Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Werturteil

Werturteil


Begriff und rechtliche Grundlagen des Werturteils

Ein Werturteil ist ein Begriff aus der Rechtswissenschaft, der eine Aussage beschreibt, die auf einer subjektiven Bewertung, Wertung oder Meinungsäußerung beruht. Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung bezieht sich das Werturteil nicht auf überprüfbare Fakten, sondern auf persönliche Überzeugungen, Einschätzungen oder Bewertungen eines Sachverhalts. Werturteile sind insbesondere im Kontext des Meinungsäußerungsrechts, des Presserechts und bei Abwägungen im Persönlichkeitsrecht von zentraler Bedeutung.

Abgrenzung: Werturteil und Tatsachenbehauptung

Definition und Charakteristika

Die klare Unterscheidung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen ist in verschiedenen Rechtsgebieten von erheblicher Relevanz. Ein Werturteil kennzeichnet sich dadurch, dass es von Elementen der Stellungnahme, Wertung oder Meinung geprägt ist. Ein wesentliches Merkmal ist, dass das Werturteil nicht dem Beweis zugänglich ist, da es auf persönlichen Ansichten oder Einstellungen basiert.

Dagegen liegt eine Tatsachenbehauptung vor, wenn eine Äußerung einen Vorgang oder Zustand beschreibt, der objektiv festgestellt und gegebenenfalls bewiesen oder widerlegt werden kann. Klassische Beispiele für Werturteile sind Aussagen wie „xy ist unfreundlich“ oder „das Verhalten ist unmoralisch“, während eine Tatsachenbehauptung beispielsweise „xy hat am 01.01.2024 einen Vertrag unterzeichnet“ wäre.

Bedeutung der Unterscheidung

Die Differenzierung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung hat weitreichende Auswirkungen, insbesondere hinsichtlich der Zulässigkeit von Äußerungen im Rahmen grundrechtlich geschützter Kommunikationsfreiheiten wie der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz), des Persönlichkeitsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Presserecht, Wettbewerbsrecht und Strafrecht (z. B. bei Beleidigung oder übler Nachrede).

Werturteil im Verfassungsrecht

Meinungsfreiheit und ihre Grenzen

Das Werturteil ist zentraler Bestandteil der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz geschützten Meinungsfreiheit. Der Schutz der freien Meinungsäußerung erstreckt sich insbesondere auf Werturteile, sodass subjektive Bewertungen und Aussagen über soziale, politische oder wirtschaftliche Themen grundsätzlich privilegiert sind.

Schranken der Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen insbesondere der Persönlichkeitsschutz (insbesondere das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), Jugendschutz und der Schutz der persönlichen Ehre zählen. Die Rechtsprechung wägt im Einzelfall das Interesse an freier Meinungsäußerung und den Schutz des Persönlichkeitsrechts ab. Dabei wird kritisch zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen unterschieden: Während Werturteile grds. einen weiteren Schutz erfahren, können unwahre Tatsachenbehauptungen verboten werden.

Werturteil im Zivilrecht

Persönlichkeitsrecht und Unterlassungsansprüche

Werturteile spielen eine wesentliche Rolle bei zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen, etwa im Rahmen von Personen des öffentlichen Lebens oder im Kontext von Unternehmenspersönlichkeitsrechten. Werturteile sind-sofern sie nicht Schmähkritik oder Formalbeleidigungen darstellen-grundsätzlich hinzunehmen, da sie Ausdruck der Meinungsfreiheit sind. Dagegen begründen Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind und das Persönlichkeitsrecht verletzen, regelmäßig einen Unterlassungs- oder Geldentschädigungsanspruch.

Schmähkritik und Grenze zur Meinungsäußerung

Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Schutz von Werturteilen besteht bei der sogenannten Schmähkritik. Diese liegt vor, wenn eine Äußerung nicht mehr der sachlichen Auseinandersetzung dient, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. In solchen Fällen tritt der Schutz der Meinungsfreiheit zurück, und Unterlassungsansprüche können auch bei Werturteilen durchgesetzt werden.

Werturteil im Strafrecht

Beleidigungsdelikte

Im Strafrecht ist die Abgrenzung von Werturteil und Tatsachenbehauptung relevant bei der Beurteilung von Straftatbeständen wie Beleidigung (§ 185 StGB), Üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB). Bei der Beleidigung handelt es sich in aller Regel um ein Werturteil, das die Ehre eines Betroffenen angreift. Die Strafbarkeit kann sich sowohl aus bloßen Werturteilen als auch aus ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen ergeben. Bei Übler Nachrede und Verleumdung steht dagegen die Tatsachenbehauptung im Vordergrund; eine Verurteilung setzt die Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen voraus.

Werturteil im Presserecht

Pressefreiheit und Berichterstattung

Im Presserecht ist die Berücksichtigung von Werturteilen bei der Abwägung zwischen Pressefreiheit und Schutz des Persönlichkeitsrechts von zentraler Bedeutung. Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung betonen, dass Werturteile, insbesondere im Rahmen beruflicher oder öffentlicher Kommunikation, einen erheblichen Schutz genießen. Gleichwohl müssen auch hier die Persönlichkeitsrechte Dritter gewahrt bleiben.

Sorgfaltspflicht der Presse

Während Presseorgane hinsichtlich der Recherche und Veröffentlichung von Tatsachenbehauptungen umfangreiche Sorgfaltspflichten treffen, besteht für die Wiedergabe von reinen Werturteilen eine deutlich geringere Pflicht zur Überprüfung. Voraussetzung ist allerdings, dass der wertende Charakter der Äußerung für den Empfänger erkennbar bleibt.

Werturteil im Wettbewerbs- und Äußerungsrecht

Wettbewerbsbeschränkende Werbung und geschäftliche Werturteile

Auch im Rahmen des Wettbewerbsrechts ist die Unterscheidung von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen für die Beurteilung unlauterer geschäftlicher Handlungen (z. B. nach § 5 UWG) relevant. Geschäftliche Werturteile, also subjektive Bewertungen im Zusammenhang mit dem Wettbewerb, sind grundsätzlich zulässig, sofern sie nicht unzutreffend als Tatsachenbehauptungen präsentiert werden oder die Grenze zur Herabsetzung überschreiten.

Rechtsprechung und Beispiele

Leitentscheidungen

Die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, hat umfangreiche Kriterien zur Unterscheidung und Behandlung von Werturteilen entwickelt. Von Bedeutung sind u.a. die Entscheidungen BVerfGE 61, 1 (Meinungsfreiheit I) und BVerfGE 90, 241 (Meinungsfreiheit II), die die Tragweite des Grundrechtsschutzes und die Grenzen von Werturteilen präzisieren.

Beispiel: Die Aussage „xy ist ein schlechter Politiker“ ist aufgrund ihres Wertungscharakters ein geschütztes Werturteil. Dagegen wäre die Behauptung „xy hat Dienstgeheimnisse verraten“ eine überprüfbare Tatsachenbehauptung.

Zusammenfassung und Bedeutung des Werturteils im Recht

Schlussbemerkung

Das Werturteil nimmt im deutschen Recht eine zentrale Rolle insbesondere beim Schutz der Kommunikationsfreiheiten, der Ehre sowie im Rahmen der Abwägung mit allgemeinen Gesetzen ein. Für die Beurteilung von Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüchen, die Zulässigkeit öffentlicher Äußerungen oder die strafrechtliche Sanktionierung ist eine präzise Einordnung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung unerlässlich. Die (verfassungs-)gerichtliche Rechtsprechung hat dafür klare Leitlinien entwickelt, die im Einzelfall sorgfältig angewendet werden.

Häufig gestellte Fragen

Wann handelt es sich im rechtlichen Kontext um ein Werturteil?

Ein Werturteil im rechtlichen Sinne liegt vor, wenn eine subjektive Bewertung, Einschätzung oder Meinung über eine Tatsache abgegeben wird. Im Unterschied zur Tatsachenbehauptung enthält das Werturteil ein Urteil über die Angemessenheit, Moral oder Qualität eines Verhaltens oder Zustandes. Im deutschen Recht ist die Unterscheidung insbesondere im Äußerungsrecht und Persönlichkeitsrecht relevant, da für Werturteile der Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes greift. Zugleich ist ein Werturteil häufig an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, etwa dass es keinen exzessiven Eingriff in die Rechte eines anderen darstellt. Ob eine Aussage als Werturteil oder Tatsachenbehauptung einzustufen ist, entscheidet sich dabei stets nach dem Kontext der Äußerung, ihrem sprachlichen Gehalt sowie der Wahrnehmung durch einen unvoreingenommenen Dritten.

Welche besonderen Anforderungen stellt die Rechtsprechung an ein Werturteil?

Die Rechtsprechung setzt voraus, dass Werturteile grundsätzlich von der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt sind, außer sie überschreiten die Schwelle zur Schmähkritik oder zur Formalbeleidigung. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben mehrfach klargestellt, dass auch polemische oder überspitzte Formulierungen durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein können, solange sie nicht ausschließlich der Diffamierung dienen. Zudem muss ein Werturteil auf einer hinreichenden Sachgrundlage basieren, insbesondere wenn es sich um eine öffentliche Debatte handelt. Im Kontext von Presseartikeln, Bewertungen im Internet oder politischen Äußerungen wird regelmäßig geprüft, ob die Aussage einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und inwieweit die betroffene Person eine sogenannte „relative Person der Zeitgeschichte“ ist.

Wie grenzt das Recht das Werturteil von der Tatsachenbehauptung ab?

Das zentrale Kriterium zur Abgrenzung ist, ob sich der Gehalt der Aussage einem objektiven Wahrheitsbeweis zugänglich macht. Während Tatsachenbehauptungen dem Nachweis ihrer Wahrheit oder Unwahrheit objektiv zugänglich sind, ist das bei Werturteilen grundsätzlich nicht der Fall, weil sie auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Die Rechtsprechung prüft bei gemischten Äußerungen, also Aussagen mit sowohl Tatsachen- als auch Werturteilselementen, welchen Charakter das Überwiegende ist oder ob eine Trennung möglich ist. Sofern ein Werturteil sich auf nachprüfbare, falsche Tatsachen stützt, kann es selbst rechtswidrig sein.

Welche rechtlichen Schranken bestehen bei einem Werturteil?

Die Meinungsfreiheit für Werturteile wird durch allgemeine Gesetze sowie die Rechte Dritter begrenzt. Dazu zählen strafrechtliche Schranken wie die Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB); zivilrechtlich können Abwehr- und Unterlassungsansprüche aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§ 823 BGB in Verbindung mit Art. 1 und 2 GG) entstehen. Insbesondere dann, wenn das Werturteil die Menschenwürde verletzt, die Privat- oder Intimsphäre betrifft oder eine unwahre Tatsache behauptet wird, die dem Werturteil zugrunde liegt, wird der Schutz der Meinungsfreiheit nachrangig behandelt und die Äußerung ist möglicherweise unzulässig.

Ist ein Werturteil immer von der Meinungsfreiheit gedeckt?

Nicht jedes unter den Begriff des Werturteils fallende Statement ist automatisch uneingeschränkt von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen sowohl in den Grundrechten anderer als auch in den so genannten allgemeinen Gesetzen, wozu etwa das Strafrecht und das Persönlichkeitsrecht zählen. Insbesondere Schmähkritik – das heißt, wenn die Herabwürdigung der Person im Vordergrund steht und nicht die Auseinandersetzung in der Sache – oder Formalbeleidigungen sind trotz ihres Charakters als Werturteil vom Grundrecht nicht mehr geschützt. Die genaue Grenzziehung erfolgt hierbei immer durch detaillierte Abwägung im Einzelfall.

Welche Bedeutung hat das Werturteil im Presserecht?

Im Presserecht ist die Unterscheidung von Werturteil und Tatsachenbehauptung maßgeblich für den Umfang der möglichen Prüfung, Berichtigung und Gegendarstellung. Während gegen Tatsachenbehauptungen in der Presse, die unwahr sind, unmittelbar Gegendarstellungs- oder Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden können, ist dies bei reinen Werturteilen nicht möglich. Für Journalisten, Blogger und Medienunternehmen ist es daher wesentlich, bereits bei der Erstellung von Inhalten auf eine zutreffende Einordnung zu achten – auch, weil Werturteile in Kritik-, Kommentar- und Satirebeiträgen einen besonders großen Schutzraum genießen.

In welchen zivilrechtlichen Verfahren spielt das Werturteil eine Rolle?

Das Werturteil spielt in zahlreichen zivilgerichtlichen Verfahren eine Rolle, insbesondere im Rahmen von Unterlassungs-, Widerrufs- oder Schadenersatzklagen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen. In Rechtsstreitigkeiten um unzulässige Bewertungen, Meinungsäußerungen am Arbeitsplatz, geschäftsschädigende Äußerungen von Mitbewerbern oder internetbasierte Reviews muss immer geprüft werden, ob die beanstandete Aussage als Werturteil einzuordnen ist und damit ggfs. in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt – und ob nach einer Abwägung aller Umstände dennoch ein rechtswidriger Eingriff in die Rechte des Betroffenen vorliegt.