Begriff und rechtliche Definition von Vorstrafen
Vorstrafen sind im deutschen Recht Eintragungen in das Bundeszentralregister (BZR), die strafgerichtliche Entscheidungen dokumentieren, in denen eine Person rechtskräftig einer Straftat schuldig gesprochen wurde. Der Begriff „Vorstrafe“ bezieht sich dabei ausschließlich auf eine strafrechtliche Ahndung (§ 4 BZRG). Ordnungswidrigkeiten, Erziehungsmaßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz oder bloße Ermittlungsverfahren gelten hierbei nicht als Vorstrafe.
Vorstrafen dienen primär dem Zweck, den Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden sowie bestimmten weiteren Stellen eine Informationsgrundlage über die strafrechtliche Vorgeschichte einer Person zur Verfügung zu stellen. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Bundeszentralregister, das die persönlichen Daten sowie die wesentlichen Inhalte der rechtskräftigen Entscheidungen enthält.
Eintragung ins Bundeszentralregister (BZR)
Voraussetzungen für die Eintragung
Im Bundeszentralregister werden alle rechtskräftigen Strafaussprüche dokumentiert, sofern diese nicht ausdrücklich ausgenommen sind. Nach § 4 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) werden insbesondere folgende Urteile eingetragen:
- Freiheitsstrafen (unabhängig von deren Höhe)
- Jugendstrafe (ab einer Dauer von mehr als einem Jahr)
- Geldstrafen ab 90 Tagessätzen
- Maßregeln der Besserung und Sicherung (z.B. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt)
- Verurteilungen ausländischer Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen
Nicht eingetragen werden vor allem geringfügige Verurteilungen wie Geldstrafen unter 90 Tagessätzen, sofern keine weiteren erheblichen Strafen vorliegen, sowie bestimmte jugendgerichtliche Sanktionen wie Verwarnungen, Auflagen oder Arbeitsweisungen.
Inhalt und Umfang der Eintragungen
Die Eintragungen enthalten folgende Informationen:
- Persönliche Daten der betroffenen Person (Name, Geburtsdatum, Geburtsort)
- Aktenzeichen des Gerichts
- Strafvorschrift, die angewendet wurde
- Ausspruch und Inhalt der Strafe
- Datum der Rechtskraft
Die Eintragungen werden zentral beim Bundesamt für Justiz verwaltet.
Löschung und Tilgung von Vorstrafen
Tilgungsfristen nach dem BZRG
Vorstrafen werden nicht unbegrenzt aufbewahrt. Das Bundeszentralregistergesetz sieht so genannte Tilgungsfristen (§§ 46 ff. BZRG) vor, nach deren Ablauf die Eintragung auf Antrag oder automatisch entfernt wird. Die Tilgungsfristen variieren abhängig von Art und Höhe der verhängten Strafe:
- Drei Jahre: Bei erstmaligen geringfügigen Verurteilungen, wie Geldstrafen unter 90 Tagessätzen und Jugendstrafen unter einem Jahr, sofern weitere Voraussetzungen erfüllt sind.
- Fünf Jahre: Bei Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten oder Geldstrafen über 90 Tagessätzen.
- Zehn bis 15 Jahre: Bei schwereren Verurteilungen, insbesondere Freiheitsstrafen über drei Monate und bestimmten Sexualstraftaten.
- 20 Jahre: Bei Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe oder bestimmten Sexual- und Kapitaldelikten.
Die Tilgung bewirkt, dass die betreffende Person als „unbestraft“ im Sinne des Bundeszentralregisters gilt (§ 51 Abs. 1 BZRG). Die Frist beginnt in der Regel mit dem Tag, an dem das Urteil rechtskräftig wird.
Wirkungen der Tilgung
Nach erfolgter Tilgung dürfen die betreffenden Verurteilungen grundsätzlich nicht mehr zum Nachteil der betreffenden Person verwertet werden. Auch Behörden, Arbeitgeber oder Gerichte erhalten darauf keinen Zugriff mehr, es sei denn, gesetzlich sind Ausnahmen vorgesehen. Nach der Tilgung darf sich die betroffene Person als nicht vorbestraft bezeichnen.
Das Führungszeugnis
Das polizeiliche Führungszeugnis ist ein Auszug aus dem Bundeszentralregister und wird auf Antrag der betroffenen Person erteilt. Es stellt jedoch keine vollständige Auflistung aller Vorstrafen dar, sondern enthält nur bestimmte Eintragungen:
- Eintragungen werden bei geringen Strafen oder jugendgerichtlichen Maßnahmen meist nicht aufgenommen.
- Tilgungsreife Verurteilungen erscheinen nicht mehr.
- Ein erweitertes Führungszeugnis enthält zusätzliche Informationen, beispielsweise bei Tätigkeiten mit Kindern oder Jugendlichen (§ 30a BZRG).
Dadurch kann es vorkommen, dass im BZR eine Vorstrafe existiert, die jedoch nicht im Führungszeugnis aufgeführt ist.
Auswirkungen und Folgen von Vorstrafen
Strafzumessung und Wiederholungstäter
Vorstrafen spielen bei neuen Straftaten eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Gerichte wägen bei der Verhängung neuer Strafen die Vorbelastung ab. Eine vorhandene einschlägige Vorstrafe kann als straferschwerend gewertet werden, wohingegen eine lange Zeit ohne Rückfall ggf. strafmildernd wirkt. Wiederholungstäter oder Rückfalltäter müssen mit härteren Strafen rechnen.
Verwertungsverbot
Nach Tilgung oder nach Ablauf bestimmter Fristen (§ 51 BZRG) dürfen Vorstrafen den Betroffenen grundsätzlich nicht mehr vorgehalten oder zu seinem Nachteil verwendet werden. Es bestehen auch sonst im Laufe von Strafverfahren, etwa bei Bewährungsentscheidungen (§ 56 StGB), besondere Regeln für die Verwertung von Vorstrafen.
Auswirkungen auf Berufsleben und Gesellschaft
Vorstrafen können weitreichende Konsequenzen für das Privat- und Berufsleben haben. So können sie:
- Die Einstellung in bestimmten Berufen verhindern, insbesondere im öffentlichen Dienst oder bei Tätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen
- Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt, Versicherungen oder Kreditanträge haben
- Zu einem Einreiseverbot oder einer Ausweisung aus einem anderen Staat führen
Diese Auswirkungen betreffen jedoch in der Regel nur noch „ungetilgte“ Vorstrafen, also solche, die weiterhin im Führungszeugnis erscheinen.
Rechtliche Besonderheiten bei Jugendlichen
Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) sieht spezielle Regelungen für Vorstrafen vor. Nicht jede jugendgerichtliche Entscheidung wird im BZR als Vorstrafe vermerkt. Lediglich die Verhängung von Jugendstrafe beim Jugendlichen gilt als Vorstrafe, sofern sie nicht zur Bewährung ausgesetzt ist oder nicht auf Dauer von mehr als einem Jahr ausgesprochen wurde.
Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel wie Arrest oder Verwarnungen werden in der Regel nicht im Bundeszentralregister aufgeführt. Dies dient dem Gedanken des Erziehungsprimats und der Resozialisierung jugendlicher Straftäter.
Sonderfälle und Ausnahmen
Auslandseintragungen
Auch im Ausland erfolgte Verurteilungen können gemäß § 54 BZRG in das deutsche Bundeszentralregister übertragen werden, wenn sie einer Entscheidung eines deutschen Gerichts gleichwertig sind. Die Relevanz im nationalen Strafrecht und bei Führungszeugnissen ist im Einzelfall zu prüfen.
Mehrfacheintragungen und Gesamtstrafen
Bei mehreren Verurteilungen werden diese jeweils einzeln im Register dokumentiert. Bei Gesamtstrafen wird die Eintragung entsprechend angepasst und fortgeführt, bis auch die letzte Einzelstrafe getilgt wurde.
Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen
Für bestimmte Berufsgruppen, z.B. im Sicherheitsdienst oder Verkehrsbereich, bestehen erweiterte Anzeigepflichten und strengere Anforderungen hinsichtlich Vorstrafen. Gesetzlich sind hier oft längere Fristen oder weitergehende Offenbarungspflichten vorgesehen.
Fazit
Vorstrafen sind ein zentrales Instrument der deutschen Strafrechtspflege und finden ihren Niederschlag im Bundeszentralregister. Sie dokumentieren die strafrechtliche Vergangenheit einer Person und wirken sich unter anderem auf Strafzumessung, Bewährung, gesellschaftliche Teilhabe und berufliche Möglichkeiten aus. Die Tilgung von Vorstrafen ist gesetzlich geregelt und stellt die Resozialisierung in den Vordergrund. Durch differenzierte Eintragungs-, Löschungs- und Verwertungsregeln verfolgt das Recht einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und dem Bedürfnis nach Rehabilitation des Straftäters.
Häufig gestellte Fragen
Wie lange bleibt eine Vorstrafe im Führungszeugnis eingetragen?
Die Dauer der Eintragung einer Vorstrafe im Führungszeugnis hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der verhängten Strafe und der Art des Delikts. Grundsätzlich beträgt die sogenannte Tilgungsfrist gemäß § 46 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) je nach Schwere des Vergehens fünf, zehn oder sogar fünfzehn Jahre. Bei geringeren Verurteilungen – wie etwa einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten – beträgt die Frist in der Regel drei Jahre. Bei schwerwiegenderen Straftaten, etwa bei Freiheitsstrafen von über einem Jahr, beginnt eine zehn- bis fünfzehnjährige Frist. Nach Ablauf der jeweiligen Tilgungsfrist wird die Eintragung aus dem Führungszeugnis entfernt, verbleibt jedoch noch eine gewisse Zeit im Bundeszentralregister, bevor sie endgültig gelöscht wird. Wichtig ist, dass Bewährungszeiten oder Zurückstellungen der Strafe die Tilgungsfrist verlängern können. Zudem gibt es Ausnahmen, etwa bei Sexualdelikten, die besonderen Sperrfristen unterliegen.
Welche Konsequenzen hat eine Vorstrafe für das Berufsleben?
Die Auswirkungen einer Vorstrafe auf das Berufsleben sind vielfältig und hängen insbesondere vom angestrebten Beruf, der Höhe der Strafe und dem Delikt ab. Bei vielen Arbeitgebern ist insbesondere für Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, bei sicherheitsrelevanten Berufen (wie Polizei, Justiz, Bewachungsgewerbe) oder im Bereich Erziehung und Pflege ein Führungszeugnis vorzulegen. Eine Eintragung kann dabei zur Ablehnung einer Bewerbung führen oder sogar die Entlassung nach sich ziehen, wenn die Vorstrafe den Anforderungen der Tätigkeit widerspricht. Bei selbstständiger Tätigkeit, etwa im Gewerbe, kann eine Vorstrafe die Erteilung bestimmter Erlaubnisse erschweren oder ausschließen. Allerdings gilt bei weniger schwerwiegenden Delikten und insbesondere im privaten Sektor oft eine Einzelfallprüfung, sodass die Auswirkungen nicht zwangsläufig existenzbedrohend sein müssen. Zu beachten ist ferner, dass Arbeitgeber ohne berechtigtes Interesse nicht nach einer Vorstrafe fragen oder ein Führungszeugnis verlangen dürfen.
Muss man eine Vorstrafe im Bewerbungsverfahren offenlegen?
Eine Offenlegungspflicht besteht grundsätzlich nur dann, wenn der Arbeitgeber rechtmäßig ein Führungszeugnis verlangt. Ferner darf nur nach solchen Vorstrafen gefragt werden, die noch im Führungszeugnis eingetragen sind – getilgte oder bereits entfernte Vorstrafen müssen nicht angegeben werden. Wird dennoch bewusst eine Frage nach einer tilgungsreifen oder nicht mehr einzutragenden Vorstrafe gestellt, darf hierüber wahrheitswidrig geantwortet werden. Ein generelles Recht des Arbeitgebers, alle Vorstrafen zu erfahren, besteht nicht. Lediglich bei bestimmten Berufen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, bei Wachdiensten oder im Bereich Erziehung, kann eine weitergehende Offenlegungspflicht bestehen. Zu beachten sind auch spezielle Regelungen für Personen, die mit besonders schutzbedürftigen Gruppen arbeiten.
Welche Unterschiede gibt es zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht bezüglich der Vorstrafe?
Im Jugendstrafrecht werden verhängte Maßnahmen und Strafen anders beurteilt als im Erwachsenenstrafrecht. Hier werden insbesondere Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel (wie etwa Arbeitsauflagen) in der Regel nicht ins Führungszeugnis aufgenommen und gelten daher nicht als Vorstrafe im klassischen Sinne. Lediglich Jugendstrafe, also Freiheitsentzug wegen besonders schwerer Straftaten, wird im Führungszeugnis eingetragen. Die Tilgungsfristen sind im Jugendstrafrecht ebenfalls häufig kürzer, und das Bundeszentralregistergesetz sieht besondere Regelungen für jugendliche Täter vor, um deren Chancen auf Resozialisierung nicht übermäßig zu beeinträchtigen. Dies bedeutet, dass jugendliche Straftäter schneller als Erwachsene als „nicht vorbestraft“ gelten können.
Wann gilt man als nicht vorbestraft?
Als nicht vorbestraft gilt eine Person dann, wenn im Führungszeugnis keine Eintragung vorhanden ist. Dies ist der Fall, wenn entweder keine Straftat begangen wurde, ein Freispruch erfolgte, das Verfahren eingestellt wurde, oder aber eine verhängte Strafe unterhalb bestimmter Grenzen lag (etwa eine Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen oder eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde und keine Vorverstrafung vorliegt). Auch getilgte Eintragungen führen dazu, dass man wieder als nicht vorbestraft gilt. Wichtig ist, dass es auf die Eintragung im Führungszeugnis und nicht auf das Bundeszentralregister ankommt.
Können Vorstrafen gelöscht oder vorzeitig getilgt werden?
Die Tilgung und Löschung von Vorstrafen erfolgt grundsätzlich automatisch nach Ablauf der gesetzlichen Fristen gemäß Bundeszentralregistergesetz. Allerdings gibt es in absoluten Ausnahmefällen die Möglichkeit der vorzeitigen Löschung, etwa aufgrund besonderer Umstände oder auf Antrag, wenn gewichtige Gründe (wie etwa Resozialisierungserfolge) vorliegen. Ein solcher Antrag ist jedoch an hohe rechtliche Hürden gekoppelt und wird nur selten bewilligt. Die konkrete Prüfung und Entscheidung hierzu liegt bei den zuständigen Registerbehörden. Zudem bleiben Eintragungen für bestimmte Berufe – etwa im Bereich Kinder- und Jugendarbeit – teilweise länger im erweiterten Führungszeugnis sichtbar.
Haben ausländische Vorstrafen Auswirkungen in Deutschland?
Vorausgegangene Straftaten im Ausland können auch in Deutschland Bedeutung erlangen, insbesondere wenn diese dem Bundeszentralregister gemeldet wurden oder im Rahmen einer Zuverlässigkeitsprüfung offengelegt werden müssen. Im Allgemeinen findet eine automatische Übernahme ausländischer Urteile jedoch nicht statt; allerdings können internationale Abkommen und die Verpflichtung zur gegenseitigen Auskunftserteilung dazu führen, dass relevante Daten – etwa bei bestimmten Berufsgruppen oder im Strafverfahren – herangezogen werden. Für die Eintragung und Tilgungsfristen gelten dabei regelmäßig die allgemeinen Grundsätze des deutschen Registerrechts.