Begriff und rechtliche Grundlagen der Wehrdienstentziehung
Definition
Wehrdienstentziehung bezeichnet die vorsätzliche und unbefugte Vermeidung einer gesetzlich geregelten Wehrpflicht durch unterschiedliche Handlungen oder Unterlassungen. In Deutschland ist die Wehrdienstentziehung im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und stellt ein strafbares Verhalten dar, das den staatlichen Anforderungen an die militärische Dienstpflicht zu entgehen sucht. Der Begriff umfasst verschiedene Verhaltensweisen, wie etwa das Sich-Entziehen vom Wehrdienst durch Nichterscheinen, Täuschungshandlungen, Flucht ins Ausland oder das Herbeiführen einer Dienstunfähigkeit.
Gesetzliche Grundlage
Die zentrale Rechtsgrundlage bildet § 16 Wehrstrafgesetz (WStG), der die „Entziehung vom Wehrdienst“ normiert. Daneben sind auch verwandte Strafnormen des StGB, etwa zur Befehlsverweigerung oder Desertion, in bestimmten Fallkonstellationen einschlägig. Bis 2011 galt in Deutschland eine allgemeine Wehrpflicht, deren Aussetzung jedoch nicht zur vollständigen Abschaffung der Wehrstrafbestimmungen geführt hat. In Krisen- oder Spannungszeiten können diese Vorschriften reaktiviert werden.
Tatbestandsmerkmale der Wehrdienstentziehung
Subjektiver Tatbestand
Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Wehrdienstentziehung ist stets vorsätzliches Handeln. Das bedeutet, die betreffende Person muss mit Wissen und Wollen darauf abzielen, sich der Ableistung des Wehrdienstes ganz oder teilweise zu entziehen.
Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand erfasst verschiedene Handlungsweisen, darunter insbesondere:
- Nichterscheinen zum anberaumten Dienstantritt trotz frist- und formgerechter Einberufung
- Unzulässiges Fernbleiben vom Dienst ohne rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund
- Täuschungshandlungen, wie das Vortäuschen von Erkrankungen, Vorlage gefälschter Atteste oder falsche Angaben zur Person
- Herbeiführen von Dienstunfähigkeit, etwa durch Selbstverstümmelung, Selbstverletzung oder schwerwiegende Gesundheitsgefährdung mit dem Ziel, wehrdienstuntauglich zu werden
- Flucht ins Ausland oder Untertauchen
Eine Strafbarkeit umfasst auch den Versuch.
Abgrenzung zu verwandten Straftatbeständen
Im Unterschied zur Wehrdienstentziehung umfasst die Fahnenflucht (Desertion, § 15 WStG) das unerlaubte Entfernen aus der Dienststelle während einer laufenden Wehrdienstzeit. Die Wehrdienstentziehung zielt hingegen bereits auf die Umgehung des Dienstantritts oder die dauerhafte Befreiung von der Wehrdienstpflicht.
Rechtsfolgen der Wehrdienstentziehung
Strafandrohung und Strafrahmen
§ 16 Abs. 1 WStG sieht für die Wehrdienstentziehung Freiheitsstrafe vor, deren konkrete Höhe vom Einzelfall und der Art der Wehrdienstentziehung abhängt. In minder schweren Fällen oder beim Versuch sind die Strafrahmen entsprechend gemildert.
Beispielhafte Straftatbestände:
- Entziehung vom Wehrdienst (§ 16 WStG): Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
- Selbstverstümmelung oder Vortäuschen der Dienstunfähigkeit (§ 17 WStG): Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
Gesetzliche Milderungsgründe
Das Gesetz sieht mildernde Umstände vor, wenn die Wehrdienstentziehung aus bestimmten Beweggründen geschieht, etwa aus Furcht vor schwerwiegenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Freiheit. In solchen Fällen kann das Gericht eine geringere Strafe verhängen.
Ausschluss der Strafbarkeit
Nicht strafbar ist die Wehrdienstentziehung, wenn ein anerkannter Verweigerungsgrund vorliegt, zum Beispiel die Entscheidung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (§ 25 Wehrpflichtgesetz – WPflG). In diesem Fall besteht eine Möglichkeit zur Ableistung eines zivilen Ersatzdienstes.
Wehrdienstentziehung im internationalen Vergleich
Europäischer Rahmen
Viele europäische Rechtsordnungen kennen ähnliche Regelungen und Sanktionen zur Verhinderung und Ahndung von Wehrdienstentziehung. Die konkrete Ausgestaltung unterscheidet sich jedoch hinsichtlich der Strafrahmen sowie der Möglichkeiten zur Kriegsdienstverweigerung.
Kriegsdienstverweigerung vs. Wehrdienstentziehung
Die klare Abgrenzung zwischen legitimer Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und strafbarer Wehrdienstentziehung ist international anerkannt. Während die Wehrdienstentziehung strafrechtlich verfolgt werden kann, gilt die Kriegsdienstverweigerung in zahlreichen Staaten als geschütztes Menschenrecht und führt nicht zu einer Strafbarkeit.
Verfahren und Verjährung
Ermittlungs- und Strafverfahren
Delikte der Wehrdienstentziehung werden in der Regel von den zuständigen militärischen Strafverfolgungsbehörden verfolgt. Es kommen besondere Verfahrensvorschriften und Gerichte (Truppendienstgerichte, Wehrstrafverfahren) zur Anwendung. Nach Aussetzung der Wehrpflicht ist die Strafverfolgung aktuell faktisch ausgesetzt, bleibt jedoch für den Spannungs- oder Verteidigungsfall anwendbar.
Verjährungsfristen
Die Verjährungsfrist für die Wehrdienstentziehung beträgt, abhängig von der Schwere der Tat, fünf Jahre. Sie beginnt mit Beendigung der Dienstpflicht, kann jedoch bei Untertauchen, Auslandsaufenthalt oder Flucht gehemmt werden.
Historische Entwicklung und aktuelle Bedeutung
Entwicklung in Deutschland
Die gesetzlichen Regelungen zur Wehrdienstentziehung reichen bis in die Zeit der Reichswehr zurück und wurden während des Zweiten Weltkriegs sowie im Grundgesetz weiterentwickelt. Die Möglichkeit zur bewussten Entziehung vom Wehrdienst spielte insbesondere in Zeiten politisch umstrittener Einsätze eine relevante gesellschaftliche Rolle.
Aktuelle Situation
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht am 1. Juli 2011 hat die Bedeutung der Wehrdienstentziehung im deutschen Recht erheblich abgenommen. Die Vorschriften bleiben jedoch im Rahmen einer möglichen Reaktivierung der Wehrpflicht vollumfänglich gültig.
Quellen und weiterführende Literatur
- Wehrstrafgesetz (WStG), insbesondere §§ 15-17
- Wehrpflichtgesetz (WPflG)
- Strafgesetzbuch (StGB), einschlägige Normen
- Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (Hrsg.): Wehrrechtliche Vorschriften
- Bundesministerium der Justiz: Gesetzestexte zum Wehrstrafrecht
Hinweis: Dieser Artikel stellt eine umfassende Beschreibung des Begriffs „Wehrdienstentziehung“ und der dazugehörigen rechtlichen Regelungen dar und ist für den Einsatz in rechtswissenschaftlichen Nachschlagewerken geeignet.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Wehrdienstentziehung?
Wer sich dem Wehrdienst in Deutschland entzieht, macht sich gemäß Strafgesetzbuch (§ 16 Wehrstrafgesetz – WStG) strafbar. Die Sanktionen reichen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, wobei der konkrete Strafrahmen vom Einzelfall abhängig ist. Die Strafverfolgung kann auch militärgerichtlich erfolgen, wenn der Betroffene bereits Soldat der Bundeswehr ist. Zudem kann neben dem strafrechtlichen Aspekt auch ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, das weitere dienstrechtliche Konsequenzen, etwa die Entlassung aus dem Dienstverhältnis, nach sich ziehen kann. Im Falle einer Verurteilung erfolgt ein Eintrag ins Bundeszentralregister, was weitreichende Folgen für die berufliche Zukunft und die gesellschaftliche Rehabilitation haben kann. Wird die Entziehung durch Flucht ins Ausland begangen, können zudem internationale Auslieferungsersuchen gestellt werden, sofern ein entsprechendes Abkommen mit dem betreffenden Staat besteht.
Welche rechtlichen Möglichkeiten zur Verweigerung des Wehrdienstes bestehen?
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert in Art. 4 Abs. 3 GG die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Wer den Dienst mit der Waffe verweigern will, muss dies schriftlich beantragen und begründen. Nach positiver Prüfung wird die betreffende Person nicht zum Wehrdienst, sondern höchstens zum Ersatzdienst (früher: Zivildienst) herangezogen. Die Verweigerung muss jedoch rechtzeitig erfolgen und gut begründet sein; unzulässige oder unbegründete Verweigerungen werden wie Wehrdienstentziehung behandelt und entsprechend verfolgt. Auch aus religiösen, medizinischen oder anderen schwerwiegenden persönlichen Gründen kann ein Aussetzungs- oder Befreiungsantrag gestellt werden, wobei die Erfolgsaussichten jeweils im Einzelfall juristisch geprüft werden.
Wie unterscheidet sich Wehrdienstentziehung von Fahnenflucht und Befehlsverweigerung rechtlich?
Wehrdienstentziehung bezeichnet die bewusste Vermeidung der Aufnahme des Wehrdienstes im Vorfeld, etwa durch Nichterscheinen beim Musterungstermin oder bei der Einberufung. Fahnenflucht (Desertion) ist die unerlaubte Entfernung vom Dienst, nachdem der Wehrdienst bereits angetreten wurde, und wird gemäß §§ 15 ff. WStG meist noch härter sanktioniert. Befehlsverweigerung (§ 20 WStG) dagegen liegt vor, wenn ein Soldat einen dienstlichen Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt. Alle drei Delikte sind eigenständig im Wehrstrafgesetz geregelt und unterscheiden sich hinsichtlich Tatbestand, Voraussetzungen und Strafrahmen. Die Wehrdienstentziehung ist also ein eigenständiger Tatbestand und kann nicht automatisch mit den anderen Formen des Ungehorsams gegenüber militärischer Disziplin gleichgesetzt werden.
Welche Verjährungsfristen gelten bei Wehrdienstentziehung?
Die Verfolgungsverjährung bei Wehrdienstentziehung richtet sich nach den allgemeinen Regelungen des Strafgesetzbuchs (§ 78 StGB) in Verbindung mit dem Wehrstrafgesetz. Üblicherweise beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre ab Begehung der Tat, falls keine erschwerenden Umstände wie schwerwiegende Dienstvergehen oder Wiederholungstaten vorliegen. Beginnt die Entziehung erst in einem späten Stadium (z.B. durch Flucht während des Wehrdienstes) zu zählen, kann sich der Beginn der Verjährungsfrist entsprechend verschieben. Es existieren bestimmte Hemmungsgründe, etwa ein laufendes Ermittlungsverfahren, die den Ablauf der Frist aufschieben können.
Können laufende oder abgeschlossene Verfahren wegen Wehrdienstentziehung im Ausland vollstreckt werden?
Grundsätzlich kann eine Verurteilung wegen Wehrdienstentziehung in Deutschland zu Auslieferungsersuchen führen, sofern der Entziehungswillige in einen Staat flüchtet, mit dem ein entsprechendes Auslieferungsabkommen besteht. Allerdings bestehen in vielen europäischen Staaten Schutzmechanismen für Asylsuchende aus Gewissensgründen, insbesondere innerhalb der EU. Liegt eine rechtskräftige Verurteilung vor, kann unter den Bedingungen internationaler Rechtsbeziehungen (z.B. Europäischer Haftbefehl oder bilaterale Strafvollstreckungsabkommen) eine Auslieferung beantragt werden. In Staaten ohne Auslieferungsabkommen ist eine Vollstreckung dagegen rechtlich nicht möglich.
Welche Rolle spielt das Verwaltungsverfahren bei Verdacht auf Wehrdienstentziehung?
Neben dem Strafverfahren ist bei Verdacht auf Wehrdienstentziehung meist auch ein verwaltungsrechtliches Verfahren betroffen. Dies kann die Aberkennung von Versorgungsansprüchen, den Entzug von Bezügen oder die Annulierung von Ernennungen sowie Einberufungen betreffen. Die Verwaltungsbehörden prüfen regelmäßig, ob eine Wehrdienstentziehung tatsächlich vorliegt und ob besondere Gründe vorliegen, die etwa ein Disziplinarverfahren nach sich ziehen. In manchen Fällen erfolgt eine administrative Meldung an andere Behörden, wie das Einwohnermeldeamt oder das Bundeszentralregister, wodurch auch verwaltungsrechtliche Nachteile entstehen können.
Gibt es Aussichten auf Rehabilitation nach einer Verurteilung wegen Wehrdienstentziehung?
Nach der Verbüßung einer etwaigen Freiheitsstrafe oder Geldstrafe ist es möglich, eine Rehabilitierung zu beantragen. Hierbei sind verschiedene Fristen und Nachweise zu beachten, wie gesetzestreues Verhalten nach der Verurteilung und die Erfüllung bestimmter Wiedergutmachungsprogramme. Der Eintrag im Bundeszentralregister kann nach Ablauf bestimmter Tilgungsfristen gelöscht werden, wodurch auch die rechtlichen Benachteiligungen beispielsweise im Berufsleben oder bei der Wiederaufnahme ins öffentliche Leben aufgehoben werden können. Die Möglichkeiten zur Rehabilitation hängen jedoch stark vom Einzelfall und dem jeweiligen bundes- oder landesrechtlichen Kontext ab.