Begriff und Definition der Wählernötigung
Die Wählernötigung ist ein Straftatbestand des deutschen Strafrechts, der die Freiheit der Wahl als zentrales Prinzip demokratischer Wahlen schützt. Der Begriff beschreibt die rechtswidrige Beeinflussung des Wahlverhaltens eines Wahlberechtigten durch Nötigungsmittel wie Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. Sie ist insbesondere im Zusammenhang mit Bundestags-, Landtags-, Kommunal- und Europawahlen von Relevanz.
Gesetzliche Regelung
Strafgesetzbuch (§ 108 StGB)
Die Wählernötigung ist in § 108 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Der Gesetzestext lautet:
„Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, bei einer Wahl nicht zu wählen oder zu wählen, oder in einer bestimmten Weise zu wählen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Schutzzweck der Norm
Die Norm dient dem Schutz der freien Willensbildung der Wahlberechtigten und damit der Integrität des demokratischen Wahlvorgangs. Sie soll sicherstellen, dass jeder Wahlberechtigte seine Wahlentscheidung unbeeinflusst und ohne Furcht vor Nachteilen treffen kann.
Tatbestandsmerkmale
Wahlhandlung
Die Vorschrift bezieht sich auf öffentliche Wahlen, bei denen durch Abstimmung oder Wahl über politische Mandate entschieden wird. Hierzu zählen insbesondere Bundestags-, Landtags-, Kommunal- sowie Europawahlen. Nicht erfasst sind dagegen beispielsweise unternehmensinterne Abstimmungen oder Wahlen in Vereinen.
Tathandlungen
Gewalt
Unter Gewalt im Sinne der Wählernötigung versteht man die Anwendung von physischer Kraft oder deren Androhung, die sich auf den Körper eines Wahlberechtigten oder auf für ihn bedeutende Sachen richten kann. Die Gewaltanwendung muss darauf abzielen, den Willen des Wahlberechtigten zu brechen und ihn zur Stimmabgabe, Stimmenthaltung oder zur Stimmabgabe in einer von ihm nicht gewählten Art und Weise zu bewegen.
Drohung mit einem empfindlichen Übel
Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt oder Ausbleiben der Täter Einfluss zu haben vorgibt. Das Übel muss „empfindlich“ sein, also von solcher Erheblichkeit, dass das in Aussicht gestellte Übel geeignet ist, den Bedrohten zur gewünschten Handlung zu veranlassen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Vorgesetzter dem Angestellten mit Kündigung droht, sollte er nicht in bestimmter Weise wählen.
Rechtswidrigkeit der Nötigung
Nicht jede Einflussnahme erfüllt den Straftatbestand. Die Nötigung muss „rechtswidrig“ sein, d. h., sie darf nicht durch ein höherwertiges Recht oder durch Notwehr gerechtfertigt sein. Legitime Wahlwerbung oder Überzeugungsarbeit sind deshalb, soweit sie nicht auf unzulässige Mittel wie Gewalt oder Drohung zurückgreifen, nicht erfasst.
Subjektiver Tatbestand
Es ist Vorsatz erforderlich; der Täter muss also wissen und wollen, dass er den Wahlberechtigten durch verbotene Mittel zur Stimmabgabe, Stimmenthaltung oder zu bestimmter Wahl zwingt.
Versuch und Vollendung
Sowohl der Versuch als auch der vollendete Tatbestand der Wählernötigung sind strafbar (§ 108 Abs. 3, § 23 StGB). Der Versuch beginnt, sobald der Täter mit der Ausführung der Tat beginnt, etwa bei der Vorbereitung der Einflussnahme, sofern diese unmittelbar in den Wahlvorgang eingreift.
Strafmaß und Rechtsfolgen
Die Wählernötigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die versuchte Wählernötigung wird milder bestraft (§ 23 Abs. 2, § 49 StGB). Daneben kann ein Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter gemäß § 45 StGB als Nebenfolge in Betracht kommen.
Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen
Wahlfälschung (§ 107a StGB)
Im Unterschied zur Wählernötigung, die auf die Willensbildung des Wahlberechtigten abzielt, betrifft die Wahlfälschung das Ergebnis der Stimmabgabe, etwa durch Verfälschung oder Manipulation von Stimmerklärungen oder Auszählung.
Wahlbestechung (§ 108b StGB)
Während bei der Wählernötigung der Druck durch Drohung Anwendung findet, setzt die Wahlbestechung auf Vorteile oder Geschenke, die für eine bestimmte Wahlhandlung angeboten, versprochen oder gewährt werden.
Beispiele aus der Rechtsprechung
Relevante Urteile zur Wählernötigung liegen etwa bei Fällen vor, in denen Arbeitgeber ihre Angestellten unter Androhung von Nachteilen aufforderten, bei Betriebsratswahlen in bestimmter Weise abzustimmen oder nicht zu wählen. Auch Fälle, in denen Familienangehörige gegenseitig Druck ausüben, sind vereinzelt entschieden worden.
Bedeutung in internationalen Kontexten
Ein vergleichbarer Schutz der Wahlfreiheit existiert auch in anderen demokratischen Rechtsordnungen. So finden sich ähnliche Bestimmungen beispielsweise im österreichischen Strafgesetzbuch (§ 264 StGB) und im Schweizer Strafgesetzbuch (Art. 281 StGB), wobei sich die einzelnen Tatbestandsmerkmale und Strafmaße unterscheiden können.
Prävention und Schutzmaßnahmen
Zur Verhinderung von Wählernötigung kommen gesicherte und anonyme Wahlverfahren zur Anwendung. Wahlräume werden überwacht, Wahlvorgänge sind in der Regel unbeobachtet durchzuführen. Hinweise auf mögliche Wahlbeeinflussungen werden von Wahlkommissionen ernst genommen und verfolgt.
Literatur und weiterführende Links
- Strafgesetzbuch (StGB) – § 108 Wählernötigung
- Fischer, StGB, Kommentar, 71. Auflage 2024
- Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar
Der Artikel bietet einen ausführlichen Überblick zu allen rechtlich relevanten Aspekten der Wählernötigung im deutschen Recht und stellt die gesetzlichen Grundlagen, Auslegungen und Abgrenzungen systematisch dar.
Häufig gestellte Fragen
Welche strafrechtlichen Konsequenzen kann Wählernötigung nach sich ziehen?
Wählernötigung wird im deutschen Recht als Straftat behandelt und ist im Strafgesetzbuch (StGB) unter § 108 StGB („Nötigung von Wählern“) geregelt. Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel dazu nötigt, bei einer Wahl nicht zu wählen, anders zu wählen oder seine Stimme überhaupt abzugeben, macht sich strafbar. Die Tat kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Die Strafbarkeit besteht unabhängig davon, ob der Versuch gelang oder tatsächlich Einfluss auf das Wahlergebnis genommen wurde. Auch der Versuch der Wählernötigung ist bereits strafbar. In besonders schweren Fällen, etwa bei systematischer Beeinflussung oder Gewaltanwendung gegen mehrere Personen, können noch höhere Strafen verhängt werden. Darüber hinaus kann auch das Wahlrecht des Täters aberkannt werden.
Wann liegt eine Drohung im Sinne der Wählernötigung vor?
Eine Drohung im Kontext der Wählernötigung liegt vor, wenn dem Wähler ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt wird, um ihn dadurch in seiner Willensbildung und Ausübung seines Wahlrechts zu beeinflussen. Das „empfindliche Übel“ kann wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder auch persönlicher Natur sein, etwa Arbeitsplatzverlust, Diskreditierung oder körperliche Misshandlung. Entscheidend ist, dass die Drohung darauf abzielt, die Entscheidung des Wählers zu manipulieren. Die Ernsthaftigkeit der Drohung muss aus der Sicht des Bedrohten ausreichend sein, um einen durchschnittlichen Menschen unter Druck zu setzen. Nicht ausreichend sind hingegen bloße Empfehlungen oder Appelle, solange diese nicht mit einem Nachteil verknüpft sind.
In welchen Situationen ist eine Anzeige wegen Wählernötigung möglich?
Eine Anzeige ist grundsätzlich immer dann möglich, wenn der Verdacht besteht, dass jemand einen anderen mit Gewalt oder Drohung zur Stimmabgabe, Stimmenthaltung oder Änderung der Wahlentscheidung zwingen wollte oder gezwungen hat. Dies kann sowohl während des Wahlvorgangs als auch im Vorfeld, zum Beispiel bei Parteiversammlungen, Wahlwerbeveranstaltungen oder während Briefwahlhandlungen vorkommen. Die Anzeige kann anonym oder mit Namensnennung bei der Polizei, Staatsanwaltschaft oder Wahlleitung erstattet werden. Es ist ratsam, Beweise wie Zeugen, Nachrichten oder andere Dokumentationen bereitzuhalten, um die Ermittlungen zu unterstützen.
Welche Rolle spielt das Wahlgeheimnis bei der Ahndung von Wählernötigung?
Das Wahlgeheimnis ist ein zentrales Prinzip jeder demokratischen Wahl und wird durch die Wählernötigung unmittelbar bedroht. Das Wahlgeheimnis soll garantieren, dass jeder Wahlberechtigte seine Stimme frei und unbeeinflusst abgeben kann, ohne Kontrolle oder nachträgliche Überprüfung. Kommt es zu Wählernötigung, wird dieses Grundrecht verletzt, weshalb die Strafverfolgungsbehörden solche Fälle besonders ernst nehmen. Die Verletzung des Wahlgeheimnisses kann zusätzlich als eigenständige Straftat geahndet werden (§ 107c StGB – Verletzung des Wahlgeheimnisses). Bei der Aufklärung von Wählernötigung muss allerdings auch der Datenschutz des Opfers mit den Ermittlungsinteressen der Strafverfolgungsbehörden abgewogen werden.
Sind auch Versuche der Wählernötigung strafbar?
Ja, nach deutschem Strafrecht ist nicht nur die vollendete Tat, sondern auch der Versuch der Wählernötigung (§ 108 Abs. 2 StGB) explizit unter Strafe gestellt. Das bedeutet, sobald jemand konkrete Handlungen unternimmt, die auf eine Nötigung eines Wählers gerichtet sind (z.B. eine ernsthafte Drohung aussprechen, die noch nicht zum Handeln geführt hat), ist bereits der strafbare Versuch gegeben. Maßgeblich ist, dass der Täter zur Tatausführung unmittelbar ansetzt. Die Versuchsstrafbarkeit soll verhindern, dass Taten erst dann geahndet werden können, wenn das Wahlverhalten bereits tatsächlich beeinflusst wurde.
Was versteht das Gesetz unter „Gewalt“ bei der Wählernötigung?
Gewalt im Sinne der Wählernötigung meint den Einsatz körperlicher Kraft oder die Anwendung physischer Mittel, um einen Wähler zu einer bestimmten Stimmabgabe, Stimmenthaltung oder Stimmabgabe zu zwingen. Die Gewaltanwendung kann sich unmittelbar gegen den Körper des Wählers richten (etwa Schläge, Festhalten, Einsperren) oder mittels Gewalt gegen Sachen ausgeübt werden, wenn dadurch auf den Willen des Wählers eingewirkt werden soll. Auch die Androhung von Gewalt kann unter bestimmten Voraussetzungen als Gewalt im juristischen Sinne bewertet werden, sofern der angedrohte Zwang geeignet ist, beim Opfer die gewünschte Handlung hervorzurufen. Nicht ausreichend sind lediglich psychischer Druck, Ehrverletzungen oder soziale Ausgrenzungen, sofern sie nicht mit Gewalt einhergehen.
Gibt es Unterschiede in der Strafverfolgung von Wählernötigung gegenüber anderen Wahlstraftaten?
Wählernötigung unterscheidet sich von anderen Wahlstraftaten wie Wahlfälschung (§ 107a StGB) oder Wahlbestechung (§ 108b StGB) insbesondere durch das strafbare Verhalten, das auf die gezielte Beeinflussung der Willensfreiheit des Wählers durch Gewalt oder Drohung abzielt. Bei anderen Wahlstraftaten stehen beispielsweise die Manipulation von Wahlergebnissen oder das Anbieten bzw. Annehmen von Vorteilen im Vordergrund. Hinsichtlich der Strafverfolgung ist zu beachten, dass die Ermittlungsbehörden Wählernötigung in der Regel als Offizialdelikt verfolgen, das heißt, sie müssen, sobald sie Kenntnis von der Tat haben, von Amts wegen ermitteln. Die Ahndung ist zudem nicht an einen Strafantrag des Opfers gebunden.