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Widerruf der Strafaussetzung


Definition und rechtliche Einordnung des Widerrufs der Strafaussetzung

Der Widerruf der Strafaussetzung ist ein rechtlicher Vorgang im deutschen Strafrecht, bei dem eine zuvor gewährte Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung im Nachhinein aufgehoben wird. Der Widerruf führt dazu, dass der ursprünglich zur Bewährung ausgesetzte Teil der Strafe vollstreckt werden muss. Rechtsgrundlage hierfür bilden insbesondere die §§ 56 ff. Strafgesetzbuch (StGB) sowie die entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO).

Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen

Gesetzliche Regelung im Strafgesetzbuch

Die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist im deutschen Recht im Wesentlichen in den §§ 56 bis 56g StGB geregelt. Der Widerruf der Strafaussetzung ist speziell in § 56f StGB normiert. Dabei gelten für Erwachsene sowie für Jugendliche und Heranwachsende teils unterschiedliche Sonderregelungen nach Jugendgerichtsgesetz (JGG).

Voraussetzungen des Widerrufs

Ein Widerruf der Strafaussetzung darf nicht willkürlich erfolgen, sondern setzt bestimmte im Gesetz abschließend geregelte Tatbestände voraus. Nach § 56f Abs. 1 StGB ist die Bewährung insbesondere zu widerrufen, wenn:

  • die verurteilte Person während der Bewährungszeit erneut eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, welche der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,
  • Bewährungsauflagen oder Weisungen gröblich oder beharrlich verletzt werden,
  • die verurteilte Person sich innerhalb der Bewährungszeit einem von ihr vorsätzlich begangenen neuen Straftat schuldig macht.

Des Weiteren kann ein Widerruf ausgesprochen werden, wenn die verurteilte Person sich beharrlich der Aufsicht oder Weisung des Bewährungshelfers entzieht.

Absehen vom Widerruf

Das Gesetz räumt den Gerichten ein gewisses Ermessen ein, vom Widerruf abzusehen – etwa dann, wenn mildere Maßnahmen (z.B. die Verlängerung der Bewährungszeit oder die Erteilung zusätzlicher Auflagen) ausreichend erscheinen, um einer erneuten Straffälligkeit vorzubeugen (§ 56f Abs. 2 StGB).

Ablauf und Verfahren des Widerrufs

Prüfungs- und Entscheidungsprozess

Der Widerruf der Strafaussetzung erfolgt nicht automatisch, sondern setzt ein gerichtliches Verfahren voraus. Das dafür zuständige Gericht ist dasjenige, das auch die ursprüngliche Bewährungsentscheidung erlassen hat (§ 463a Abs. 1 StPO). Das Gericht muss alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig prüfen und insbesondere das Gewicht der Pflichtverletzung, die Persönlichkeit des Verurteilten sowie seine Entwicklung während der Bewährungszeit berücksichtigen.

Beteiligte und Anhörung

Vor der Entscheidung über den Widerruf ist der Verurteilte grundsätzlich anzuhören (§ 453 Abs. 1 StPO). In bestimmten Fällen erfolgt auch die Anhörung der Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls auch des Bewährungshelfers oder von Zeugen.

Entscheidungsfolgen

Wird der Widerruf ausgesprochen, ordnet das Gericht die Vollstreckung der ausgesetzten Strafe an. Im Falle einer teilweisen Strafaussetzung auf Bewährung kann auch nur die ausgesetzte Reststrafe widerrufen und vollstreckt werden.

Rechtliche Folgen des Widerrufs

Vollstreckung der Freiheitsstrafe

Mit dem rechtskräftigen Widerruf erlischt die Aussetzung zur Bewährung; der oder die Verurteilte muss die ausgesetzte Freiheitsstrafe nunmehr verbüßen. Die Entscheidung über den Widerruf ist vollstreckbar und kann zur Festnahme der betroffenen Person führen.

Rechtsmittel gegen den Widerruf

Gegen den Beschluss, durch den die Strafaussetzung widerrufen wird, ist das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 453 Abs. 2 StPO zulässig. Das Beschwerdegericht prüft dann, ob der Widerruf den gesetzlichen Vorgaben entspricht und ob das dem Gericht eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde.

Unterschiede bei Erwachsenen, Jugendlichen und Heranwachsenden

Spezielle Bestimmungen für Jugendliche

Für jugendliche und heranwachsende Personen gilt das Jugendgerichtsgesetz (JGG), insbesondere § 26 JGG. Das Verfahren richtet sich hier nach Maßgabe der Besonderheiten des Jugendstrafrechts, die auf Erziehung und Entwicklung zielen. Hier ist vorrangig zu prüfen, ob nicht pädagogisch ausgerichtete Maßnahmen ausreichen, bevor ein Widerruf erfolgt.

Praxisrelevanz und Bedeutung des Widerrufs der Strafaussetzung

Bewährungsüberwachung und Resozialisierung

Der Widerruf der Strafaussetzung ist ein zentrales Instrument der Bewährungsüberwachung und dient dem Ziel, die Integrations- und Resozialisierungschancen des Verurteilten zu fördern, gleichzeitig aber auch die Allgemeinheit zu schützen. Er schafft einen Anreiz zur rechtstreuen Lebensführung während der Bewährungszeit, da Verstöße zu gravierenden Folgen führen können.

Statistik und empirische Aspekte

Studien zeigen, dass die Mehrzahl der Bewährungen ohne Widerruf erfolgreich abgeschlossen werden, während Widerrufe hauptsächlich auf erneute Delinquenz oder schwerwiegende Verstöße gegen Auflagen und Weisungen zurückzuführen sind.

Zusammenfassung und Ausblick

Der Widerruf der Strafaussetzung stellt im deutschen Strafrecht ein wesentliches Kontrollinstrument zur Sicherstellung der Einhaltung von Bewährungsauflagen dar. Er verbindet den Resozialisierungsgedanken mit der Notwendigkeit, auf gravierende Verstöße oder erneute Straffälligkeit mit konsequenter Sanktionierung zu reagieren. Durch die klare gesetzliche Regelung und das vorgeschriebene gerichtliche Verfahren wird ein Ausgleich zwischen individuellem Resozialisierungsinteresse und dem Schutz der Allgemeinheit gewährleistet.


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