Widerstand gegen die Staatsgewalt: Begriff und Einordnung
Widerstand gegen die Staatsgewalt bezeichnet ein strafbares Verhalten, bei dem eine Person durch Gewalt oder durch die Drohung mit Gewalt hoheitliche Maßnahmen staatlicher Amtsträgerinnen und Amtsträger behindert oder zu verhindern versucht. Geschützt wird die Funktionsfähigkeit der staatlichen Vollstreckung, also die Durchsetzung rechtmäßiger Anordnungen durch befugte Personen. Es handelt sich um ein Delikt des deutschen Strafrechts, das typischerweise im Umfeld von Polizeieinsätzen, Maßnahmen der Justiz oder anderer Vollzugsorgane relevant wird.
Geschütztes Interesse
Im Mittelpunkt steht die ungestörte Durchsetzung staatlicher Entscheidungen im Einzelfall. Der Schutz gilt nicht der Ehre oder körperlichen Unversehrtheit als solcher, sondern der Durchführung konkreter Vollstreckungsmaßnahmen. Die individuelle Integrität der eingesetzten Personen ist flankierend bedeutsam, spielt aber in erster Linie bei anderen Tatbeständen (etwa bei tätlichen Angriffen oder Körperverletzungen) eine Rolle.
Staatsgewalt im strafrechtlichen Sinn
Im strafrechtlichen Kontext meint „Staatsgewalt“ nicht eine abstrakte politische Kategorie, sondern die konkrete, rechtlich geordnete Ausübung hoheitlicher Befugnisse. Erfasst sind insbesondere Polizeikräfte, Justizbedienstete, Gerichtsvollziehende, Zoll- und Vollzugsorgane sowie in bestimmten Einsatzlagen weitere Kräfte der Gefahrenabwehr.
Tatbestandliche Voraussetzungen
Wer ist geschützt?
Geschützt sind Personen, die in amtlicher Funktion eine vollstreckbare Maßnahme durchführen. Dazu gehören typischerweise Polizeibeamtinnen und -beamte, Gerichtsvollziehende, Justizbedienstete und in bestimmten Situationen weitere hoheitlich eingesetzte Kräfte. Maßgeblich ist, dass die betroffene Person berechtigt und zuständig ist, die konkrete Maßnahme durchzusetzen.
Was ist eine Vollstreckungshandlung?
Eine Vollstreckungshandlung ist die zwangsweise Durchsetzung einer hoheitlichen Anordnung gegenüber einer oder mehreren Personen. Beispiele sind die Festnahme, das Abführen, die Durchsuchung von Personen, Wohnungen oder Sachen, die Sicherstellung und Beschlagnahme, die zwangsweise Durchsetzung eines Platzverweises oder die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen. Reine Vorbereitungshandlungen ohne Durchsetzungskomponente fallen regelmäßig nicht darunter.
Tathandlungen: Gewalt und Drohung mit Gewalt
Gewalt
Gewalt meint eine körperlich wirkende Einwirkung auf die eingesetzte Person, die auf die Verhinderung oder Erschwerung der Vollstreckung gerichtet ist. Dazu gehören aktives Ringen, Wegstoßen, Sich-losreißen unter Kraftentfaltung oder das Bilden einer physischen Barriere, die unmittelbar auf den Körper der Vollstreckenden einwirkt. Bloßes verbales Widersprechen oder schlichtes Nichtbefolgen ohne körperlichen Zwang genügt nicht.
Drohung mit Gewalt
Drohung mit Gewalt liegt vor, wenn ein künftiger körperlicher Zwang in Aussicht gestellt wird, um die Vollstreckung zu verhindern oder zu erschweren. Die Ankündigung muss nach ihrem Verständnis geeignet sein, den Widerstandswillen zu untermauern; eine bloß unbestimmte oder erkennbar leere Drohung reicht nicht.
Passiver Widerstand
Reines passives Verhalten (etwa Sitzenbleiben oder Schweigen) ohne körperlich wirkenden Zwang erfüllt den Tatbestand grundsätzlich nicht. Wird der eigene Körper jedoch gezielt so eingesetzt, dass auf die Vollstreckenden ein physischer Zwang wirkt (zum Beispiel sich sperren oder festklammern), kann dies als Gewalt gewertet werden.
Subjektiver Tatbestand
Erforderlich ist Vorsatz, also das Wissen und Wollen, eine Vollstreckungshandlung durch Gewalt oder Gewaltandrohung zu verhindern oder zu erschweren. Ausreichend ist in der Regel, dass die Person erkennt, dass staatliche Amtsträgerinnen oder Amtsträger eine Maßnahme durchsetzen und dies billigend in Kauf nimmt.
Rechtmäßigkeit der Vollstreckung
Die Vollstreckungshandlung muss den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Dazu zählen unter anderem Zuständigkeit, formelle Voraussetzungen und die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Bei offenkundig rechtswidrigen Maßnahmen scheidet eine Strafbarkeit wegen Widerstands aus; andere Straftatbestände können jedoch unabhängig davon verwirklicht sein.
Qualifizierungen und Strafrahmen
Schwerwiegende Begehungsweisen
Das Gesetz unterscheidet zwischen Grundform und schwerwiegenderen Begehungsweisen mit erhöhten Strafrahmen. Strafschärfend wirken insbesondere der Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen, eine das Leben gefährdende Behandlung sowie das koordinierte Vorgehen mehrerer Personen. Auch das Mitführen entsprechender Gegenstände kann rechtliche Bedeutung haben.
Abgrenzung zum tätlichen Angriff auf Amtsträger
Vom Widerstand gegen die Staatsgewalt ist der tätliche Angriff auf Amtsträgerinnen und Amtsträger zu unterscheiden. Während Widerstand auf die Verhinderung oder Erschwerung einer Vollstreckung zielt, setzt der tätliche Angriff eine unmittelbare, in feindseliger Absicht ausgeführte Einwirkung auf den Körper voraus und knüpft nicht zwingend an eine Vollstreckungshandlung an. Beide Delikte können je nach Geschehensablauf nebeneinander in Betracht kommen.
Vollendung, Versuch und Beteiligung
Der Tatbestand ist regelmäßig bereits mit der Entfaltung von Gewalt oder der ernsthaften Drohung mit Gewalt vollendet; ein tatsächlicher Erfolg (etwa das Scheitern der Maßnahme) ist nicht erforderlich. Fragen der Versuchsstrafbarkeit und der Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) richten sich nach den allgemeinen Regeln des Strafrechts.
Abgrenzungen zu anderen Straftatbeständen
Nötigung
Wer Vollstreckende durch Gewalt oder Drohung zu einem bestimmten Verhalten nötigt, kann neben dem Widerstand auch eine Nötigung verwirklichen. Im Verhältnis der Tatbestände ist auf den Schwerpunkt des Unrechts abzustellen.
Körperverletzung und tätliche Beleidigung
Körperliche Einwirkungen, die über den bloßen Widerstand hinausgehen und Verletzungen verursachen, können zusätzlich eine Körperverletzung darstellen. Ehrverletzende Äußerungen oder entwürdigende Handlungen sind gesondert zu bewerten.
Sachbeschädigung
Wird bei der Widerstandshandlung fremdes Eigentum beschädigt (zum Beispiel Einsatzmittel oder Ausrüstung), kommt eine eigenständige Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung in Betracht.
Landfriedensbruch und Hausfriedensbruch
Bei kollektiven Auseinandersetzungen oder dem Eindringen in fremde Räumlichkeiten können je nach Lage weitergehende Tatbestände erfüllt sein. Diese besitzen eigenständige Voraussetzungen und Folgen.
Gefangenenbefreiung und Strafvereitelung
Handlungen, die auf die Befreiung festgehaltener Personen oder die Vereitelung laufender Verfahren zielen, können über den Widerstand hinaus separate Delikte begründen.
Konkurrenzen und Mehrfachschutz
Widerstand gegen die Staatsgewalt steht häufig neben anderen Delikten. Ob mehrere Tatbestände nebeneinander bestehen bleiben (Idealkonkurrenz) oder einer hinter dem anderen zurücktritt (Gesetzeskonkurrenz), wird nach allgemeinen Abgrenzungskriterien beurteilt. Ordnungswidrigkeiten (etwa Verstöße gegen Auflagen) können zusätzlich relevant sein.
Prozessuale Aspekte
Verfolgungsinteresse und Zuständigkeit
Widerstand gegen die Staatsgewalt wird regelmäßig von Amts wegen verfolgt. Ermittlungen beginnen häufig aufgrund von Einsatzberichten, Videoaufzeichnungen oder Zeugenaussagen. Zuständig sind die Strafverfolgungsbehörden am Ort des Geschehens.
Beweisfragen
Beweisführung stützt sich häufig auf polizeiliche Dokumentation, Bodycam- und Videoaufnahmen, medizinische Befunde sowie Aussagen beteiligter und unbeteiligter Personen. Entscheidend sind die objektiven Umstände der Vollstreckungshandlung und die Einwirkung auf die Vollstreckenden.
Typische Fallkonstellationen
- Aktives Sich-losreißen unter Kraftentfaltung bei einer Festnahme.
- Wegstoßen oder körperliches Blockieren von Einsatzkräften bei der Durchsetzung eines Platzverweises.
- Ernsthafte Androhung körperlicher Gewalt, um eine Durchsuchung zu verhindern.
- Kollektives Sperren eines Zugangs mit unmittelbarer Einwirkung auf die Einsatzkräfte.
- Einsatz oder Mitführen gefährlicher Werkzeuge im Zusammenhang mit einer Vollstreckungshandlung.
Rechtsfolgen und Strafzumessung
Strafrahmen
Vorgesehen sind je nach Schwere der Tat Geldstrafe bis hin zu Freiheitsstrafe. Bei schwerwiegenden Begehungsweisen erhöht sich der Strafrahmen deutlich. Maßgeblich ist die Einordnung des konkreten Geschehens nach den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen.
Strafzumessungskriterien
Für die Höhe der Strafe sind insbesondere relevant: Intensität der Gewalt, Dauer und Wirkung der Einwirkung, etwaige Verletzungen, Zahl der beteiligten Personen, Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen, Eskalationsgrad, Nachtatverhalten sowie einschlägige Vorbelastungen. Eine alkoholisierte Beeinträchtigung kann je nach Einzelfall strafmildernd oder strafschärfend bewertet werden.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Widerstand gegen die Staatsgewalt rechtlich genau?
Es handelt sich um die mit Gewalt oder mit der Drohung von Gewalt verübte Verhinderung oder Erschwerung einer rechtmäßigen Vollstreckungshandlung durch zuständige Amtsträgerinnen oder Amtsträger. Der Schutz richtet sich auf die Funktionsfähigkeit staatlicher Vollstreckung.
Reicht es für den Tatbestand, eine Anordnung einfach nicht zu befolgen?
Nein. Bloßer Ungehorsam oder verbaler Widerspruch genügt nicht. Erforderlich ist körperlich wirkender Zwang gegen die Vollstreckenden oder die ernsthafte Drohung, solchen Zwang einzusetzen.
Wer zählt in diesem Zusammenhang zur Staatsgewalt?
Erfasst sind Personen, die in amtlicher Funktion zur Durchsetzung hoheitlicher Maßnahmen befugt sind, etwa Polizeikräfte, Gerichtsvollziehende, Justizbedienstete, Zoll- und Vollzugsorgane. In bestimmten Einsatzlagen können auch weitere Kräfte des Gefahrenabwehr- und Rettungsdienstes geschützt sein.
Muss die Maßnahme der Behörden rechtmäßig sein?
Ja. Die Vollstreckungshandlung muss den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Bei offenkundig rechtswidrigen Maßnahmen entfällt eine Strafbarkeit wegen Widerstands; andere Straftatbestände bleiben hiervon unberührt.
Welche Rolle spielen Waffen oder gefährliche Gegenstände?
Der Einsatz oder das Mitführen von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen kann zu einer Einstufung als schwerwiegende Begehungsweise mit erhöhtem Strafrahmen führen. Maßgeblich sind Art, Eignung und Verwendung des Gegenstands.
Worin liegt der Unterschied zum tätlichen Angriff auf Amtsträger?
Der tätliche Angriff setzt eine unmittelbare feindselige Einwirkung auf den Körper voraus und knüpft nicht zwingend an eine Vollstreckungshandlung an. Widerstand verlangt demgegenüber Gewalt oder Gewaltandrohung zur Abwehr einer konkreten Vollstreckung.
Ist die Tat bereits vollendet, wenn die Maßnahme nicht scheitert?
Ja. Regelmäßig genügt die Entfaltung von Gewalt oder die ernsthafte Drohung mit Gewalt. Ein tatsächliches Scheitern der Maßnahme ist nicht erforderlich.
Welche Strafen kommen in Betracht?
Je nach Schwere des Einzelfalls sind Geldstrafe bis hin zu Freiheitsstrafe möglich. Bei schwerwiegenden Begehungsweisen steigen die Strafrahmen deutlich an. Die konkrete Strafhöhe ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls.