlungsverfahrens und wird häufig durch spezialisierte Ermittlungsbehörden wie die Kriminalpolizei oder Steuerfahndung unterstützt. Zu Beginn wird geprüft, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat im wirtschaftlichen Kontext – beispielsweise Betrug, Untreue oder Insolvenzstraftaten – besteht. Ist dies der Fall, werden verschiedene Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet wie Durchsuchungen von Geschäfts- und Privaträumen, Beschlagnahme von Unterlagen sowie Sicherstellung von Vermögenswerten. Zeugen und Verdächtige werden vernommen. In der Regel erfolgt eine umfassende Auswertung von Buchhaltungsunterlagen, E-Mails und anderen Dokumenten, um Sachverhalte und Verantwortlichkeiten zu klären. Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob Anklage erhoben wird, ein Strafbefehl beantragt wird oder das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wird. Das Ermittlungsverfahren ist geprägt durch eine besonders hohe Komplexität in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, insbesondere durch die häufig multidimensionale Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden.

Welche Rechte haben Beschuldigte in Wirtschaftsstrafsachen?

Beschuldigte einer Wirtschaftsstrafsache genießen die in der Strafprozessordnung festgelegten Rechte. Sie haben insbesondere das Recht auf Aussageverweigerung und müssen sich nicht selbst belasten (sogenanntes Nemo-tenetur-Prinzip). Ab dem Zeitpunkt, ab dem sie als Beschuldigte gelten, steht ihnen das Recht auf einen Verteidiger zu. Sie dürfen jederzeit Akteneinsicht verlangen, wenngleich diese von der Staatsanwaltschaft in der Ermittlungsphase auch teilweise verweigert oder eingeschränkt werden kann, etwa zur Sicherung des Ermittlungserfolgs. Beschuldigte haben das Recht, bei allen wesentlichen Vernehmungen anwesend zu sein oder durch ihren Anwalt vertreten zu werden. Zudem besteht das Recht, Beweisanträge zu stellen und Beweismittel vorzubringen. Im Falle von Durchsuchungen oder Beschlagnahmen sind sie berechtigt, Zeugen hinzuzuziehen und die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen gerichtlich prüfen zu lassen.

Welche typischen strafrechtlichen Sanktionen drohen bei einer Verurteilung in Wirtschaftsstrafsachen?

Die Sanktionen in Wirtschaftsstrafsachen variieren je nach Art und Schwere der Tat. Möglich sind Freiheitsstrafen – teilweise auch ohne Bewährung -, Geldstrafen oder – insbesondere bei Unternehmen – sogenannte Einziehungsmaßnahmen, bei denen wirtschaftliche Vorteile aus Straftaten eingezogen werden. In schweren Fällen können Freiheitsstrafen von mehreren Jahren verhängt werden, etwa bei gewerbsmäßigem Betrug, Untreue mit erheblichem Schaden, Bestechung und Bestechlichkeit oder Steuerhinterziehung in großem Ausmaß. Hinzu kommen berufsrechtliche Konsequenzen, wie etwa ein Berufsverbot oder der Entzug der Gewerbeerlaubnis. Besonders Unternehmen können darüber hinaus mit Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG belegt werden, wenn Leitungspersonen Straftaten begangen haben, von denen das Unternehmen profitiert hat. Auch öffentlichkeitswirksame Nebenstrafen wie Veröffentlichung von Urteilen sind denkbar.

Gibt es Besonderheiten bei der Beweisführung in Wirtschaftsstrafsachen?

Ja, die Beweisführung in Wirtschaftsstrafsachen weist zahlreiche Besonderheiten auf. Häufig ist der Sachverhalt komplex und umfasst eine Fülle von Dokumenten, digitalen Daten und Geschäftsunterlagen. Die Staatsanwaltschaft greift oft auf Sachverständige, insbesondere Wirtschaftsprüfer oder IT-Forensiker, zurück, um Buchhaltungsunterlagen, Bilanzdaten oder Transaktionshistorien auszuwerten. Zudem ist häufig eine Rekonstruktion wirtschaftlicher Abläufe erforderlich, wobei die strafrechtliche Bewertung in engem Zusammenhang mit handels- und steuerrechtlichen Vorschriften steht. Ein weiteres Charakteristikum ist die sogenannte „strafrechtliche Zurechnung“ wirtschaftlicher Entscheidungen, die häufig im Rahmen arbeitsteiliger Unternehmensstrukturen getroffen werden. Infolgedessen kann die Ermittlung von Verantwortlichkeiten und der Nachweis des subjektiven Tatbestands, insbesondere des Vorsatzes, besonders schwierig sein.

Können Unternehmen selbst Täter einer Wirtschaftsstrafsache sein?

Unternehmen als juristische Personen sind strafrechtlich nicht schuldfähig im Sinne des Strafgesetzbuchs; jedoch sieht das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) insbesondere in § 30 vor, dass Unternehmen für Straftaten ihrer Leitungspersonen mit Geldbußen belegt werden können. Darüber hinaus kann Vermögen eingezogen werden, das aus Straftaten stammt oder für deren Begehung genutzt wurde (§ 73 ff. StGB). Die Verantwortlichkeit eines Unternehmens ergibt sich typischerweise daraus, dass Leitungspersonen – etwa Geschäftsführer, Vorstände oder Prokuristen – Straftaten in Ausübung ihrer Funktion begehen, wovon das Unternehmen finanziell profitiert. In der Praxis werden daher Straf- und Bußgeldverfahren häufig sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen Unternehmen geführt.

Was ist eine „Selbstanzeige“ und wann ist sie in Wirtschaftsstrafsachen möglich?

Die Selbstanzeige ist in Deutschland vor allem im Steuerstrafrecht ein wichtiges Instrument. Sie ermöglicht es Tätern, unter bestimmten Voraussetzungen Straffreiheit zu erlangen, wenn nicht oder falsch erklärte Steuern durch eine fristgerechte und vollständige Nacherklärung offengelegt werden. Die Selbstanzeige muss alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart vollständig und richtig nacherklären und es dürfen keine Kenntnisstände der Finanzbehörden über die Tat vorliegen. Bei anderen Wirtschaftsdelikten, wie Untreue oder Betrug, kennt das Recht keine dem Steuerstrafrecht vergleichbare strafbefreiende Selbstanzeige. In diesen Fällen besteht allenfalls die Möglichkeit, durch vorbeugende Kooperation, Wiedergutmachung oder umfassende Aufklärung eine Strafmilderung zu erreichen. Eine Anzeige und tätige Reue können aber strafmildernd berücksichtigt werden.