Begriff und rechtliche Einordnung des Widerstands gegen die Staatsgewalt
Der Begriff Widerstand gegen die Staatsgewalt bezeichnet im deutschen Recht die strafbare Handlung, die darauf abzielt, hoheitliche Maßnahmen von Amtsträgern durch Gewalt oder Androhung von Gewalt zu verhindern, zu behindern oder zu erschweren. Kern des Tatbestandes ist das gewaltsame oder gewaltdrohende Verhalten gegenüber Staatsbediensteten bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen. Die Vorschrift dient dem besonderen Schutz staatlicher Vollzugshandlungen und damit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.
Gesetzliche Regelung
Strafgesetzbuch (StGB)
Die maßgeblichen Normen finden sich im Strafgesetzbuch, insbesondere in den Vorschriften der §§ 113 bis 115 StGB:
- § 113 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
- § 114 StGB – Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte
- § 115 StGB – Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen
Diese Vorschriften erfassen verschiedene Verhaltensweisen, mit denen sich Personen gegen hoheitliche Maßnahmen wenden.
§ 113 StGB: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
Nach § 113 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet.
Tatbestandselemente:
- Ein Amtsträger muss eine rechtmäßige Vollstreckungshandlung vornehmen
- Der Widerstand muss durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt erfolgen
- Vorsätzliches Handeln
Rechtsfolgen
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe in minder schweren Fällen. In besonders schweren Fällen, insbesondere wenn der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet, erhöht sich das Strafmaß (§ 113 Abs. 2 und 3 StGB).
§ 114 StGB: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte
Neben dem klassischen Widerstandstatbestand enthält das Gesetz seit 2017 den eigenständigen Deliktstatbestand des tätlichen Angriffs. Hierunter fällt jeder körperlich unmittelbar auf den Beamten zielende Angriff während einer Diensthandlung (z. B. Schlagen, Stoßen).
Strafrahmen:
Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
Geschützte Amtsträger und Personen
Zu den geschützten Personen gehören insbesondere Polizeibeamte, Justizbedienstete, Gerichtsvollzieher sowie andere Amtsträger, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Angehörige des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes erfasst (§ 115 StGB).
Rechtmäßigkeit der Diensthandlung
Voraussetzung für die Strafbarkeit ist grundsätzlich, dass die dienstliche Handlung, gegen die sich der Widerstand richtet, rechtmäßig ist. Ein Verhalten gegen eine rechtswidrige Maßnahme wird nach herrschender Meinung nicht durch § 113 StGB erfasst; Ausnahmen können bestehen, wenn die Maßnahme erkennbar von Amts wegen erfolgt und erhebliche Störungen der öffentlichen Ordnung drohen würden.
Formen des Widerstands
Gewaltanwendung
Unter Gewalt versteht man die Ausübung von physischen Kräften gegenüber der vollstreckenden Person oder Sachen, auf die die hoheitliche Maßnahme abzielt, wie z. B. körperliches Zerren, Schieben, Wegstoßen oder Festhalten.
Drohung mit Gewalt
Die Drohung mit Gewalt ist das Inaussichtstellen eines künftigen gewaltsamen Verhaltens, das geeignet ist, den Amtsträger in seiner Durchführung der Amtshandlung zu beeinflussen.
Unterschiedliche Erscheinungsformen
Widerstand kann auch passiv erfolgen, etwa durch sich Widersetzen mittels schwerem Wegtragen, Blockade oder Festklammern. Die Strafbarkeit besteht jedoch nur bei aktiver Widerstandshandlung (passiver Ungehorsam reicht regelmäßig nicht aus).
Strafprozessuale Aspekte
Ermittlungsverfahren
Ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt wird üblicherweise aufgrund einer Strafanzeige, häufig durch die Amtsträger selbst, eingeleitet. In solchen Verfahren wird im Regelfall ein Sachverständiger zur Feststellung der Tatsachen nicht benötigt. Die Ermittlungen umfassen die Vernehmung aller Beteiligten sowie eine genaue Prüfung der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung.
Rechtsmittel und Verteidigungsmöglichkeiten
Im Strafverfahren bieten sich dem Beschuldigten verschiedene Verteidigungsmöglichkeiten, insbesondere indem auf die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung abgestellt wird oder ein Erlaubnistatbestandsirrtum geltend gemacht wird. Im Falle erheblicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist eine Bestrafung ausgeschlossen.
Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen
Landfriedensbruch (§ 125 StGB)
Abzugrenzen ist der Widerstand gegen die Staatsgewalt vom Landfriedensbruch. Während sich der Widerstand gegen Handlungen einzelner Bediensteter richtet, bezieht sich der Landfriedensbruch auf Handlungen im Rahmen von Ausschreitungen gegen die Allgemeinheit oder Sachen.
Beleidigung und Körperverletzung
Auch Beleidigungen (§ 185 StGB) oder Körperverletzungen (§ 223 StGB) können im Rahmen des Widerstandes verwirklicht werden und zu einer Strafbarkeit neben § 113, § 114 StGB führen (sogenannte Tateinheit).
Kriminalpolitische und gesellschaftliche Bedeutung
Das Delikt des Widerstands gegen die Staatsgewalt besitzt hohe kriminalpolitische Relevanz, da die Einsatzkräfte zunehmend Angriffen und gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt sind. Insbesondere im Rahmen größerer Demonstrationen oder polizeilichen Alltagseinsätzen nimmt die Zahl dieser Straftaten gesellschaftliche Bedeutung ein. Die Gesetzesänderungen der letzten Jahre, insbesondere die Schärfung des Strafrahmens, unterstreichen die Schutzwürdigkeit staatlicher Vollzugsorgane.
Internationaler Vergleich
In zahlreichen anderen Rechtssystemen existieren vergleichbare Vorschriften, die überwiegend dem Schutz der Staatsgewalt dienen. In Österreich etwa findet sich eine ähnliche Strafdrohung (§ 269 StGB), in der Schweiz ist Widerstand gegen die Staatsgewalt als «Widerstand gegen die Staatsgewalt» in Art. 285 StGB ausgestaltet.
Literatur und Rechtsprechung
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat den Tatbestand und seine Abgrenzungen konkretisiert, insbesondere bezogen auf die Gewaltdefinition und die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung. Die einschlägige Kommentarliteratur erörtert regelmäßig die Anforderungen an die einzelnen Tatbestandsmerkmale sowie die Konkurrenzen mit anderen Straftatbeständen.
Zusammenfassung
Widerstand gegen die Staatsgewalt stellt eine zentrale Strafnorm zum Schutz hoheitlicher Vollstreckungsmaßnahmen dar. Die Vorschriften erfassen gewaltsame oder gewaltdrohende Angriffe auf Amtsträger bei der Ausübung hoheitlicher Aufgaben. Der Gesetzgeber trägt mit der Ausgestaltung des Tatbestandes dem Schutz der Funktionsfähigkeit und Durchsetzbarkeit der Staatsgewalt Rechnung. Die Tatbestände verlangen eine genaue Prüfung der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Amtshandlung sowie der Art und Intensität des Widerstandsverhaltens.
Literatur
- Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze
- Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch
- Fischer, StGB (aktuelle Auflage)
Rechtsprechung
- BGHSt 17, 24
- BGH, Beschluss vom 13.02.2017 – 5 StR 112/16
Hinweis: Die obigen Ausführungen bieten eine allgemeine und umfassende Darstellung des Begriffs „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ im Sinne eines Rechtslexikons. Die konkrete Beurteilung eines Einzelfalles hängt stets von den individuellen Umständen ab und sollte im Rahmen des geltenden Rechts erfolgen.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt aus rechtlicher Sicht ein Widerstand gegen die Staatsgewalt vor?
Ein Widerstand gegen die Staatsgewalt liegt nach deutschem Recht dann vor, wenn eine Person einer dazu besonders befugten Amtsträgerin oder einem Amtsträger mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand entgegensetzt, während diese oder dieser eine Diensthandlung vornimmt oder vorhat, sie vorzunehmen (§ 113 StGB). Entscheidend ist, dass die jeweilige Amtshandlung rechtmäßig erfolgt oder – im subjektiven Sinne – zumindest als rechtmäßig erscheinen darf. Zu den häufig betroffenen Amtsträgern zählen in der Praxis insbesondere Polizeibeamte, Feuerwehrleute oder Rettungskräfte. Gewalt umfasst dabei nicht nur körperliche Gewalt, sondern nach aktueller Rechtsprechung auch aktiven Widerstand, z.B. sich Wegdrehen, Nachlaufen oder Armewegziehen. Bei der Drohung genügt die Ankündigung, Gewalt gegen den Amtsträger oder eine Amtsträgerin anzuwenden. Eine passive Weigerung, wie etwa Nichtbefolgen von Anweisungen oder Verweigerung der Kooperation, reicht in der Regel für die Verwirklichung des Tatbestands nicht aus.
Wer gilt als Amtsträger im Sinne des Widerstands gegen die Staatsgewalt?
Amtsträger im Sinne von § 113 StGB sind vor allem Personen, die nach deutschem Gesetz Aufgaben der staatlichen Verwaltung wahrnehmen. Dazu gehören insbesondere Polizeibeamte, Justizbeamte, Zollbeamte, aber auch andere Personen, die hoheitliche Aufgaben erfüllen und dazu berufen sind. Maßgeblich ist der hoheitliche Charakter der jeweiligen Tätigkeit; entscheidend ist, dass diese Personen kraft öffentlichen Rechts für das Gemeinwesen tätig werden. Auch bestimmte private Personen können zeitweise Amtsträgerstatus erlangen, wenn sie z.B. zu einer Amtshandlung herangezogen werden (Beispiel: Hilfspolizisten, Wahlhelfer). Es muss immer eine Tätigkeit vorliegen, bei der das Funktionieren und die Durchsetzbarkeit des staatlichen Rechts gefährdet wird, wenn die Amtshandlung behindert oder vereitelt wird.
Welche Strafen sieht das Gesetz bei Widerstand gegen die Staatsgewalt vor?
Das Strafmaß für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (bzw. Widerstand gegen die Staatsgewalt) ist im § 113 StGB geregelt. Es droht grundsätzlich eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. In besonders schweren Fällen wie etwa der Anwendung von gefährlichen Werkzeugen oder gemeinschaftlicher Ausführung erhöht sich das Strafmaß auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Sind konkrete Verletzungen der bei der Amtshandlung tätigen Person die Folge, können weitere Delikte wie Körperverletzung (§ 223 StGB) in Tateinheit verwirklicht sein. Auch können strafverschärfende Umstände vorliegen, wenn etwa Kinder oder Menschenmengen instrumentiert werden. Die konkrete Strafe hängt stets von den Umständen des Einzelfalls, der Schwere des Widerstands und etwaigen Vorstrafen ab.
Welche Rolle spielt die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung beim Widerstand gegen die Staatsgewalt?
Für einen wirksamen Widerstand gegen die Staatsgewalt ist die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung entscheidend. Der Tatbestand des § 113 StGB setzt voraus, dass sich die Gewalt oder Drohung gegen eine Amtshandlung richtet, die vom Amtsträger rechtmäßig durchgeführt wird oder bei objektiver Betrachtung als rechtmäßig erscheinen darf. Unrechtmäßige Amtshandlungen – etwa willkürliche oder unverhältnismäßige Maßnahmen einer Polizeibeamtin – rechtfertigen grundsätzlich keinen Strafvorwurf wegen Widerstands. Allerdings wird bei Zweifeln dem funktionierenden Verwaltungshandeln Vorrang eingeräumt, sofern die Amtsperson kraft ihrer Dienststellung und im Rahmen ihrer Befugnisse handelt. Wird eine tatsächlich rechtswidrige Maßnahme mit Widerstand begegnet, kann unter Umständen ein entschuldigender Notstand (§ 35 StGB) oder sogar Rechtfertigung nach § 32 StGB (Notwehr) geprüft werden.
Kann Widerstand gegen die Staatsgewalt auch durch Unterlassen begangen werden?
Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur wird der Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt nur durch aktives Tun und nicht durch bloßes Unterlassen erfüllt. Das heißt, eine ganz passive Verweigerung der Zusammenarbeit, wie z.B. Stillsitzen, Schweigen oder Nicht-Öffnen der Tür, begründet in aller Regel keinen Strafvorwurf nach § 113 StGB. Voraussetzung ist vielmehr eine aktive Widerstandshandlung, also irgendeine Form von körperlicher Bewegung oder Drohung, die auf die Verhinderung oder Verkomplizierung der Amtshandlung abzielt. Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn durch Unterlassen gezielt eine bereits bestehende Rechtspflicht zur aktiven Mitwirkung negiert wird und dadurch die Amtshandlung unterlaufen wird, was jedoch nur im Ausnahmefall zur Erfüllung des Tatbestands führen kann.
Gibt es besondere Schutzvorschriften für bestimmte Amtsträgergruppen beim Widerstand gegen die Staatsgewalt?
Im StGB gibt es mehrere Vorschriften, welche den Schutz der staatlichen Gewalt unter Strafe stellen, insbesondere zugunsten bestimmter Berufsgruppen. Obwohl § 113 StGB für alle Amtsträger im Rahmen ihrer Vollstreckungstätigkeit Anwendung findet, gibt es Ergänzungs- bzw. Spezialtatbestände: Beispielsweise schützt § 114 StGB „tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ noch weitergehend, indem physische Angriffe strafschärfend erfasst werden. Zudem gibt es spezielle Strafrahmen für Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Soldaten in Ausübung des Dienstes. Überdies existieren weitere Schutzvorschriften – etwa §§ 115 und 116 StGB -, die die Behinderung der öffentlichen Ordnung oder Notstandseinsätze unter Strafe stellen. Damit wird ein umfassender strafrechtlicher Schutz staatlicher Funktionsabläufe gewährleistet.
Welche Unterschiede bestehen zwischen Widerstand gegen die Staatsgewalt und einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte?
Der Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 113 StGB umfasst sowohl die Anwendung von Gewalt gegen Amtsträgerinnen und Amtsträger als auch die Drohung mit Gewalt, um deren Amtshandlung zu erschweren oder zu verhindern. Der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte nach § 114 StGB hingegen erfordert eine direkte, körperliche Einwirkung auf den Beamten oder die Beamtin während der Diensthandlung, wobei hier keine unmittelbare Verhinderung der Amtshandlung notwendig ist. Der Bereich des § 114 StGB ist damit enger, dafür sind die Strafandrohungen teil schwerer, da der körperliche Angriff per se, unabhängig vom Erfolg hinsichtlich der Amtshandlung, sanktioniert wird. In der Praxis können beide Tatbestände nebeneinander stehen, sie unterscheiden sich jedoch in Voraussetzungen und Strafrahmen.