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Vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft

Vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft: Begriff, Zweck und Einordnung

Die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft bezeichnet die Aussetzung des noch nicht verbüßten Teils einer Freiheitsstrafe zur Bewährung. Die betroffene Person verlässt die Justizvollzugsanstalt vor Ablauf der vollständigen Strafe und lebt für eine festgelegte Bewährungszeit unter rechtlichen Auflagen und Weisungen in Freiheit. Ziel ist die Förderung der Wiedereingliederung, verbunden mit dem Schutz der Allgemeinheit durch kontrollierte und schrittweise Rückkehr in das gesellschaftliche Leben.

Vorzeitige Entlassungen sind keine Begnadigungen und führen nicht zur Aufhebung der Verurteilung. Sie beruhen auf einer bewertenden Prognoseentscheidung und knüpfen an Bedingungen, Kontrollen und eine Bewährungszeit an.

Zielsetzung und rechtliche Grundprinzipien

Die vorzeitige Entlassung verfolgt zwei Leitgedanken: Resozialisierung und Sicherheit. Sie soll die Rückkehr in ein straffreies Leben fördern, ohne die Belange potenziell Betroffener und der Öffentlichkeit zu vernachlässigen. Die Entscheidung berücksichtigt daher sowohl positive Entwicklungsaspekte als auch Risikofaktoren. Das Übermaßverbot und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prägen die Abwägung: Freiheitsentzug soll nicht länger als erforderlich andauern, wenn eine verantwortbare Entlassung möglich ist.

Voraussetzungen der vorzeitigen Entlassung

Verbüßungsanteil

In der Praxis sind bestimmte Mindestverbüßungsanteile üblich:

  • Zwei-Drittel-Regel: Regelprüfung nach Verbüßung von etwa zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe.
  • Halbstrafe: In besonderen Konstellationen ist eine Prüfung nach etwa der Hälfte der Strafe möglich, vor allem bei günstiger Prognose und geringerem Rückfallrisiko.
  • Lebenslange Freiheitsstrafe: Eine Prüfung erfolgt erst nach deutlich längerer Zeit, in der Praxis häufig nach vielen Jahren; besondere Anforderungen an die Prognose gelten.

Untersuchungshaft und bereits angerechnete Zeiten mindern die verbleibende Strafe und werden bei der Berechnung des Verbüßungsanteils berücksichtigt.

Prognose und Risikobewertung

Kern der Entscheidung ist die Erwartung, dass die verurteilte Person künftig keine Straftaten mehr begehen wird. Für diese Prognose werden insbesondere geprüft:

  • Lebensumstände nach der Entlassung (Wohnung, Erwerbstätigkeit, soziales Umfeld)
  • Umgang mit Tat und Folgen, Einsicht und Verantwortungsübernahme
  • Teilnahme an Behandlungs- oder Trainingsmaßnahmen (z. B. Sucht- oder Sozialtherapie)
  • Stabilität und Tragfähigkeit des Unterstützungsnetzes außerhalb der Anstalt
  • Ergebnisse von sozialpädagogischen und psychologischen Einschätzungen

Vollzugsverhalten und Tatgewicht

Das Verhalten während der Haft ist bedeutsam: Teilnahme an Angeboten, beanstandungsfreies Zusammenleben, verantwortlicher Umgang mit Lockerungen und die Bereitschaft zur Schadenswiedergutmachung wirken sich positiv aus. Zugleich spielt die Schwere der Tat eine Rolle; je gravierender die Tatfolgen, desto strenger die Anforderungen an eine günstige Prognose. Belange Geschädigter, insbesondere deren Schutzinteressen, werden in die Abwägung einbezogen.

Verfahren und Zuständigkeiten

Anstoß und Stellungnahmen

Eine Prüfung der vorzeitigen Entlassung kann angeregt werden. Die Vollzugsbehörde erstellt eine ausführliche Einschätzung zu Verlauf, Verhalten und Prognose. Auch die Strafverfolgungsbehörde nimmt Stellung. Diese Grundlagen dienen der entscheidenden Stelle als Bewertungsbasis.

Anhörung und Entscheidung

Regelmäßig findet eine persönliche Anhörung statt. Im Anschluss ergeht eine schriftliche Entscheidung mit Begründung. Wird die vorzeitige Entlassung bewilligt, wird der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, Bewährungszeit und Bedingungen werden festgelegt. Bei Ablehnung ist zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Prüfung möglich.

Dokumentation und Überprüfung

Die Entscheidung wird dokumentiert. Je nach Konstellation besteht die Möglichkeit, eine Überprüfung durch eine höhere Stelle zu veranlassen. Dabei wird die Abwägung auf rechtliche Vertretbarkeit und sachliche Tragfähigkeit hin betrachtet.

Rechtsfolgen der Entlassung auf Bewährung

Bewährungszeit

Die Bewährungszeit erstreckt sich über einen gesetzlich vorgegebenen Zeitraum. Innerhalb dieser Zeit wird die Lebensführung beobachtet; weitere Straffreiheit und die Befolgung von Auflagen sind maßgeblich.

Auflagen und Weisungen

Zur Steuerung und Kontrolle können angeordnet werden:

  • Schadenswiedergutmachung oder angemessene Teilzahlungen
  • Kontaktverbote oder Aufenthaltsbeschränkungen
  • Teilnahme an Beratung, Therapie oder Trainingsprogrammen
  • Nachweispflichten zu Wohnsitz, Arbeitssuche oder Beschäftigung
  • Alkohol- oder Drogenabstinenz mit Kontrollen

Bewährungshilfe und Kontrolle

Die Bewährungshilfe unterstützt, begleitet und berichtet. Sie dient als Bindeglied zwischen Gericht, Entlassenem und externen Unterstützungsangeboten und trägt zur Risikosteuerung bei.

Widerruf oder Fortbestand der Aussetzung

Bei Verstößen gegen Auflagen oder neuer Straftat wird die Situation erneut bewertet. Möglich sind Ermahnung, Anpassung der Weisungen, Verlängerung der Bewährungszeit oder der Widerruf. Beim Widerruf wird der ausgesetzte Strafrest wieder vollstreckt. Bleibt die Bewährung bewährungsfehlerfrei, endet die Strafvollstreckung mit Ablauf der Bewährungszeit.

Besondere Konstellationen

Jugendstrafrecht

Bei Jugendstrafen stehen Erziehungsgedanke, individuelle Förderung und Entwicklungsprognose im Vordergrund. Die Prüfung orientiert sich verstärkt an pädagogischen Gesichtspunkten, wobei Schutzinteressen weiterhin maßgeblich bleiben.

Lebenslange Freiheitsstrafe

Hier ist eine vorzeitige Entlassung nur unter besonders strengen Voraussetzungen möglich. Eine Prüfung erfolgt erst nach sehr langer Haftzeit. Schwere der Schuld, Gefährlichkeitsprognose und Opferbelange sind zentrale Faktoren.

Ersatzfreiheitsstrafe und kurze Freiheitsstrafen

Bei Ersatzfreiheitsstrafen und sehr kurzen Strafen spielt die vorzeitige Entlassung eine untergeordnete Rolle, da der Verbüßungszeitraum begrenzt ist und andere Beendigungsmöglichkeiten bestehen können. Bei kurzen Freiheitsstrafen wird teils vorrangig auf Haftvermeidung und vollzugsnahe Maßnahmen abgestellt.

Ausländerrechtliche Bezüge

Bei Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit können aufenthaltsrechtliche Entscheidungen und Anordnungen relevant werden. Dies kann die Entlassungsgestaltung beeinflussen und besondere Abstimmungen erforderlich machen.

Gesundheitsbedingte Entlassung

Schwere Erkrankungen oder besondere gesundheitliche Lagen können im Rahmen der Abwägung Bedeutung erlangen. Der Fokus liegt auf Zumutbarkeit des Vollzugs, Versorgungslage und Sicherheitsbelangen.

Abgrenzungen und verwandte Institute

Entlassung zum Zwei-Drittel-Termin versus Halbstrafe

Die Entlassung zum Zwei-Drittel-Termin ist die Regelfallprüfung. Eine Halbstrafen-Entlassung setzt darüber hinausgehende günstige Umstände und eine besonders positive Prognose voraus.

Offener Vollzug, Lockerungen, Ausgang

Lockerungen und offener Vollzug sind keine vorzeitige Entlassung. Sie dienen der schrittweisen Vorbereitung auf die Freiheit und liefern zugleich Beobachtungsdaten für die Prognoseentscheidung.

Vollverbüßung und Entlassung bei Strafende

Wird die Strafe vollständig verbüßt, erfolgt die Entlassung ohne Bewährungszeit. Die vorzeitige Entlassung tritt demgegenüber deutlich früher ein, ist aber an Auflagen gebunden.

Praktische Auswirkungen

Eintragungen und Führungszeugnis

Die vorzeitige Entlassung ändert nichts am Bestand der Verurteilung. Einträge in Registern bestehen unabhängig davon fort und werden nach allgemeinen Tilgungs- und Fristenregelungen gelöscht. Die Entlassung selbst führt nicht zu einer sofortigen Entfernung der Eintragung.

Schadenswiedergutmachung

Leistungen zur Wiedergutmachung oder anerkannte Bemühungen darum können im Rahmen der Entscheidung berücksichtigt werden. Sie können auch als Auflage Teil der Bewährungsbedingungen werden.

Mehrfachtäter und Rückfallrisiko

Bei einschlägigen Vorbelastungen steigen die Anforderungen an eine positive Prognose. Frühere Bewährungsbrüche oder Rückfälle werden regelmäßig in die Bewertung einbezogen.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft?

Es handelt sich um die Aussetzung des verbleibenden Strafrests zur Bewährung. Die betroffene Person wird vor Ablauf der vollen Haftzeit entlassen, lebt für eine festgelegte Bewährungszeit in Freiheit und muss rechtliche Auflagen und Weisungen befolgen. Die Verurteilung bleibt bestehen.

Wer entscheidet über eine vorzeitige Entlassung und wie läuft das Verfahren ab?

Die Entscheidung trifft die hierfür zuständige gerichtliche Stelle auf Grundlage von Stellungnahmen der Vollzugs- und Strafverfolgungsbehörden. Üblich sind eine persönliche Anhörung und eine schriftliche Begründung. Bei Ablehnung ist später eine erneute Prüfung möglich; es bestehen rechtliche Überprüfungsmöglichkeiten.

Nach welchem Anteil der Strafe ist eine vorzeitige Entlassung möglich?

Regelmäßig kommt eine Prüfung nach etwa zwei Dritteln der Strafe in Betracht. Unter besonderen Voraussetzungen ist eine Entscheidung bereits nach etwa der Hälfte möglich. Bei lebenslangen Strafen gelten deutlich längere Mindestzeiten. Anzurechnende Untersuchungshaft wird berücksichtigt.

Welche Kriterien sind für die Entscheidung maßgeblich?

Wesentlich ist eine günstige Zukunftsprognose. Berücksichtigt werden Verhalten im Vollzug, Tatgewicht, Belange Geschädigter, Wohn- und Arbeitsperspektiven, Teilnahme an Behandlungsprogrammen, soziale Einbindung und die Fähigkeit, Auflagen einzuhalten.

Ist die Entlassung nach zwei Dritteln automatisch?

Nein. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Ohne positive Prognose und tragfähige Rahmenbedingungen bleibt es bei weiterer Haft bis zur nächsten Prüfung oder bis zum Strafende.

Welche Folgen hat die Entlassung auf Bewährung?

Es wird eine Bewährungszeit festgelegt, in der Auflagen und Weisungen gelten. Die Bewährungshilfe begleitet und überwacht. Bei erfolgreichem Verlauf endet die Vollstreckung mit Ablauf der Bewährungszeit; bei Verstößen sind Anpassungen oder ein Widerruf möglich.

Was geschieht bei Verstößen gegen Auflagen oder bei neuer Straftat?

Bei Verstößen kommen Ermahnungen, zusätzliche Weisungen, Verlängerung der Bewährungszeit oder der Widerruf in Betracht. Bei Widerruf wird der Strafrest wieder vollstreckt. Eine neue Straftat kann gesondert geahndet werden und die Aussetzung gefährden.

Welche Bedeutung hat die vorzeitige Entlassung für das Führungszeugnis?

Die vorzeitige Entlassung bewirkt keine sofortige Löschung. Eintragungen richten sich nach allgemeinen Tilgungsfristen und bleiben bis zu deren Ablauf bestehen.