Legal Lexikon

Wiederholungswahl


Begriff und Bedeutung der Wiederholungswahl

Die Wiederholungswahl bezeichnet im deutschen Wahlrecht eine Wahl, die aufgrund rechtlicher Mängel, Unregelmäßigkeiten oder sonstiger Verstöße bei der Durchführung einer vorherigen Wahl vollständig oder teilweise erneut durchgeführt werden muss. Sie stellt ein wesentliches Instrument zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und der Integrität des demokratischen Wahlverfahrens dar. Die rechtlichen Grundlagen für Wiederholungswahlen finden sich sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene in verschiedenen Wahlgesetzen und dazugehörigen Verordnungen.


Rechtsgrundlagen der Wiederholungswahl

Bundeswahlrecht

Im Rahmen von Bundestagswahlen wird die Möglichkeit einer Wiederholungswahl im Bundeswahlgesetz (BWahlG) geregelt. Hierbei sind insbesondere die Vorschriften über die Wahlanfechtung (§§ 49 ff. BWahlG) von Bedeutung, da eine Wiederholungswahl meist infolge einer erfolgreichen Wahlanfechtung angeordnet wird. Eine ähnliche Regelung besteht für die Wahlen zum Europäischen Parlament (§ 26 EuWG) sowie für Landtags-, Kommunal- und Bürgermeisterwahlen, jeweils in den entsprechenden Wahlgesetzen der Länder und Kommunen.

Landesrecht und Kommunalrecht

Die jeweiligen Landeswahlgesetze und Kommunalwahlordnungen enthalten Regelungen zur Wiederholungswahl für Landesparlamente, Kreis- und Gemeinderäte sowie Bürgermeister oder Landräte. Auch hier ergeben sich wesentliche Verfahrensregelungen aus spezifischen Wahlprüfungsordnungen und der Möglichkeit, Wahlergebnisse anzufechten.


Voraussetzungen und Anordnung einer Wiederholungswahl

Anfechtung und Überprüfung

Eine Wiederholungswahl wird grundsätzlich nicht automatisch durchgeführt, sondern bedarf einer formgerechten Wahlanfechtung durch Wahlberechtigte, Wahlbewerber oder durch die Wahlleitung. Die Wahlanfechtung ist mit einer Begründung einzureichen und muss sich auf bestimmte Sachverhalte berufen, etwa auf

  • Verstöße gegen wesentliche Wahlrechtsgrundsätze (wie Allgemeinheit, Gleichheit, Unmittelbarkeit, Freiheit oder Geheimheit der Wahl)
  • formale Fehler im Wahlverfahren (z. B. bei der Zulassung von Wahlvorschlägen, bei der Auszählung der Stimmen, Ausfertigung der Wahlniederschrift)
  • unzulässige Beeinflussung oder Behinderung der Wähler
  • fehlerhafte Zusammensetzung der Wahlorgane

Die Wahlprüfungsorgane (z. B. der Bundestag, ein Landesparlament oder ein Wahlprüfungsgericht) prüfen die vorgetragenen Beanstandungen und entscheiden darüber, ob der festgestellte Fehler so erheblich ist, dass das Wahlergebnis dadurch beeinflusst sein kann oder tatsächlich beeinflusst wurde.

Entscheidungsbefugnis

Die Anordnung der Wiederholungswahl erfolgt durch das zuständige Wahlprüfungsorgan. Bei Bundestagswahlen ist dies nach abschließender Prüfung der Bundestag selbst (§ 42 BWahlG) auf Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Wahl oder die Notwendigkeit einer Wiederholungswahl (§ 48 BWahlG).

Auf Landes- und Kommunalebene entscheiden die jeweiligen Wahlprüfungsgremien oder gegebenenfalls die Landesverfassungsgerichte.


Umfang und Durchführung der Wiederholungswahl

Vollständige und teilweise Wiederholungswahl

Eine Wiederholungswahl kann entweder die gesamte Wahl oder nur einzelne Wahlbezirke beziehungsweise Stimmkreise betreffen. Der Umfang richtet sich nach dem Ausmaß des festgestellten Wahlscheins:

  • Vollständige Wiederholungswahl: Die gesamte Wahl wird aufgehoben und komplett neu durchgeführt.
  • Teilweise Wiederholungswahl: Lediglich bestimmte Wahlbezirke, Stimmkreise oder Urnen werden neu ausgezählt oder es findet dort eine erneute Stimmabgabe statt.

Maßgeblich ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip: Wo ein Wahlniederschlag lokal begrenzt bleibt und das Gesamtergebnis beeinflussen könnte, beschränkt sich die Wiederholungswahl regelmäßig auf diese Bezirke.

Fristen und Modalitäten

Die Wiederholungswahl wird nach den gleichen gesetzlichen Grundlagen wie die ursprüngliche Wahl durchgeführt. Die Wahlbehörden setzen in Abstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben einen neuen Wahltermin fest. Eine Wiederholungswahl muss in der Regel innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen; etwa nach § 44 BWahlG „innerhalb von sechzig Tagen nach der Anordnung.“

Zur Wahrung der Wahlrechtsgrundsätze ist sicherzustellen, dass die gleichen Wahlvorschläge, Wahlberechtigtenverzeichnisse und Wahlunterlagen genutzt werden wie bei der ursprünglich mangelhaften Wahl, sofern keine zwingenden Gründe für eine Neuerstellung vorliegen.


Rechtliche Folgen der Wiederholungswahl

Auswirkungen auf das Wahlergebnis

Das Ergebnis einer Wiederholungswahl tritt an die Stelle des ursprünglichen Wahlergebnisses im betroffenen Wahlgebiet. Erst nach Abschluss der Wiederholungswahl kann das endgültige Ergebnis festgestellt und die Mandatsvergabe vollzogen werden. Die Sitzverteilung kann sich – unter Umständen auch im gesamten Wahlkörper – durch das korrigierte Ergebnis noch verändern.

Mandatsrechtliche Konsequenzen

Institutionen, deren Wahl für ungültig erklärt wurde, verbleiben bis zur erneuten Wahl oder einer endgültigen Entscheidung im Amt (Fortgeltungsklausel, § 43 BWahlG) um eine Funktionsfähigkeit öffentlicher Organe sicherzustellen.


Abgrenzung: Wahlwiederholung und Wahlwiederholung

Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe „Wiederholungswahl“ und „Wahlwiederholung“ häufig synonym verwendet. Rechtlich ist jedoch zu differenzieren:

  • Wiederholungswahl: Korrekturwahlen infolge festgestellter Fehler oder Rechtsverstöße.
  • Wahlwiederholung: Hierunter fällt teilweise auch der komplette Neuansatz einer Wahl, wenn etwa das Wahlverfahren aus nicht selbstverschuldeten sachlichen Gründen abgebrochen oder nicht durchgeführt werden konnte (z. B. bei höherer Gewalt, Naturkatastrophen, technischen Problemen).

Beispielhafte Fälle aus Rechtsprechung und Praxis

Wiederholungswahlen sind kein rein theoretisches Phänomen. In der jüngeren Vergangenheit gab es mehrere medienwirksame Fälle, etwa die Anordnung von Wiederholungswahlen zu Teilen des Bundestages im Land Berlin nach zahlreichen Verstößen gegen Wahlrechtsvorschriften (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2022, 2 BvC 4/21). Hieraus ergeben sich konkrete Leitlinien für die Durchführung und Bewertung von Wiederholungswahlen, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung entfalten.


Bedeutung für das Demokratieprinzip

Die institutionalisierte Möglichkeit zur Anfechtung und Korrektur fehlerhafter Wahlen – manifestiert in der Wiederholungswahl – ist ein zentraler Baustein moderner rechtsstaatlicher Demokratien. Sie gewährleistet, dass das Wahlrecht nicht nur formal garantiert, sondern auch tatsächlich durchgesetzt wird. Damit sichert die Wiederholungswahl Vertrauen in die Integrität der Wahlprozesse und somit in das politische System insgesamt.


Literatur und Weblinks

  • Bundeswahlgesetz (BWahlG)
  • Bundestagswahlgesetz-Kommentare mit Hinweisen zu Wiederholungswahlen
  • Landeswahlgesetze und Kommunalwahlverordnungen
  • Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlanfechtungen und Wiederholungswahlen

Weiterführende Hinweise und aktuelle Entwicklungen finden sich auf den Seiten der Landeswahlleiter, des Bundeswahlleiters sowie in einschlägigen Datenbanken zur Rechtsprechung im Wahlrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anordnung einer Wiederholungswahl vorliegen?

Für die Anordnung einer Wiederholungswahl müssen nach deutschem Recht bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die im Wesentlichen aus Wahlgesetzen wie dem Bundeswahlgesetz (BWG) oder den jeweiligen Landeswahlgesetzen abgeleitet werden. Grundsätzlich ist die Wiederholungswahl eine Maßnahme zur Wahrung der Wahlrechtsgrundsätze, insbesondere im Hinblick auf die Allgemeinheit, Gleichheit, Unmittelbarkeit, Freiheit und Geheimheit der Wahl (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Eine Wiederholungswahl kommt in Betracht, wenn bei der Durchführung der jeweiligen Wahl erhebliche Wahlfehler oder Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, welche das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten. Typische Gründe sind Versäumnisse bei der Ausgabe von Stimmzetteln, fehlerhafte Wählerverzeichnisse, unrechtmäßige Zurückweisung oder Zulassung von Wählern oder Kandidaten, oder Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen. Die relevanten Gesetze schreiben vor, dass ein Wahlprüfungsverfahren durchgeführt werden muss, in dessen Verlauf der Wahlfehler festgestellt wird und der Gerichts- oder Wahlprüfungsorgane zu der Einschätzung kommen, dass eine Wiederholungswahl notwendig ist. Die Feststellung trifft in der Regel der jeweilige Wahlprüfungsausschuss, ggf. auch das jeweilige Landesverfassungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht, abhängig von der Wahlebene.

Welches Verfahren ist bei der Durchführung einer Wiederholungswahl zu beachten?

Das Verfahren zur Durchführung einer Wiederholungswahl richtet sich grundsätzlich nach denselben Regelungen wie die ursprüngliche Wahl. Das bedeutet, dass alle gesetzlichen Vorgaben zu Fristen, Vorbereitung, Bekanntmachungen, Zulassung von Wahlvorschlägen, und Durchführung der Wahlhandlung analog Anwendung finden. Allerdings kann das zuständige Wahlorgan, insbesondere wenn eine Wiederholungswahl auf einzelne Wahlbezirke beschränkt ist, organisatorische Anpassungen vornehmen – dies betrifft etwa die Eintragung der Wahlberechtigten oder die Zulassung neuer Wahlvorschläge. Entscheidend ist, dass das Wiederholungsverfahren innerhalb der vom Gesetz bestimmten Fristen erfolgt: Im Bundeswahlgesetz ist festgelegt, dass eine Wiederholungswahl in der Regel binnen 60 Tagen nach Rechtskraft der Anordnung stattzufinden hat (§ 44 Abs. 2 BWG). Je nach Sachlage kann auch eine kürzere oder längere Frist festgesetzt werden, immer unter Beachtung der Grundsätze des effektiven Rechtsschutzes und der ordnungsgemäßen Vorbereitung der Wahl.

Inwiefern wirken sich Fehler oder Mängel bei der ursprünglichen Wahl auf die Entscheidung über eine Wiederholungswahl aus?

Fehler oder Mängel bei der Durchführung der ursprünglichen Wahl sind nur dann für die Anordnung einer Wiederholungswahl relevant, wenn sie wahlrechtswidrig sind und das Wahlergebnis ursächlich beeinflusst haben könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu klargestellt, dass nicht jeder Fehler zu einer Wiederholungswahl führt, sondern nur solche Fehler, auf die nicht auf anderem Wege (z.B. Korrektur im Auszählungsverfahren) reagiert werden kann und die nachweislich das Ergebnis der Wahl beeinflusst haben oder hätten beeinflussen können. Dies umfasst z. B. den unzulässigen Ausschluss von Wahlberechtigten, logistische Fehler, irreführende Stimmzettel oder die unrechtmäßige Ablehnung von Wahlvorschlägen. Die Einschätzung, ob ein Fehler erheblich ist, erfolgt durch die Wahlprüfungsorgane nach fachlicher Rechtskontrolle und anhand einer konkreten Wahlanalyse. Im Zweifel muss der Wahlanfechter die Fehler detailliert darlegen und nachweisen, in welchem Umfang und mit welcher Wahrscheinlichkeit das Wahlergebnis beeinflusst wurde.

Wer ist berechtigt, eine Wiederholungswahl zu beantragen oder deren Anordnung einzuleiten?

Das Recht, eine Wiederholungswahl anzufechten oder zu beantragen, ist gesetzlich geregelt und obliegt vor allem Wahlberechtigten, Wahlbewerbern, Parteien sowie den zur Wahl zugelassenen Listen. Im Regelfall muss nach der Wahl ein förmlicher Wahleinspruch beim zuständigen Wahlprüfungsausschuss (auf Kommunal-, Landes- oder Bundesebene) eingereicht werden. Die Fristen hierfür sind im jeweiligen Wahlgesetz festgelegt (z. B. 2 Monate nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses auf Bundesebene gem. § 2 BWG). Das Wahlprüfungsverfahren prüft dann die behaupteten Wahlfehler. Ergibt sich daraus ein substantiierter Wahlfehler mit potenziell erheblicher Auswirkung auf das Wahlergebnis, kann das zuständige Organ – im letzten Schritt meist das Bundesverfassungsgericht (auf Bundesebene) oder das jeweilige Landesverfassungsgericht (auf Landesebene) – die Wiederholungswahl anordnen.

Welche rechtlichen Folgen hat eine Wiederholungswahl für die bisherigen Mandatsträger?

Bis zur Durchführung und Auswertung einer Wiederholungswahl verbleiben die bisherigen Wahlgewinner in ihrem Amt, sofern das Wahlergebnis nicht bereits für ungültig erklärt oder das Mandat durch vorläufige Maßnahmen entzogen wurde. Mit erfolgreicher Durchführung einer Wiederholungswahl und Feststellung des neuen Wahlergebnisses werden die Mandate entsprechend der erneuten Stimmenverteilung neu vergeben. In Ausnahmefällen kann durch gerichtlichen Beschluss auch eine vorläufige Mandatsaussetzung erfolgen, wenn die Wahrscheinlichkeit eines gravierenden Wahlfehlers besteht und dadurch die Legitimität der amtierenden Mandatsträger erheblich beeinträchtigt ist.

Wie ist der zeitliche Ablauf zwischen Wahlanfechtung und Wiederholungswahl geregelt?

Nach Einreichung eines Wahleinspruchs setzt ein gesetzlich geregeltes Prüfungsverfahren ein, in dem die zuständige Stelle (Wahlprüfungsausschuss oder Gericht) die Sach- und Rechtslage prüft. Die Dauer dieses Verfahrens hängt von der Komplexität des Sachverhalts, dem Umfang der Nachprüfungen und möglichen gerichtlichen Instanzen ab. Nach rechtskräftiger Feststellung des Wahlfehlers und der Entscheidung zur Wiederholungswahl beginnt die gesetzlich vorgegebene Frist für die Organisation und Durchführung der Wiederholungswahl (zumeist binnen 60 Tagen). Das Ziel der gesetzlichen Regelungen ist es, die Dauer von Anfechtung und Wiederholung möglichst kurz zu halten, um eine zügige und rechtssichere Neubesetzung politischer Mandate zu gewährleisten.

Gibt es Sonderregelungen für Teilwiederholungen oder beschränkte Wiederholungswahlen?

Ja, das Wahlrecht sieht die Möglichkeit vor, dass eine Wiederholungswahl auf bestimmte Wahlbezirke oder einzelne Wahllokale beschränkt werden kann, sofern der festgestellte Wahlfehler lediglich in diesen Einheiten vorlag und sich nicht auf das gesamte Wahlgebiet auswirkte. Diese Teilwiederholungswahlen sind dann nur in den betroffenen Gebieten durchzuführen und beziehen sich ausschließlich auf die betroffene Stimmauszählung oder Stimmvergabe. Die rechtliche Grundlage hierfür bilden die jeweiligen Wahlgesetze (z. B. § 44 Abs. 4 BWG), die ausdrücklich die Möglichkeit von Wiederholungswahlen für einzelne Wahlbezirke vorsehen, wenn eine isolierte Fehlerbeseitigung möglich und ausreichend ist, um die Wahlgrundsätze im betroffenen Umfang wiederherzustellen.