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Vorsatzdelikte


Begriff und Bedeutung der Vorsatzdelikte

Vorsatzdelikte sind eine zentrale Kategorie im deutschen Strafrecht. Sie bezeichnen Straftaten, bei denen der Täter mit Vorsatz handelt, das heißt, eine bestimmte rechtswidrige Tat wissentlich und willentlich verwirklicht. Diese Abgrenzung ist bedeutsam, da im Strafrecht grundsätzlich zwischen vorsätzlich und fahrlässig begangenen Handlungen unterschieden wird. Die meisten Straftatbestände des Strafgesetzbuchs (StGB) setzen einen Vorsatz voraus, fahrlässige Begehungsweisen sind nur im Gesetz ausdrücklich geregelt.


Definition und dogmatische Einordnung

Vorsatz als subjektives Tatbestandsmerkmal

Der Vorsatz ist das subjektive Element eines Straftatbestands. Im Gegensatz zum objektiven Tatbestand, der Äußerlichkeiten umfasst (also die Tat selbst und deren Umstände), bezieht sich der Vorsatz auf die innere Haltung des Täters. Die Legaldefinition des Vorsatzes fehlt im Strafgesetzbuch, er wird jedoch durch die Rechtswissenschaft allgemein definiert als das Wissen und Wollen, alle objektiven Tatbestandsmerkmale zu verwirklichen.

Abgrenzung zu den Fahrlässigkeitsdelikten

Während Vorsatzdelikte eine willentliche rechtswidrige Tat voraussetzen, handelt es sich bei Fahrlässigkeitsdelikten um Begehungsweisen, bei denen der Täter zwar die Sorgfalt außer Acht lässt, die ihm nach den Umständen auferlegt war, jedoch keine bewusste Willensentscheidung gegen die Rechtsordnung trifft. Gesetzlich sind Fahrlässigkeitstaten nur strafbar, wenn das ausdrücklich angeordnet ist (vgl. § 15 StGB).


Arten und Formen des Vorsatzes

Formen des Vorsatzes

Im Strafrecht werden verschiedene Vorsatzarten unterschieden, die je nach Intensität des Wissens und Wollens variieren:

1. Absicht (dolus directus 1. Grades)

Bei der Absicht steht das Wollenselement im Vordergrund. Der Täter strebt den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges an, der Wissensteil kann hingegen relativ unbestimmt sein.

2. Direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades)

Hier ist das Wissen des Täters entscheidend. Der Täter weiß sicher, dass der Erfolg eintritt, auch wenn dies für ihn nicht das Hauptziel ist.

3. Eventualvorsatz (dolus eventualis)

Der Täter hält den Erfolgseintritt für möglich und nimmt ihn billigend in Kauf. Der Eventualvorsatz ist jedoch abzugrenzen von der bewussten Fahrlässigkeit, bei der der Täter darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten.


Die Bedeutung des Vorsatzes für das Strafmaß

Die Existenz von Vorsatz beeinflusst die Strafbarkeit und die Strafzumessung maßgeblich. In vielen Tatbeständen ist ausschließlich die vorsätzliche Tat strafbar. Der sog. Regelstrafrahmen des jeweiligen Delikts orientiert sich an der vorsätzlichen Begehung. Viele Qualifikationen, etwa besonders schwere Fälle, beziehen sich dabei auf das Maß des Vorsatzes oder dessen Intensität.


Vorsatzdelikte im deutschen Strafgesetzbuch

Gesetzliche Regelung

Nach § 15 StGB werden Straftaten als Vorsatzdelikte behandelt, sofern nicht das Gesetz ausdrücklich Fahrlässigkeit mit Strafe bedroht. Zu den klassischen Vorsatzdelikten zählen unter anderem Diebstahl (§ 242 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Raub (§ 249 StGB).

Tatbestandsmäßigkeit und Vorsatz

Bei der Prüfung eines Vorsatzdelikts ist zunächst das objektive Geschehen festzustellen und anschließend das subjektive Element, der Vorsatz hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale, zu prüfen.


Irrtumstatbestände und Vorsatz

Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB)

Liegt beim Täter ein Irrtum über das Vorliegen eines objektiven Tatbestandsmerkmals vor, handelt er ohne Vorsatz. Beispielsweise, wenn jemand irrtümlich annimmt, eine fremde Sache gehöre ihm, fehlt der Vorsatz auf die Fremdheit und damit auf den Diebstahlstatbestand.

Erlaubnistatbestandsirrtum

Ein weiterer relevanter Irrtum betrifft die Vorstellungen des Täters über Rechtfertigungsgründe. Hält dieser fälschlicherweise einen Umstand zur Rechtfertigung seines Handelns für gegeben, berührt dies den Vorsatz nicht unmittelbar, kann jedoch die Schuld betreffen.


Abgrenzung und Verhältnis zu anderen Willensmängeln

Bewusste und unbewusste Fahrlässigkeit

Die schwerwiegendste Abgrenzungsfrage ist die zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit. Während beim Eventualvorsatz der Täter den Eintritt des Erfolges zumindest billigend in Kauf nimmt, vertraut er bei der bewussten Fahrlässigkeit ernsthaft darauf, dass der Erfolg ausbleibt.

Irrtum über Normen und Verbotsirrtum

Der klassische Verbotsirrtum nach § 17 StGB betrifft hingegen die Schuld, nicht den Vorsatz. Ein Täter handelt zwar vorsätzlich, weiß aber nicht, dass sein Handeln rechtlich verboten ist.


Prozessuale Konsequenzen bei Vorsatzdelikten

Beweiswürdigung

Die Ermittlung des Vorsatzes ist im Strafverfahren regelmäßig eine schwierige Aufgabe und erfolgt anhand von Indizien aus dem objektiven Tatgeschehen, dem Nachtatverhalten und der Gesamtschau der Indizien. Auch Geständnisse und Aussagen über Tatmotive können herangezogen werden.

Strafrahmen und Strafzumessung

Bei der konkreten Strafzumessung kommt es auf die Vorsatzform und die Eigenart des Tatentschlusses an. Höhere Vorsatzgrade, also Absicht, können sich strafschärfend auswirken, während ein bedingter Vorsatz eher milder bewertet werden kann.


Vorsatzdelikte und Versuch

Beim Versuch (§§ 22 ff. StGB) ist stets Vorsatz erforderlich. Fahrlässige Delikte sind grundsätzlich nicht versuchsgeeignet. Bei Vorsatzdelikten kann hingegen bereits das unmittelbare Ansetzen zur Tat den Versuch begründen und strafbar machen.


Vorsatzdelikte im internationalen Vergleich

Auch in vielen anderen Rechtsordnungen gilt das Prinzip der Vorsatzstrafbarkeit als Grundregel. Unterschiede bestehen jedoch häufig in Definition und Konkretisierung der Vorsatzformen sowie den jeweiligen Strafrahmen und Rechtsfolgen.


Zusammenfassung

Vorsatzdelikte sind ein elementarer Bestandteil des Strafrechts. Sie setzen ein wissentliches und willentliches Handeln hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale voraus. Der Vorsatz ist ein subjektiver Bestandteil des Tatbestands und entscheidend für die Strafbarkeit zahlreicher Delikte. Seine genaue Auslegung, die Abgrenzung zu anderen Willensmängeln und die praktisch bedeutsame Einteilung in verschiedene Vorsatzformen prägen nicht nur die Rechtsanwendung, sondern auch die Rechtsprechung und Entscheidungen in der Strafzumessung.

Häufig gestellte Fragen

Können Vorsatzdelikte auch durch Unterlassen begangen werden?

Ja, Vorsatzdelikte können nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen begangen werden. Im deutschen Strafrecht ist dies unter § 13 StGB geregelt (Begehen durch Unterlassen). Voraussetzung ist jedoch, dass eine sogenannte Garantenstellung besteht. Das heißt, der Täter muss rechtlich dafür einzustehen haben, dass ein bestimmter Erfolg nicht eintritt (zum Beispiel Eltern gegenüber ihren Kindern oder Aufsichtspersonen). Ebenso wie beim aktiven Tun muss beim vorsätzlichen Unterlassen der Täter mit Wissen und Wollen gehandelt haben, also den Erfolgseintritt erkannt und ihn gebilligt oder zumindest billigend in Kauf genommen haben (dolus eventualis). Typische Beispiele hierfür sind unterlassene Hilfeleistung oder die Nichtverhinderung strafbarer Handlungen trotz bestehender Pflicht dazu.

Welche Formen des Vorsatzes gibt es und wie unterscheiden sie sich bei Vorsatzdelikten?

Im Strafrecht werden verschiedene Vorsatzformen unterschieden: Absicht (dolus directus ersten Grades), direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) und bedingter Vorsatz (dolus eventualis). Bei Absicht handelt der Täter zielgerichtet und strebt den Erfolg als Hauptziel an. Beim direkten Vorsatz weiß der Täter sicher, dass der Erfolg durch sein Verhalten eintreten wird, auch wenn dies nicht sein Hauptziel ist. Beim bedingten Vorsatz hingegen hält der Täter den Erfolg für möglich und nimmt ihn billigend in Kauf. Die Unterscheidung ist insbesondere für die Abgrenzung zu fahrlässigen Taten zentral, da nur beim Vorsatzdelikt ein vorsätzliches Handeln in einer dieser drei Qualitäten vorliegen muss.

Welche Rolle spielt das Motiv des Täters bei Vorsatzdelikten?

Das Strafrecht unterscheidet streng zwischen Motiv (Beweggrund) und Vorsatz (Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung). Grundsätzlich ist das Motiv für die Erfüllung eines Vorsatzdelikts ohne Bedeutung – entscheidend ist allein, dass der Täter die Tathandlung wissentlich und willentlich ausführt. In bestimmten Fällen, etwa bei Mord (§ 211 StGB), können jedoch bestimmte niedrige Beweggründe (beispielsweise Habgier oder Heimtücke) als besondere subjektive Merkmale den Tatbestand qualifizieren und zu einer schwereren Strafbarkeit führen. Im Regelfall beeinflusst das Motiv jedoch höchstens die Strafzumessung, nicht aber die Frage, ob ein Vorsatzdelikt vorliegt.

Wie wird der Vorsatz in der Praxis nachgewiesen und welche Beweisanforderungen bestehen?

Der Nachweis des Vorsatzes ist in der Praxis häufig problematisch, weil er eine innere Einstellung des Täters voraussetzt. Da das Gericht nicht in das Innere des Täters hineinschauen kann, erfolgt der Vorsatznachweis regelmäßig durch Indizien. Hierzu gehören das konkrete Tatgeschehen, die Tathandlung, frühere Äußerungen des Täters, Tatplanung oder auch das Verhalten unmittelbar nach der Tat. Insbesondere bei dolus eventualis wird darauf abgestellt, ob der Täter den Erfolgseintritt ernsthaft für möglich gehalten und ihn trotzdem billigend in Kauf genommen hat. Die Anforderungen an den Beweis des Vorsatzes sind hoch; der Richter muss von dessen Vorliegen überzeugt sein und Zweifel kommen dem Angeklagten zugute (in dubio pro reo).

Kann ein Irrtum den Vorsatz ausschließen?

Ein Tatbestandsirrtum kann den Vorsatz ausschließen. Nach § 16 Abs. 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Der Täter weiß also etwa nicht, dass eine bestimmte Handlung verboten ist oder dass sein Verhalten ein bestimmtes gesetzliches Tatmerkmal verwirklicht. Fehlt dieses Wissen, kann der Täter nur fahrlässig handeln, sofern das Gesetz dies unter Strafe stellt. Ein sogenannter Verbotsirrtum (Unkenntnis der Rechtswidrigkeit, § 17 StGB) schließt den Vorsatz dagegen nicht aus, sondern kann nur die Schuld entfallen lassen, wenn der Irrtum unvermeidbar ist.

Welche Folgen hat eine fehlerhafte Annahme von Vorsatz für die Strafzumessung?

Kommt ein Gericht fälschlicherweise zu der Überzeugung, ein Täter habe vorsätzlich gehandelt, obwohl sein Verhalten lediglich fahrlässig war, hat dies gravierende Folgen: Vorsatzdelikte werden in aller Regel mit höheren Strafen geahndet als Fahrlässigkeitsdelikte. Verurteilt wird dann nicht nach dem milderen, sondern nach dem strengeren Strafrahmen, was einen erheblichen Unrechtsgehalt für den Betroffenen bedeutet. Ferner entfällt die Möglichkeit, sich auf fahrlässigkeitsspezifische Strafmilderungsgründe zu berufen. Aus diesem Grund ist die genaue Prüfung und Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit von enormer Bedeutung im Strafverfahren.

Welche Bedeutung hat der Vorsatz für den Versuch eines Delikts?

Für die Strafbarkeit des Versuchs ist der Vorsatz von zentraler Bedeutung. Nach § 22 StGB setzt der Versuch voraus, dass der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Verwirklichung eines Straftatbestands ansetzt. Da der Versuch auf das Wollen der Tatbestandsverwirklichung abzielt und der Erfolgseintritt gerade noch ausbleibt, muss der Täter vorsätzlich handeln. Ein fahrlässiger Versuch ist nicht strafbar; die Versuchsstrafbarkeit knüpft ausschließlich an vorsätzlich begangene Delikte an. Ist der Täter lediglich fahrlässig tätig, entfällt die Versuchsstrafbarkeit in jedem Falle.