Begriff und Einordnung: Vortat, straflose (mitbestrafte)
Die straflose (mitbestrafte) Vortat ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht und bezeichnet eine eigenständige Rechtsfigur. Sie beschreibt eine vor einer strafbaren Handlung begangene Tat, die an sich einen Straftatbestand erfüllt, deren Strafbarkeit aber durch Gesetz oder Rechtsprechung zurücktritt, weil sie von einer späteren (zumindest teilidentischen) Haupttat „mitbestraft“ wird. Ziel dieser Regelung ist die Vermeidung einer übermäßigen Bestrafung durch die Ahndung mehrerer jeweils für einen Lebenssachverhalt verübter Delikte (sogenanntes Verbot der Doppelbestrafung, Art. 103 Abs. 3 GG).
Die straflose Vortat findet insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten Mitbestrafungserwägungen bei mehreren deliktischen Handlungen Anwendung und hat sowohl im allgemeinen als auch im besonderen Teil des Strafgesetzbuches (StGB) erhebliche Bedeutung. Sie grenzt sich von der sogenannten mitbestraften Nachtat sowie Fällen der Konsumtion und Gesetzeskonkurrenz ab.
Grundsatz und Zweck der Mitbestrafung der Vortat
Bedeutung im Strafrecht
Der Grundsatz der straflosen (mitbestraften) Vortat beruht darauf, dass gewisse Teilhandlungen, welche notwendiger Bestandteil oder Voraussetzung einer schwereren Straftat sind, nicht gesondert mit Strafe bedroht werden sollen, sofern der gesamte Unrechtsgehalt bereits durch die Haupttat abgedeckt ist. Die Vortat tritt dabei strafrechtlich hinter die nachfolgende Tat zurück. Dies dient der Vermeidung einer sogenannten Doppelverfolgung ein und desselben Deliktsmoments.
Rechtsgrundlagen
Die Rechtsfigur der mitbestraften Vortat ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, sondern wurde durch ständige Rechtsprechung sowie durch die Lehre entwickelt. Maßgeblich ist hierbei, dass das Unrecht der Vortat vollständig oder zumindest ganz überwiegend im Unrecht der nachfolgenden Haupttat aufgeht.
Voraussetzungen und Anwendungsbereiche
Voraussetzungen der mitbestraften Vortat
Die Annahme einer straflosen (mitbestraften) Vortat setzt voraus:
- Identität des Unrechtsgehalts: Der Unrechtsgehalt der Vortat deckt sich vollständig oder zum überwiegenden Teil mit dem Unrechtsgehalt der Haupttat.
- Enge tatbestandliche, zeitliche oder sachliche Verbindung: Zwischen der Vortat und der Haupttat besteht ein innerer Zusammenhang, häufig im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.
- Keine gesetzliche Strafandrohung für die Vortat als selbstständiges Delikt, wenn sie mit der Haupttat zusammentrifft: Die Strafwürdigkeit wird von der Haupttat absorbiert.
Praxisrelevante Beispiele
Ein typisches Beispiel ist das Fälschen eines Dokuments als Vorbereitung zu dessen Gebrauch. Wird das gefälschte Dokument später im Rechtsverkehr verwendet, so wird regelmäßig nur der Gebrauch der Urkundenfälschung bestraft – das Herstellen (Fälschen) selbst gilt in diesem Zusammenhang als mitbestrafte Vortat (§ 267 StGB).
Ähnlich verhält es sich beim Diebstahl, dem meist ein Hausfriedensbruch vorausgeht, der im Rahmen des Delikts konsumiert wird und daher als mitbestrafte Vortat straflos bleibt, solange er in Tat- und Unrechtskontinuität zum Diebstahl steht.
Abgrenzung zu ähnlichen Rechtskonstruktionen
Mitbestrafte Nachtat
Im Gegensatz zur mitbestraften Vortat handelt es sich bei der mitbestraften Nachtat um eine nach der Haupttat begangene Handlung, die ebenfalls im Unrechtsgehalt der Haupttat aufgeht (wie z. B. die Flucht nach einer Tat bei Raub mit Gefahrenerhöhung).
Gesetzeskonkurrenz und Konsumtion
Bei der Gesetzeskonkurrenz kommt es darauf an, ob mehrere Strafnormen hintereinander Anwendung finden oder ob eine Vorschrift die andere „verdrängt“ (Spezialität, Subsidiarität, Konsumtion). Die mitbestrafte Vortat ist ein Unterfall der Konsumtion, bei welcher das Unrecht einer Vorhandlung im Unrecht einer umfassenderen Straftat aufgeht.
Rechtsprechung und Beispiele aus der Praxis
Beispielhafte Entscheidungen
Die höchstrichterliche Rechtsprechung (etwa BGHSt 15, 330) stellt darauf ab, dass etwa das unerlaubte Entfernen vom Unfallort beim vorsätzlichen Körperverletzungsdelikt mit Kraftfahrzeugen dann nicht gesondert zu bestrafen ist, wenn es in engem Zusammenhang mit der Haupttat steht.
Deliktsspezifische Anwendung
- Urkundendelikte: Das Fälschen und der anschließende Gebrauch der gefälschten Urkunde werden regelmäßig als natürliche Handlungseinheit betrachtet.
- Vermögensdelikte: Das Beiseiteschaffen einer Sache nach vollendetem Diebstahl kann als mitbestrafte Nachtat gewertet werden, wenn es ausschließlich dem sicheren Besitz dient.
Rechtsfolgen und Bedeutung für das Strafmaß
Einfluss auf die Strafzumessung
Durch die Berücksichtigung der Vorhandlung als mitbestrafte Vortat darf das Gericht im Rahmen der Strafzumessung das gesamte Unrecht einschließlich der mitbestraften Vorhandlungen einbeziehen, ohne dafür jedoch eine selbstständige Strafe auszusprechen.
Auswirkungen auf das Verfolgungshindernis
Die einmalige Berücksichtigung einer mitbestraften Vortat schließt in der Folge eine erneute Strafverfolgung wegen desselben Sachverhalts nach Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem) aus.
Sonderfälle und Ausnahmen
Mehrere vollständige Delikte
Sind die Vor- und Haupttat jeweils vollendete, selbstständige Delikte mit unterschiedlichen Unrechtsgehalten und unterschiedlichen Geschädigten, ist regelmäßig keine Mitbestrafung, sondern eine gesonderte Verfolgung geboten.
Fortgesetzte Deliktsbegehung
Bei fortgesetzten oder mehraktigen Delikten entscheidet der konkrete Einzelfall darüber, ob eine Teilhandlung lediglich eine mitbestrafte Vortat oder ein eigenständiges Delikt darstellt.
Zusammenfassung
Die straflose (mitbestrafte) Vortat ist ein wesentliches Institut zur Strukturierung der Strafbarkeit mehraktiger Deliktsverläufe im deutschen Strafrecht. Sie dient der Vermeidung von Doppelbestrafung und einer angemessenen Strafzumessung. Die genaue Abgrenzung zu weiteren Rechtsfiguren wie mitbestrafter Nachtat, Gesetzeskonkurrenz und Konsumtion ist oftmals anspruchsvoll und wird maßgeblich von Rechtsprechung und Einzelfallentscheidungen geprägt. Die Kenntnis der Grundsätze der mitbestraften Vortat ist für das Verständnis von Strafzumessung und Konkurrenzen im Strafrecht von zentraler Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wie grenzt sich die straflose (mitbestrafte) Vortat zur mitbestraften Nachtat ab?
Die straflose (mitbestrafte) Vortat und die mitbestrafte Nachtat sind beides Konstellationen, bei denen eine Handlung straflos bleibt, weil sie bereits im Rahmen einer anderen Haupttat mitbestraft wird (Konsumption). Die Abgrenzung erfolgt nach dem zeitlichen Bezug zum Hauptdelikt: Die straflose Vortat geht der Haupttat tatbestandlich oder tatsächlich voraus („Vorbereitungstat“), während die Nachtat nach der Haupttat erfolgt („Folgetat“). Ein klassisches Beispiel für eine mitbestrafte Vortat ist der Diebstahl einer Waffe, die anschließend bei einem Raub verwendet wird: Der Diebstahl der Waffe wäre eine straflose Vortat, weil er als Vorbereitungshandlung im Raub aufgeht. Im Gegensatz dazu ist das Verwischen von Spuren nach einem Diebstahl eine Nachtat, die unter gewissen Umständen (etwa bei Strafvereitelung) als eigenständiges Delikt verfolgt werden kann und seltener im Hauptdelikt aufgeht. Diese Unterscheidung ist relevant für die Frage, ob und wie eine Tat strafrechtlich berücksichtigt oder eigenständig verfolgt wird.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Vortat als straflos (mitbestraft) gilt?
Damit eine strafbare Vortat als straflos (mitbestraft) angesehen wird, muss sie in einem engen Zusammenhang mit der Haupttat stehen sowie deren tatbestandliche Ausführung fördern oder vorbereiten. Zudem darf die Vortat ihre strafrechtliche Bedeutung in der Haupttat verlieren, das heißt, sie wird von der Bewertung der Haupttat vollständig erfasst (Konkurrenzausschluss durch Konsumtion). Eine typische Voraussetzung ist, dass sich beide Taten gegen dasselbe Rechtsgut richten oder eine einheitliche Lebenssituation darstellen. Ein weiteres Kriterium ist, dass die Strafbarkeit der Vortat aus dem Blickwinkel des Unrechtsgehalts durch die spätere Haupttat vollständig mitabgegolten wird – etwa beim Einbrechen in ein Gebäude, das nur durchgeführt wird, um im nächsten Schritt einen Diebstahl zu begehen. Die Vortat wird dann als unselbständiger Teilakt betrachtet und bleibt im Strafverfahren außer Betracht.
Inwieweit spielt die subjektive Tatseite (Vorsatz) bei der straflosen Vortat eine Rolle?
Auch für die Bewertung der straflosen (mitbestraften) Vortat ist die subjektive Tatseite, insbesondere der Vorsatz, von großer Bedeutung. Der Täter muss bei Begehung der Vortat bereits den Willen oder zumindest den Plan haben, im weiteren Verlauf die Haupttat zu begehen. Fehlt diese Verknüpfung, ist die Vortat – z.B. ein eigenständiger Diebstahl ohne Bezug zur nachfolgenden Straftat – als selbständiges Delikt zu behandeln. Die Rechtsprechung fordert hierbei regelmäßig eine einheitliche Willensentschlussfassung, also dass die Vortat als vorbereitender Teil der späteren Haupttat erfolgt und nicht als bloß zufällige Vorhandlung. Die subjektive Tatherrschaft bezüglich beider Delikte ermöglicht erst die Konsumtion und somit die straflose Behandlung der Vortat.
Wie wirkt sich die straflose (mitbestrafte) Vortat auf die Strafzumessung der Haupttat aus?
Obwohl die straflose Vortat nicht als eigenständiges Delikt verfolgt wird, kann ihr Unrechtsgehalt bei der Strafzumessung der Haupttat berücksichtigt werden. Insbesondere bei besonders intensiven oder gefährlichen Vorbereitungsakten, etwa der schweren Einbruchssicherung beim geplanten Diebstahl, kann die Tat als besonders planvoll oder gefährlich eingestuft und damit straferschwerend gewertet werden. Dennoch bleibt die Vortat formell außer Betracht, findet aber auf materiellrechtlicher Seite als Zeichen für kriminelle Energie oder Professionalität Eingang in die Bewertung. Die Gerichte wägen bei der Strafzumessung ab, inwieweit die Vortathandlungen ein gesteigertes Maß an Schuld oder Gefährlichkeit des Täters indizieren.
Welche Bedeutung kommt der straflosen (mitbestraften) Vortat für den Versuchsbeginn zu?
Die Abgrenzung der straflosen (mitbestraften) Vortat zum Versuchsbeginn ist strafprozessual bedeutsam, da für den Versuch einer Straftat zumeist höhere Eingriffsschwellen im Ermittlungsverfahren gelten. Vorbereitungshandlungen, die einer späteren Haupttat vorausgehen, zählen im Regelfall zur straflosen Vortat, sofern noch keine objektive Betätigung des Tatentschlusses hinsichtlich des Hauptdelikts vorliegt. Überschreitet der Täter die Schwelle zum Versuch (Unmittelbares Ansetzen zur Tat), liegt keine bloße straflose Vortat mehr vor, sondern es beginnt die Strafbarkeit wegen des Versuchs. Die Unterscheidung wird, je nach Deliktstypus, durch eine Einzelfallprüfung hinsichtlich Gefährdung oder Nähe zur Tatvollendung getroffen.
Gibt es Ausnahmen, bei denen eine Vortat nicht straflos bleibt und gesondert bestraft wird?
Ja, es existieren Ausnahmen: Insbesondere, wenn die Vortat einen eigenen, von der Haupttat unabhängigen Unrechtsgehalt hat oder sich gegen ein anderes Rechtsgut richtet, ist eine eigenständige Verfolgung geboten. Auch wenn die Vortat von einem anderen oder zusätzlichen Täter begangen wurde (z.B. Mittäter- oder Teilnehmerkonstellation), der an der Haupttat nicht oder anders beteiligt ist, kommt es zur getrennten Strafverfolgung. Außerdem kann das Gesetz ausdrücklich eine Qualifikation oder eine besondere Strafbarkeit für bestimmte Vorbereitungshandlungen vorsehen, wie es etwa bei bewaffnetem Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244a StGB) oder bei der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) der Fall ist. In solchen Konstellationen ist die Vortat nicht von der Haupttat konsumiert, sondern wird separat sanktioniert.