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Weltanschauung


Begriff und rechtliche Bedeutung der Weltanschauung

Als Weltanschauung wird ein umfassendes Weltbild bezeichnet, das grundlegende Überzeugungen über die Beschaffenheit der Welt, das Leben, die Gesellschaft sowie das individuelle Handeln umfasst. Weltanschauungen beinhalten philosophische, ethische, politische, kulturelle oder auch religiöse Wert- und Ordnungsvorstellungen. Im deutschen Recht und in internationalen Übereinkommen wird der Begriff Weltanschauung insbesondere im Kontext der Grundrechte, des Antidiskriminierungsrechts sowie des Arbeitsrechts relevant.

Weltanschauung im Grundgesetz

Schutzbereich des Art. 4 GG

Artikel 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland garantiert die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Der Schutz der Weltanschauungsfreiheit ist gleichrangig mit der Religionsfreiheit ausgestaltet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) umfasst der Begriff Weltanschauung jede Überzeugung und deren Äußerungen, die Aussagen zur Stellung der Menschen in der Welt und zu den verbindlichen Grundlagen menschlichen Handelns macht.

Abgrenzung zur Religionsfreiheit

Während die Religionsfreiheit Glaubensüberzeugungen mit Bezug auf das Göttliche oder Transzendente schützt, bezieht sich der Schutz der Weltanschauung auf nichtreligiöse, jedoch ebenfalls umfassende Sinn-, Wert- und Ordnungsvorstellungen, wie etwa Humanismus, Atheismus oder bestimmte Formen ideologischer Systeme.

Bedeutung im öffentlichen Dienst

Gemäß Art. 33 Abs. 3 GG darf niemand aufgrund seiner „religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisse“ benachteiligt oder bevorzugt werden. Der Schutzbereich bezieht sich auf den Zugang zu öffentlichen Ämtern sowie die Gleichstellung aller Menschen unabhängig von ihren Weltanschauungen im staatlichen Bereich.

Weltanschauung im Antidiskriminierungsrecht

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) enthält in § 1 AGG den Schutz vor Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. Nach § 7 AGG sind Benachteiligungen aus Gründen der Weltanschauung auch im Arbeitsverhältnis, beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verboten.

Definition und Anwendungsbereich

Das AGG differenziert klar zwischen Religion und Weltanschauung, wobei Weltanschauungen als kohärente Sinn- und Wertsysteme betrachtet werden, die für das Leben umfassende Ordnungsprinzipien bereitstellen. Politische Überzeugungen, ethische Leitbilder oder auch nichtreligiöse Denksysteme fallen unter den Begriff. Einzelne Meinungen oder lose Wertvorstellungen erfüllen diese Anforderungen nicht.

Rechtsprechung zur Weltanschauung im AGG

Die Rechtsprechung verlangt für den Schutz als Weltanschauung eine bestimmte Beständigkeit, Systematik und Verbreitung der betreffenden Überzeugung. Relevante Äußerungen zum Schutz nach AGG müssen daher ein kohärentes und dauerhaftes Wertegerüst darstellen.

Weltanschauung im kollektiven und individuellen Arbeitsrecht

Einstellung und Kündigung

Die Auswahl von Bewerbern und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen dürfen nach § 1 AGG nicht aufgrund der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Weltanschauung erfolgen. Allerdings enthält das Gesetz in § 9 Ausnahmen für Organisationen mit weltanschaulichem oder religiösem Profil (beispielsweise weltanschauliche Verbände).

Loyalitätsanforderungen in weltanschaulich geprägten Einrichtungen

Arbeitgeber, deren Tätigkeiten einen weltanschaulichen Charakter haben, können von Beschäftigten ein loyales Verhalten zur jeweiligen Weltanschauung verlangen, soweit dies für die Tätigkeit wesentlich und gerechtfertigt ist. Die Anforderungen und Grenzen werden regelmäßig durch arbeitsgerichtliche Rechtsprechung konkretisiert.

Weltanschauung und Vereinsrecht

Gründung von Weltanschauungsgemeinschaften

Nach Art. 9 GG ist die Vereinigungsfreiheit auch auf weltanschauliche Gemeinschaften anwendbar. Der Staat darf die Gründung und Betätigung solcher Vereinigungen nicht behindern, solange sie keine verfassungswidrigen Ziele verfolgen.

Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts

Vereine und Gemeinschaften, deren Hauptzweck die Pflege einer bestimmten Weltanschauung ist, können unter bestimmten Voraussetzungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt werden. Maßgeblich sind hier das jeweilige Landesrecht und besondere Bestimmungen etwa für „weltanschauliche Gemeinschaften“.

Weltanschauung und Schulrecht

Religions- und Ethikunterricht

Das Grundgesetz sieht in Art. 7 Abs. 3 GG Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach vor. Für Schüler, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, besteht das Recht auf alternativen Unterricht (z. B. Ethik), womit auch das Bekenntnis zu einer bestimmten Weltanschauung auf verfassungsrechtlicher Ebene Berücksichtigung findet.

Neutralitätsgebot

Das staatliche Neutralitätsgebot verpflichtet öffentliche Schulen, keine bestimmte Weltanschauung zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Inhalt und Umfang der Unterrichtsfreiheit zugunsten weltanschaulicher Vielfalt werden durch höchstrichterliche Rechtsprechung ausgestaltet.

Schutz internationaler Übereinkommen

Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

Art. 9 der EMRK schützt die Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion. Dazu zählt explizit auch die Freiheit, eine „Weltanschauung“ zu haben oder zum Ausdruck zu bringen. Benachteiligungen aufgrund der Weltanschauung sind auch im europäischen Diskriminierungsschutz ausdrücklich verboten.

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Die Charta der Grundrechte enthält in Art. 10 einen vergleichbaren Schutz der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit einschließlich der Weltanschauungsfreiheit.

Fazit

Die Weltanschauung ist ein rechtlich umfassend geschütztes Gut und findet sowohl im Grundgesetz, im Antidiskriminierungsrecht, im Arbeitsrecht als auch im Vereins- und Schulrecht Beachtung. Im Mittelpunkt steht dabei der Schutz vor staatlicher Bevormundung, Diskriminierung und Benachteiligung, verbunden mit der Förderung pluralistischer und weltanschaulich offener Gesellschaftsstrukturen. Die Einzelfallprüfung durch Gerichte ist regelmäßig erforderlich, um im Spannungsfeld von individueller Freiheit, Loyalitätsanforderungen und Neutralität des Staates sachgerechte Lösungen zu gewährleisten. Weltanschauung wird somit als tragende Säule des verfassungsrechtlichen Identitäts- und Diskriminierungsschutzes verstanden.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt die Weltanschauung im Antidiskriminierungsrecht?

Das Antidiskriminierungsrecht, insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Deutschland, schützt Personen vor Benachteiligungen aufgrund ihrer Weltanschauung. Weltanschauung ist neben Religion, Behinderung, Alter, sexueller Identität, ethnischer Herkunft und Geschlecht eine der ausdrücklich genannten Diskriminierungskategorien. Hierbei ist entscheidend, dass eine Benachteiligung entweder unmittelbar oder mittelbar an die Weltanschauung anknüpft, also zum Beispiel dann vorliegt, wenn jemand wegen seiner Einstellung zu politischen, philosophischen oder gesellschaftlichen Fragen Nachteile erfährt. Der Schutz erstreckt sich auf verschiedene Lebensbereiche, etwa Beschäftigung, Berufsausübung, Zugang zu Bildung, Gütern und Dienstleistungen. Arbeitgeber müssen die Weltanschauung ihrer Mitarbeiter berücksichtigen und dürfen daraus grundsätzlich keine Nachteile entstehen lassen, es sei denn, es gibt eine gerechtfertigte berufliche Anforderung (sog. „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“, § 8 AGG).

Wann darf eine unterschiedliche Behandlung wegen einer Weltanschauung zulässig sein?

Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Weltanschauung kann im Einzelfall rechtmäßig sein, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Im Beschäftigungskontext erlaubt das AGG Ausnahmen nur dann, wenn eine bestimmte Weltanschauung eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ für die Tätigkeit darstellt. Ein Beispiel hierfür wäre eine weltanschaulich gebundene Einrichtung, etwa eine politische Partei oder eine bestimmte Interessensgemeinschaft, bei der die weltanschauliche Übereinstimmung des Mitarbeiters mit den Zielen der Organisation als Grundvoraussetzung für die Mitarbeit gilt. Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonen hierbei die Notwendigkeit einer strikten Verhältnismäßigkeit.

Sind Weltanschauungen im Arbeitsverhältnis besonders geschützt?

Ja, der Schutz von Weltanschauungen im Arbeitsverhältnis ist ein zentrales Element des AGG. Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmer oder Bewerber nicht wegen deren Weltanschauung ungerechtfertigt benachteiligen. Dies gilt für Stellenausschreibungen, Einstellungen, Beförderungen, Aus- und Fortbildungen sowie für Entlassungen. Arbeitnehmer, die sich aufgrund ihrer Weltanschauung diskriminiert fühlen, haben Anspruch auf Entschädigung und gegebenenfalls auf Schadensersatz. Sie können sich mit einer Beschwerde zunächst an die betriebliche Beschwerdestelle wenden und, wenn erforderlich, auch gerichtlich gegen den Arbeitgeber vorgehen.

Welche Nachweispflichten bestehen bei Diskriminierungsvorwürfen im Zusammenhang mit der Weltanschauung?

Im Falle eines Diskriminierungsvorwurfs trifft die betroffene Person laut § 22 AGG eine sogenannte „Beweislastumkehr“. Das bedeutet, der Betroffene muss nur Indizien beibringen, die eine Benachteiligung wegen der Weltanschauung vermuten lassen. Ist das gelungen, liegt es am Arbeitgeber oder der beschuldigten Partei, nachzuweisen, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt oder ein Rechtfertigungsgrund besteht. Dies erleichtert es Diskriminierungsopfern erheblich, ihre Rechte gericht­lich durchzusetzen.

Müssen Arbeitgeber auf weltanschaulich begründete Wünsche (z.B. Kleidung, Feiertage) Rücksicht nehmen?

Arbeitgeber sind verpflichtet, im Rahmen des betrieblich Zumutbaren Rücksicht auf weltanschaulich motivierte Wünsche ihrer Mitarbeiter zu nehmen, sofern keine berechtigten betrieblichen Interessen entgegenstehen. Beispiele sind das Tragen bestimmter Kleidung oder Symbole, das Freistellen an bestimmten Feiertagen sowie die Anpassung von Arbeitszeiten. Ablehnungen müssen sachlich begründet und verhältnismäßig sein. Bei Kollisionen zwischen der betrieblichen Ordnung und dem Ausleben der Weltanschauung erfordert das AGG eine gründliche Interessenabwägung – pauschale Verbote sind unzulässig.

Spielt die Weltanschauung im öffentlichen Dienst eine besondere Rolle?

Im öffentlichen Dienst gilt neben den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen zusätzlich das Prinzip der Verfassungstreue. Beschäftigte, insbesondere im Beamtenrecht, sind zur Neutralität verpflichtet und dürfen ihre persönliche Weltanschauung bei der Dienstausübung grundsätzlich nicht zur Geltung bringen. Ausnahmen bestehen zum Beispiel für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen, bei denen je nach Bundesland unterschiedliche Regelungen für das Tragen weltanschaulicher Symbole oder bestimmte Äußerungen existieren. Zudem ist die Mitgliedschaft in bestimmten extremistischen Organisationen mit dem Beamtenstatus unvereinbar.

Wie werden Konflikte zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen rechtlich behandelt?

Kommt es zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum, sieht das Recht grundsätzlich einen Ausgleich durch gegenseitige Achtung und Rücksichtnahme vor. Arbeitgeber und Institutionen sind gefordert, ein diskriminierungsfreies Klima zu schaffen und bei Konflikten moderierend einzugreifen. Gezielte Benachteiligungen aufgrund der Weltanschauung – etwa Ausgrenzung, Mobbing oder ungerechtfertigte Nachteile in dienstlichen Belangen – sind ausdrücklich untersagt. Kommt es dennoch zu Streitfällen, entscheiden häufig Arbeitsgerichte oder Antidiskriminierungsstellen auf Grundlage des AGG und zugehöriger europäischer Regelungen, wobei stets eine Interessenabwägung im Einzelfall erfolgt.