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Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz

Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG): Begriff, Zweck und Grundprinzipien

Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz regelt in Deutschland den Erwerb und die Übernahme von börsennotierten Unternehmen durch öffentliche Angebote an deren Aktionärinnen und Aktionäre. Ziel ist es, Transparenz, Gleichbehandlung und einen geordneten Ablauf solcher Transaktionen sicherzustellen. Das Gesetz schafft ein verbindliches Rahmenwerk für freiwillige Angebote, Übernahmen und Pflichtangebote nach Kontrollerwerb und schützt dabei sowohl Anlegerinteressen als auch die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts.

Anwendungsbereich

Erfasste Unternehmen und Wertpapiere

Das Gesetz gilt für Unternehmen, deren Aktien zum Handel an einem regulierten Markt in Deutschland zugelassen sind. Es erfasst öffentliche Angebote zum Erwerb von Aktien sowie von Instrumenten, die den Bezug von Aktien ermöglichen. Der Freiverkehr (Open Market) ohne Zulassung zum regulierten Markt fällt grundsätzlich nicht in den Kernbereich der Regelungen.

Räumliche Geltung und grenzüberschreitende Bezüge

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums kommt es auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den betroffenen Staaten an. Maßgeblich ist dabei insbesondere der Sitz der Zielgesellschaft und der Zulassungsort der Aktien zum regulierten Markt. Das Gesetz koordiniert sich mit den entsprechenden Regelungen anderer Mitgliedstaaten.

Ausnahmen und Besonderheiten

Für bestimmte Konstellationen können gesetzliche Ausnahmen oder Erleichterungen bestehen, etwa bei strukturellen Unternehmensmaßnahmen, Sanierungsfällen oder besonderen Beteiligungssituationen. Diese betreffen vor allem Verfahrensdetails, ohne die Grundprinzipien von Transparenz und Gleichbehandlung aufzuheben.

Zentrale Akteure und Rollen

Bieter

Der Bieter ist die Person oder das Unternehmen, das ein öffentliches Angebot abgibt. Dies kann ein strategischer Erwerber, ein Finanzinvestor oder auch die Zielgesellschaft selbst (im Rahmen bestimmter Transaktionstypen) sein.

Zielgesellschaft

Die Zielgesellschaft ist das Unternehmen, dessen Aktien Gegenstand des Angebots sind. Ihre Leitungs- und Aufsichtsorgane informieren den Markt, geben eine begründete Stellungnahme zum Angebot ab und wahren die Interessen der Gesellschaft sowie die Neutralitätspflichten während des Verfahrens.

Aufsichtsbehörde

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überwacht die Einhaltung des Gesetzes. Sie prüft Angebotsunterlagen auf Vollständigkeit und Gesetzeskonformität, kann Anordnungen treffen und Verstöße sanktionieren.

Aktionärinnen und Aktionäre sowie Arbeitnehmervertretungen

Aktionärinnen und Aktionäre entscheiden über die Annahme des Angebots. Arbeitnehmervertretungen werden über die Auswirkungen des Angebots auf Beschäftigung, Standorte und Strategie informiert.

Arten von Angeboten

Freiwilliges Übernahmeangebot

Ein freiwilliges Übernahmeangebot zielt auf den Erwerb der Kontrolle an der Zielgesellschaft ab. Der Bieter kann Bedingungen vorsehen, etwa das Erreichen einer bestimmten Annahmequote.

Pflichtangebot

Wird die Kontrolle an der Zielgesellschaft durch Erwerb von Stimmrechten überschritten, ist ein Pflichtangebot an alle Aktionärinnen und Aktionäre abzugeben. Dieses Angebot dient der Schutzfunktion für die Minderheit und unterliegt strengen Preis- und Verfahrensanforderungen.

Erwerbsangebot ohne Kontrollerwerbsabsicht

Hierbei handelt es sich um öffentliche Kaufangebote für Aktien, die nicht auf eine Kontrollmehrheit ausgerichtet sind. Gleichwohl gelten Transparenz-, Preis- und Verfahrensregeln.

Delisting- und Segmentwechsel-Angebote

Bei einem Börsenrückzug oder einem Wechsel aus dem regulierten Markt werden in der Praxis häufig öffentliche Angebote durchgeführt, die den Ausstieg erleichtern und den Grundsätzen fairer Preisbildung unterliegen.

Gegen- und konkurrierende Angebote

Weitere Bieter können konkurrierende Angebote abgeben. Das Gesetz regelt die Koordination solcher Angebote, die Fristenanpassung und die fortdauernde Gleichbehandlung aller Beteiligten.

Ablauf und Verfahrensschritte

Vorankündigung und Entscheidung zur Abgabe eines Angebots

Die Entscheidung, ein Angebot abzugeben, ist zu veröffentlichen. Diese Vorankündigung dient der frühzeitigen Information des Markts und setzt Verfahrensfristen in Gang.

Angebotsunterlage und Prüfung durch die Aufsicht

Der Bieter erstellt eine Angebotsunterlage mit Angaben zu Bieter, Zielgesellschaft, Art und Höhe der Gegenleistung, Bedingungen, Finanzierung, strategischen Absichten und Auswirkungen. Die Aufsichtsbehörde prüft die Unterlage auf Gesetzeskonformität, bevor sie veröffentlicht wird.

Annahmefrist und zusätzliche Annahmefrist

Die Annahmefrist liegt in einem gesetzlich vorgegebenen Rahmen. Nach Ablauf folgt regelmäßig eine zusätzliche Annahmefrist, innerhalb derer Aktionärinnen und Aktionäre nachträglich andienen können. Bei Änderungen des Angebots und bei konkurrierenden Offerten können sich Fristen verlängern.

Bedingungen und behördliche Freigaben

Freiwillige Angebote können an Bedingungen geknüpft werden (zum Beispiel Genehmigungen oder Mindestannahmen). Pflichtangebote sind in ihrer Bedingungsgestaltung stark eingeschränkt; zulässig sind regelmäßig nur objektiv erforderliche Freigaben, etwa aus der Fusionskontrolle oder der Investitionsprüfung.

Abwicklung und Veröffentlichung des Ergebnisses

Nach Annahme und Eintritt etwaiger Bedingungen erfolgt die Abwicklung über die üblichen Wertpapiersysteme. Der Bieter veröffentlicht das Ergebnis, einschließlich der erreichten Beteiligungshöhe und der Behandlung nachträglicher Andienungen.

Preisbildung, Gleichbehandlung und Finanzierung

Mindestpreis und Bestpreisregel

Der Angebotspreis unterliegt Mindestanforderungen. Maßgeblich sind ein Referenzzeitraum der Börsenkurse und die höchste vom Bieter in einem festgelegten Zeitraum vor der Angebotsankündigung gezahlte Gegenleistung. Zahlt der Bieter vor oder während des Angebots außerhalb des Angebots einen höheren Preis, ist das Angebot entsprechend anzupassen (Bestpreisregel).

Gleichbehandlung der Aktionärinnen und Aktionäre

Alle Inhaberinnen und Inhaber derselben Aktiengattung sind gleich zu behandeln. Diskriminierungen einzelner Gruppen sind unzulässig.

Art der Gegenleistung

Die Gegenleistung kann aus Geld, aus Aktien oder einer Kombination bestehen. Bei Pflichtangeboten ist eine Baralternative vorzusehen, um den Ausstieg zu ermöglichen.

Finanzierungsbestätigung und Sicherstellung der Gegenleistung

Der Bieter muss die vollständige Finanzierung der Gegenleistung gesichert haben. Eine unabhängige Bestätigung über die Verfügbarkeit der Mittel ist Bestandteil der Angebotsunterlage.

Kontrollerwerb und Stimmrechtszurechnung

Kontrollschwelle

Als Kontrollerwerb gilt das Überschreiten einer gesetzlich festgelegten Stimmrechtsschwelle. Mit Erreichen der Kontrolle entsteht die Pflicht zur Abgabe eines Angebots an alle Aktionärinnen und Aktionäre.

Zurechnung und gemeinsam handelnde Personen

Stimmrechte können aufgrund von Vereinbarungen, Finanzinstrumenten oder abgestimmtem Verhalten mehreren Personen zugerechnet werden. Wer gemeinsam die Kontrolle anstrebt oder ausübt, wird rechtlich als Einheit betrachtet. Dies verhindert Umgehungen der Kontrollerwerbsregeln.

Rechte nach dem Angebot: Squeeze-out und Sell-out

Übernahmerechtlicher Squeeze-out

Erreicht ein Bieter nach einem Angebot einen sehr hohen Anteil am Grundkapital, kann er die Übertragung der verbliebenen Aktien gegen Barabfindung verlangen. Das erleichtert die Beendigung der Streubesitzsituation nach einer Übernahme.

Andienungsrecht (Sell-out)

Aktionärinnen und Aktionäre können unter bestimmten Voraussetzungen vom Hauptaktionär den Erwerb ihrer Aktien gegen Barabfindung verlangen, wenn dieser einen sehr hohen Anteil hält. Dieses Recht spiegelt die Schutzfunktion des Gesetzes nach erfolgreichem Angebot wider.

Organverhalten und Abwehrmaßnahmen

Neutralitätsgebot

Während der Angebotsphase haben die Leitungsorgane der Zielgesellschaft Neutralität zu wahren. Maßnahmen, die den Erfolg des Angebots vereiteln könnten, bedürfen in der Regel eines zustimmenden Beschlusses der Hauptversammlung.

Erlaubte Maßnahmen und Zustimmungserfordernisse

Information der Öffentlichkeit, Suche nach alternativen Bietern oder sachgerechte Aufklärung gelten als zulässige Maßnahmen. Strukturverändernde Abwehrschritte sind grundsätzlich nur mit Zustimmung der Aktionärinnen und Aktionäre möglich.

Publizitätspflichten und Markttransparenz

Bekanntmachungen des Bieters

Der Bieter veröffentlicht Entscheidung, Angebotsinhalt, Änderungen, Ergebnisse und Zwischenstände in den gesetzlich vorgesehenen Formen und Fristen. Dies dient der laufenden Marktinformation.

Stellungnahme der Zielgesellschaft

Die Organe der Zielgesellschaft geben eine begründete Stellungnahme zum Angebot ab, einschließlich der Einschätzung zu wirtschaftlichen Auswirkungen und Strategien. Diese Stellungnahme wird veröffentlicht und an die Arbeitnehmervertretungen weitergeleitet.

Mitteilungen zu Beteiligungsaufbau und Zwischenerwerben

Erwerbe außerhalb des Angebots sind mitzuteilen und für die Bestpreisregel relevant. So wird verhindert, dass einzelne Aktionärsgruppen bevorzugt werden.

Sanktionen und Rechtsfolgen bei Verstößen

Ruhen von Rechten

Wer ohne erforderliches Angebot Kontrolle erlangt, riskiert das Ruhen bestimmter Rechte, etwa aus den betroffenen Aktien. Dies stellt die Wirksamkeit der Pflicht zur Abgabe eines Angebots sicher.

Ordnungsmittel und Zwangsmaßnahmen

Die Aufsichtsbehörde kann Verstöße mit Anordnungen und Bußgeldern ahnden. Zudem sind zivilrechtliche Rechtsfolgen möglich, etwa bei unzulässiger Benachteiligung einzelner Aktionärsgruppen.

Verhältnis zu anderem Recht

Gesellschaftsrecht

Das Gesetz wirkt mit aktienrechtlichen Regelungen zusammen, etwa bei Strukturmaßnahmen nach einer Übernahme. Gesellschaftsrechtliche Gremienprozesse bleiben unberührt, werden aber durch die Angebotsregeln koordiniert.

Kapitalmarktrecht und Marktmissbrauch

Insiderrecht, Ad-hoc-Publizität und Marktmanipulationsverbote gelten unabhängig von einem Angebot und sind parallel zu beachten. Sie flankieren die Transparenzanforderungen des Gesetzes.

Fusionskontrolle und Investitionsprüfung

Unternehmenszusammenschlüsse können einer wettbewerbsrechtlichen Freigabe unterliegen. Bei ausländischen Investoren kann zusätzlich eine Prüfung nach außenwirtschaftsrechtlichen Vorgaben einschlägig sein. Diese Verfahren laufen eigenständig, beeinflussen jedoch häufig die Bedingungen des Angebots.

Börsenrechtliche Bezüge

Börsenordnungen und Zulassungsfolgen beeinflussen den Handel während der Angebotsphase. Bei Delistings greifen ergänzende Regeln zur Sicherung eines fairen Ausstiegs.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt ein Kontrollerwerb vor, der ein Pflichtangebot auslöst?

Ein Pflichtangebot wird fällig, wenn eine gesetzlich festgelegte Stimmrechtsschwelle überschritten und damit Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt wird. Dabei werden auch zugerechnete Stimmrechte und abgestimmtes Verhalten berücksichtigt.

Worin besteht der Unterschied zwischen einem freiwilligen Übernahmeangebot und einem Pflichtangebot?

Ein freiwilliges Übernahmeangebot wird ohne vorherigen Kontrollerwerb abgegeben und kann Bedingungen enthalten. Ein Pflichtangebot ist zwingend nach Kontrollerwerb abzugeben und unterliegt strengeren Vorgaben, insbesondere zur Gegenleistung und zu Bedingungen.

Wie wird der Angebotspreis bestimmt?

Der Preis muss Mindestanforderungen erfüllen. Maßgeblich sind ein marktbasierter Referenzzeitraum sowie der höchste Preis, den der Bieter in einem festgelegten Zeitraum vor der Angebotsankündigung außerhalb des Angebots gezahlt hat. Zahlt der Bieter später mehr, greift die Bestpreisregel.

Darf ein Angebot an Bedingungen geknüpft werden?

Freiwillige Angebote dürfen Bedingungen vorsehen, etwa Genehmigungen oder Mindestannahmequoten. Bei Pflichtangeboten sind Bedingungen weitgehend ausgeschlossen; zulässig bleiben in der Regel nur objektiv erforderliche behördliche Freigaben.

Welche Rolle spielt die Aufsichtsbehörde?

Sie prüft Angebotsunterlagen auf Gesetzeskonformität, überwacht Fristen und Publizität, kann Maßnahmen anordnen und Verstöße sanktionieren. Sie ersetzt nicht die Entscheidung der Aktionärinnen und Aktionäre über Annahme oder Ablehnung.

Was bedeutet die Gleichbehandlung der Aktionärinnen und Aktionäre?

Alle Inhaberinnen und Inhaber derselben Aktiengattung müssen die gleiche Gegenleistung und die gleichen Informationen erhalten. Bevorzugungen oder Benachteiligungen einzelner Gruppen sind unzulässig.

Welche Rechte bestehen nach erfolgreichem Angebot für Minderheitsaktionärinnen und -aktionäre?

Ab sehr hohen Beteiligungsquoten können Minderheitsaktionärinnen und -aktionäre ein Andienungsrecht ausüben. Umgekehrt kann der Hauptaktionär unter bestimmten Voraussetzungen einen übernahmerechtlichen Squeeze-out durchführen.