Begriff und Einordnung von Wagnis und Gewinn
Wagnis und Gewinn bezeichnet in der Praxis der Preis- und Angebotskalkulation den kalkulatorischen Zuschlag, mit dem ein Unternehmen einerseits unternehmerische Unsicherheiten (Wagnis) abdeckt und andererseits eine Ertragsmarge (Gewinn) ansetzt. Der Begriff wird besonders im Bau- und Anlagenbau, in projektorientierten Dienstleistungen sowie in der öffentlichen Auftragsvergabe verwendet. Rechtlich handelt es sich nicht um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern um einen Bestandteil des vereinbarten Preises innerhalb der Vertragsfreiheit. Die Zusammenfassung als Doppelbegriff verdeutlicht, dass Risiken und Ertragschancen wirtschaftlich miteinander verknüpft sind: Wer Wagnis trägt, kalkuliert eine Gewinnchance ein.
Allgemeiner Sinn und rechtliche Relevanz
Allgemein bezeichnet Wagnis die Unsicherheit über künftige Entwicklungen (z. B. Mengen- und Preisänderungen), während Gewinn den Überschuss aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit beschreibt. Rechtlich wirkt sich die Bestimmung von Wagnis und Gewinn vor allem auf die Vertragsauslegung, die Preisprüfung in Vergabeverfahren, die Abrechnung von Leistungsänderungen und die Rechenschaft über die Zusammensetzung eines Preises aus.
Wagnis und Gewinn in der Preisbildung
Typische Einsatzbereiche
- Bau- und Ausbaugewerke, Infrastrukturprojekte und technischer Anlagenbau
- Projektorientierte Dienstleistungen mit schwer prognostizierbarem Aufwand
- Öffentliche Auftragsvergabe, in der Preisbestandteile häufig offen gelegt werden müssen
Abgrenzung zu anderen Kalkulationsbestandteilen
Wagnis und Gewinn ist von anderen Preisbestandteilen abzugrenzen:
- Einzelkosten: unmittelbar der Leistung zurechenbare Kosten (Material, Lohn am Objekt)
- Baustellen- oder projektspezifische Gemeinkosten: indirekte, aber objektbezogene Kosten (Baustelleneinrichtung, Leitung vor Ort)
- Allgemeine Geschäftskosten: unternehmensweite Gemeinkosten (Verwaltung, IT, Miete)
- Wagnis und Gewinn: Zuschlag für unternehmerisches Risiko und Ertragsmarge
Kalkulatorische Ausgestaltung
In der Praxis wird Wagnis und Gewinn häufig als prozentualer Zuschlag auf direkt zurechenbare Kosten oder auf hergestellte Einzel- und Gemeinkosten angesetzt. Die Höhe variiert je nach Branche, Projektcharakter, Wettbewerbslage und Risikoprofil. Gesetzlich festgelegte Sätze bestehen nicht; maßgeblich ist die wirtschaftliche Angemessenheit im Einzelfall.
Rechtliche Bedeutung in Verträgen
Vertragsfreiheit und Preisrisiko
Die Parteien können Preisstruktur, Risikoverteilung und Marge frei vereinbaren. Wagnis und Gewinn ist Teil des vertraglich geschuldeten Preises. Kalkulationsirrtümer fallen grundsätzlich in die Sphäre des Kalkulierenden, sofern nicht etwas anderes vereinbart wurde.
Transparenzanforderungen in Vergabeverfahren
Bei öffentlichen Ausschreibungen kann die Vergabestelle die Offenlegung von Preisbestandteilen verlangen, um Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit herzustellen. Wagnis und Gewinn wird dann häufig über standardisierte Preisblätter erläutert. Diese Transparenz dient der Plausibilisierung, ohne eine bestimmte Marge vorzugeben.
Ungewöhnlich niedrige oder hohe Angebote
Bei auffälligen Preisen kann eine vertiefte Prüfung stattfinden. Gegenstand ist unter anderem, ob Wagnis realistisch berücksichtigt wurde und ob die Marge die Vertragserfüllung gefährdet oder auf wettbewerbswidriges Verhalten schließen lässt. Eine Preisanpassung folgt daraus nicht automatisch; entscheidend ist die sachliche Begründung des Preises.
Leistungsänderungen und Nachträge
Bei geänderten oder zusätzlichen Leistungen stellt sich die Frage, wie Wagnis und Gewinn in neue oder angepasste Einheitspreise einfließt. Üblich ist, dass sich die Kalkulationslogik fortsetzt, sodass auf geänderte Leistungsinhalte auch der entsprechende Zuschlag entfällt. Die konkrete Handhabung hängt von den vertraglichen Regelungen und der vereinbarten Abrechnungssystematik ab.
Wagnis im Sinne der Risikozuordnung
Typische Risikoarten
- Mengen- und Leistungsrisiken: Abweichungen in Stückzahlen, Bodenverhältnisse, Schnittstellen
- Preis- und Beschaffungsrisiken: Materialpreise, Lieferketten, Wechselkurse
- Zeit- und Koordinationsrisiken: Terminverschiebungen, Zugriffe Dritter, Genehmigungsdauer
- Rechts- und Genehmigungsrisiken: Auflagen, planungsbedingte Anpassungen
- Finanzierungs- und Bonitätsrisiken: Vorfinanzierung, Zahlungsverzögerungen
- Umwelt- und Witterungsrisiken: außergewöhnliche Wetterlagen, unbeeinflussbare Naturereignisse
Vertragliche Verteilung von Risiken
Verträge enthalten häufig Regelungen zu Gefahrtragung, Leistungsänderungen, Behinderungen, Preisgleitmechanismen und Haftungsgrenzen. Diese bestimmen, welche Partei ein bestimmtes Wagnis trägt und ob dafür ein Zuschlag im Preis vorgesehen ist. Je nach Gestaltung kann Wagnis stärker beim Auftragnehmer oder beim Auftraggeber liegen.
Gewinn in rechtlicher Sicht
Gewinnbegriff und Verwendung
Gewinn ist der Überschuss der Erträge über die Aufwendungen innerhalb eines Zeitraums. Rechtlich relevant sind Ausschüttungssperren, Kapitalerhaltung und der Schutz von Gläubigerinteressen. Die Gewinnverwendung (Ausschüttung oder Thesaurierung) folgt den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und den jeweiligen Satzungen oder Verträgen.
Gewinn und Haftung
Der Anspruch auf Gewinn steht in einem funktionalen Zusammenhang mit der Übernahme von Wagnis: Eigenkapital trägt Unternehmerrisiken und partizipiert an Gewinnen. Gesellschaftsform und vertragliche Abreden bestimmen, in welchem Umfang Personen für Verluste haften und ob Gewinne ausgeschüttet werden dürfen.
Gewinn und Steuern
Gewinne unterliegen der Besteuerung nach den einschlägigen Steuergesetzen. Der kalkulatorische Zuschlag „Wagnis und Gewinn“ ist ein Bestandteil des Angebotspreises; die steuerliche Erfassung erfolgt nach dem tatsächlich realisierten Ergebnis im Unternehmen, nicht nach der Kalkulationsetikette einzelner Projekte.
Wagnis und Gewinn im Versicherungswesen
Wagnis als Versicherungsrisiko
Im Versicherungskontext bezeichnet Wagnis das versicherte Risiko, dessen Eintritt die Leistungspflicht auslöst. Die Einstufung und Veränderungen des Risikos sind für Prämie, Deckung und Informationspflichten bedeutsam. Eine Risikoerhöhung kann Anpassungen auslösen, je nach Vertragsbedingungen.
Gewinn- und Überschussbeteiligung
In einzelnen Versicherungssparten existieren Formen der Überschussbeteiligung. Dabei partizipieren Versicherungsnehmende nach vertraglichen Regeln an erwirtschafteten Überschüssen. Diese Mechanismen sind vom unternehmerischen Gewinn der Versicherungsunternehmen und von aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen geprägt.
Wagnis und Gewinn im Schadensrecht
Entgangener Gewinn
Entgangener Gewinn kann eine ersatzfähige Schadensposition sein, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Gewinn ohne das schädigende Ereignis erzielt worden wäre. Maßgeblich sind Plausibilisierung, Nachvollziehbarkeit und die Abgrenzung zu bloßen Gewinnchancen ohne ausreichende Grundlage.
Wahrscheinlichkeit und Darlegung
Die rechtliche Bewertung orientiert sich an der Wahrscheinlichkeit des Gewinnanfalls und an belastbaren Anhaltspunkten, zum Beispiel an bestehenden Aufträgen, Marktdaten oder nachvollziehbaren Planrechnungen. Die Anforderungen steigen, je spekulativer der behauptete Gewinn ist.
Abgrenzungen und häufige Missverständnisse
Keine gesetzlich fixen Prozentsätze
Es gibt keine allgemeinverbindlichen gesetzlichen Sätze für Wagnis und Gewinn. Vorgaben können sich aus vertraglichen Regelungen, Branchengepflogenheiten und vergaberechtlichen Anforderungen an Transparenz und Angemessenheit ergeben.
Wagnis vs. Rückstellungen
Der kalkulatorische Wagniszuschlag unterscheidet sich von bilanziellen Rückstellungen. Rückstellungen betreffen gegenwärtige Verpflichtungen mit unsicherer Höhe oder Fälligkeit. Der Wagniszuschlag ist ein Preisbestandteil für zukünftige Unwägbarkeiten in einem konkreten Auftrag.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet der Zuschlag „Wagnis und Gewinn“ in der Angebotskalkulation?
Er bezeichnet den Teil des Angebotspreises, der unternehmerische Risiken abdeckt (Wagnis) und eine Ertragsmarge vorsieht (Gewinn). Er ist kein eigener Anspruch, sondern integraler Bestandteil des vereinbarten Preises.
Darf ein Auftraggeber einen festen Satz für Wagnis und Gewinn vorgeben?
Eine starre Vorgabe besteht rechtlich nicht allgemein. In Ausschreibungen kann jedoch Transparenz über Preisbestandteile verlangt werden. Maßgeblich ist, dass der angebotene Preis insgesamt nachvollziehbar und wirtschaftlich begründet ist.
Wird Wagnis und Gewinn bei Nachträgen automatisch berücksichtigt?
Bei Leistungsänderungen wird die bestehende Kalkulationslogik regelmäßig fortgeführt, sodass Wagnis und Gewinn in neue oder angepasste Preise einfließen. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den vertraglichen Regelungen zur Preisfortschreibung.
Kann ein Angebot ohne Gewinn rechtswirksam sein?
Preisfreiheit erlaubt grundsätzlich auch sehr geringe oder theoretisch gewinnlose Margen. In Vergabeverfahren kann dies eine vertiefte Prüfung der Auskömmlichkeit auslösen, ohne dass daraus automatisch eine Unzulässigkeit folgt.
Wie unterscheidet sich Wagnis im Bauvertrag vom Wagnis in der Versicherung?
Im Bau- und Projektvertrag beschreibt Wagnis wirtschaftliche Unsicherheiten der Leistungserbringung und fließt als Zuschlag in den Preis ein. In der Versicherung bezeichnet Wagnis das versicherte Risiko, das Grundlage für Prämien und Deckung ist.
Welche Rolle spielt Wagnis und Gewinn bei der Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote?
Es dient als Anhaltspunkt zur Beurteilung, ob der Preis realistisch kalkuliert ist. Die Vergabestelle kann Erläuterungen zur Zusammensetzung verlangen, um die Tragfähigkeit des Angebots zu prüfen.
Ist Wagnis und Gewinn ein eigener Aufwand in der Rechnungslegung?
Nein. Der Zuschlag ist eine kalkulatorische Größe in der Preisbildung. Für die Rechnungslegung maßgeblich ist das tatsächlich erzielte Unternehmensergebnis; Wagnis und Gewinn als Zuschlag erscheinen nicht separat.