Begriff und Bedeutung der Wehrübungen
Wehrübungen sind planmäßige militärische Übungen, an denen Reservisten der Bundeswehr zur Aufrechterhaltung oder Aktualisierung ihrer Fähigkeiten regelmäßig oder bedarfsabhängig teilnehmen. Sie stellen ein zentrales Instrument der Reserve-, Personal- und Einsatzplanung der Streitkräfte dar und dienen der Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Reservekräfte in Zeiten des Friedens sowie bei Spannungs- und Verteidigungsfällen.
Rechtsgrundlagen
Verfassungsrechtliche Einbettung
Die Rechtsgrundlagen für Wehrübungen ergeben sich im Wesentlichen aus dem Grundgesetz (GG) sowie aus einfachgesetzlichen Regelungen im Bereich des Wehrrechts. Artikel 12a GG regelt die Heranziehung zum Wehrdienst sowie zu Wehrübungen und bildet die verfassungsrechtliche Basis. Das Grundrecht der Freizügigkeit und der Schutz vor Zwangsdiensten werden durch die besonderen Regelungen für Wehrpflichtige eingeschränkt.
Einfachgesetzliche Regelungen
Wesentliche einfachgesetzliche Grundlagen für Wehrübungen finden sich im Wehrpflichtgesetz (WPflG), insbesondere in den §§ 61 ff. sowie im Soldatengesetz (SG) und weiteren angrenzenden Regelwerken. Die Durchführung der Wehrübungen folgt zudem Verordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums der Verteidigung.
Zugrunde liegende Gesetze im Überblick
- Wehrpflichtgesetz (WPflG)
- Soldatengesetz (SG)
- Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten
- Gesetze zum Arbeitsschutz und zum Kündigungsschutz während und nach Wehrübungen
Personengruppen und Teilnahmepflichten
Kreis der Wehrübungsverpflichteten
Wehrübungen betreffen in erster Linie Reservisten, das heißt ehemalige Soldaten, die nach ihrer Dienstzeit weiterhin in der Reserve geführt werden. Daneben können gemäß § 61 WPflG grundsätzlich alle wehrpflichtigen Männer nach ihrer Grundausbildung zu Wehrübungen herangezogen werden. Frauen können sich freiwillig zur Ableistung von Wehrübungen melden, eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht.
Umfang und Dauer der Wehrübungen
Die Dauer der einzelnen Wehrübung kann unterschiedlich ausfallen. Sie ist im Gesetz auf einen bestimmten Zeitraum im Jahr und auf die gesamte Lebenszeit der Wehrpflichtigen begrenzt. Einzelne Wehrübungen dauern in der Regel zwischen ein paar Tagen und mehreren Wochen; im Jahr dürfen sie zusammen eine bestimmte Höchstdauer nicht überschreiten. Besonders geregelt sind längere Wehrübungen bzw. Mobilmachungsübungen im Spannungsfall.
Besondere Vorschriften im Spannungs- und Verteidigungsfall
Im Fall der Feststellung eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls (§ 5a WPflG) können die Einschränkungen hinsichtlich Dauer und Häufigkeit der Wehrübungen ausgesetzt werden. Die Teilnahme wird dann verpflichtender, und ein Einspruchsrecht des Betroffenen ist stark eingeschränkt oder aufgehoben.
Ablauf und Durchführung der Wehrübungen
Einberufung und Rechtsfolgen
Die Einberufung zu einer Wehrübung erfolgt per schriftlichen Bescheid (Einberufungsbescheid), der rechtsverbindlich ist. Die Einberufung muss bestimmte Mindestfristen einhalten, außer in Notfällen oder im Verteidigungsfall. Der Einberufungsbescheid enthält Angaben zu Ort, Zeit, Dauer und Zweck der Wehrübung. Die Missachtung des Bescheids kann als Dienstpflichtverletzung oder Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden.
Rechtsstellung während der Wehrübung
Während der Wehrübung nehmen die Einberufenen die Rechtsstellung eines Soldaten der Bundeswehr ein. Damit sind sie besonderen Rechten und Pflichten unterworfen, u. a.:
- Unterstellung unter die Wehrdisziplinarordnung
- Leistungsverpflichtung gegenüber Vorgesetzten
- Anspruch auf Besoldung nach den Vorschriften für Reservistendienstleistende
- Anspruch auf Versorgung im Falle von Verletzungen oder gesundheitlichen Schäden während der Übung
Unfallversicherung und soziale Absicherung
Die Teilnehmenden sind während der Wehrübung durch die spezielle staatliche Fürsorge abgesichert, einschließlich Versicherungsschutz gegen Unfälle sowie Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation oder Entschädigung bei Schädigungen im Rahmen der Wehrübung.
Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit Wehrübungen
Arbeitsrechtlicher Schutz
Arbeitgeber dürfen während einer Wehrübung das Arbeitsverhältnis nicht kündigen. Nach Beendigung der Wehrübung besteht Anspruch auf Rückkehr an den Arbeitsplatz. Der Kündigungsschutz ist gesetzlich besonders ausgestaltet (§ 2 ArbPlSchG). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Abwesenheit während der Wehrübung als unbezahlte Freistellung zu behandeln, ohne dass dem Arbeitnehmer daraus Nachteile entstehen dürften.
Anspruch auf Wehrgeld und weitere Leistungen
Reservisten erhalten während der Dauer der Wehrübung grundsätzlich Dienstbezüge bzw. Reservistenwehrgeld, abhängig von Dienstgrad und Funktion. Entgeltfortzahlungspflichten des Arbeitgebers bestehen in dieser Zeit nicht, es sei denn, tarifvertragliche oder betriebliche Regelungen bestimmen anderes.
Einkommensteuerrechtliche Besonderheiten
Wehrgeld und weitere Zuwendungen während der Wehrübungen können steuer- und sozialversicherungsrechtlich privilegiert sein. Diese Besonderheiten sind im Einkommensteuergesetz (EStG) sowie im Sozialgesetzbuch konkretisiert.
Beendigung, Versäumnis und Sanktionen
Versäumnisfolgen
Das unentschuldigte Fernbleiben oder der eigenmächtige Abbruch einer Wehrübung kann als Ordnungswidrigkeit oder sogar als Straftat (§ 14 WPflG, § 15 Wehrstrafgesetz) verfolgt werden. Mögliche Rechtsfolgen sind Bußgelder, Freiheitsstrafen oder dienstrechtliche Maßnahmen.
Möglichkeiten der Befreiung
Befreiungen oder Zurückstellungen von Wehrübungen sind auf Antrag aus wichtigen Gründen möglich, insbesondere aus gesundheitlichen, familiären oder wirtschaftlichen Gründen (§ 14 WPflG). Die Antragstellung erfolgt bei der zuständigen Wehrersatzbehörde, die über die Befreiung entscheidet.
Historische Entwicklung und aktuelle Praxis
Entwicklung im deutschen Recht
Das Institut der Wehrübung ist seit Einführung der Wehrpflicht im deutschen Recht verankert. Die Rahmenbedingungen und Regelungstatbestände haben sich im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 und der damit verbundenen Neuausrichtung der Bundeswehr geändert. Heute findet die Wehrübung überwiegend im Rahmen freiwilliger Reservistenarbeit statt, bleibt jedoch rechtlich weiterhin voll normiert, insbesondere für den Fall der Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Bedeutung im internationalen Vergleich
Im internationalen Kontext existieren ähnliche Regelungen zur Reserveausbildung in anderen Staaten mit Wehrpflichtsystemen oder bedeutenden Reservekomponenten, was die Bedeutung von Wehrübungen als sicherheitspolitisches Instrument unterstreicht.
Zusammenfassung und Ausblick
Wehrübungen sind ein vielschichtig normiertes Instrument zur Sicherung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehrreserve. Ihre Durchführung ist detailreich gesetzlich geregelt, umfasst individuelle Rechte und Pflichten, arbeits- und sozialrechtliche Besonderheiten sowie Möglichkeiten der Befreiung. Auch nach Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht bleiben die Regelungen über Wehrübungen ein zentraler Bestandteil des deutschen Wehrrechts und sind für Reservisten sowie Arbeitgeber von erheblicher praktischer Bedeutung. Die gesetzlichen Grundlagen gewährleisten sowohl die Aufrechterhaltung militärischer Leistungsbereitschaft als auch den individuellen Rechts- und Sozialschutz der Betroffenen.
Häufig gestellte Fragen
Muss ich einer Aufforderung zur Teilnahme an einer Wehrübung Folge leisten?
Einer Aufforderung zur Teilnahme an einer Wehrübung ist grundsätzlich Folge zu leisten, da hierfür eine gesetzliche Verpflichtung gemäß § 59 Soldatengesetz (SG) sowie § 6 Wehrpflichtgesetz (WPflG) besteht. Wehrübungen werden per schriftlichem Bescheid-meist in der Form eines Wehrdienstleistungsbescheides-angeordnet und stellen eine Maßnahme im Rahmen des Reservekonzepts der Bundeswehr dar. Wer sich einer angeordneten Wehrübung ohne triftigen Grund entzieht, kann sich nach § 16 WPflG bzw. den Bestimmungen des Soldatengesetzes strafbar machen oder ordnungswidrig handeln. Es bestehen jedoch ggf. Möglichkeiten der Zurückstellung oder Befreiung etwa aus gesundheitlichen, familiären oder beruflichen Gründen, welche rechtzeitig und schriftlich bei der zuständigen Stelle zu beantragen sind. Über den Antrag entscheidet im Einzelfall die zuständige Wehrdienststelle.
Welche rechtlichen Konsequenzen hat die Verweigerung einer Wehrübung?
Die unberechtigte Verweigerung einer anberaumten Wehrübung kann straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Nach § 16 WPflG wird das unentschuldigte Fernbleiben als Dienstvergehen gewertet und kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden. Bei Reservist:innen im Status eines Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten kommt zudem ein Disziplinarverfahren nach dem Wehrdisziplinargesetz (WDG) in Betracht, welches bis zu einer Dienstgradherabsetzung oder sogar zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führen kann. Bestehen berechtigte Hinderungsgründe, sind diese unverzüglich schriftlich geltend zu machen; eine pauschale oder verspätete Ablehnung entbindet nicht von der rechtlichen Verpflichtung und kann die genannten Sanktionen nach sich ziehen.
In welchem Umfang muss mein Arbeitgeber mich für eine Wehrübung freistellen?
Grundsätzlich verpflichtet § 9 Arbeitsplatzschutzgesetz (ArbPlSchG) Arbeitgeber, Arbeitnehmer:innen, die zur Wehrübung einberufen wurden, für die Dauer der Übung freizustellen. Dieser Freistellungsanspruch ist unabhängig von der Unternehmensgröße und gilt für sämtlich angeordnete Wehrübungen. Während der Dauer der Wehrübung ruht das Arbeitsverhältnis, das bedeutet, es besteht kein Anspruch auf Arbeitsentgelt, wohl aber ein Anspruch auf Rückkehr zum bisherigen Arbeitsplatz. Arbeitgeber dürfen aufgrund der Wehrübung das Arbeitsverhältnis nicht benachteiligen oder kündigen (§ 2 ArbPlSchG): Eine ordentliche Kündigung ist während der Dauer der Einberufung unzulässig und darüber hinaus für einige Zeit eingeschränkt. Geltend gemacht wird die Einberufung durch Vorlage des Wehrdienstleistungsbescheides.
Besteht ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung während der Wehrübung?
Während einer Wehrübung besteht ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls sowie auf Erstattung notwendiger Auslagen (§ 1 Unterhaltssicherungsgesetz, USG). Die Leistungen nach dem USG sollen die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen, die durch den Wegfall des regulären Arbeitsentgelts entstehen. Die Entschädigung ist auf Antrag bei der zuständigen Unterhaltssicherungsbehörde zu beantragen. Es werden dabei u. a. das Nettoarbeitsentgelt und etwaige Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt. Darüber hinaus besteht grundsätzlich weiter Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung während der Wehrübung. Bei Beamten wird Bezügefortzahlung gewährt, diese werden jedoch zum Teil mit den Leistungen nach USG verrechnet.
Kann man gegen eine Anordnung zur Wehrübung Rechtsmittel einlegen?
Gegen die Anordnung einer Wehrübung können Rechtsmittel eingelegt werden, wobei das Verfahren im Verwaltungsrecht geregelt ist. Nach Zustellung des Wehrdienstleistungsbescheides besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats Widerspruch einzulegen (§ 70 Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO). Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, kann eine Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden (§ 74 VwGO). Die Einlegung von Widerspruch oder Klage hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, d. h. die Verpflichtung zur Teilnahme bleibt zunächst bestehen, sofern nicht ausdrücklich durch das Gericht anderweitig entschieden wird. Für Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten gelten disziplinarrechtliche Rechtsbehelfe.
Welche Besonderheiten bestehen für Selbstständige und Freiberufler bei Wehrübungen?
Für Selbstständige und Freiberufler gelten hinsichtlich der Verpflichtung zur Teilnahme an Wehrübungen zunächst die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für Arbeitnehmer. Allerdings gibt es in § 3 USG spezielle Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Amazahlung des Erwerbsausfalls, da für diese Berufsgruppen regelmäßig keine Entgeltfortzahlung oder klassische arbeitsvertragliche Rückkehrgarantien bestehen. Zur Vermeidung unbilliger Härten kann auf Antrag eine Zurückstellung von der Wehrübung erfolgen, wenn der Betrieb durch die Einberufung erheblich gefährdet würde. Die Entscheidung darüber trifft die örtliche Wehrersatzbehörde auf Basis einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen. Entsprechende Nachweise und Begründungen sind beizubringen.