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Widerruf der Strafaussetzung

Widerruf der Strafaussetzung: Bedeutung und Grundzüge

Der Widerruf der Strafaussetzung bezeichnet die Entscheidung eines Gerichts, eine bereits gewährte Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung nachträglich aufzuheben. Die Folge ist, dass die Freiheitsstrafe grundsätzlich vollstreckt wird. Der Widerruf knüpft regelmäßig daran an, dass sich die verurteilte Person während der Bewährungszeit nicht bewährt hat, etwa durch erneute Straftaten oder erhebliche Verstöße gegen Auflagen und Weisungen.

Voraussetzungen für den Widerruf

Typische Widerrufsgründe

Ein Widerruf kommt insbesondere dann in Betracht, wenn:

  • während der Bewährungszeit eine neue, nicht nur geringfügige Straftat begangen wird,
  • wichtige Auflagen (zum Beispiel Schadenswiedergutmachung) oder Weisungen nachhaltig nicht erfüllt werden,
  • die Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe oder anderen Betreuungsträgern beharrlich verweigert wird,
  • die Lebensführung so gestaltet wird, dass erneute Straftaten naheliegen, oder
  • die Bewährungsziele durch schwerwiegende Pflichtverletzungen erkennbar verfehlt werden.

Erheblichkeit und Verhältnismäßigkeit

Nicht jede Unregelmäßigkeit führt automatisch zum Widerruf. Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung: Art und Gewicht des Verstoßes, bisheriges Bewährungsverhalten, persönliche Umstände und die Frage, ob mildere Mittel ausreichen. Das Gericht prüft, ob der Widerruf im Einzelfall angemessen ist.

Anwendungsbereich

Die Grundsätze gelten sowohl für vollständig ausgesetzte Freiheitsstrafen als auch für eine Aussetzung des Strafrestes. Im Kern geht es jeweils um die Prognose, ob ein straffreies Leben unter den Bedingungen der Bewährung erwartet werden kann und ob die Auflagen- und Weisungspraxis greift.

Verfahren und Zuständigkeit

Anstoß des Verfahrens

Ein Widerrufsverfahren wird häufig durch Mitteilungen von Staatsanwaltschaft, Bewährungshilfe, Justizvollzug oder anderen Stellen angeregt. Anlass können neue Ermittlungen, Berichte über Pflichtverletzungen oder dokumentierte Verstöße sein.

Anhörung und Sachverhaltsaufklärung

Vor einer Entscheidung wird die verurteilte Person grundsätzlich angehört. Das Gericht klärt die maßgeblichen Umstände auf, holt Berichte ein und berücksichtigt Ereignisse während der Bewährungszeit, etwa erfolgreiche Auflagen­erfüllung oder Veränderungen der Lebensumstände.

Entscheidung und Überprüfung

Entscheidungsbefugt ist das Gericht, das für die Bewährung zuständig ist. Die Entscheidung wird begründet. Gegen den Widerruf stehen die vorgesehenen Rechtsbehelfe zur Verfügung; diese müssen fristgerecht eingelegt werden und unterliegen den üblichen formalen Anforderungen.

Folgen des Widerrufs

Vollstreckung der Freiheitsstrafe

Mit dem Widerruf entfällt die Strafaussetzung. Die Freiheitsstrafe wird grundsätzlich vollstreckt. Bereits auf Bewährung verbrachte Zeit wird nicht als Haftzeit angerechnet.

Anrechnung und bereits erbrachte Leistungen

Leistungen, die während der Bewährungszeit erbracht wurden, wie Zahlungen zur Schadenswiedergutmachung, gemeinnützige Arbeit oder andere erfüllte Auflagen, bleiben in der Regel wirksam. Sie mindern nicht die Dauer der Freiheitsstrafe, sind aber rechtlich eigenständig zu betrachten und werden nicht rückgängig gemacht.

Reststrafenaussetzung

Wird eine Aussetzung des Strafrestes widerrufen, ist der verbliebene Teil der Strafe zu vollstrecken. Nach weiterer Vollstreckung sind erneute Entscheidungen über eine Aussetzung des Restes grundsätzlich möglich, abhängig von der dann bestehenden Vollzugs- und Sozialprognose.

Alternativen zum Widerruf

Statt eines Widerrufs kommen mildere Maßnahmen in Betracht, wenn sie als ausreichend angesehen werden, um das Bewährungsverhalten zu sichern. Dazu zählen insbesondere:

  • Verwarnung mit dem Hinweis auf die Folgen weiterer Verstöße,
  • Ergänzung, Änderung oder Verschärfung von Auflagen und Weisungen,
  • Verlängerung der Bewährungszeit innerhalb der zulässigen Grenzen.

Solche Maßnahmen werden insbesondere dann erwogen, wenn Verstöße nicht schwerwiegend sind, sich zwischenzeitlich positive Entwicklungen ergeben haben oder die Aussicht besteht, dass die Bewährungsziele doch noch erreicht werden können.

Rolle der Bewährungshilfe

Die Bewährungshilfe unterstützt bei der Lebensführung, überwacht die Einhaltung von Auflagen und Weisungen und berichtet dem Gericht über den Verlauf. Sie ist damit einerseits Hilfeinstanz, andererseits Kontrollinstanz. Ihre Einschätzung kann bei der Frage, ob ein Widerruf notwendig oder ein milderes Mittel ausreichend ist, erhebliches Gewicht haben.

Besondere Konstellationen

Neue Straftat im In- oder Ausland

Neue Straftaten während der Bewährungszeit sind im Widerrufsverfahren regelmäßig bedeutsam, unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland begangen wurden. Maßgeblich sind die Verlässlichkeit der Feststellungen und die Schwere der Tat.

Mehrere Bewährungen gleichzeitig

Werden mehrere Bewährungen gleichzeitig geführt, können Verstöße in einem Verfahren Auswirkungen auf andere Bewährungen haben. Gerichte betrachten das Gesamtverhalten und treffen getrennte Entscheidungen für jede Bewährung.

Untersuchungshaft während der Bewährungszeit

Allein die Anordnung von Untersuchungshaft führt nicht zwingend zum Widerruf. Maßgeblich sind die späteren Feststellungen zum Anlass der Untersuchungshaft und die daraus folgende Bewertung des Bewährungsverhaltens.

Junge Menschen und Erwachsene

Bei jüngeren Personen können erzieherische Gesichtspunkte stärker betont werden. Auch hier gilt jedoch: Entscheidend ist, ob die Bewährungsziele erreichbar erscheinen und ob Auflagen und Weisungen befolgt werden.

Abgrenzungen

Widerruf vs. reguläres Bewährungsende

Läuft die Bewährungszeit ohne wesentliche Verstöße ab und bestehen am Ende keine Gründe für nachteilige Entscheidungen, erübrigt sich ein Widerruf. Die Strafe gilt dann als nicht zu vollstrecken; damit endet die Bewährung regulär.

Widerruf vs. nachträgliche Anpassungen

Auch ohne Widerruf können nachträgliche Anpassungen erfolgen, etwa Änderungen von Auflagen oder die Verlängerung der Bewährungszeit. Diese Instrumente dienen dazu, auf Entwicklungen während der Bewährung flexibel zu reagieren.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet der Widerruf der Strafaussetzung in einfachen Worten?

Er bedeutet, dass eine ursprünglich gewährte Bewährung aufgehoben wird und die Freiheitsstrafe grundsätzlich im Gefängnis verbüßt werden muss.

Führt jede neue Straftat automatisch zum Widerruf?

Nicht zwingend. Es kommt auf die Schwere und die Umstände der neuen Tat an sowie auf das bisherige Bewährungsverhalten. Das Gericht nimmt eine Gesamtwürdigung vor.

Welche typischen Verstöße können einen Widerruf auslösen?

Vor allem neue Straftaten, hartnäckige oder schwerwiegende Verstöße gegen Auflagen und Weisungen sowie eine erkennbar fehlende Bereitschaft, die Bewährungsziele einzuhalten.

Wer entscheidet über den Widerruf und wie läuft das Verfahren ab?

Das zuständige Gericht entscheidet. Zuvor wird die verurteilte Person in der Regel angehört, Berichte werden eingeholt und der Sachverhalt wird geklärt. Die Entscheidung wird begründet.

Was passiert mit bereits erfüllten Auflagen, wenn widerrufen wird?

Erbrachte Leistungen bleiben in der Regel wirksam. Sie werden nicht rückgängig gemacht, mindern jedoch nicht die Dauer der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe.

Gibt es Alternativen zum Widerruf?

Ja. Je nach Lage können Verwarnungen, die Anpassung von Auflagen und Weisungen oder die Verlängerung der Bewährungszeit in Betracht kommen, wenn diese Maßnahmen als ausreichend erscheinen.

Kann man eine Widerrufsentscheidung überprüfen lassen?

Grundsätzlich stehen die vorgesehenen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Diese unterliegen Fristen und formalen Anforderungen und ermöglichen eine gerichtliche Überprüfung.