Vortäuschen einer Straftat
Das Vortäuschen einer Straftat ist ein Straftatbestand im deutschen Strafrecht, der das bewusste und absichtliche Erwecken des Anscheins einer nicht begangenen Straftat unter Strafe stellt. Ziel der Regelung ist der Schutz der Strafrechtspflege vor unnötiger Inanspruchnahme und Irreführung staatlicher Strafverfolgungsorgane. Der Straftatbestand findet sich in § 145d Strafgesetzbuch (StGB).
Rechtsgrundlage und gesetzliche Regelung
Wortlaut des § 145d StGB
§ 145d StGB – Vortäuschen einer Straftat – lautet in aktueller Fassung:
„(1) Wer wider besseres Wissen bei einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht,
1. dass eine rechtswidrige Tat begangen worden sei, oder
2. dass eine bestimmte Person eine rechtswidrige Tat begangen habe,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Schutzgut
Das primäre Schutzgut des § 145d StGB ist die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege. Die Norm soll verhindern, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte durch fingierte Anzeigen sowie falsche Angaben in ihrer Arbeit gehindert und Ressourcen verschwendet werden. Sekundär werden auch einzelne Personen vor unberechtigten strafrechtlichen Nachstellungen geschützt.
Tatbestandsmerkmale
Tathandlung
Der Straftatbestand erfasst verschiedene Handlungen:
- Vortäuschen einer rechtswidrigen Tat: Es wird der Tatbestand einer von Amts wegen verfolgbaren rechtswidrigen Tat, insbesondere eine Straftat, fingiert, also so dargestellt, als sei diese begangen worden, ohne dass dies der Wahrheit entspricht.
- Vortäuschen der Täterschaft einer bestimmten Person: Hier wird behauptet oder suggeriert, eine bestimmte Person habe eine Strafhandlung begangen, obwohl dies nicht zutrifft.
Diese Tathandlungen müssen gegenüber einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle erfolgen. Dazu zählen insbesondere Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Objektiver Tatbestand
Wesentliche Merkmale sind:
- Adressat: Die Täuschung muss gegenüber einer inländischen Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle stattfinden. Informelle Mitteilungen außerhalb dieses Rahmens, etwa an Privatpersonen, sind nicht tatbestandsrelevant.
- Vortäuschen: Vermittelt werden muss der Eindruck einer tatsächlich nicht begangenen Tat oder einer Tatbegehung durch eine bestimmte, tatsächlich nicht involvierte Person.
- relevante Tat: Maßgeblich ist das Vortäuschen rechtswidriger Taten, vornehmlich Straftaten, d. h. Handlungen, die mit Strafe bedroht sind und zumindest einen Anfangsverdacht auslösen können.
Subjektiver Tatbestand
Der Täter muss wider besseres Wissen handeln, das heißt, er weiß um die Unwahrheit der gemachten Angaben und nimmt dies bewusst in Kauf. Fahrlässiges melden falscher Tatsachen reicht nicht aus, es ist stets eine vorsätzliche, wissentlich falsche Angabe erforderlich.
Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen
Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB)
Der Straftatbestand der falschen Verdächtigung nach § 164 StGB unterscheidet sich darin, dass hierbei eine andere Person eines Vergehens oder Verbrechens bezichtigt wird, um ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen diese Person herbeizuführen. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Herbeiführen von Sanktionen für Unbeteiligte, während § 145d StGB in erster Linie die Rechtsanwendung schützt.
Falsche uneidliche Aussage und Meineid (§§ 153, 154 StGB)
Das Vortäuschen einer Straftat ist von der falschen Zeugenaussage oder dem Meineid abzugrenzen, da sich letztere auf uneidliche oder eidliche Aussagen vor Gericht beziehen, während § 145d StGB bereits die Stufe der bloßen Anzeige umfasst.
Vortäuschen von Tatsachen bei anderen Behörden
Nicht jede unwahre Behauptung gegenüber Behörden fällt unter § 145d StGB. Die Vorschrift ist auf das Vortäuschen strafbarer Handlungen zugeschnitten und grenzt sich von Allgemeintatbeständen wie Betrug (§ 263 StGB) oder Urkundenfälschung (§ 267 StGB) ab.
Strafmaß und Rechtsfolgen
Strafrahmen
Die Sanktion für das Vortäuschen einer Straftat beträgt gemäß § 145d StGB Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
Verfahrensrechtliche Konsequenzen
Das Vortäuschen einer Straftat rechtfertigt nicht nur die Strafverfolgung des Täters, sondern kann auch zivilrechtliche Ansprüche der zu Unrecht belasteten Person begründen, beispielsweise Schadensersatzforderungen wegen erlittener Nachteile infolge der falschen Anzeige.
Vorliegen eines öffentlichen Interesses
Die Strafverfolgung erfolgt grundsätzlich im öffentlichen Interesse und bedarf keiner Antragstellung, da es sich um ein Offizialdelikt handelt.
Praktische Beispiele und Anwendungsfälle
Beispiel 1: Vortäuschen eines Diebstahls
Ein Versicherungsnehmer meldet den Diebstahl eines Fahrrads bei der Polizei an, um von seiner Versicherung Leistungen zu erhalten. Der Diebstahl hat jedoch nie stattgefunden.
Beispiel 2: Falsche Beschuldigung einer Person
Eine Person behauptet bei der Polizei, ihr Nachbar habe ein Auto gestohlen, ohne dass dies der Wahrheit entspricht. Der Nachbar wird zu Unrecht verdächtigt.
Beispiel 3: Falsche Bombendrohung ohne Täterbenennung
Ein Unbekannter ruft bei der Polizei an und meldet, dass ein Sprengsatz in einem Einkaufszentrum platziert worden sei, obwohl kein tatsächlicher Sprengsatz existiert.
Weitere rechtliche Aspekte
Versuch
Der Versuch des Vortäuschens einer Straftat ist nach deutschem Recht nicht strafbar, da es sich um ein sogenanntes Vergehen handelt und der Versuch von Vergehen nur in Ausnahmefällen ausdrücklich unter Strafe gestellt ist, was bei § 145d StGB nicht zutrifft.
Täterschaft und Teilnahme
Täter kann jede natürliche, einsichts- und steuerungsfähige Person sein. Mittäterschaft und Anstiftung sind nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts möglich.
Straflosigkeit bei Rücknahme
Eine bloße Rücknahme der irreführenden Anzeige führt nicht automatisch zur Straflosigkeit. Sie kann bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt werden, beseitigt die Strafbarkeit jedoch grundsätzlich nicht.
Statistik und Relevanz in der Praxis
Das Vortäuschen einer Straftat ist in der Praxis kein selten vorkommendes Delikt. Besonders in Fällen mit Versicherungsbezug, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder bei geltend gemachten Opferschutzinteressen finden sich immer wieder Sachverhalte, die zu Strafverfahren nach § 145d StGB führen.
Literatur und weiterführende Vorschriften
- § 145d StGB – Vortäuschen einer Straftat
- § 164 StGB – Falsche Verdächtigung
- § 153 StGB – Falsche uneidliche Aussage
- § 263 StGB – Betrug
- Strafprozessordnung (StPO)
- BGH, Urteil v. 1.6.1994 – 3 StR 171/94
Fazit
Das Vortäuschen einer Straftat nach § 145d StGB ist ein bedeutender Straftatbestand zum Schutz der Rechtsanwendung und der Verhinderung missbräuchlicher behördlicher Belastungen. Die Norm erfasst insbesondere das absichtliche und wissentlich unwahre Melden von Straftaten bei Behörden. Sie dient sowohl dem Schutz der öffentlichen Interessen an einer funktionierenden Strafverfolgung als auch dem Interesse betroffener Einzelpersonen an dem Schutz vor unbegründeten strafrechtlichen Maßnahmen. In der Praxis zeigt sich der Straftatbestand in vielfältigen Konstellationen und ist für eine funktionierende Strafjustiz von zentrale Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Strafen drohen beim Vortäuschen einer Straftat gemäß deutschem Strafrecht?
Das Vortäuschen einer Straftat ist in § 145d Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Wer einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger wider besseres Wissen vortäuscht, dass eine rechtswidrige Tat begangen worden sei, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine solche Tat fälschlicherweise verdächtigt oder vortäuscht, dass eigene Beteiligung oder Mittäterschaft vorliege. Das Strafmaß orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls, insbesondere am Ausmaß der Täuschung und den damit verbundenen Folgen, etwa dem Umfang der ausgelösten Ermittlungen. In gravierenden Fällen können zusätzliche strafprozessuale Nebenfolgen wie die Übernahme der Ermittlungskosten und weitere Auflagen verhängt werden.
Wann macht sich jemand strafbar, wenn er eine Straftat vortäuscht?
Eine Strafbarkeit setzt voraus, dass die Täuschung gegenüber einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger erfolgt und der Täter dabei mit Wissen um die Unwahrheit handelt. Die bloße Falschangabe gegenüber Privatpersonen ist nicht ausreichend. Es reicht aus, wenn eine Anzeige bei der Polizei, Staatsanwaltschaft oder einer anderen zuständigen staatlichen Stelle erstattet wird, ohne dass tatsächlich eine Tat vorliegt. Entscheidend ist, dass dadurch behördliche Ermittlungen ausgelöst werden können oder tatsächlich ausgelöst wurden.
Welche Behörden sind beim Tatbestand des § 145d StGB relevant?
Der Gesetzestext nennt explizit Behörden oder Amtsträger mit Zuständigkeit für Anzeigen. Dazu zählen insbesondere Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte, aber gegebenenfalls auch Zoll- und Ordnungsbehörden. Nicht ausreichend hingegen ist das Vortäuschen einer Straftat gegenüber rein privaten Personen oder Organisationen, sofern diese nicht zur Entgegennahme strafrechtlicher Anzeigen befugt sind. In Zweifelsfällen können auch Angestellte im öffentlichen Dienst darunterfallen, sofern sie eine Anzeigeentgegennahmefunktion wahrnehmen.
Welche Rolle spielt die Absicht des Täters?
Vorsatz ist zwingende Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 145d StGB. Das bedeutet, der Täter muss wider besseres Wissen handeln, also wissen, dass die Anzeige falsch und die Tat nicht begangen worden ist. Wer sich irrt oder gutgläubig eine vermeintliche Straftat meldet, macht sich nicht strafbar. Die Rechtsprechung verlangt also nachweislich eine bewusste Irreführung der Behörden.
Gibt es strafmildernde oder straferschwerende Umstände?
Das Gericht kann je nach Schwere der Folgen und den Beweggründen des Täters den Strafrahmen ausschöpfen. Strafmildernd kann bei geringerem Aufwand der ausgelösten Ermittlungen oder bei schnellen Widerruf der falschen Anzeige entschieden werden. Straferschwerend wirken sich umfangreiche, kostspielige Ermittlungen aus, insbesondere wenn damit erhebliche Ressourcen gebunden oder andere Strafverfahren verzögert werden. Das Motiv des Täters, z. B. um andere anzuschwärzen oder von eigenen Straftaten abzulenken, kann ebenfalls das Strafmaß beeinflussen.
Kann der Staat die durch das Vortäuschen entstandenen Kosten zurückfordern?
Ja, gemäß § 465 StPO (Strafprozessordnung) und ergänzenden Vorschriften kann die Staatskasse vom Täter die durch die Ermittlungen entstandenen Kosten zurückfordern. Das umfasst insbesondere Aufwendungen für Polizeieinsätze, Gutachten, Spurensicherungen oder weitere Maßnahmen, die zur Aufklärung der vermeintlichen Straftat durchgeführt wurden. Die Rückforderung erfolgt in einem gesonderten Kostenfestsetzungsverfahren.
Unterliegt das Vortäuschen einer Straftat der Verjährung?
Wie alle Straftaten unterliegt auch das Vortäuschen einer Straftat der gesetzlichen Verjährung. Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist für Taten, die mit einer Höchststrafe von bis zu drei Jahren bedroht sind, fünf Jahre. Die Frist beginnt mit der Beendigung der Tat, also meist mit der Vortäuschungshandlung.
Wird der Versuch der Tat ebenfalls bestraft?
Nein, beim Vortäuschen einer Straftat ist lediglich die vollendete Tat gemäß § 145d StGB strafbar. Ein Versuch ist nicht explizit strafbar. Erst mit dem tatsächlichen Vorgang der Anzeigeerstattung gegenüber einer zuständigen Behörde ist die Tat vollendet und kann verfolgt werden.