Begriff und Einordnung
Die straflose (mitbestrafte) Vortat bezeichnet eine vorangehende Handlung, die der Vorbereitung oder unmittelbaren Durchführung einer späteren Haupttat dient und deren Unrechtsgehalt in der Strafe für die Haupttat aufgeht. Sie wird deshalb nicht gesondert abgeurteilt. Grundlage ist das Konkurrenzrecht: Treffen rechtlich mehrere Delikte auf denselben Lebenssachverhalt, kann es je nach Verhältnis der Tatbestände dazu kommen, dass eine Handlung hinter einer anderen zurücktritt (Konsumtion). Die mitbestrafte Vortat ist ein Fall dieses Zurücktretens, weil sie als typischer Bestandteil der Haupttat angesehen wird.
Abgrenzungen und Systematik
Mitbestrafte Vortat versus mitbestrafte Nachtat
Die mitbestrafte Vortat geht der Haupttat zeitlich voraus und ermöglicht oder erleichtert sie. Demgegenüber folgt die mitbestrafte Nachtat auf die Haupttat und dient typischerweise der Sicherung, Vertuschung oder Verwertung des bereits erlangten Taterfolgs. Beide Institute beruhen auf demselben Grundgedanken: Der Unrechtsgehalt bestimmter Begleitmaßnahmen wird durch die Bewertung der Haupttat mit erfasst, sofern keine eigenständigen zusätzlichen Rechtsgutverletzungen oder Schutzrichtungen berührt sind.
Abgrenzung zu Tateinheit und Tatmehrheit
Bei Tateinheit erfüllt eine Handlung mehrere Straftatbestände gleichzeitig; in der Entscheidung werden alle verwirklichten Delikte genannt, auch wenn nur eine Gesamtstrafe gebildet wird. Bei Tatmehrheit stehen mehrere Handlungen nebeneinander, es werden mehrere Strafen zu einer Gesamtstrafe zusammengeführt. Die mitbestrafte Vortat unterscheidet sich von beiden Konstellationen: Sie wird nicht als eigenes Delikt im Schuldspruch aufgeführt, sondern findet ausschließlich im Rahmen der Haupttat Berücksichtigung.
Verhältnis zu Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion
Die Einordnung als mitbestrafte Vortat ist ein Anwendungsfall der Konsumtion: Ein umfassenderer Straftatbestand „verbraucht“ einen weniger weitreichenden. Spezialität meint, dass der speziellere Tatbestand den allgemeineren verdrängt; Subsidiarität, dass ein Tatbestand nur greift, wenn kein vorrangiger erfüllt ist. Die mitbestrafte Vortat wird vor allem unter dem Gesichtspunkt der Konsumtion geprüft.
Voraussetzungen der mitbestraften Vortat
Zeitlich-funktionaler Zusammenhang
Zwischen Vortat und Haupttat muss ein enger zeitlicher und funktionaler Zusammenhang bestehen. Die Vortat muss erkennbar auf die Durchführung der Haupttat ausgerichtet sein und in engem Ablauf mit ihr stehen.
Typische Vorbereitungs- oder Ausführungshandlung
Die Vortat muss eine Handlung darstellen, die nach allgemeiner Lebensauffassung typischerweise den Weg zur Haupttat bereitet oder sie ausführt. Reine Anfahrts- oder Alltagsvorbereitungen sind regelmäßig rechtlich neutral; strafbare Vorbereitungsschritte können hingegen als mitbestrafte Vortat in der Haupttat aufgehen.
Kein eigenständiger zusätzlicher Schutzzweck
Die Vortat geht nur dann in der Haupttat auf, wenn ihr Unrechts- und Schuldgehalt durch die Haupttat abgedeckt ist. Betrifft die Vortat ein anderes Schutzgut oder verfolgt sie einen eigenständigen Schutzzweck, ist eine gesonderte Ahndung regelmäßig erforderlich.
Keine erhebliche Zusatzverletzung
Führt die Vortat zu zusätzlichen, gewichtigen Rechtsgutverletzungen, die über das zur Haupttat Erforderliche deutlich hinausgehen, spricht dies gegen eine Mitbestrafung. In solchen Fällen stehen die Delikte regelmäßig nebeneinander.
Rechtsfolgen
Keine eigenständige Verurteilung
Liegt eine mitbestrafte Vortat vor, wird nur wegen der Haupttat verurteilt. Die Vortat erscheint nicht als eigener Schuldspruchbestandteil und führt zu keiner zusätzlichen Strafe.
Berücksichtigung bei der Strafzumessung
Der zugrunde liegende Lebenssachverhalt einschließlich der Vortat kann bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Das heißt, die konkrete Art und Weise der Vorbereitung oder Durchführung kann sich auf die Höhe der Strafe für die Haupttat auswirken.
Auswirkungen auf Verjährung und Schuldspruch
Die Verfolgung richtet sich nach der Haupttat. Der Tatzeitraum kann die mitbestrafte Vortat umfassen, wenn sie als Teil des einheitlichen Geschehens bewertet wird. Im Schuldspruch wird jedoch nur die Haupttat benannt.
Beispiele und Grenzfälle
Typische Fälle der Absorption
- Unbefugtes Betreten eines Tatorts, um dort unmittelbar eine Wegnahme zu begehen: Das Betreten steht typischerweise im Dienst der späteren Vermögensverletzung und geht in ihr auf.
- Aufbrechen einer Zugangssicherung, um die Haupttat zu ermöglichen: Das gewaltsame Öffnen wird regelmäßig als Teil der Ausführungshandlung mit erfasst.
- Unmittelbare Sicherungsmaßnahmen noch am Tatort, die die Durchführung der Haupttat absichern: Diese Handlungen treten typischerweise hinter die Haupttat zurück.
Fälle ohne Absorption
- Vorbereitungen, die ein anderes Schutzgut betreffen oder eigenständige Gefährdungen schaffen: Hier steht die Vortat häufig selbstständig neben der Haupttat.
- Gewalthandlungen, die deutlich über das zur Durchführung der Haupttat Erforderliche hinausgehen: Zusätzliche erhebliche Verletzungen führen regelmäßig zu getrennter Bewertung.
- Der Einsatz verbotener Gegenstände mit eigenständiger Gefährdungslage: Solche Verstöße werden häufig unabhängig von der Haupttat geahndet.
- Fälschungs- oder Täuschungshandlungen mit eigenem Schutzzweck: Diese Delikte weisen in der Regel eine eigenständige Schutzrichtung auf und treten daher nicht zurück.
Mehraktige Geschehen und Zäsuren
Unterbrechungen, Planänderungen oder deutliche zeitliche Abstände können den notwendigen Zusammenhang lösen. Wird die Vortat als abgeschlossene, eigenständige Handlung bewertet und fehlt der enge Funktionszusammenhang, liegt keine mitbestrafte Vortat vor.
Praktische Bedeutung im Verfahren
Anklage und Tenorierung – Grundzüge
Im Verfahren wird die Haupttat als maßgeblicher Vorwurf formuliert. Die Vortat erscheint nicht eigenständig im Schuldspruch, kann aber in der Sachverhaltsschilderung beschrieben sein, um den Ablauf und die Bewertung des Unrechts zu verdeutlichen.
Beweiswürdigung und Sachverhaltsdarstellung
Für die rechtliche Einordnung ist die genaue zeitliche und inhaltliche Verknüpfung zwischen Vortat und Haupttat entscheidend. Die Feststellungen müssen erkennen lassen, ob die Vortat typischer Bestandteil der Haupttat war oder ob eigenständige Rechtsgüter betroffen sind.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „straflose (mitbestrafte) Vortat“ in einfachen Worten?
Es handelt sich um eine vorangehende Handlung, die der späteren Haupttat dient und deren Unrecht bereits in der Bestrafung der Haupttat enthalten ist. Deshalb wird sie nicht separat verurteilt.
Worin unterscheidet sich die mitbestrafte Vortat von der mitbestraften Nachtat?
Die Vortat liegt vor der Haupttat und ermöglicht sie, die Nachtat folgt ihr und dient meist der Sicherung oder Verwertung des Taterfolgs. Beide können von der Haupttat mitumfasst sein, wenn kein eigenständiger zusätzlicher Unrechtsgehalt vorliegt.
Nach welchen Kriterien wird entschieden, ob eine Vortat mitbestraft ist?
Maßgeblich sind ein enger zeitlich-funktionaler Zusammenhang, die typische Rolle der Handlung als Vorbereitung oder Ausführung der Haupttat sowie das Fehlen eines eigenständigen zusätzlichen Schutzinteresses oder einer erheblichen Zusatzverletzung.
Kann eine mitbestrafte Vortat die Höhe der Strafe beeinflussen?
Ja. Auch wenn die Vortat nicht separat verurteilt wird, kann sie im Rahmen der Strafzumessung für die Haupttat berücksichtigt werden, etwa hinsichtlich Planung, Intensität und Risiko.
Gibt es typische Beispiele für mitbestrafte Vortaten?
Typisch sind Handlungen wie das unbefugte Betreten des Tatorts oder das Öffnen von Sicherungen, wenn diese direkt der Durchführung der Haupttat dienen und keine zusätzlichen eigenständigen Rechtsgutverletzungen verursachen.
Wann liegt keine mitbestrafte Vortat vor?
Wenn die Vortat ein anderes Schutzgut betrifft, deutlich über das zur Haupttat Erforderliche hinausgeht oder eigene erhebliche Rechtsgutverletzungen verursacht, steht sie regelmäßig selbstständig neben der Haupttat.
Welche Bedeutung hat der zeitliche Abstand zwischen Vortat und Haupttat?
Ein enger zeitlicher Ablauf spricht für Mitbestrafung. Größere Abstände, Unterbrechungen oder Planwechsel können den Zusammenhang lösen und zu selbstständiger Ahndung führen.
Wie wirkt sich die Einordnung als mitbestrafte Vortat auf den Schuldspruch aus?
Im Schuldspruch wird nur die Haupttat benannt. Die Vortat erscheint nicht als eigenes Delikt, kann aber in den Gründen zur Beschreibung des Tatgeschehens dargestellt werden.