Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Wahldelikte

Wahldelikte


Begriff und Bedeutung der Wahldelikte

Als Wahldelikte wird ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht bezeichnet, der Sachverhalte beschreibt, bei denen ein bestimmtes Verhalten unter mehreren Strafvorschriften subsumierbar ist, es also verschiedene Straftatbestände gibt, die auf einen Lebenssachverhalt passen könnten. Die Besonderheit besteht darin, dass jedoch nur eine der in Betracht kommenden Straftatbestände – je nach rechtlicher Bewertung – zur Anwendung kommt. Wahldelikte zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Tatbestände sich teilweise überschneiden, aber nicht im Verhältnis von Tateinheit, Tatmehrheit oder Gesetzeskonkurrenz im Sinne der Idealkonkurrenz oder Spezialität zueinander stehen. Der Begriff Wahldelikt ist im Gesetz selbst nicht ausdrücklich definiert, gehört jedoch zur gängigen Terminologie im Bereich des materiellen Strafrechts.

Systematische Einordnung

Abgrenzung zu Ähnlichen Instituten

Wahldelikte sind von verwandten Begriffen wie Konkurrenzen (Tateinheit, Tatmehrheit), Gesetzeskonkurrenz (Subsidiarität, Spezialität, Konsumtion) und Alternativdelikt zu unterscheiden. Während bei der Idealkonkurrenz mehrere Tatbestände durch eine Handlung erfüllt werden und dies auch zu gesonderter Strafverfolgung führen kann, beschränkt sich das Wahldelikt auf die exklusive Anwendung einer normativen Tatbestandsalternative.

Beispiele für Wahldelikte

Typische Anwendungsfälle von Wahldelikten ergeben sich zum Beispiel bei den Tatbeständen von Diebstahl (§ 242 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB): Wird eine fremde bewegliche Sache weggenommen, liegt ein Diebstahl vor – wird die Sache hingegen nur sich oder einem Dritten zugeeignet, ohne sie wegzunehmen, eine Unterschlagung. Beide Delikte können in bestimmten Fällen auf denselben Sachverhalt anwendbar erscheinen; die tatsächliche Qualifikation erfolgt nach der zutreffend bewerteten Handlung.

Ein weiteres Beispiel sind Raub (§ 249 StGB) und Nötigung (§ 240 StGB), wenn mittels Gewalt eine Wegnahme erfolgt; hier ist zu prüfen, ob das spezifischere Delikt des Raubes gegeben ist oder lediglich eine Nötigung vorliegt.

Rechtliche Konsequenzen des Wahldelikts

Tatbestandliche Gleichwertigkeit

Die Gleichwertigkeit der in Frage kommenden Tatbestände ist typisches Merkmal des Wahldelikts. Kommen mehrere Alternativen in Betracht, kann die Begehung regelmäßig nur nach einer einschlägigen Strafnorm verfolgt werden. Anders als bei Tateinheit gemäß § 52 StGB oder Tatmehrheit nach § 53 StGB wird eine einzige Handlung lediglich einem dieser Tatbestände zugeordnet, da keine echte Konkurrenz entsteht.

Auswirkungen auf Strafverfolgung und Urteil

Im Ermittlungsverfahren sowie in der Hauptverhandlung ist bei Wahldelikten die zutreffende rechtliche Einordnung essentiell. Kommt das Gericht in der Hauptverhandlung zu unterschiedlichen Bewertungen, kann es auf die jeweils in Frage kommende Deliktsalternative verurteilen. Eine Verurteilung wegen mehrerer Wahldelikte aufgrund desselben Sachverhalts ist ausgeschlossen, um das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) zu wahren.

Behandlung im Strafurteil

Im Strafurteil findet im Rubrum beziehungsweise im Tenor die abschließende strafrechtliche Qualifikation ihren Ausdruck. Dabei ist besonderer Wert auf die exakte Subsumtion unter einen der konkurrierenden Tatbestände zu legen. Eine Verurteilung „wegen Diebstahls oder Unterschlagung“ ist unzulässig; es muss stets ein Wahldelikt konkret benannt werden.

Besonderheiten und Probleme im Rahmen der Wahldelikte

Wahldeutige Anklage und Verurteilung

Kommt im Ermittlungsverfahren ein Wahldelikt in Betracht und ist die Sachlage unklar, ob beispielsweise ein Diebstahl oder eine Unterschlagung verwirklicht wurde, spricht man von wahldeutiger Anklage. Das Gericht ist in diesem Fall gehalten, spätestens im Urteil klar und eindeutig zu entscheiden, welches Delikt tatsächlich ausgeurteilt wird.

Bedeutung für die Strafzumessung

Hat der gesetzliche Richter einen Sachverhalt als Wahldelikt zu beurteilen, so wirkt die Wahl unter den anwendbaren Vorschriften unmittelbar auf die Strafandrohung ein, da unterschiedliche Strafrahmen greifen können. Die Wahl beeinflusst damit Höhe und Art der Strafe.

Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten

Das Wahldelikt nimmt eine eigenständige Stellung zwischen echten Konkurrenzverhältnissen und Gesetzeskonkurrenz ein. Es ist nicht mit der Situationskonkurrenz, wie sie etwa bei fortgesetzter Handlung auftritt, zu verwechseln. Eine Besonderheit stellt auch das sogenannte „Alternativtäterprinzip“ dar, bei dem eine Handlung möglicherweise unter verschiedenen Täterschaftsformen zu subsumieren ist.

Wahldelikte in der Praxis

Praktische Bedeutung im Strafverfahren

Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren besteht häufig die Notwendigkeit, einen Sachverhalt zunächst als Wahldelikt zu behandeln, da Beweise und Sachverhalte oft uneindeutig sind. Im Verlauf der Hauptverhandlung konkretisiert sich dann in der Regel, welcher Straftatbestand einschlägig ist.

Relevanz für die Strafverteidigung

Die zutreffende Einordnung eines Lebenssachverhalts als Wahldelikt und die Auswahl der zur Anwendung kommenden Strafvorschrift können erhebliche Auswirkungen auf das Verfahren und das Strafmaß haben. Neben dem Schutz vor Doppelverfolgung spielt insbesondere die Konkretisierung des strafrechtlichen Schuldvorwurfs eine große Rolle.

Literatur und Weiterführendes

  • [Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, § 52 Rn. 1-7]
  • [Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, allgemeiner Teil zum Konkurrenzverhältnis]
  • [Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1]

Zusammenfassung

Das Wahldelikt ist im deutschen Strafrecht ein zentrales Institut zur Lösung der Frage, welcher von mehreren sich überschneidenden Strafvorschriften auf einen Sachverhalt angewendet werden soll. Es regelt, dass bei mehreren einschlägigen, aber gleichwertigen Straftatbeständen stets nur eines zur Anwendung kommt. Damit dient das Wahldelikt sowohl der Klarheit als auch dem Schutz vor mehrfacher Bestrafung desselben Verhaltens. Die korrekte Unterscheidung zu anderen strafrechtlichen Konkurrenzverhältnissen sowie eine saubere Subsumtion im Einzelfall sind zentrale Anforderungen an die strafrechtliche Praxis.


Nachweise:

  • Strafgesetzbuch (StGB) in der jeweils aktuellen Fassung
  • BGHSt 2, 218
  • BGH NJW 2001, 2227

Häufig gestellte Fragen

Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen bei der Wahlfälschung nach deutschem Recht?

Wahlfälschung wird in Deutschland als besonders schweres Wahldelikt betrachtet und ist in § 107a des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Das Gesetz unterscheidet verschiedene Tathandlungen, etwa das unbefugte Abgeben von Stimmen, die Verfälschung des Wahlergebnisses oder das vorsätzliche Verfälschen von Stimmzetteln. Wer eine Wahl oder Abstimmung verfälscht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen, etwa bei systematischer oder gewerbs- bzw. bandenmäßiger Begehungsweise, kann das Strafmaß auch darüber hinaus verschärft werden. Zudem kann bereits der Versuch strafbar sein. Verantwortliche riskieren neben den strafrechtlichen Sanktionen auch eine Sperre in Bezug auf passive oder aktive Wahlrechte sowie berufsrechtliche Konsequenzen, sofern sie in einem öffentlichen Amt stehen.

Wie wird Wahlbestechung juristisch geahndet und abgegrenzt?

Die Wahlbestechung ist in § 108b StGB geregelt und betrifft sowohl den aktiven Versuch, einen Wähler durch Vorteile zum bestimmten Wahlverhalten zu verleiten, als auch das passive Annehmen solcher Vorteile. Typische Konstellationen sind das Versprechen von Geld, Gütern oder Dienstleistungen, um stimmberechtigte Personen zu beeinflussen. Die Tat ist vollendet, wenn das Angebot oder die Annahme eines Vorteils stattfindet, unabhängig davon, ob das gewünschte Wahlverhalten tatsächlich eintritt. Strafrechtlich kann auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe erkannt werden. Wahlbestechung ist abzugrenzen von rechtlich zulässiger Wahlwerbung, bei der keine direkten materiellen Vorteile für einzelne Wähler in Aussicht gestellt werden.

Inwiefern ist die Behinderung von Wahlen strafbar?

Die Behinderung einer Wahl oder Abstimmung ist in § 107 StGB erfasst. Darunter fällt das unter Anwendung von Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel erfolgende Verhindern oder Beeinflussen der freien Ausübung des Wahlrechts. Dazu zählt beispielsweise das physische Blockieren von Wahllokalen, Einschüchterung von Wählern oder das Bedrohen von Wahlvorständen. Auch versuchte Tathandlungen sind strafbar. Die Strafandrohung umfasst Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen. Neben dem strafrechtlichen Schutz werden in der Praxis häufig polizeiliche Maßnahmen zur Sicherstellung eines ungestörten Wahlablaufs eingesetzt.

Wie werden Verstöße gegen das Wahlgeheimnis verfolgt?

Das Wahlgeheimnis wird durch § 107c StGB geschützt. Strafbar macht sich, wer entgegen den gesetzlichen Vorschriften das Wahl- oder Abstimmungsverhalten eines anderen offenbart oder auszuspähen versucht. Dies gilt sowohl für Mitglieder von Wahlvorständen als auch für andere Dritte, die sich Zugang zu personenbezogenen Stimmabgaben verschaffen. Die unbefugte Offenbarung kann mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden. Das Gesetz nimmt eine besondere Schutzwürdigkeit des geheimen Wahlakts an, um Manipulation und Druck auszuschließen. Die Vorschriften greifen bereits bei fahrlässigen oder leichtfertigen Offenbarungen.

Welche besonderen Regelungen gelten für die Anfechtung einer Wahl bei Verdacht auf Wahldelikte?

Wird der Verdacht auf ein Wahldelikt bekannt, besteht innerhalb bestimmter Fristen die Möglichkeit, die Wahl anzufechten. Die Einzelheiten hierzu regeln die jeweiligen Wahlgesetze von Bund, Ländern oder Gemeinden, etwa § 49 BWahlG (Bundeswahlgesetz). Die Anfechtung kann grundsätzlich jeder Wahlberechtigte beantragen, wenn Gründe wie Unregelmäßigkeiten beim Wahlvorgang, nachgewiesene Fälle von Wahlfälschung oder Wahlbetrug vorliegen. Über die Zulässigkeit und Begründetheit entscheidet die zuständige Wahlprüfungsinstanz, etwa der Bundestag oder Landeswahlleiter. Wird einer Anfechtung stattgegeben, kann die Wahl ganz oder teilweise wiederholt werden; zudem bestehen Parallelverfahren zur Strafverfolgung der einzelnen Taten.

Wie werden Fälle von Wahlfälschung im Zusammenhang mit Briefwahlen rechtlich betrachtet?

Briefwahlen unterliegen denselben strafrechtlichen Schutzbestimmungen wie Urnenwahlen, werden jedoch aufgrund der örtlichen und sachlichen Distanz der Wählenden oft als besonders anfällig für Manipulation betrachtet. Das StGB (§ 107a) und die jeweiligen Wahlordnungen sehen detaillierte Vorschriften für die Ausstellung, den Umgang und die Auszählung von Wahlbriefen vor. Verstöße wie das unbefugte Ausfüllen, Wegnehmen oder Manipulieren von Briefwahlunterlagen gelten als Wahlfälschung und werden entsprechend strafrechtlich verfolgt. Ebenso können Verfahrensverstöße im Rahmen von Briefwahlen dazu führen, dass die Wahl in einem Stimmbezirk wiederholt werden muss oder der Tatbestand der Wahlbehinderung erfüllt ist.

Welche strafrechtlichen Besonderheiten existieren für Vertreter und Mitglieder von Wahlorganen?

Mitglieder von Wahlvorständen und sonstigen Wahlorganen sind in besonderem Maße verpflichtet, die gesetzlichen Wahlvorgaben einzuhalten. Verletzen sie vorsätzlich oder fahrlässig ihre Pflichten, etwa durch falsche Auszählung oder Unterdrückung von Stimmzetteln, erfüllen sie regelmäßig Tatbestände wie Wahlfälschung oder Amtsdelikte (§§ 339 ff. StGB). Darüber hinaus können sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften disziplinarrechtlich belangt werden. Die Strafmaßregelung sieht – abhängig von der Schwere der Tat – Geld- oder Freiheitsstrafe vor, bei schweren Fällen auch den dauerhaften Ausschluss von öffentlichen Ämtern.