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Vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft


Vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft

Die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft bezeichnet die Möglichkeit, dass ein Strafgefangener das Gefängnis vor Ablauf der ursprünglich festgesetzten Freiheitsstrafe verlassen kann. Dieses Rechtsinstitut ist in Deutschland insbesondere in § 57 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und wird unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen angewendet. Die bewilligte Entlassung erfolgt in der Regel unter Auflagen und steht unter Bewährung. Ziel der Regelung ist die Förderung der Resozialisierung und eine schrittweise Wiedereingliederung in die Gesellschaft.


Gesetzliche Grundlagen

§§ 57, 57a und 57b Strafgesetzbuch (StGB)

Die wichtigste Rechtsgrundlage ist § 57 StGB, der die vorzeitige Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung für zeitige Freiheitsstrafen regelt. Für lebenslange Freiheitsstrafen gilt § 57a StGB, während § 57b StGB die Möglichkeit der Aussetzung auch bei Unterbringung in einer Entziehungsanstalt betrifft.

Strafvollzugsgesetze der Länder

Neben dem StGB sind Regelungen der jeweiligen Strafvollzugsgesetze der Bundesländer zu beachten. Sie konkretisieren das Verfahren zur Vorbereitung und Durchführung der vorzeitigen Entlassung.


Voraussetzungen der vorzeitigen Entlassung

Zweidrittel-Regelung und besondere Umstände

Gemäß § 57 Abs. 1 StGB kann ein Verurteilter in der Regel nach Verbüßung von zwei Dritteln der festgesetzten Freiheitsstrafe entlassen werden, sofern:

  • zwei Drittel der Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, vollstreckt sind,
  • die weitere Vollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht geboten ist,
  • die Entlassung unter Berücksichtigung von Persönlichkeitsentwicklung, Straftat und Sozialprognose verantwortet werden kann und
  • der Gefangene einwilligt.

Eine Entlassung bereits nach der Hälfte der Strafzeit ist nur möglich, wenn zusätzlich besondere Gründe vorliegen, die eine günstigere Prognose rechtfertigen.

Lebenslange Freiheitsstrafe

Gemäß § 57a StGB kann bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe der Rest grundsätzlich nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden, es sei denn, die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt oder Sicherheitsinteressen stehen entgegen.

Maßregelvollzug (§ 67c, § 67d StGB) und andere Fälle

Für Unterbringungen nach §§ 63, 64 StGB (z.B. psychiatrische oder suchttherapeutische Einrichtungen) finden abweichende Regelungen Anwendung. Die Voraussetzungen und Fristen können je nach Maßregel unterschiedlich sein.


Entscheidungsverfahren und beteiligte Stellen

Antrag und Einleitung des Verfahrens

Die vorzeitige Entlassung kann von der Gefängnisleitung (Justizvollzugsanstalt), der Strafvollstreckungskammer oder vom Gefangenen selbst, nach Beratung durch den Sozialdienst, schriftlich beantragt werden. Die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht ist für die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zuständig.

Ablauf der Prüfung

Die Entscheidung erfolgt auf Grundlage umfangreicher Aktenlage, Beurteilungen des Betreuungsdienstes, Prognosegutachten, Berichte der Justizvollzugsanstalt sowie ggf. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und Nebenkläger.

Ein persönliches Anhörungsgespräch des Gefangenen sowie eventuelle Gutachten sind zentrale Bestandteile der Entscheidungsfindung. Opfer der Straftat können im Rahmen des Opferbeteiligungsverfahrens angehört werden.


Rechtsfolgen der vorzeitigen Entlassung

Bewährungszeit und Auflagen

Die Reststrafaussetzung erfolgt stets unter Festsetzung einer Bewährungszeit, deren Dauer vom Gericht bestimmt wird (§ 56a StGB). Während dieser Zeit muss die entlassene Person diverse Auflagen und Weisungen befolgen. Diese können Geldzahlungen, Therapien, Kontaktverbote oder Meldeauflagen betreffen.

Bewährungsüberwachung

Die Überwachung erfolgt durch einen Bewährungshelfer. Dieser unterstützt die resozialisierende Wirkung und prüft die Erfüllung der Weisungen und Auflagen.

Widerruf der Bewährung

Bei erneuter Straffälligkeit oder Verstoß gegen Auflagen kann das Gericht die Bewährung widerrufen, sodass der noch offene Strafrest vollstreckt wird (§ 56f StGB).


Ausschluss- und Versagungsgründe

Ein Anspruch auf vorzeitige Entlassung existiert nicht. Das Gericht muss die Entwicklung des Verurteilten, sein zukünftiges Sozialverhalten sowie etwaige Gefährdungen für die Allgemeinheit prüfen. Gründe für die Ablehnung sind etwa:

  • ungünstige Sozialprognose,
  • mangelnde Reue,
  • wiederholte Disziplinarverstöße im Vollzug,
  • akute Rückfallgefahr.

In Fällen schwerster Kriminalität, insbesondere bei terroristischen oder sexualdelikten, wird die Aussetzung besonders restriktiv geprüft.


Internationale Vergleiche und Besonderheiten

Vergleichbare Regelungen zur bedingten oder vorzeitigen Entlassung existieren in nahezu allen europäischen Rechtssystemen, wenn auch mit teils abweichenden Fristen und Voraussetzungen.


Kritik und Reformdebatten

Immer wieder gibt es rechts- und gesellschaftspolitische Debatten über die Angemessenheit der Voraussetzungen und die Effektivität der vorzeitigen Entlassung zur Erreichung von Resozialisierungszielen, Opferschutz und Sicherheit.


Zusammenfassung

Die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft ist ein bedeutsames rechtliches Instrument zur Förderung der Rückführung Straffälliger in das gesellschaftliche Leben. Sie unterliegt einer Vielzahl gesetzlicher Voraussetzungen, gerichtlicher Prüfungen und Auflagen. Die Balance zwischen dem Resozialisierungsgedanken und dem Schutz der Allgemeinheit steht im Zentrum jeder Einzelfallentscheidung.

Häufig gestellte Fragen

Unter welchen Voraussetzungen kann eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft erfolgen?

Eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft, auch als Strafaussetzung zur Bewährung bekannt, ist gemäß § 57 StGB grundsätzlich unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Zunächst muss in der Regel mindestens die Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe verbüßt sein, wobei bei besonderen Ausnahmefällen – etwa bei lebenslanger Freiheitsstrafe – eine Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren gemäß § 57a StGB vorgesehen ist. Die wichtigste Voraussetzung ist die positive Legalprognose: Das Gericht muss nach einer Gesamtwürdigung des Verurteilten, seines Vorlebens, seiner Straftat und des Vollzugs davon überzeugt sein, dass keine Gefahr besteht, dass der Verurteilte während der Bewährungszeit erneut Straftaten begeht. Darüber hinaus sind das Verhalten im Strafvollzug, das Bemühen um Schadenswiedergutmachung, eventuelle Entlassungsvorbereitungen sowie die Sicherstellung einer Wohn- und ggf. Arbeitsmöglichkeit relevante Faktoren. Bei besonders schweren Straftaten gibt es gesetzliche Einschränkungen und verlängerte Sperrfristen.

Wer entscheidet über die vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft?

Die Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung trifft das zuständige Vollstreckungsgericht. Dies erfolgt grundsätzlich nach Antragstellung durch den Verurteilten oder, in einzelnen Fällen, auch von Amts wegen. Im Rahmen des Verfahrens wird die Justizvollzugsanstalt angehört, die regelmäßig eine Stellungnahme zur Person sowie zum Vollzugsverlauf abgibt. Das Gericht holt sodann weitere Auskünfte ein, zum Beispiel von Bewährungshelfern, Sozialarbeitern oder Gutachtern. Die abschließende gerichtliche Entscheidung wird durch einen sogenannten Strafvollstreckungsrichter im schriftlichen Verfahren oder nach mündlicher Anhörung getroffen und ist durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde sowie durch den Verurteilten anfechtbar.

Gibt es Straftaten, bei denen eine vorzeitige Entlassung ausgeschlossen ist?

Ja, für bestimmte Straftaten und Konstellationen sehen Gesetz und Rechtsprechung einen Ausschluss oder eine erhebliche Erschwernis der vorzeitigen Entlassung vor. Insbesondere bei Sicherungsverwahrung, Sexualstraftaten, terroristischen Straftaten oder schwersten Kapitaldelikten (z.B. Mord) gelten besondere verfahrensrechtliche und materielle Hürden. Bei lebenslanger Freiheitsstrafe ist zudem die Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren einzuhalten (§ 57a StGB). In Einzelfällen kann das Gericht jedoch auch hier nach individueller Prüfung und insbesondere bei Vorliegen besonderer Umstände eine Bewährung ermöglichen. Bei mehrfachen Rückfalltätern oder gefährlichen Rückfalltätern sind die gesetzlichen Grenzen besonders streng.

Wie läuft das Bewährungsverfahren nach einer vorzeitigen Haftentlassung ab?

Wird eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, wird der Entlassene unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers gestellt, der ihn unterstützt und kontrolliert. Das Gericht kann gemäß § 56c und § 56d StGB Weisungen erteilen (z.B. Wohnortnahme, Arbeitsaufnahme, Kontaktverbote, Therapieauflagen). Die Bewährungszeit richtet sich nach der Höhe der Reststrafe, darf jedoch fünf Jahre nicht überschreiten. Während der Bewährungszeit muss der Entlassene strikte Auflagen einhalten und darf keine weiteren Straftaten begehen. Bei Verstößen droht der sogenannte Bewährungswiderruf; das Gericht kann die Reststrafe in diesem Fall zur Verbüßung anordnen.

Welche Rolle spielt die Sozialprognose bei der Entscheidung?

Die Sozialprognose ist das zentrale Kriterium für die Entscheidung über die vorzeitige Haftentlassung. Sie erfasst die voraussichtliche Entwicklung des Verurteilten und beantwortet, ob künftig mit erneuten Straftaten gerechnet werden muss. Hierzu werden das bisherige und zukünftige soziale Umfeld, persönliche Reife, das Verhalten im Strafvollzug, die Integration in berufliche, familiäre und gesellschaftliche Strukturen, sowie Umgang und Distanz zu ehemaligen Tatgelegenheiten begutachtet. Die Prognose kann durch Gutachten oder Stellungnahmen von Sozialarbeitern und Bewährungshelfern ergänzt werden.

Welche Fristen und Antragsmöglichkeiten bestehen für eine vorzeitige Entlassung?

Der Antrag auf vorzeitige Entlassung kann frühestens nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestverbüßungszeit gestellt werden. Wird ein entsprechender Antrag abgelehnt, ist eine erneute Antragstellung frühestens nach sechs Monaten möglich (§ 454 Absatz 6 StPO). Der Antrag ist in der Regel zu begründen und sollte alle relevanten Umstände enthalten, die eine positive Entscheidung begünstigen können. Neben dem Verurteilten selbst können auch Bevollmächtigte oder der Verteidiger tätig werden. Das Gericht ist allerdings auch befugt, ohne Antrag, also von Amts wegen, tätig zu werden, wenn sich eine Entlassungsmöglichkeit abzeichnet.

Welche Rechtsmittel stehen gegen eine ablehnende Entscheidung zur Verfügung?

Gegen eine ablehnende Entscheidung über die vorzeitige Entlassung kann eine sofortige Beschwerde gemäß § 462 Absatz 3 StPO eingelegt werden. Die Beschwerde ist binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich oder zur Niederschrift bei Gericht einzulegen. Über die Beschwerde entscheidet sodann das Landgericht, grundsätzlich in einer Strafvollstreckungskammer mit mindestens zwei Richtern. Eine weitere Überprüfung ist unter bestimmten Umständen durch das Oberlandesgericht möglich, wenn schwerwiegende Verfahrensmängel vorliegen oder neue Tatsachen präsentiert werden.